Wie aus Alba Berlin weit mehr
wurdeals ein erfolgreicher
Basketballklub Seite 44
von klaus hoeltzenbein
E
s soll sich fast so zugetragen haben
wie im richtigen Leben. Eine Mi-
schung aus Speeddating und Ball
der einsamen Herzen. Hinzu kam eine Pri-
se von „Bauer sucht Frau“, als der FC Bay-
ern jetzt mal wieder auf Brautschau ging.
Das erste Ergebnis ist bekannt: Hansi
Flick, 54, ist der neue Lebensabschnitts-
partner, er coacht an diesem Samstag
auch das Topspiel der Münchner gegen
Borussia Dortmund. Gewinnt er, wird
Flick bleiben, dennoch ist die Beziehung
nicht für die Ewigkeit angelegt. Parallel
sucht der Rekordmeister einen frischen
Galan, der ihn spätestens ab nächsten
Sommer durch die Manege führt.
Es gab da einige wenige Stunden, in de-
nen wurde ein gewisser Arsène Wenger
als Favorit auf die Nachfolge von Niko
Kovac gehandelt. Wenger ist ein Grand-
seigneur des Fußballs. Und im Nachhin-
ein kommt einem der kurze Kontakt nun
so vor wie ein missglückter Flirt im Café
Keese. Dazu muss man wissen: In dem
Berliner Tanzcafé standen Telefone auf
mehr als hundert kleinen Tischen, jedes
mit einer Nummer markiert. Ein Anruf
barg naturgemäß ein hohes Risiko. Wer
ihn nicht richtig vorbereitete, per Augen-
aufschlag oder sonst einem Signal, ris-
kierte es, einen Korb zu bekommen: Herr
ruft an. Darf ich bitten? Dame lehnt ab.
So war das, und Arsène Wenger war
jung in jener Zeit, in der die Berliner ins
Café Keese strömten. Doch diesen Anruf
am Mittwoch bei Karl-Heinz Rummenig-
ge (Handy? Tischtelefon?), den hätte er
sich besser gespart. Nun gut, Wenger ist
70, der kurze Flirt war vielleicht doch die
letzte Großchance in seinem Trainer-
leben. Aber selbst anzurufen, sich als Ko-
vac-Nachfolger anzudienen, und dann ei-
nen Korb zu kassieren – nee, nee, lass
mal, das wird nichts mit uns beiden! –, ist
dann doch ein bisschen peinlich.
Zumal später diese Münchner Verlaut-
barung übermittelt wurde, entlarvend in
ihrer Unverbindlichkeit: „Arsène Wenger
hat Karl-Heinz Rummenigge am Mitt-
wochnachmittag angerufen und grund-
sätzliches Interesse am Trainerjob beim
FC Bayern signalisiert. Der FC Bayern
schätzt seine Arbeit als Trainer bei Arse-
nal London sehr, aber er ist keine Option
als Trainer beim FC Bayern München.“
Das muss man erst mal sacken lassen.
Schließlich hat Wenger Verdienste, auch
wenn es mit dem FC Arsenal, mit dem er
22 Jahre lang verbandelt war, gegen En-
de doch ein bisschen abwärtsging.
Wie es geschickter geht beim Speed-
dating am Trainermarkt, führten andere
vor. Ob vom FC Bayern offiziell angefragt
oder nicht, allerorts meldeten sich Kandi-
daten zu Wort: Der Thomas aus Paris
(„Denke nicht eine Minute an einen ande-
ren Klub“), der Erik aus Amsterdam
(„Kann bestätigen, dass ich in dieser Sai-
son bei Ajax bleibe“) oder auch der Ralf
aus Leipzig. Letzterer schaltete gar sei-
nen Berater davor, um ausrichten zu las-
sen: „Nein, Ralf Rangnick steht nicht zur
Verfügung.“ Thomas Tuchel und Erik ten
Hag hingegen schwören ihren aktuellen
Klubs die Treue, halten sich aber zugleich
alle Optionen offen. So stärkt eine Absage
geschickt den eigenen Marktwert. Sie wis-
sen, dass sie es sich leisten können.
All dieses Werben, Zieren, Kokettieren
findet in dem Bewusstsein statt, dass die
beiden Begehrtesten nicht zu haben sind.
Am Sonntag treffen Jürgen Klopp und
Pep Guardiola mit Liverpool und Man-
chester City aufeinander. Der eine be-
spaßte bis 2015 Borussia Dortmund, der
andere inspirierte bis 2016 den FC Bay-
ern. Spannend wird es deshalb durchaus
an diesem Wochenende, die Topspiele
der englischen und deutschen Liga in
ihrer Qualität zu vergleichen. Das Gefälle
zu ergründen, das die Bundesliga derzeit
trennt vom Spitzenniveau der Premier
League. Und dabei darüber nachzuden-
ken, was so alles schiefgelaufen ist, seit
der Trennung von den beiden.
FOTO: ANDREAS GORA / IMAGO
von christof kneer
und benedikt warmbrunn
R
obert Lewandowski hat den
schnellsten Hattrick in der Ge-
schichte der Bundesliga ge-
schossen, den schnellsten Vie-
rerpack, den schnellsten Fün-
ferpack, und das alles innerhalb von neun
Minuten. Lewandowski hat die meisten
Tore aller internationalen Spieler in der Ge-
schichte der Bundesliga geschossen, 216,
das sind 19 mehr als der möglicherweise
unsterbliche Claudio Pizarro. In dieser Sai-
son hat Lewandowski an allen zehn Spielta-
gen mindestens einmal getroffen, was na-
türlich auch Rekord ist – darf einer wie er
nicht allmählich an den berühmten Gerd-
Müller-Rekord denken, der in der Bundes-
liga mal 40 Saisontore geschafft hat?
Robert Lewandowski sagt: „Rekorde
sind was für später. Wenn man später mal
sagt, dass Robert Lewandowski einen
40Jahre alten Rekord gebrochen hat, dann
freut man sich und ist stolz. Aber wenn ich
aktuell zu viel darüber nachdenken würde,
wäre das nicht gut für meine Form.“
Und es ist ja so: Wenn etwas nicht gut
wäre für Lewandowskis Form, dann wäre
das auch nicht gut für den FC Bayern. Der
FC Bayern wäre ohne Lewandowskis Form
weniger erfreut und stolz, weil er ohne des-
sen Tore eher so Siebter oder Elfter wäre.
Der Rekord, den der Angreifer des
FC Bayern an diesem Samstag (18.30 Uhr)
gegen Borussia Dortmund einstellen könn-
te, ist ein Rekord in der zu Unrecht unter-
schätzten Tore-nach-elf-Spieltagen-Kate-
gorie. Diesen Rekord hält auch Gerd Mül-
ler, mit 15 Toren, aufgestellt in der Saison
1968/69. Und obwohl diese Bestmarke bis-
lang wenig Beachtung gefunden hat, ist sie
für den FC Bayern so wichtig, wie es selten
ein Torrekord in der Geschichte dieses
rekordverwöhnten Klubs gewesen ist.
Das Spiel gegen Dortmund markiert für
die Münchner das Ende einer turbulenten
Woche, in der Trainer Niko Kovac sich vom
Verein getrennt hat (und umgekehrt). Die
Bayern haben rekordverdächtig verwund-
bar gewirkt in dieser Woche, gegen Dort-
mund geht es nun darum, den Anschluss
an die Spitze zu halten. Bei einer Nieder-
lage drohen bis zu sieben Punkte Rück-
stand. Außerdem muss sich erweisen, wie
belastbar die Übergangslösung mit Hansi
Flick ist, ein Sieg würde den Bossen Ruhe
bei der Trainersuche geben.
Wie eng Sieg und Niederlage, Ruhe und
Unruhe im Moment beieinander liegen
beim FC Bayern, das lässt sich am leichtes-
ten mit zwei Wörtern beschreiben: „Ro-
bert“ und „Lewandowski“. Sieg und Ruhe
sind gerade nur schwer vorstellbar ohne
die Tore, die der Mittelstürmer schießt.
Bayern-Mannschaften haben sich im-
mer dadurch ausgezeichnet, dass sie um
eine autoritäre Achse herum gebaut waren,
beginnend mit Maier/Beckenbauer/Mül-
ler. Damals wurde auch der „Führungs-
spieler“ erfunden, der gut kicken, gut fuch-
teln und meist auch tadellos brüllen konn-
te. Später drehte der Führungsspieler
zwar die Lautstärke etwas herunter und be-
legte Kurse in Diplomatie, blieb aber un-
verzichtbar; zum bislang letzten Titel-
gewinn in der Champions League wurde
die Elf von Torwart Manuel Neuer, Außen-
verteidiger Philipp Lahm und den Mittel-
feldspielern Bastian Schweinsteiger und
Javier Martínez geführt. Franck Ribéry
und Arjen Robben mischten dann noch et-
was Irrsinn hinzu, auch sie gingen als Origi-
nalbajuwaren durch, die mit weiß-blauem
Herzblut ihre Linien entlangrasten.
Darf man so was im Herbst 2019 von
Kingsley Coman erwarten? Wann prägt
Thiago mal ein großes Spiel, geht Leon
Goretzka schon als Originalbajuwar durch?
Wofür steht David Alaba, außer für David
Alaba? Wen und wohin führen Benjamin
Pavard und Corentin Tolisso? Die Mann-
schaft hat nach wie vor Manuel Neuer, und
sie hat Joshua Kimmich, der in seinem
Führungsdrang aber manchmal noch wild
durch die Prärie galoppiert. Und sie hat Le-
wandowski und seine Tore – und neuer-
dings sogar noch etwas mehr von ihm.
Zu Beginn dieser Woche sitzt Lewan-
dowski, 31, in einem fensterlosen Raum
auf dem Vereinsgelände des FC Bayern, es
sollte eigentlich ein Gespräch darüber wer-
den, was den Angreifer zurzeit so stark
macht. Aber Lewandowski will fast gar
nicht über sich sprechen. Er will reden
über die Defizite, die er im Team entdeckt,
über die Beobachtungen, die er gemacht
hat, über all das, was auch nach der Tren-
nung von Kovac dringend verbesserungs-
würdig bleibt. Und er will, dass seine Mit-
spieler das auch sehen und begreifen, und
dass sie alle ans große Ganze denken.
Das will Robert Lewandowski, gebürti-
ger Solist, der neulich noch als Einzelgän-
ger galt, als Torjäger, der nur das eigene
Glück im Fadenkreuz hat und schon sehr
beleidigt ist, wenn ihn jemand nicht an-
spielt oder der Trainer ihn auswechselt.
Dieser Robert Lewandowski sitzt jetzt
also da und sagt: „Eine Achse, die nur aus
Neuer und Lewandowski besteht, ist zu
wenig. In jedem Mannschaftsteil, in jeder
Linie sollte es einen Anführer geben: Tor-
wart, Abwehrspieler, einer aus dem Mittel-
feld, einer aus der Offensive, das wäre per-
fekt. Es kann nichteinSpieler alle führen,
das ist zu viel, das ist unmöglich.“
Robert Lewandowski ist in Fahrt jetzt,
er wird lauter: „Was bei uns manchmal
fehlt: Kommandos. Links! Rechts! Die jun-
gen Spieler sind natürlich noch etwas zu-
rückhaltend, oder sie haben mit der Spra-
che ein Problem. Aber ich weiß, dass zwei,
drei Monate in einem Land reichen, um
Kommandos geben zu können! Das muss
man auch erwarten können!“
Hansi Flick, der Übergangstrainer, sieht
das ähnlich, beim 2:0 gegen Piräus stellte
er Martínez in die zentrale Verteidigung,
im Mittelfeld bündelte er die Kräfte von
Kimmich, Goretzka und Thomas Müller,
und schon war zu sehen, wie da ein Team
wieder gemeinsam für das gleiche, viel-
leicht sogar dasselbe Ziel kämpfte. Man
tritt Flick nicht zu nahe, wenn man vermu-
tet, dass diese neue, alte Stabilität nicht
nur an der einen von ihm geleiteten
Übungseinheit lag. Sondern auch daran,
dass die Elf wieder Kräfte aus sich selbst
heraus mobilisiert hat. Kräfte, die sie un-
ter Niko Kovac zuletzt gut versteckt hielt.
Lewandowski sagt: „Die Generation hat
sich verändert. Früher waren die Spieler in-
dividueller, wollten mehr von sich aus
machen. Ich habe im Garten gekickt und
musste mir selbst Aufgaben stellen. Die
neue Generation braucht mehr klare Ansa-
gen, ich denke, das kommt aus den Akade-
mien. Wenn du Vorgaben von Trainern
von klein auf gewohnt bist, verlierst du die
individuellen Sachen, das eigene Denken.
Junge Spieler brauchen Führung. Wenn
sie keine Aufgabe bekommen, vergessen
sie manchmal, was sie machen sollen.“
Wenn Lewandowski nicht aufpasst,
laden sie ihn mit solchen Sätzen bald als
Gastphilosophen an die DFB-Akademie
ein, und was er im fensterlosen Raum auf
dem Bayern-Gelände noch so sagt, könnte
mit etwas Bearbeitung ebenfalls direkt ins
Rede-Manuskript übernommen werden.
Er sagt: „Früher hattest du in der Kabine
20 Männer, jeder hat etwas gesagt, oft
auch laut, und am nächsten Tag war es wie-
der okay. Heute haben die Spieler ein biss-
chen Angst zu sprechen, vielleicht ist es
auch: keine Lust. Das ist eine Generation,
die schreibt viel SMS, die kommuniziert
viel im Internet, sie telefoniert weniger.
Das ist einfach eine andere Kultur.“
Lewandowski ist es wichtig, dass diese
Sätze nicht als Kollegenschelte verstanden
werden, er will sich da auch gar nicht selbst
rausnehmen, auch wenn er sagt: „Ich bin
zwischen diesen Generationen.“
Er sagt diese Sätze, weil ermitall diesen
jungen Burschen noch ein paar Titel gewin-
nen will, und das reicht wohl auch schon,
um zu verstehen, warum sich Lewandow-
skis Rolle bei Bayern so verändert hat.
Jahrelang schien Lewandowski den
FCBayern vor allem als Zwischenstation
zu begreifen, so verbissen flirteten er und
sein damaliges Beraterteam immer wieder
auch mit Real Madrid. 2018 hat Lewandow-
ski noch einmal einen Versuch unternom-
men, die Stadt zu verlassen, er wechselte
dafür extra zu einem neuen Berater, der an
der Säbener Straße in seinem Auftrag
einen Wechselwunsch hinterlegte. Doch
die Bayern ließen ihn nicht gehen. Und
Lewandowski hat das Signal verstanden.
Er weiß nun, dass der FC Bayern sein
letzter großer Klub sein wird, seinen Ver-
trag hat er im Sommer bis 2023 verlän-
gert. Diese Jahre will Lewandowski nut-
zen, er will weitere Rekorde aufstellen und
vor allem endlich die Champions League
gewinnen, und seine Karriere-Bestform
hilft ihm bei diesem Führungsanspruch.
Aber all das will er mit einer Mannschaft,
die nicht mehr dieselbe ist wie die, für die
er einst seinen Vertrag verlängerte.
Ein wenig stellt sich deshalb schon die
Frage, ob Lewandowski tatsächlich so gi-
gantisch ist, wie er gerade wirkt – oder ob
nur die Elf um ihn herum geschrumpft ist.
„In der Champions League sind es Klei-
nigkeiten, die entscheiden“, sagt Lewan-
dowski noch, „in Barcelona habe ich mal
mit Maske spielen müssen und gegen Real
mit einer Schulterverletzung, da war ich
höchstens bei 60 Prozent und konnte kei-
nen Sprint machen. Man braucht auch viel
Glück und den richtigen Moment, alle müs-
sen fit sein, du brauchst eine motivierte
Bank, die Formkurve muss stimmen.“
Robert Lewandowski spielt seinen Fuß-
ball neuerdings im Sternzeichen Führungs-
spieler, Aszendent Gastphilosoph, und
nebenbei beschreibt er sehr anschaulich
den Umbruch beim FC Bayern: Die Spieler
sind jünger, unerfahrener, schüchterner,
die Hierarchie muss sich erst finden – die
Ansprüche aber bleiben die gleichen, wo-
möglich sogar dieselben.
Besorgt haben die Bayern daher ver-
nommen, dass Lewandowski schon seit
ein paar Wochen Leistenprobleme hat, nix
Schlimmes zwar, sagt der Angreifer, „es
wird keine große Operation, aber ich muss
eine zweiwöchige Pause einlegen“. In den
nächsten Tagen, sagt er, werde er einen
Termin festlegen. Und bei den Bayern hof-
fen sie jetzt, dass Lewandowski vorher viel-
leicht noch ein paar Rekorde aufstellt.
Klaus Hoeltzenbein lebte
einst inBerlin, tanzte aber
nie im Café Keese.
Körbe in der Kita
„Heute haben die Spieler
ein bisschen Angst zu sprechen,
vielleicht auch: keine Lust.“
Nationaltorhüterin Almuth Schult
im Interview über die Probleme des
deutschen Frauenfußballs Seite 43 Rücktritt der Präsidentin, ein umstrittener Kandidat und
neuer Ärger mit Pechstein – der deutsche Eisschnelllauf
kommt nicht zur Ruhe Seite 44
„Eine Achse, die nur
aus Neuer und Lewandowski
besteht, ist zu wenig.“
TRAINER
Tanzpartner
gesucht
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 HF2 41
SPORT
Gigant im geschrumpften Land
Der gebürtigeSolist Robert Lewandowski ist mit 31 doch noch zum Führungsspieler beim FC Bayern geworden. Vor dem Spiel gegen Dortmund
macht er sich weniger Gedanken über mögliche Torrekorde – wichtiger ist es ihm, die jungen Mitspieler in die Pflicht zu nehmen
Tuchel und ten Hag schwören
ihren Klubs die Treue, halten
sich aber alle Optionen offen
Robert Lewandowski (rechts neben Dan-Axel Zagadou) trifft gegen seinen ehemaligen Klub gerne oft und schön: In zehn Partien gegen Dortmund 14 Mal, zuletzt beim 5:0 im April. FOTO:JAN HÜBNER / IMAGO
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