von gerhard fischer
W
er zu Sabine Thomas gelan-
gen will, muss ein bisschen
Kondition mitbringen. Sie
wohnt in Herrsching an ei-
nem Berg. Als man glaubt,
man habe es geschafft, kommt kurz vor ih-
rem Jugendstilhaus noch ein steiler An-
stieg. Thomas lächelt, als sie ihren schnau-
fenden Gast begrüßt. Und zeigt ihm den
wunderschönen Blick hinunter zum Am-
mersee.
Sabine Thomas ist die Leiterin des
Münchner Krimifestivals, das mit Stephen
King oder Rita Falk den Circus Krone füllt.
Der britischeGuardianschrieb einmal, es
sei „eines der besten Krimifestivals der
Welt“. Das lasse sie „mal unkommentiert
so stehen“, sagt Thomas, als sie mit dem Zi-
tat konfrontiert wird. „Ich freue mich sehr
darüber.“ Beim Münchner Festival wird
auch an ungewöhnlichen Orten wie der Pa-
thologie oder dem Gefängnis gelesen. Und
einmal gab es eine einwöchige Nonstop-
Session im Literaturhaus; es war die längs-
te Krimiautoren-Lesung der Welt.
Thomas hat das Festival lange mit ih-
rem Lebenspartner Andreas Hoh geleitet.
Dann starb Hoh am 10. Dezember 2018 bei
einem Verkehrsunfall.
Sabine Thomas redet sofort darüber, als
sie auf einem Sofa im Wohnzimmer Platz
genommen hat, neben einem Holzofen
und einem Erkertürmchen. Bilder von An-
dreas Hoh stehen auf dem Fensterbrett, ge-
rahmt von frischen Blumen. Es ist ein
Schock, wenn ein Partner plötzlich stirbt,
das sagt man so. Aber was es tatsächlich be-
deutet, wissen nur jene Menschen, die
wirklich in einem Schockzustand lebten,
so wie Sabine Thomas, die 31 Jahre mit An-
dreas Hoh liiert gewesen ist. „Gute Freun-
de sind da überlebenswichtig“, sagt sie,
„und die hatte ich zum Glück. Sie waren im
wahrsten Sinne rund um die Uhr für mich
da.“ Die ersten Monate habe sie trotzdem
kaum überstanden.
Man spürt das noch, wenn man heute,
fast ein Jahr später, mit ihr darüber redet.
Sie blickt auch nach vorne, sie spricht über
die Dankbarkeit ihren Freunden gegen-
über, sie will bald selbst wieder Krimis
schreiben, sie wirkt stark. Aber sie ist na-
türlich schwer erschüttert.
„Und dann stand damals auch das Krimi-
festival vor der Tür, der Vorverkauf lief be-
reits“, sagt Thomas. „Andreas hatte wenige
Stunden vor seinem Tod noch einen News-
letter rausgeschickt.“ Das Münchner Krimi-
festival ist zweigeteilt: in den etwas größe-
ren Krimifrühling, und den Krimiherbst.
Für Sabine Thomas war es im Dezember
2018 keine Frage, dass das Krimifestival
im Frühjahr 2019 stattfinden würde. „Es
wäre in Andis Sinne gewesen“, sagt sie.
„Wir hatten vereinbart: Wenn einem von
uns was passiert, macht der andere wei-
ter.“ Sie hatten natürlich nicht ernsthaft ge-
dacht, dass es eintreffen würde.
Thomas musste plötzlich auch Hohs Auf-
gaben übernehmen, den ganzen bürokrati-
schen Teil: Finanzen, Buchhaltung, Pro-
grammheftproduktion, solche Sachen.
Thomas war das fremd, sie war früher Mo-
deratorin von Musik- und Jugendsendun-
gen, DJane beim Radio, Krimiautorin.
„Das war eine Herausforderung“, sagt sie.
„Aber es war gut für mich, beschäftigt zu
sein – das brachte so etwas wie Normalität
rein.“
Sabine Thomas und Andreas Hoh, den
sie ihren Komplizen nannte, haben das
Münchner Krimifestival 2003 gegründet
und fast alles selbst gemacht, sieht man
von Tontechnik oder Ticketkontrolle bei
den Veranstaltungen ab – und auch das
Kartenabreißen hat Hoh manchmal selbst
gemacht.
Als Thomas nach dem tollsten Erlebnis
gefragt wird, sagt sie wie aus der Pistole ge-
schossen (diese Phrase sei in diesem Fall,
bei einer Krimiexpertin, ausnahmsweise
erlaubt): Stephen King. „Das war lange ein
running gag bei uns – wenn Stephen King
mal kommen würde, das wäre die Krö-
nung“, sagt sie. 2013 kam er und 3000 Men-
schen kamen in den Circus Krone. „Ste-
phen King kennt jeder“, sagt Thomas,
„auch Leute, die nichts mit Krimis oder Li-
teratur zu tun haben. Das Publikum kam
aus der ganzen Welt, aus Dubai, Russland,
Norwegen.“ King sei „unfassbar nett“ gewe-
sen, so normal und lustig, sagt sie. „Wir
standen vor seinem Auftritt zusammen
hinter dem Vorhang im Circus Krone, und
ich habe ihm erzählt, wer hier schon aufge-
treten ist: dieBeatles,dieStones,AC/DC–
er ist ja auch Musiker.“ King spielt Gitarre
in einer Band.
Die Katze von Sabine Thomas kommt
ins Wohnzimmer, sie ist 17 Jahre alt, etwa
so alt wie das Krimifestival. Leider ist die
Katze sehr krank. „Heute Abend kommt
noch der Tierarzt“, sagt Thomas. Es hört
sich nach Abschied an. Und es macht Sabi-
ne Thomas sehr viel aus. Einige Tage spä-
ter schreibt sie eine Mail: „Meine Katze ist
leider am Wochenende gestorben.“
Das Münchner Krimifestival hat sich
über die Jahre gewandelt. Thomas und
Hoh boten anfangs viele kleinere Lesun-
gen an. Mittlerweile gibt es weniger
Events, dafür größere – mit bekannten Au-
toren wie King, Don Winslow oder Eliza-
beth George. Volker Klüpfel und Michael
Kobr haben den Circus Krone ebenso ge-
füllt wie Rita Falk. „Sie ist die erfolgreichs-
te Autorin in der Geschichte des Münchner
Krimifestivals“, sagt Thomas. „Der Circus
Krone war bei ihr mehrmals ausverkauft,
mit insgesamt über 10000 Zuschauern.“
Sabine Thomas liebt die Begegnung mit
den Autoren. „Man lernt unglaublich tolle
Leute kennen, und daraus sind auch
Freundschaften entstanden“, sagt sie. Et-
wa mit der Isländerin Yrsa Sigurdardottir,
die am 19. November im Klinikum rechts
der Isar lesen wird. „Yrsa war vor vielen Jah-
ren mit ihrem ersten Buch beim Krimifesti-
val in München“, erzählt Thomas. Seither
besuchen sie sich gegenseitig. Und Tho-
mas war auch mal beim Krimifestival in
Reykjavik. Sie nahm dort an einer Podi-
umsdiskussion teil.
Wird sich das Münchner Krimifestival
nun wandeln, da sie es alleine macht? „Es
wird keine radikalen Veränderungen ge-
ben, aber das Festival wird mehr meine
Handschrift tragen“, sagt sie. „Jeder hatte
ja seine Vorlieben und Favoriten.“ Andreas
Hoh sei risikobereiter gewesen, er habe
mehr unbekannte Autoren eingeladen und
größere Locations gewählt.
Erstaunlich. Hoh war der Ruhigere, Zu-
rückhaltendere. Thomas die Quirligere.
Das Quirlige ist momentan natürlich nicht
so ausgeprägt. Früher hat sie viel mehr ges-
tikuliert. Der Schockzustand lasse nur
langsam nach, sagt sie.
Was sich beim Festival ändern werde,
hänge auch davon ab, wie sich die Krimisze-
ne entwickle, sagt sie. Derzeit spielten,
zum Beispiel, Anthologien oder kulinari-
sche Krimis keine große Rolle mehr. Und
die Skandinavier, von denen es schon lan-
ge heißt, ihr Boom sei vorbei? „Sind immer
noch im Trend“, sagt Sabine Thomas.
Die Schweden Alexandra und Alexan-
der Ahndoril, die unter dem Pseudonym
Lars Kepler erfolgreich sind, seien im Früh-
jahr in München gewesen. „Sie sind wie die
ganze Krimiszene geschockt vom Tod von
Andreas gewesen“, sagt Thomas. Die Ahn-
dorils hätten dann gesagt: „Das ist ja bei
euch wie bei Stieg Larsson und dessen Le-
bensgefährtin: viele gemeinsame Jahre
und plötzlicher Tod kurz vor der geplanten
Hochzeit.“ Larsson, einer der berühmtes-
ten Krimiautoren Schwedens, erlag 2004
mit 50 Jahren in Stockholm einem Herzin-
farkt; den famosen Erfolg seiner Krimis
mit den Figuren Lisbeth Salander und Mi-
kael Blomkvist hat er nicht mehr erlebt.
Larssons Lebensgefährtin stritt erbittert
mit dessen Bruder und dessen Vater um
das literarische und das finanzielle Erbe.
Thomas sagt, sie habe auch eine „kom-
plizierte Erbsituation“. Sie werde das Ju-
gendstilhaus über dem Ammersee bald ver-
kaufen. Sie suche eine Wohnung in Mün-
chen oder in Herrsching. „Ich lebe seit 20
Jahren hier“, sagt Thomas, die in Olching
geboren ist. „Der See ist meine Heimat ge-
worden.“ Die neue Wohnung wird wohl klei-
ner sein als das Haus. Und Sabine Thomas,
die keine Bücher wegwirft, fragt sich, wo
sie all ihre Krimis unterbringen soll.
Das Krimifestival läuft noch bis zum Donnerstag,
- November. Das Programm findet man unter:
http://www.krimifestival-muenchen.de.
München– RizqahKamies, 33, ist von
Kapstadt nach München gezogen. Seit Sep-
tember arbeitet sie als Postdoc am Helm-
holtz-Zentrum. Die Molekularbiologin un-
tersucht mit einem internationalen Team,
wie Zellen altern – für die Medizin ein wich-
tiges Forschungsfeld. Ihrer Karriere zulie-
be ist ihr Mann mit der dreijährigen Toch-
ter mit nach München gezogen.
SZ: Frau Kamies, was hat München, was
Ihre Heimatstadt Kapstadt nicht hat?
Rizqah Kamies: München ist groß, grün,
sauber, es hat den Englischen Garten, die
Isar und viel Geschichte – aber leider ist es
auch sehr teuer. Wir sind im September an-
gekommen und haben schon Monate vor-
her versucht, übers Internet eine Woh-
nung zu finden, bisher ohne Erfolg. Ob-
wohl wir vorgewarnt waren, hatte ich nicht
erwartet, dass es so schwierig wird. Wir
wohnen noch in einem Apartment im Gäs-
tehaus des Helmholtz Zentrums, aber das
ist auf Dauer natürlich keine Lösung.
Was war Ihr erstes Erlebnis in München?
Wir sind so sehr mit der Wohnungssuche
beschäftigt, dass wir noch gar nicht recht
dazu kamen, die schönen Seiten der Stadt
zu genießen. Nach unserer Ankunft habe
ich sofort mit der Arbeit begonnen. Wir
Südafrikaner lieben ja das Braai, das Gril-
len mit Freunden, und ich habe gehört,
dass das auch Münchner gerne tun, an der
Isar. Aber bisher war eben für so etwas kei-
ne Zeit, und jetzt kommt der Winter.
Wie erleben Sie die Münchner?
Es leben Menschen aller Nationen, Religio-
nen und Hautfarben in der Stadt. Auf der
Straße könntest du nicht sagen, ob jemand
hier geboren oder erst vor Kurzem zugezo-
gen ist. Ich mag diese Mischung, sie erin-
nert mich an meine Heimat. Kapstadt ist ja
auch eine sehr bunte Stadt. Aber ich habe
den Eindruck, dass die Menschen in Kap-
stadt entspannter sind und öfter lächeln –
vielleicht könnten die Münchner im Alltag
auch etwas gelassener sein.
Was meinen Sie damit?
Ich bewundere und unterstütze die deut-
sche Arbeitsethik. Sie ist der Grund, war-
um ich mich für Deutschland, das wirklich
das „Land der Ideen“ ist, entschieden ha-
be. Aber wenn man neu hier ist und noch
kein Deutsch kann, hat man es sehr
schwer. Ob auf den Ämtern oder beim Woh-
nungsmakler, man bekommt ein Formu-
lar vorgelegt und weiß gar nicht, was man
liest und unterschreiben soll. Da fühlt man
sich hilflos und wünscht sich etwas mehr
Geduld und Verständnis. Es ist ja nicht so,
dass wir die Sprache nicht sprechen wol-
len. Wir müssen sie eben erst lernen.
Lernen Sie Deutsch?
Mein Mann hat angefangen und schon eini-
ge Fortschritte gemacht. Er ist Ingenieur
und gerade dabei, einen Job in der Stadt zu
suchen. Meine Tochter wird im Kindergar-
ten des Helmholtz-Zentrums die Sprache
ganz schnell lernen. Ich musste mich bis-
her ganz auf meine Arbeit konzentrieren,
dort kommunizieren wir ausschließlich
auf Englisch. Im neuen Jahr werde ich aber
definitiv einen Deutschkurs anfangen.
Um was geht es in Ihrer Forschung?
Ich analysiere den Alterungsprozess in Le-
berzellen. Das ist spannend, denn wir un-
tersuchen mit Hilfe einer sehr komplexen
Technologie, wie einzelne Zellen altern.
Dies eröffnet eine Fülle von Forschungs-
möglichkeiten. Wir können dadurch alters-
bedingte Krankheiten besser verstehen
und behandeln. Wir sind ein Team von
fünf Forschern aus Spanien, Griechen-
land, Deutschland und Südafrika. Wir er-
gänzen uns sehr gut.
Wen würden Sie denn in München oder in
Deutschland allgemein gerne mal kennen-
lernen?
Um ehrlich zu sein, könnte ich mich da
nicht festlegen. Es gibt so viele hochbegab-
te Wissenschaftler, Ingenieure, Komponis-
ten und Künstler aus Deutschland. Es wäre
schön, mit einigen von ihnen zu plaudern.
Aber dazu muss ich erst länger hier sein.
Wären Sie gerne zu einer anderen Zeit
nach München gekommen?
Ich kann mir nicht vorstellen, in einer ande-
ren Zeit zu leben. Ihr Deutschen lebt mit
dieser langen Geschichte, die Spuren sieht
man an jeder Ecke. Eure Institutionen ha-
ben sich über Jahrhunderte entwickelt. Au-
ßerdem seid ihr eine Industrienation. Wir
Südafrikaner sind ein junges Land. Wir ha-
ben erst seit 25 Jahren eine Demokratie
und noch viel aufzuholen. Aber wir sind
auf einem guten Weg und machen das Bes-
te, aus den Möglichkeiten, die wir haben.
Ich blicke zuversichtlich in die Zukunft.
Afrika kommt voran.
Was wünschen Sie sich für Ihre Tochter?
Dass sie in einer freien, sicheren Welt auf-
wächst. In der sie geachtet wird, egal wie
sie aussieht, wo sie herkommt, welche Klei-
dung sie trägt, welche Religion sie hat. Ich
möchte, dass alle Kinder in einer Welt le-
ben, in der ihre Rechte gewahrt werden.
interview: martina scherf
Stephen King ist
unfassbar nett gewesen,
so normal und lustig.
Wir standen vor seinem
Auftritt hinter
dem Vorhang
im Circus Krone und ich
habe ihm erzählt, wer
hier schon aufgetreten ist:
die Beatles,
die Stones, AC/DC.“
„Ich möchte, dass alle Kinder
in einerWelt leben,
in der ihre Rechte
gewahrt werden.“
„Wenn man neu hier ist und noch kein Deutsch kann, hat man es sehr schwer“, sagt
dieWissenschaftlerinRizqah Kamies. FOTO: HELMHOLTZ-ZENTRUM
„Die ganze Krimiszene
war geschockt vom
Tod von Andreas.“
Das Jugendstilhaus am Ammersee, in dem Sabine Thomas wohnt, könnte ohne Weiteres auch als Kulisse eines Kriminalfilms dienen. FOTO: STEPHAN RUMPF
Plötzlich ohne Komplizen
Wenn wirklich der Tod ins Spiel kommt: Sabine Thomas und ihr Lebensgefährte Andreas Hoh gründeten 2003 das Münchner Krimifestival,
das längst weltweit einen exzellenten Ruf genießt. Dann starb vor einem Jahr Thomas’ Partner
„Vielleicht könnten die Münchner etwas gelassener sein“
Wohnungssuche, Amtsdeutsch und weniger lächelnde Menschen als in ihrer Heimat Kapstadt – für die Biologin Rizqah Kamies war der Start an der Isar schwierig
KOMMEN & GEHEN
Mit jedem Menschen,
der zuzieht, verändert
sich die Stadt. Und auch mit
jedem Menschen, der
München verlässt, verliert
die Stadt ein Stück Identität
R6 LEUTE – Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019, Nr. 259 DEFGH
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