interview: anna dreher
F
ür die deutsche Fußballnational-
mannschaft der Frauen steht an
diesem Samstag (18.30 Uhr, Euro-
sport) das letzte Länderspiel des
Jahres an. Und schon lange ist
klar, dass diese Partie gegen die Englände-
rinnen eine besondere sein wird – nicht
nur, weil sie im Wembley-Stadion stattfin-
det. Die Arena in London ist ausverkauft,
90000 Zuschauer sollen kommen. Dies wä-
re ein neuer Europarekord im Frauenfuß-
ball, der die bisherige Bestmarke von
80 203 Fans beim Olympiafinale 2012 an
gleicher Stelle übertreffen würde. Den glo-
balen Rekord von 90185 Zuschauern beim
WM-Finale 1999 in den USA verfehlt die
Kulisse dann nur ganz knapp.
Für die Mannschaft von Bundestraine-
rin Martina Voss-Tecklenburg ist es die ers-
te richtige Standortbestimmung seit der
Weltmeisterschaft. In Frankreich war der
zweimalige Welt- und achtmalige Europa-
meister Ende Juni bereits im Viertelfinale
gegen Schweden (1:2) ausgeschieden. Seit
dem Olympiagold 2016 befindet sich das
DFB-Team im Umbruch, beim WM-Tur-
nier wurde das erneut deutlich.
Die meinungsstarke Nationaltorhüterin
Almuth Schult, 28, war dabei eine der wich-
tigsten Führungsspielerinnen. Beim High-
light zum Jahresabschluss in London wird
die unumstrittene Nummer 1 fehlen, weil
sie bei der WM bis zum Viertelfinalaus
trotz schwerer Schulterverletzung im Tor
stand. Erst danach ließ sich Schult operie-
ren. Wann sie ihr 65. Länderspiel absolvie-
ren und auch beim Doublesieger VfL Wolfs-
burg in den Kader zurückkehren wird, ist
noch nicht klar. Die Partie in Wembley
schaut sich Schult von der Tribüne aus an.
SZ: Frau Schult, 90000 Zuschauer – hätte
das der DFB auch hinbekommen?
Almuth Schult: 90000 wäre schwierig ge-
worden, weil es in Deutschland kein so gro-
ßes Stadion gibt. Aber wir hatten ja auch
schon Zehntausende Zuschauer, beim Er-
öffnungsspiel der WM 2011 waren es bei-
spielsweise mehr als 70000 im Berliner
Olympiastadion. Das deutsche Publikum
hat gezeigt, dass es gerne zu einem Frauen-
fußballspiel geht. Momentan ist England
Vorreiter, dort wird aber auch die Liga ganz
anders vermarktet.
Wie sollte man die Sache denn angehen?
Im Fall von Wembley hat der englische Fuß-
ballverband FA direkt nach der WM im
Sommer angefangen, das Spiel zu bewer-
ben. So wurden in kurzer Zeit viele Tickets
verkauft. Damit wurde wieder geworben,
das hat Eindruck gemacht. Es kommt ein-
fach viel auf gute Werbung an, und die FA
versucht, sehr viel Lust auf Frauenfußball
zu machen – natürlich auch im Interesse
ihrer Europameisterschaft 2021. Und
Deutschland – England ist ein Klassiker,
der lockt auch diejenigen an, die vom Frau-
enfußball nicht so viel Ahnung haben.
Es ist ein Test, ohne Relevanz für einen
Wettbewerb. Trotzdem: Wer gewinnt?
Deutschland, der einstige Dauersieger,
oder England. Das Team mit einem der
derzeit aufregendsten Offensivstile?
Dieses Spiel wird einfach dabei helfen, ein-
zuschätzen, wo wir nach der WM stehen.
Und was uns fehlt, um wieder zur Weltspit-
ze zu gehören. Gegen England kommt viel
Verantwortung auf die Mannschaft zu, zu-
mal wir mit Verletzungen von wichtigen
Spielerinnen wie Svenja Huth und Giulia
Gwinn zu kämpfen haben. Vor 90 000 Zu-
schauern spielt man nicht oft. Ich bin ge-
spannt, wie alle damit umgehen.
Sie selbst stehen nach Ihrer Schulterope-
ration im Sommer noch nicht wieder auf
dem Platz, haben aber schon in Wembley
gespielt: 2014 beim 3:0 gegen England
vor 45500 Zuschauern. Was blieb Ihnen
in Erinnerung?
Wembley ist was Besonderes, aber das Ma-
racanã in Rio auch so ein geschichtsträchti-
ger Ort. Dort 2016 das Olympiafinale ge-
wonnen zu haben, hat für mich den höhe-
ren Stellenwert. Und das WM-Eröffnungs-
spiel 2011 in Berlin war auch sehr speziell.
Dass ich schon mal in Wembley gespielt ha-
be, macht es mir einfacher, damit klarzu-
kommen, dass ich jetzt fehle.
Welche anderen Stadien würdenSiein die-
ser Reihe gerne ergänzen?
Mal im San Siro in Mailand oder Camp Nou
in Barcelona zu spielen, wäre toll. Ich hoffe,
da spiele ich mal, denn Frauenfußball in
Italien und Spanien ist im Kommen. Das
Westfalenstadion wäre auch so ein Erleb-
nis, aber ob das je passiert? Dortmund en-
gagiert sich ja leider nicht für den Frauen-
fußball. Auch Schalke nicht.
Beide haben kein Frauenteam. Beide er-
klären, dass Ihre Platzkapazitäten fürs
Training nicht ausreichen ...
... und dass sie Traditionsklubs sind. Das
sind für mich Ausreden, wenn man sieht,
wie viel Geld von vielen Bundesligisten in
die Infrastruktur gesteckt wird. Doch da-
für, dass der Frauenfußball in Deutsch-
land lange verboten war und deswegen für
viele nicht zur Tradition gehört, können
wir nichts. Frauen haben dafür gekämpft,
dass er wieder erlaubt ist. Manchester Uni-
ted zum Beispiel hat sich auch eingestan-
den: Wir haben die Frauen nicht ernst ge-
nommen, aber jetzt ändern wir das. Diese
großen englischen Vereine räumen den
Fußballerinnen den Freiraum ein, profes-
sionell arbeiten zu können. Manchester-
Stadtderbys wie zwischen United und City
werden in einem vernünftigen Rahmen
ausgetragen, da kamen im September
mehr als 30 000 Zuschauer, das würde ich
mir für Deutschland auch wünschen.
Davon ist man derzeit weit entfernt.
Ich glaube, wenn Dortmund mal ein Probe-
training anbieten würde, um ein Frauen-
team zu gründen, würden sich innerhalb
weniger Wochen Hunderte melden. Ich
kenne Nationalspielerinnen, die sagen:
Wenn der BVB eine Frauenmannschaft
gründet, will ich dieses Trikot tragen. Ich
glaube, den Vereinen ist gar nicht bewusst,
was da für ein Potenzial drinsteckt.
Das heißt, der gesellschaftliche Wandel
müsste forciert werden. Besonders durch
die finanzstarken Lizenzvereine, die ein
klares Bekenntnis abgeben müssten.
Ich glaube, ohne die großen Vereine, die po-
larisieren und die Fans mitnehmen, wird
es nicht funktionieren. Es würde helfen,
wenn Klubs flächendeckend Interesse zei-
gen und nicht gleich ein Stoppschild ausge-
fahren wird. Ich habe das Gefühl, dass in
Deutschland in der breiten Gesellschaft
noch immer eine Abwehrhaltung vor-
herrscht. Durch mehr Anerkennung wür-
den mehr Sponsoren kommen, damit gäbe
es ganz andere Möglichkeiten der Vermark-
tung, dadurch mehr Zuschauer und ein
höheres Medieninteresse. Das ist ein Kreis-
lauf. Dabei ist von jedem Engagement
gefragt, auch von uns Spielerinnen und
vom Verband. Aber ich habe das Gefühl,
dass beim DFB mit dem neuen Präsiden-
ten Fritz Keller eine Aufbruchsstimmung
herrscht. Und vielleicht gehören Fußballe-
rinnen in ein paar Jahrzehnten ganz selbst-
verständlich dazu. Aber was man bisher
oft hört, sind für mich Ausreden, und das
macht mich traurig, weil wir Fußballerin-
nen dadurch deutlich merken, dass wir
nicht gewollt sind.
Ist das in anderen Ländern besser?
Ich habe den Eindruck, dass das in den
USA, Italien, Spanien, England besser ist.
In Spanien haben die Spielerinnen einen
unbefristeten Streik ab 16. November
angekündigt, weil die Klubvereinigung
ACFF auf Halbtagesverträgen besteht,
während die Spielerinnen Ganztagesver-
träge und ein Mindestgehalt von 16000
Euro brutto pro Jahr fordern.
Es ist eine Frechheit, wie die Vereine Spiele-
rinnen abverlangen, professionell ihren
Job auszuüben, und ihnen dann eine Ge-
haltsobergrenze setzen, die genau das
Gegenteil widerspiegelt. Es wurden dort
verhältnismäßig hohe Erlöse aus der TV-
Vermarktung erzielt. Trotzdem wird die
Arbeit der Spielerinnen nicht ausreichend
honoriert, sondern der Profitstatus nur
den Männern vorbehalten.
Wie wichtig ist in dieser Situation Megan
Rapinoe? Sie ist nicht nur auf dem Rasen
der Fixpunkt der Amerikanerinnen. Mit
ihrem Engagement gegen Rassismus und
Homophobie hat sie sichzur gesellschaftli-
chen Vorkämpferin über den Sport hinaus
entwickelt.
Sehr wichtig. Das Schöne war ja auch, dass
Donald Trump (Präsident der Vereinigten
Staaten,Anm. d. Red.) bei der WM im Som-
mer immer sofort auf sie reagiert hat und
das Thema so richtig hochgekocht ist. Me-
gan hat ja nicht nur in den USA die Leute in-
spiriert. Und es tut sich ja auch global was.
Nehmen wir das Fußballspiel, bei dem in
Iran erstmals Frauen ins Stadion durften.
Das ist schön zu sehen, zumal in einem so
streng islamischen Land.
Finden Sie, dass das politische Engage-
ment im Männerfußball mit dieser enor-
men Reichweite größer sein müsste?
Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass
der Respekt im Fußball immer weiter ab-
nimmt. Das fängt schon an mit dem Fair-
Play-Gedanken, der kaum eingehalten
wird. Im Handball zum Beispiel geben sich
Spieler nach Fouls immer wieder die Hand
und entschuldigen sich. Im Fußball wird in
vielen Situation versucht, zu schauspie-
lern und sich einen Vorteil zu verschaffen.
Was Millionen Zuschauer sehen, die sich
vielleicht ein negatives Beispiel nehmen.
Darunter sind ja viele Kinder. Für die wird
so ein Verhalten zum Maßstab. Profis müs-
sen sich viel stärker ihrer Vorbildfunktion
bewusst sein. Aber es steckt zu viel Egois-
mus im Fußball. Dabei sind wir eigentlich
alle nur ein Unterhaltungsmedium.
Das Interesse am Frauenfußball nimmt
weltweit zu, bei der WM in Frankreich
wurden 1,12 Milliarden Fernseh- und Li-
vestream-Zuschauer gezählt. In Deutsch-
land ist nicht zu erkennen, dass sich der
WM-Sommer positiv auf die Bundesliga
ausgewirkt hätte. Wie sehr hängt das frü-
he Aus mit 1:2 im Viertelfinale gegen
Schweden damit zusammen?
Wie wir ausgeschieden sind, hat viel mit
Charakter zu tun. Wir sind noch nicht so
weit wie zum Beispiel die USA. Die haben
dieses große Selbstverständnis. Wobei wir
das früher auch hatten, 2007 bis 2011 und
teils 2013, als Spielerinnen mit genauso ei-
ner Ausstrahlung wie die Amerikanerin-
nen auf dem Platz standen. Nach Olympia
2016 kam der Umbruch, jetzt fehlt es uns
manchmal an der Mentalität. Aber wir sind
eben noch ein junges Team.
Fehlt es an Führungspersönlichkeiten?
Das ist ja meist generell der Zwiespalt: Trai-
ner wollen Führungsspieler, die ihnen aber
nicht zu sehr reinreden. Zuletzt ging die
Entwicklung ja auch mehr zu flachen Hier-
archien. Bei der deutschen Männernatio-
nalmannschaft zum Beispiel wurde der
Mannschaftsrat abgeschafft: Alle sind
gleich, jeder kann was sagen. Ich glaube, es
braucht immer jemanden, der führt. Das
ist in einem Unternehmen so, in einer Fami-
lie – und auch in einer Mannschaft. Je-
mand muss Entscheidungen treffen.
Also sind derzeit weniger die fußballeri-
schen Fähigkeiten das Problem der deut-
schen Nationalspielerinnen?
Wir sind technisch und taktisch besser aus-
gebildet als die Weltmeisterinnen von
- Wir haben viel Potenzial. Aber es
kommt darauf an, auf was ich vertraue und
was ich mache. Man muss eigene Entschei-
dungen treffen, daran können wir arbei-
ten. Also Unbekümmertheit in Selbstbe-
wusstsein und Verantwortung umwandeln
und sagen: Wenn die Trainerin oder der
Trainer mir vorgibt, ich soll etwas machen,
kann ich das versuchen, aber wenn es nicht
klappt, mache ich was anderes.
Sie setzen das um?
Ich hatte schon Situationen, in denen ein
Bundesligatrainer den Torwarttrainer wäh-
rend eines Spiels zu mir schickte, um mir
auszurichten, was ich zu tun habe. Ich habe
geantwortet: Schönen Gruß, er soll mich
entweder runternehmen oder mich in Ru-
he lassen.
Und das ging gut?
Ich habe gegen viele Widerstände ge-
kämpft. Ich musste lernen, nicht immer al-
les laut zu sagen, weil ich sonst wahrschein-
lich nicht gespielt hätte – und auch eine
Zeit lang nicht gespielt habe. Zumindest
denke ich, dass meine vorlaute Art der
Grund dafür war damals.
Hat Sie in Ihrem Widerspruchsgeist Ihre
Kindheit auf dem Bauernhof geprägt?
Auf dem Bauernhof muss man viel anpa-
cken und sich einschränken. Ich habe drei
ältere Geschwister, gegen die ich mich
durchsetzen musste. Auch mit meinen El-
tern gab es viel Konfrontation. Für diese
Art der Erziehung bin ich ihnen sehr dank-
bar, weil sie uns von klein auf eine Stimme
gegeben haben. Bei uns zu Hause wurde
und wird sehr viel ausdiskutiert.
2014 wurden Sie gemeinsam mit der US-
Amerikanerin Hope Solo zur Welttorhü-
terin gewählt. Sie gelten nach wie vor als
eine der besten und sind bekannt für Ihre
Furchtlosigkeit. In der Bundesliga haben
Sie mal mit einem Jochbeinbruch weiter-
gespielt. Kommt diese Zähigkeit auch
vom Bauernhof?
Ich vermute es, weil ich als Kind nie Angst
zeigen durfte, sonst haben das meine Ge-
schwister ausgenutzt, um mir einen
Streich zu spielen. Ich musste früh zäh
sein. Wenn ich mal die Treppe runterge-
schubst wurde, durfte ich nicht liegen blei-
ben und zetern, sonst wurde ich direkt
noch mal runtergeschubst. Ich musste cool
bleiben und sagen: Ja und, was soll das
jetzt?! Dann hat es den anderen keinen
Spaß mehr gemacht.
Hat Sie diese Zeit präpariert für die große
sportliche Rolle: ins Tor zu gehen?
Ja, als Torwart musst du einfach einen star-
ken Charakter haben. Aber ins Tor bin ich
nur deshalb gekommen, weil der damalige
Torwart weggezogen war und mein Trai-
ner alle anderen im Tor ausprobiert hat.
Und ich war wohl einfach die Beste.
Und mit dem Druck, der ja besonders auf
dieser Position herrscht, sind Sie immer
klargekommen? Nie einen Fehler machen
zu dürfen, das ist doch nicht leicht zu
ertragen?
Klar muss man als Torwart mit Druck um-
gehen können. Es ist aber auch immer eine
besondere Herausforderung, möglichst
perfekt zu spielen. Ich war realistisch ge-
nug, einzuschätzen, welche Anforderun-
gen diese Position hat. Aber gleichzeitig
der Überzeugung, diesem Druck gewach-
sen zu sein – und vielleicht besser als ande-
re damit umzugehen. Ich stelle hohe Anfor-
derungen an mich selbst, aber je schwieri-
ger die Aufgabe ist, desto mehr Spaß
macht es mir, diese zu bestehen.
„Was man oft hört, sind
Ausreden,und das macht mich
traurig, weil wir merken,
dass wir nicht gewollt sind.“
„Ich durfte nie Angst zeigen“
Nationaltorhüterin Almuth Schult über gesellschaftliche Abwehrhaltungen, die Probleme
im deutschen Frauenfußball – und welche Rolle Schalke und Dortmund einnehmen könnten
München– Der weltgrößte Sportausrüs-
ter Nike gerät immer heftiger unter Druck
der eigenen Athleten. Nachdem das lang-
jährige, unter Dopingverdacht geratene
Langlaufprogramm „Nike Oregon Pro-
ject“ (NOP) im Oktober eingestellt und
Chefcoach Alberto Salazar sowie ein Hor-
monarzt für vier Jahre gesperrt wurden,
erhob nun die einst als neue US-Wunder-
läuferin gefeierte Mary Cain schwere Vor-
würfe. Cain erklärt, sie habe als NOP-Ath-
letin unter stetem Druck gestanden, ihr
Gewicht zu reduzieren und „dünner und
dünner und dünner“ zu werden. Das habe
zum Verlust ihrer Periode über drei Jahre
geführt, sie habe fünf Knochenbrüche er-
litten und schließlich über Suizid nachge-
dacht, konstatierte sie nun in einem Bei-
trag für dieNew York Times.
Cain, als 17-jährige Rekordläuferin die
große Hoffnung der US-Leichtathletik, er-
klärte, sie habe von Salazar zur Förderung
des Abnehmprozesses Diuretika und Anti-
babypillen erhalten, was auch gegen
Dopingregeln verstieße. „Ich wurde von ei-
nem System emotional und körperlich
missbraucht, das Alberto entworfen und
Nike unterstützt hat“, so die 23-Jährige.
Der umwitterte Coach Salazar, der stets
volle Rückendeckung von Nike-Vorstands-
chef Mark Parker hatte, wies alle Vorwür-
fe zurück. Jedoch offenbaren die Akten
der US-Anti-Doping-Agentur Usada seine
intensiven Versuche mit Testosteron- und
Schilddrüsenpräparaten. Und unter Chef
Parker, der im Oktober abtrat, hatte Nike
Frauen zum Marketing-Kernziel erklärt.
Nun teilte der Konzern mit, man neh-
me Cains Vorwürfe „extrem ernst“ und
werde sie untersuchen, auch Ex-NOP-Ath-
leten wolle man befragen. Dabei hat sich
Nike bisher nie von dem gesperrten Sala-
zar distanziert, der direkt an Parker be-
richtet hatte. Zu den Turbulenzen um spin-
deldürre Läuferinnen addieren sich Vor-
würfe anderer Nike-Athletinnen, die bei
Schwangerschaften mit drastischen Prä-
mienkürzungen zu rechnen hatten. sz
„Ich musste lernen, nicht
immer alleslaut zu sagen,
weil ich sonst wahrscheinlich
nicht gespielt hätte.“
„Es steckt zu viel Egoismus
im Fußball.Dabei sind
wir eigentlich alle nur
ein Unterhaltungsmedium.“
Olympiasiegerin und Europameisterin: Almuth Schult, 28, hat bisher 64 Länderspiele für Deutschland bestritten. FOTO: GETTY
Belastet Nike: Mary Cain.
FOTO: VALERY HACHE / AFP
Dubai/München– Als die Bühne für ihn
frei wurde, stand Léon Schäfer noch als
Zuschauer und Freund daneben, verletzt
nach einem Kreuzbandriss. Es war im
Sommer 2018, bei den Europameister-
schaften der paralympischen Leichtathle-
tik in Berlin, es war der letzte Weitsprung
in der Karriere von Heinrich Popow, dem
Paralympics-Sieger und Kämpfer für das
Ansehen des Behindertensports in
Deutschland. Als Popow darüber sprach,
wie es ohne ihn weitergehen werde, da sag-
te er unter anderem: mit Schäfer.
Etwas mehr als ein Jahr später, an die-
sem Sonntag, wird Léon Schäfer, 22, bei
den Weltmeisterschaften in Dubai als Fa-
vorit im Weitsprung der über dem Knie
amputierten Athleten antreten. Er hat im
Sommer zunächst Popows Weltrekord auf
6,80 Meter verbessert, wenig später sprang
er gar 6,99 Meter. „Es ist schon ein sehr
wichtiges Jahr“, sagt Schäfer. Er will in
Dubai Gold gewinnen. Und er würde gerne
einen ähnlichen Weg einschlagen, wie
Popow, 36, ihn vorgezeichnet hat.
Schäfer, als Kind ein talentierter Fuß-
baller in der Bremer Stadtauswahl, kam
zur Para-Leichtathletik, weil er einen
Flyer mit Behindertensportangeboten des
TSV Bayer 04 Leverkusen in die Hand ge-
drückt bekam, als man seinen Knochen-
krebs im Krankenhaus behandelte. Nach
mehreren Operationen wurden sein rech-
ter Unterschenkel und sein Knie ampu-
tiert. Er wünschte sich eine Begegnung
mit einem Sportler mit Prothese, traf den
Paralympics-Sieger Markus Rehm beim
Training in Leverkusen. „Ich wusste di-
rekt, dass ich das machen will“, sagt Schä-
fer. Seit 2011 startet er für Bayer 04. Und
an einem seiner ersten Tage, so erinnert er
sich, habe ihn Popow angesprochen, mit
dem er später in einer Gruppe trainierte
und in der gleichen Startklasse antrat. „Er
hat mich direkt unter seine Fittiche ge-
nommen, hat hier rumgeschraubt und da
rumgeschraubt“ – an seiner Prothese.
„Wir sind enge Freunde geworden.“
Schäfers Geschichte ist eine, die auch
für den Erfolg des Standorts Leverkusen
steht. Neun Athleten von Bayer 04 starten
bei der WM, die am Donnerstag begann
und bis Freitag andauert. Johannes Floors,
24, hat Weltrekorde über 100 und 200 Me-
ter aufgestellt, über 400Meter ist er der Ti-
telverteidiger, bei der WM 2017 war er mit
dreimal Gold der beste Deutsche. Felix
Streng, 24, hat bei der EM 2018 Gold über
100 und 200 Meter gewonnen. Sie sind der-
zeit die erfolgreichsten Athleten der jünge-
ren Leverkusener Generation, der „Holz-
bein-Gang“, wieParasport-Geschäftsfüh-
rer Jörg Frischmann die Bayer-Athleten
mit Prothesen nennt. Schäfer, der auch
über 100 Meter antritt, gehörte zur Lever-
kusener 4 x100-Meter-Staffel, die 2017
WM-Gold gewann. Eine Einzelmedaille
fehlt ihm noch. Es werde Zeit, findet er.
Die Verletzungspause 2018 nennt er
einen Wendepunkt, weil er erkannt habe,
wie wichtig ihm der Sport sei, „für meinen
Körper, meinen Kopf“. Nun will er auch da-
für werben, dass sein Sport in der Gesell-
schaft wichtig ist. „Ich denke nicht, dass
wir genauso gesehen werden wie nicht ge-
handicapte Athleten“, sagt Schäfer, der in
Köln BWL studiert. Er spricht noch nicht
so knallige Sätze wie früher Popow, aber er
sagt, dass er in dessen Fußstapfen treten
will. Dass er sich auch vorstellen kann, wie
Popow Menschen nach Amputationen zu
helfen und sie für den Sport zu motivieren.
Popow sagt, dass Schäfer ein noch ziel-
orientierterer Leistungssportler sei, als er
es war, und dass er dem Behindertensport
„neuen Glanz“ verleihen könne. Popow ist
auch in Dubai, bis zu den Paralympics in
Tokio 2020 berät er Japans Team. Er war
auch da, als Schäfer imSommer seinen
Weltrekord überbot. Er gab ihm vor dem
Wettkampf Tipps. Danach umarmten sie
sich. sebastian fischer
Der Nächste der Holzbein-Gang
LeichtathletLéon Schäfer will Gold bei der Para-WM – und für den Sport werben wie sein Vorbild Heinrich Popow
Missbraucht vom System
NeueVorwürfe gegen das Oregon-Laufprojekt von Nike
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 HF3 SPORT 43
Alter Weltrekordler, neuer Weltrekordler: Heinrich Popow (links) und Léon
Schäferim Sommer in Leverkusen. FOTO: AXEL KOHRING / BEAUTIFUL SPORTS / IMAGO