von stefan braun, matthias kolb
und jens schneider
Berlin –Solltees noch einen Zweifel an
Ursula von der Leyens Unabhängigkeit ge-
geben haben, dann ist der an diesem Frei-
tag endgültig aus der Welt geschafft wor-
den. Auch wenn die CDU-Politikerin vier-
zehn Jahre lang unter Angela Merkel im
Kabinett saß – als gewählte Präsidentin
der neuen EU-Kommission ist sie in weni-
gen Wochen ganz und gar zu ihrer Chefin
geworden. Das machte ihr Auftritt an der
Seite der Kanzlerin deutlich: Freundlich
im Ton und klar in den Ansprüchen prä-
sentierte sich von der Leyen und lächelte
ihre ehemalige Kanzlerin dabei so selbst-
bewusst an, dass einen glatt das Gefühl be-
schleichen konnte, die Hierarchien hätten
sich bereits komplett verschoben.
So weit ist es natürlich noch nicht ge-
kommen. Und doch erklärte von der Ley-
en am Ende des kurzen Auftritts mit Blick
auf die deutsche Ratspräsidentschaft im
Jahr 2020, das Wichtigste seien dafür „Dy-
namik und ein großer Anspruch“. Gemes-
sen daran sei Deutschland „vorbildlich“.
Wer die aktuelle Kritik an der großen Koa-
lition kennt, konnte das wahlweise als gön-
nerhafte Unterstützung oder kleine gifti-
ge Spitze gegen die Kanzlerin lesen.
Ansonsten freilich waren beide be-
müht, die wichtigsten Aufgaben Europas
zu skizzieren – und mögliche Konflikte al-
lenfalls „als Gesprächsthema“ anzuspre-
chen. In der Debatte um eine Beteiligung
des chinesischen Netzwerkausrüsters
Huawei am Auf- und Ausbau des 5G-Net-
zes betonte Merkel, anders als die USA wol-
le Berlin keinen Anbieter namentlich aus-
schließen. Fest zugesagt sei aber, dass die
Sicherheitsanforderungen für alle interes-
sierten Anbieter „deutlich verschärft“
würden. Von der Leyen fügte hinzu, die
Kommission frage derzeit alle Mitglied-
staaten nach dem Stand ab. Entsprechend
werde man in wenigen Wochen „ein ge-
meinsames Bild haben und dann gemein-
sam eine Strategie entwickeln, wie wir mit
Chancen und Risiken umgehen“.
Auch das heikle Thema mittelfristige Fi-
nanzplanung wurde nur gestreift. Merkel
sagte, man habe noch ein Stück Weg vor
sich, dementierte aber nicht, dass für Ber-
lin ein Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts als Beitrag völlig ausreicht. Für von
der Leyen ist hier „noch eine Strecke zu
machen“. Am wichtigsten sei die Finanzie-
rung des großen Themas Modernisie-
rung, etwa von Wissenschaft oder Digitali-
sierung. Dafür „braucht es eine angemes-
sene Ausstattung“, sagte sie.
Am Freitagabend skizzierte die künfti-
ge Kommissionspräsidentin in einer
„Europa-Rede“ am Brandenburger Tor
die Zukunft der Gemeinschaft. Von der
Leyen betonte dabei die Verdienste der
USA, Großbritanniens und Frankreichs
um die deutsche Einheit. „Ganz explizit“
bezog sie die Nato „in diesen Dank für
Jahrzehnte in Freiheit und Sicherheit“
ein, denn die Nato habe sich „bei allen
Holprigkeiten“ hervorragend als Schutz-
schirm der Freiheit bewährt.
Mit Blick auf die globalen Entwicklun-
gen mahnte von der Leyen, die Europäer
könnten sich nicht mehr darauf verlassen,
dass aus ihrer kulturellen Anziehungs-
kraft politischer Einfluss erwachse. „Euro-
pa muss auch die Sprache der Macht ler-
nen“, sagte sie und zitierte damit Josep
Borrell, den nächsten EU-Außenbeauf-
tragten. Dies heiße, „eigene Muskeln auf-
zubauen, wo wir uns lange auf andere stüt-
zen konnten – etwa in der Sicherheitspoli-
tik“. Auch müsse Europa mit Blick auf sei-
ne äußeren Interessen strategischer wer-
den. So brauche der Westbalkan eine euro-
päische Perspektive. Frankreich hatte zu-
letzt die Eröffnung der Gespräche über
den EU-Beitritt von Albanien und Nordma-
zedonien blockiert. Diese Verhandlungen
sollten laut von der Leyen beginnen.
Wenn Europa den Westbalkan im Stich las-
se, würden andere in diese Lücke stoßen.
Direkt vor Ursula von der Leyen hatte
auch Bundeskanzlerin Merkel eine kurze
Rede gehalten. Als „ein bisschen rumpe-
lig“ bezeichnete sie die Bildung der neuen
EU-Kommission. Ihrer Ex-Ministerin
wünschte Merkel „von Herzen viel Erfolg“
und kündigte etwas an, was von der Leyen
helfen könnte, ihre Ziele im Brüssel umzu-
setzen: „Ich werde versuchen, etwas Kom-
promissbereitschaft mitzubringen, wenn
wir uns beim Europäischen Rat treffen.“
Berlin –Da istzum Beispiel Shazaa A. In
Syrien hat die junge Frau Pharmazie stu-
diert, doch der Krieg machte es ihr un-
möglich, dort zu arbeiten. Als auch noch
die Apotheke ihres Mannes zerstört wur-
de, brach das Paar nach Deutschland auf.
Das war 2015 – und keine drei Jahre spä-
ter arbeitet Shazaa A. schon als approbier-
te Apothekerin in einer Kleinstadt in
Rheinland-Pfalz. Möglich gemacht hat
diese Laufbahn das Programm „IQ – Apo-
theker für die Zukunft“ der Landesapo-
thekerkammer Rheinland-Pfalz und des
Bildungsträgers „Medici in Posterum“,
das Apothekerinnen und Apotheker aus
Nicht-EU-Ländern auf die Prüfungen vor-
bereitet, die sie für die Berufsausübung
bestehen müssen. Dafür hat die Landes-
apothekerkammer nun den Integrations-
preis der Bundeskanzlerin erhalten.
„Diese Apothekerinnen und Apothe-
ker zeigen, was möglich ist. In Deutsch-
land ankommen, seinen Platz finden und
mitgestalten“, sagt Annette Widmann-
Mauz, Staatsministerin für Integration
im Bundeskanzleramt, bei der Verlei-
hung des Preises. „Apotheker für die Zu-
kunft“ eröffne aber nicht nur Geflüchte-
ten neue Perspektiven, es helfe auch der
Gesellschaft. Denn gerade auf dem Land
seien Fachkräfte knapp. „Je weiter Sie
von den akademischen Zentren weg lie-
gen, desto schwerer finden Sie Apothe-
ker“, sagt auch Joachim Thoss, der das
Programm beim Landesapothekerver-
band Rheinland-Pfalz verantwortet. „Un-
sere Leute aber gehen gerne da hin.“
56 ausländische Apothekerinnen und
Apotheker haben bisher an den Kursen
teilgenommen, die seit 2017 laufen. Da-
von sind 27 inzwischen approbiert. Ein
Kurs dauert sechs Monate, die meisten
Teilnehmer kommen aus Syrien, Ägyp-
ten, der Ukraine und Bosnien-Herzegowi-
na. Sie besuchen neben mehreren Fach-
wochenenden wöchentlich einen Vertie-
fungskurs und machen parallel ein Prak-
tikum in einer Apotheke. Die Anforderun-
gen sind hoch, sagt Thoss. „Grundsätz-
lich nehmen wir nur Menschen auf, die
schon einen akademischen Abschluss in
ihrem Heimatland gemacht haben.“ Dazu
bräuchten sie das Sprachniveau B2. Das
heißt, sie müssen sicher sprechen und
komplexe Texte verstehen können. Zum
Vergleich: Am Ende eines erfolgreichen
Integrationskurses steht die Stufe B1.
Zudem unterscheidet sich auch der
Apothekerberuf von Land zu Land, in das
deutsche System müssen sich die Teilneh-
mer erst hineinfinden. „Zum Beispiel ist
die deutsche Struktur des Apothekers als
freier Heilberuf ziemlich einmalig“, sagt
Thoss. Dahinter stecke ein komplexes Re-
gelwerk, das viele Teilnehmer von zu Hau-
se nicht kennen würden. Auch der Alltag
als Apotheker unterscheide sich. In Län-
dern wie Syrien übernähmen Apotheker
häufiger einmal Aufgaben, die hierzulan-
de nur Ärzten zustehen: eine Spritze ge-
ben, eine Diagnose stellen.
Shazaa A. arbeitet übrigens immer
noch in der Apotheke, in der sie im Rah-
men von „Apotheker für die Zukunft“ ihr
Praktikum begann. hannah beitzer
Berlin– Wer im aktuellen Bericht des
Bundesverfassungsschutzes unter His-
bollah nachschlägt, der findet eine For-
mulierung, die zumindest teilweise nach
Entwarnung klingt. Wie die Hamas gelte
die schiitisch-islamistische Hisbollah „in-
ternational als terroristisch“, nutze
Deutschland „bislang jedoch lediglich als
Rückzugsraum“. Der Verfassungsschutz
warnt allerdings auch: „Es muss damit ge-
rechnet werden, dass die Hisbollah auch
außerhalb des Nahen Ostens weiterhin
terroristische Aktionen gegen Israel oder
israelische Interessen plant.“ In Deutsch-
land und dem Rest der EU kann die His-
bollah zum Ärger der USA und Israels bis-
lang trotzdem zum Teil legal operieren –
wogegen sich nun aber Widerstand im
Bundestag formiert.
Bislang unterscheidet die Bundesregie-
rung wie die EU zwischen einem militäri-
schen und einem zivilen – legalen – Flü-
gel der Hisbollah. Zumindest nach dem
Willen der FDP soll damit Schluss sein.
Nachdem die Liberalen vor ein paar Mo-
naten erfolgreich eine Parlamentsmehr-
heit für eine Resolution gegen die anti-is-
raelische Boykottbewegung BDS organi-
siert hatten, starten sie nun einen Vor-
stoß, der darauf abzielt, die Hisbollah ins-
gesamt zu verbieten. Auch diesmal set-
zen sie darauf, dass daraus eine fraktions-
übergreifende Initiative werden könnte.
Interesse aus anderen Fraktionen, etwa
der Union, gebe es, heißt es.
„Wir fordern, die Hisbollah in ihrer Ge-
samtheit in Deutschland als Terrororgani-
sation einzustufen“, liest sich das in ei-
nem Beschluss des FDP-Bundesvorstan-
des. Die „künstliche Aufspaltung“ der
Hisbollah in einen militärischen und ei-
nen zivilen Teil verhindere ein „ganzheit-
liches Vorgehen der Sicherheitsbehörden
gegen die Terrororganisation“, heißt es in
einem Entwurf für einen Antrag, der der
Süddeutschen Zeitungvorliegt.
„Es darf nicht sein, dass von Deutsch-
land aus Terror im Nahen Osten finan-
ziert wird“, sagt Marcus Faber, Bundes-
tagsabgeordneter und Vorstandsmit-
glied der FDP sowie Vizepräsident der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Im
Antragsentwurf wird auf kriminelle Akti-
vitäten der Hisbollah, der laut Verfas-
sungsschutz 2018 1050 Menschen in
Deutschland angehörten, verwiesen, et-
wa auf Geldwäsche. In der EU scheitert ei-
ne Listung der von Iran aus kontrollier-
ten libanesischen Hisbollah vor allem an
Frankreich. Man wolle keine Gesprächs-
kanäle verschließen, argumentiert Paris.
Von der Bundesregierung will die FDP
nun fordern, in der EU „eine erneute Dis-
kussion anzustoßen“. Komme es bis Mit-
te 2021 nicht zu einem einstimmigen EU-
Votum, solle in Deutschland ein Verbot
durch den Bundesinnenminister oder ein
Betätigungsverbot nach dem Vereinsge-
setz erfolgen. daniel brössler
„Europa muss
auch die Sprache
der Macht lernen.“
Washington –Der ehemalige New Yorker
Bürgermeister Michael Bloomberg berei-
tet unwidersprochenen Medienberichten
zufolge seinen Einstieg ins Rennen um die
demokratische Präsidentschaftskandida-
tur vor. Bloomberg, der als Medienunter-
nehmer ein Vermögen von 53 Milliarden
Dollar angehäuft und New York City von
2002 bis 2013 regiert hat, werde in ver-
schiedenen Bundesstaaten die Dokumen-
te einreichen, um dort an den Vorwahlen
der Demokraten teilnehmen zu können,
hieß es. Diese parteiinternen Abstimmun-
gen über den Präsidentschaftskandida-
ten beginnen Anfang Februar in Iowa.
Den Berichten zufolge hat Bloomberg
in den vergangenen Tagen ranghohe
Demokraten darüber informiert, dass er
kandidieren wolle. Howard Wolfson, ein
Vertrauter Bloombergs, legte am Donners-
tag bei Twitter die Ratio hinter der Bewer-
bung dar. Danach ist es Bloombergs obers-
tes Ziel, bei der Präsidentenwahl 2020 den
republikanischen Amtsinhaber Donald
Trump zu schlagen. „Mike ist aber zuneh-
mend besorgt, dass das derzeitige Bewer-
berfeld nicht dazu geeignet ist, das zu er-
reichen“, schrieb Wolfson.
Das beschreibt relativ genau die Sicht-
weise eines Teils des demokratischen Par-
teiestablishments, das den Aufstieg der
Senatorin Elizabeth Warren im Vorwahl-
kampf mit großer Skepsis sieht. Die Be-
fürchtung ist, dass die Partei in Warren
eine dezidiert linksliberale Kandidatin no-
miniert, von der zwar die demokratischen
Parteiaktivisten begeistert sind, die aber
in der Hauptwahl im November 2020 ge-
nau deswegen gegen Trump verliert. So
hat zum Beispiel die Anführerin der Demo-
kraten im Kongress, Nancy Pelosi, kürz-
lich spitz darauf hingewiesen, dass längst
nicht alle Wähler Warrens Plan für eine
einzige, staatliche Krankenversicherung
unterstützten.
Der politisch gemäßigte Kandidat des
Establishments, der ehemalige Vizepräsi-
dent Joe Biden, tut sich allerdings im Wahl-
kampf schwer. Er liegt landesweit in den
Umfragen vor Warren, in den frühen Vor-
wahlstaaten aber hinter ihr. Bloomberg
hatte zunächst auf eine Kandidatur ver-
zichtet, um Biden nicht im Weg zu stehen.
Nun hält er Bidens Erfolgsaussichten aber
offenbar für so gering, dass er sich selbst
als Alternative präsentieren will, auch
wenn seine eigenen Werte in früheren
Umfragen nur einstellig waren. Warren be-
grüßte Bloomberg mit einem schnippi-
schen Tweet im Rennen und riet ihm,
einmal auszurechnen, was es ihn kosten
werde, wenn sie als Präsidentin ihre neue
Milliardärssteuer einführt.
In politischer Hinsicht ist Bloomberg
ein Moderater. Er unterstützt bei wichti-
gen Themen die klassischen demokrati-
schen Positionen eines Rechts auf Abtrei-
bung, für Klimaschutz, für härtere Waffen-
gesetze. Als New Yorker Bürgermeister
hatte er aber auch den Zorn des linken Par-
teiflügels auf sich gezogen. Er war ein För-
derer großer, teurer Immobilienprojekte,
vor allem aber befürwortete er die „Stop
and frisk“-Strategie der Polizei. Diese er-
laubte es Beamten, Personen anzuhalten
und nach Waffen zu durchsuchen. In der
Praxis traf das vor allem junge Schwarze.
Kritiker nannten das Vorgehen daher ras-
sistisch, zudem verstieß es gegen die Ver-
fassung. hubert wetzel Seite 4
Madrid –An diesem Sonntag wird in Spa-
nien ein neues Parlament gewählt, und die
jüngsten Umfragen lassen ein Kopf-an-
Kopf-Rennen des linken und des rechten
Lagers erwarten. Die Frage ist, ob es zu ei-
ner knappen Mehrheit der drei rechts ori-
entierten Parteien reicht oder ob der sozia-
listische Regierungschef Pedro Sánchez,
der seit Juni 2018 ein Minderheitskabinett
führt, im Amt bleiben kann. Es sind die
zweiten Parlamentswahlen in diesem Jahr
und die vierten innerhalb der letzten vier
Jahre. Seit Ende 2015 haben nur geschäfts-
führende Regierungen amtiert, deren poli-
tischer Spielraum sehr eingeschränkt ist.
So konnten dringend notwendige Projekte
wie eine Rentenreform sowie der Umbau
des Gesundheits- und Bildungswesens
nicht in Angriff genommen werden.
Die Umfragen zeigen, dass die von Sán-
chez geführte Sozialistische Arbeiterpar-
tei (PSOE), die bei den Wahlen im April mit
28,7 Prozent der Stimmen klarer Sieger ge-
worden war, nun vermutlich leichte Verlus-
te hinnehmen muss. Auch das linksalter-
native Bündnis Unidas Podemos dürfte ge-
schwächt aus den Wahlen hervorgehen,
denn von ihm hat sich die Gruppierung
Mas País (Mehr Land) abgespalten. Es ist
ein Zusammenschluss nicht-marxisti-
scher Linker sowie Grüner, die das Zusam-
mengehen von Podemos-Chef Pablo Igle-
sias mit den Postkommunisten und sei-
nen autoritären Führungsstil ablehnen.
Die Meinungsforscher sind sich einig,
dass es wohl auch an diesem Sonntag
nicht zu einer linken Mehrheit im Parla-
ment reichen wird.
Hingegen dürfte die konservative Volks-
partei (PP), die zuletzt auf 16,7 Prozent ab-
gesackt war, deutlich dazu gewinnen und
die 20-Prozent-Marke nehmen. Doch dürf-
ten die Gewinne zu Lasten der rechtslibera-
len Bürgerpartei (Ciudadanos) gehen. Im
Aufwind befindet sich die nationalistische
Gruppierung Vox. Sie profitiert von den ge-
waltsamen Zusammenstößen zwischen
Polizei und Demonstranten in Katalonien
Mitte Oktober, nachdem das Oberste Ge-
richt in Madrid drakonische Urteile über
neun Führer der katalanischen Unabhän-
gigkeitsbewegung verhängt hatte. Der ka-
talanische Separatismus hat im Gegenzug
bei vielen Spaniern patriotische Gefühle
geweckt.
Im Wahlkampf haben sich die drei Par-
teien des rechten Spektrums allerdings
heftig bekämpft. Doch nehmen Madrider
Kommentatoren an, dass sie eine Rechtsre-
gierung bilden würden, falls die Ergebnis-
se der Wahlen dies erlauben. Vorbild wä-
ren die Region Andalusien und die Stadt
Madrid: Dort haben PP und Ciudadanos
miteinander koaliert, ihre Minderheitska-
binette werden von Vox geduldet. Die libe-
ralen Ciudadanos haben eine formale Koa-
lition mit den Nationalisten von Vox, de-
ren Führer auf „traditionelle Familienwer-
te“ pochen, ausgeschlossen.
Die Kampagne von Pedro Sánchez hat
im Gegensatz zu früheren Wahlen auf die
bürgerliche Mitte abgezielt. Der amtieren-
de Regierungschef stellte sich als Garant
von Recht und Ordnung dar. So besuchte
er in Barcelona eine Klinik, in der bei den
Zusammenstößen verletzte Polizisten la-
gen, wurde dabei aber vom einheimischen
Krankenhauspersonal ausgepfiffen. Er
lehnt derzeit den Dialog mit der katalani-
schen Regionalregierung ab, die von radi-
kalen Separatisten geführt wird. Auch lob-
te er die parlamentarische Monarchie als
die am besten für Spanien geeignete
Staatsform – und verstörte damit nicht we-
nige Genossen. Die PSOE hatte traditionell
die Monarchie kritisiert, Sánchez selbst
hatte noch im Wahlkampf in diesem Früh-
jahr demonstrativ die Gräber von zwei re-
publikanischen Führern besucht. Immer-
hin wird ihm im linken Wählerspektrum
seine bislang einzige Großtat als Regie-
rungschef hoch angerechnet: Die Entfer-
nung der sterblichen Überreste des Dikta-
tors Francisco Franco aus dem monumen-
talen Tal der Gefallenen bei Madrid.
Um die bürgerliche Mitte warb auch der
PP-Vorsitzende Pablo Casado. Im Früh-
jahr hatte er auf nationalistische Töne ge-
setzt und damit das schlechteste Ergebnis
seiner Partei bei nationalen Wahlen er-
reicht. Um sein Image, ein zu junges politi-
sches Leichtgewicht zu sein, wenigstens
optisch zu ändern, trägt er seit dem Som-
mer einen Vollbart. Er hat seine Sprache
deutlich gemäßigt und sogar die Duldung
eines PSOE-Minderheitskabinetts in Aus-
sicht gestellt, falls keine Regierungsmehr-
heit zustande komme.
In gemäßigt konservativen Medien ka-
men in den letzten Wochen PP-Politiker
zu Wort, die einer großen Koalition nach
bundesdeutschem Vorbild das Wort rede-
ten. Dies wäre ein Novum für Spanien, bis-
lang haben sich die beiden größten Partei-
en, PSOE und PP, unerbittlich bekämpft,
aber nie Gemeinsamkeiten bei der Suche
nach Lösungen politischer Probleme aus-
gelotet. Casado knüpft somit an die Politik
des lang jährigen konservativen Premiers
Mariano Rajoy an, der die PP modernisiert
hat; so hatte Rajoy den nationalkatholi-
schen PP-Flügel weitgehend neutralisiert.
Vox-Führer Santiago Abascal griff die
neue Linie von Casado scharf an.
Den Ausschlag für die künftige Regie-
rungsbildung könnten wieder die Regio-
nalparteien aus dem Baskenland und aus
Katalonien geben. Die Spannungen in Ka-
talonien nützen Umfragen zufolge den se-
paratistischen Gruppierungen. Deren Ab-
geordnete im nationalen Parlament könn-
ten zum Zünglein an der Waage bei der Re-
gierungsbildung werden. Sánchez kündig-
te zum Abschluss des Wahlkampfs an, er
werde „innerhalb von 48 Stunden“ nach
der Schließung der Wahllokale sowohl Uni-
das Podemos als auch der PP und den Ciu-
dadanos Vorschläge zur Überwindung der
„politischen Blockade Spaniens“ machen.
Gespräche mit Vox schloss er aus, diese
Partei sei homophob und fremdenfeind-
lich. Die Migration aus Afrika nach Spani-
en hatte im Wahlkampf fast keine Rolle ge-
spielt; Pedro Sánchez hatte zwar nach sei-
nem Amtsantritt im Juni 2018 von einer
neuen „Willkommenskultur“ gesprochen,
dann aber nach wenigen Wochen eine
Kehrtwende vollzogen. Seitdem setzt auch
die sozialistische Regierung auf Abschot-
tung. thomas urban
Auf Augenhöhe
Der Besuch Ursula von der Leyens bei Angela Merkel in Berlin zeigt, wie sich die Hierarchien geändert haben:
Manche Bemerkung der designierten EU-Kommissionschefin wirkt gönnerhaft – oder wie eine kleine Giftspritze
Ausgezeichnete
Ausbildung
Integrationspreis für Schulung von
Apothekern aus Nicht-EU-Ländern
FDP will Verbot
der Hisbollah
Liberale sehen Bewegung in ihrer
Gesamtheit als Terrororganisation
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 HMG POLITIK 9
Zwischen Europa und Deutschland: Angela Merkel und Ursula von der Leyen gehen am Freitag nach einem Gespräch
im Bundeskanzleramt zur Pressekonferenz. FOTO: KAY NIETFELD/DPA
Michael Bloomberg, Unternehmer und
früher BürgermeisterNew Yorks.FOTO: DPA
Späteinsteiger
New Yorks Ex-Bürgermeister könnte gegen Trump antreten
Polizeieinsatz in Barcelona: Der Konflikt um das abtrünnige Katalonien
beherrscht den Wahlkampf in Spanien. FOTO: DAVID ZORRAKINO/EUROPA PRESS/DPA
Rechte im Aufwind
Am Sonntagwählt Spanien zum zweiten Mal in diesem Jahr – die Hoffnung der Linken auf eine Mehrheit schwindet
Den Ausschlag könnten
am Ende wieder die
Regionalparteien geben
In der EU scheitert eine
Listung als Terrororganisation
vor allem an Frankreich