Süddeutsche Zeitung - 09.11.2019 - 10.11.2019

(Greg DeLong) #1
von heiner effern

D


ie Identität der Frau wurde ge-
hütet wie ein Staatsgeheim-
nis, nur der innerste Zirkel
der Münchner SPD weiß von
ihr. Sie soll einer der großen
Trümpfe auf der Kandidatenliste für den
Stadtrat sein, Oberbürgermeister Dieter
Reiter persönlich hat einen sicheren Platz
für sie reserviert. Julia Schmitt-Thiel, Lei-
terin des Kulturzentrums Mohr-Villa in
Freimann, will für die Sozialdemokraten
in den nächsten Stadtrat einziehen. „Sie
hat eine zupackende, gewinnende Art, ein
sozialdemokratisches Profil und kann
sehr überzeugend sein“, sagte Oberbürger-
meister Reiter. „Ich freue mich sehr, dass
sie zugesagt hat.“


Die 41 Jahre alte, promovierte Politolo-
gin musste nicht lange überredet werden.
„Dieter Reiter hat mich zum richtigen Zeit-
punkt gefragt, weil ich wahnsinnig Lust
darauf habe“, sagte Schmitt-Thiel. Lust zu
gestalten, politische Akzente zu setzen,
die Stadt weiter zu entwickeln, „egal wie
verrückt oder teuer sie wird“. Sie habe das
Gefühl, durch ihre Lebens- und Berufser-
fahrung viel dazu beitragen zu können.
Schon lange wurde in der SPD und
auch im Rathaus spekuliert, wen Reiter
als Überraschungskandidatin präsentie-
ren würde. Das Aufstellen der SPD-Stadt-
ratsliste geht nun in die finale Phase. In
vier Regionalkonferenzen haben die Sozi-
aldemokraten ihre Bewerber in eine vor-


läufige Reihenfolge gebracht, der nun ei-
ne Findungskommission den letzten
Schliff verleihen soll. Dafür hat sie sechs
sogenannte Freischüsse, die das Tableau
nochmals durcheinanderwirbeln können.
Letztlich dürfte der OB den Ausschlag ge-
ben, wer nach vorne rückt, nach hinten
rutscht oder noch von außen dazukommt.
Für Schmitt-Thiel bedeutet das, dass
sie als wohl einzige externe Kandidatin
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dem
nächsten Stadtrat angehören wird. Reiter
dürfte ihr als seinen Überraschungscoup
einen sicheren Platz verschaffen. Die Ge-
schäftsführerin der Mohr-Villa will sich
aber keineswegs nur auf die Kulturpolitik
festlegen lassen. Die Themen Umwelt und
Energie interessieren sie ebenso wie Ar-
beit und Wirtschaft. Dazu steht sie mit ih-
rer Erfahrung im Ausland und ihrem Enga-
gement für Flüchtlinge unter anderem in
der Bayernkaserne für ein buntes, weltof-
fenes München. „Dass Reiter damals die
Kaserne zugemacht hat, fand ich großar-
tig“, sagte Schmitt-Thiel.
Dort haben sich die beiden kennenge-
lernt, Reiter hatte die Unterkunft wegen
der unwürdigen Verhältnisse spontan
dicht gemacht. Seither haben sie sich im-
mer wieder mal getroffen. Reiter hat ein
sehr angenehmes Gespräch mit ihr im Hin-
terkopf, als Schmitt-Thiels Lebenspart-
ner, der Kabarettist Claus von Wagner,
den Dieter-Hildebrandt-Preis erhielt.
„Ich war mir sicher, dass wir auf einer Wel-
lenlänge liegen.“ Also fragte er sie auf dem
letzten Kulturempfang, ob sie sich eine
Stadtrats-Kandidatur vorstellen könne.
„Da war ich schon baff“, sagte Schmitt-
Thiel. Sie überlegte eine paar Tage, be-
sprach sich mit der Familie und sagte zu.
Nun wird sie den Sozialdemokraten als
„klassischer Freischuss“ präsentiert, wie
Reiter sagt. „Ich hoffe, dass meine Partei
das mitträgt.“ Mit Hoffen wird das nicht
viel zu tun haben, Reiter weiß, dass seine
SPD ihn und seine gute Laune für den
Wahlkampf dringend benötigt. Der Aus-
blick auf die Liste, auf die er nun noch mal
Einfluss nehmen wird, stimmt ihn positiv.
Zu den Etablierten kämen viele neue und
junge Gesichter auf den ersten 20 Plätzen.
„Diese Auffrischung wird der Fraktion
gut tun“, ist der OB sich sicher.

In München passieren immer wieder
schwere Unfälle durch rechts abbiegende
Lastwagen, bei einigen wurden Radfahrer
getötet. Im Mai starb ein elfjähriger Bub
an der Corneliusstraße. Mit Abbiegeassis-
tenten für Lastwagen, die auf Personen
im sogenannten toten Winkel hinweisen,
wäre schon viel gewonnen. Doch diese Sys-
teme werden erst von 2022 an für alle neu-
en Fahrzeugtypen Pflicht, 2024 müssen
dann alle Neufahrzeuge über einen Ab-
biegeassistenten verfügen. Der Stadt geht
das nicht schnell genug, wie Kreisverwal-
tungsreferent Thomas Böhle sagt.
„Wenn’s nach uns ginge, sollten sie sofort
zur Pflicht werden“, sagt er. Immerhin
sind etwa 90 Prozent der 800 städtischen
Lkw schon jetzt mit einem Assistenten
ausgerüstet. Doch weil es mit der allge-
meinen Pflicht noch ein paar Jahre dau-
ert, bringt die Stadt nun 100 sogenannte
Trixi-Spiegel an 40 ausgesuchten, poten-

ziell gefährlichen Kreuzungen an, darun-
ter sind alle Verkehrsknoten, an denen in
den vergangenen Jahren Menschen
durch einen Rechtsabbiegeunfall verletzt
oder getötet wurden. Die ersten Spiegel
hat die Stadt am Freitag an der Kreuzung
Arnulfstraße und Paul-Heyse-Unterfüh-
rung montiert, die nächsten werden dann
unter anderem an der Lasalle- und Trieb-
straße angebracht, an der Pappenhei-
mer- und Marsstraße, an der Schleißhei-
mer Straße und am Frankfurter Ring und
weiteren Kreuzungen.
Die Spiegel sollen den Lastwagenfah-
rern ermöglichen, auch ohne eingebautes
Assistenzsystem Menschen im toten Win-
kel zu sehen. Vorerst will die Stadt die
Spiegel ein Jahr lang testen. Denn auch in
anderen Städten kommen sie zum Ein-
satz, etwa in Freiburg. Dort allerdings, so
Böhle, sei man zu keinem eindeutigen Er-
gebnis über den Nutzen der Spiegel ge-

kommen. In München, wo seit mehreren
Jahren immer wieder über die Trixi-Spie-
gel diskutiert wurde, hat man deshalb
noch gezögert. Die tödlichen Unfälle der
jüngsten Zeit haben die Stadt aber dazu
bewogen, den Test zu starten. „Wir wollen
es jetzt wissen“, sagt Böhle. Der Verkehrs-
versuch kostet die Stadt 40 000 Euro.
Die Trixi-Spiegel hat Ulrich Willburger
aus Seehausen am Staffelsee erfunden
und sie nach seiner Tochter Beatrix be-
nannt. Die war 1994 mit zwölf Jahren von
einem abbiegenden Betonmischer über-
rollt worden und sitzt seitdem im Roll-
stuhl. Eine sichere Lösung sind sie aber
nicht, nicht zuletzt, weil man sich als Rad-
ler nicht darauf verlassen kann, dass ein
Lkw-Fahrer auch wirklich in den Spiegel
schaut. Auch Thomas Böhle, der viel mit
dem Rad unterwegs ist, will sich nicht dar-
auf verlassen. Im Zweifel, sagt er, bleibe
er lieber stehen. andreas schubert

Julia Schmitt-Thiel
FOTO: PRIVAT

Um den öffentlichen Nahverkehr attrakti-
ver zu machen, fordert die Stadtratsfrak-
tion der CSU, dass alle oberirdischen Hal-
testellen im Stadtgebiet, sei es für Tram
oder Bus, Bushäusl bekommen, die im of-
fiziellen Sprachgebrauch der Münchner
Verkehrsgesellschaft (MVG) „Wartehal-
len“ heißen.
Etwa 1200 Haltestellen mit 2800 Halte-
punkten gibt es im Stadtgebiet. Die unter-
schiedlichen Zahlen ergeben sich daraus,
dass eine Haltestelle mehrere Haltepunk-
te haben kann, die Haltestelle Ostbahn-
hof etwa hat gleich zehn davon. Von die-
sen 2800 Haltepunkten sind 1750 mit
Wartehallen ausgestattet. Von Mitte
nächsten Jahres an wird die MVG 250 wei-
tere Hallen aufstellen. In den kommen-
den Jahren sollen es noch mehr werden.
Weiter fordert die CSU, dass alle Halte-
stellen mit elektronischen Anzeigen aus-
gestattet werden sollen, die über die Ab-
fahrtszeiten informieren sollen. Auch
hierfür hat die MVG einen eigenen Termi-
nus. „Dynamische Fahrgastinformation“
nennt sie das System, kurz: DFI. Derzeit
sind 900 Haltepunkte mit DFI ausgestat-
tet, nächstes Jahr werden 200 alte Anzei-
gen durch neue ersetzt und 100 neu ange-
bracht. Dies ist nach Auskunft der MVG
ein teurer Spaß: Die 300 neuen Anzeigen
kosten vier Millionen Euro, sie sind dabei
aber moderner, was zum Beispiel mehr
Text zulässt. Bis das neue Betriebsleitsys-
tem ITCS allerdings genauere Angaben
zu den Ankunftszeiten zulässt, wird es
noch mindestens drei Jahre dauern.
Die MVG kann die Wünsche der CSU
voraussichtlich nicht so schnell erfüllen.
Denn dem Vorschlag, zur Not einfach nur
ein Dach aufzustellen, steht einerseits
ein Stadtratsbeschluss aus den frühen
Neunzigerjahren im Weg. Damals legte
das Gremium fest, dass die heutigen Bus-
häusl vom Typ „Schranne“ aufgestellt
werden müssen. Sie gibt es auch in einer
schlankeren Version für enge Gehsteige,
seit 1993 prägen sie das Stadtbild. Und
dann braucht jede Halle einen Stroman-
schluss und ein festes Fundament. Nicht
jeder Untergrund lasse dies zu, etwa
wenn darunter Leitungen verlaufen. Die-
se müssten dann erst aufwendig verlegt
werden. Jedes einzelne Bushäusl ist ein ei-
genes Projekt, an dem die Bezirksaus-
schüsse und mehrere Referate beteiligt
sind. andreas schubert

Ein Spiegel gegen die Todesgefahr


Für Radler sind Rechtsabbieger eine Bedrohung, 40 Kreuzungen sollen sicherer werden


OB Reiters


Überraschung


Julia Schmitt-Thiel, Leiterin der Mohr-Villa,
will für die Sozialdemokraten in den Stadtrat

100 Trixi-Spiegel werden gerade in München aufgehängt. Sie sollen Lastwagenfahrern helfen, Menschen zu sehen, die
sich im toten Winkel aufhalten. FOTO: CATHERINA HESS

Mehr Bushäusl


an Haltestellen


CSU-Stadtratsfraktion will den
öffentlichen Nahverkehr stärken


DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 – MÜNCHEN R3


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