Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

12 WIRTSCHAFT Freitag, 8.November 2019


INTERNATIONALE AUSGABE


ANZEIGE

BÜROSKOP


Zu früh


pensioniert


Natalie Gratwohl· Den Mitarbeiter in
der IT-Abteilung einerBank konnte
nicht mehr viel aus derBahn werfen. In
den vergangenen zwanzigJahren hatte
er schon mehrere Systemumstellun-
gen überstanden. Diese liefen immer
nach dem gleichen Muster ab.Es wur-
den teure Programme von der Stange
zugekauft, und die IT-Spezialisten, die
sich mit dem alten Programm auskann-
ten, wurden gerade noch so lange als
Back-up beschäftigt, bisdas neueSys-
tem die Ki nderkrankheiten überwunden
hatte. Entlassungen,Versetzungen oder
Frühpensionierungen waren dieFolge.
Der Angestellte machte sichkeine
Illusionen.Auch dieses Mal dürfte es
im gleichen Stil ablaufen, dachte er, nur
dass er selber wohl dieSystemumstel-
lung nicht überstehen würde. Denn das
Prog ramm war gewissermassen sein
Baby;er kannte jedesRädchen und jede
Schwachstelle. Doch dieseKenntnisse
waren nun nicht mehr gefragt.
Als er ins Büro des Chefs zitiert
wurde, hatte er sich bereits eine Strate-
gie zurechtgelegt. SeinVorgesetzter be-
grüsste ihn freundlich und gratulierte
ihm zurgelungenen Mutation.Rasch
nahm das Gespräch dannaber dieWen-
dung, mit der er gerechnet hatte. Ehe er
sich’s versah, wurde der IT-Mitarbeiter
von seinem Chef dazu aufgefordert, zum
Programmder Frühpensionierung Stel-
lung zu nehmen.«Ich habe einen Gegen-
vorschlag», sagte er stattdessen und
führte aus, in welchen Bereichen man ihn
noch einsetzenkönnte, zu welchen Zuge-
ständnissen beim Gehalt er bereit wäre
und dass er sich auch vorstellenkönnte,
das Arbeitspensum zureduzieren.
DerVorgesetzte wollte sich aber
nicht von seinem Plan abbringen las-
sen. Er verwies mehrmals auf den «er-
heblichenKostendruck» und schien sich
vor allem darauf zukonzentrieren, die
Nachfragen, Einwände undAusführun-
gen des Mitarbeiters abzuwehren.«Für
alle weiterenFragen wenden Sie sich
bitte an diePersonalabteilung», sagte er
und beendete das Gespräch hastig mit
dem Hinweis, gleich an einem wichtigen
Meeting teilnehmen zu müssen.
In den nächstenWochen bereitete
das neu eingeführteSystem allerdings
immer mehr Probleme. Die Angestell-
ten beschwerten sich bei der IT-Abtei-
lung, und das Risiko einesSystemabstur-
zes nahm vonTag zu Tag zu. Schliesslich
wurde beschlossen, die Notbremse zu
ziehen und erst einmal wieder auf das
alte System zu wechseln. Der Vorge-
setzte wusste, was zu tun war. Er griff
zumTelefonhörer, um «den Guru zu
aktivieren», wie er sich ausdrückte.
Der Frühpensionierte hatte sich in
der Zwischenzeit jedoch auf die neue Si-
tuationeingestellt und die Vorzüge des
Ruhestands schätzen gelernt. Er ging
einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach,
spielte Schach mit seinem Enkel und
besuchte mit seinerFrau einenTango-
Kurs.Vor allem aber hatte er von einem
Konkurrenten seines früheren Arbeit-
gebers, der sich für eine Erneuerung des
gleichen IT-Systems entschieden hatte,
ein attraktives Angebot erhalten und
war nun in einemTeilzeitpensum für
jenes Unternehmen tätig.
Als sein früherer Chef ihn anrief und
ihn mit «Na,Kollege, schon langweilig
geworden?» begrüsste, hörte er sich die
Erzählungen über die neusten personel-
lenWechsel sowie die ausweglose Situa-
tion im IT-Bereich an und liess einige
Lobhudeleien über sich ergehen.Dann
bedankte er sich für das attraktive An-
gebot, mit dem sein frühererVorgesetz-
ter ihn wieder an Bord holen wollte, und
teilte ihm mit, dass er leider bereits aus-
gelastet sei. Bevor er auflegte, empfahl
er ihm,sich dochan diePersonalabtei-
lung zu wenden, die ihm bei der Suche
nach einem neuen Mitarbeiter bestimmt
behilflich seinkönne.

Softbank muss nach Wework-Kollaps

Milliarden abschreiben

Gründer Masayoshi Son zieht tr otz dem höchsten Quartalsverlust der Firmengeschichte eine positive Bilanz


MARTINKÖLLING,TOKIO


Ernster Blick, violette Krawatte – Soft-
bank-Gründer Masayoshi Son hat am
Mittwoch anlässlich der Präsentation
von Quartalszahlen einen guten Grund
für seinenAuftritt gehabt. Son,Japans
Investorenlegende, musste bei seinen
Anlegern umVertrauen werben, denn
der Wert seiner bisher grösstenWette,
des Büroanbieters Wework, ist die-
ses Jahr kollabiert. Softbank musste
seine Investition sogar mit einem fast
10 Mrd. $ teuren Hilfspaket absichern.
Zudem befindet sich derAktienkurs des
Mitfahrdiensts Uber seit dem Börsen-
gang imRückwärtsgang, mit schweren
Folgen für die Softbank-Holdings.
Dieses Mal sei die Bilanz über-
haupt nicht gut, gestand Son ein. Die
Wertberichtigungen für Sons gefallene
St erne drückten Softbanks Betriebs-
ergebnis im zweiten Quartal des seit
April laufenden Bilanzjahres mit 704
Mrd.Yen (6,4 Mrd.Fr.) in dieVerlust-
zone. Das sei der höchsteVerlust der
Firmengeschichte, sagte Son. Aber wer
deshalb einen Büsser auf der Bühne er-
wartethatte ,wurde enttäuscht.
Sicher bereue er einiges von seinem
Wework-Engagement.Vor allem habe
er bei den negativen Seiten des vor kur-
zem gefeuerten extravaganten Grün-
ders Adam Neumann oft einAuge zu-
gedrückt. Neumann hattesichAktien
mit einemVielfachen an Stimmkraft
gesichert undFamilienmitgliedern Ge-
schäfte zugeschanzt.Darüber hinaus
verbreitete Son Erfolgsbotschaften.
Die Medien und Märkte würden Sons
100-Mrd.-$-Vision-Fund und Softbank
in schwerem Seegang wähnen und sich
sogar eine Pleite vonWework und Soft-
bankausmalen,soSon.«Aberausmeiner
Sicht fahren wir durch eine glatte See.»


Stark dank Alibaba


Bei den hohenWertberichtigungen hört
sich diese Behauptung unglaublich an.
Tatsächlich verblasst die gegenwär-
tige Krise imVergleich mit Sons finan-
zieller Nahtoderfahrung. Zur Jahrtau-
sendwende lösten sich nach dem Plat-
zen der Dotcom-Blase 97% seinesVer-
mögens in Luft auf. Davon kann derzeit
nicht dieRede sein.Damit widersprach
Son den Untergangspropheten,die auch
für seinen waghalsigen SoftbankVision
Fund sowie seine wagemutige Softbank
Group hoheWertverluste vorhergesagt
hatten. Doch nach Sons Ansicht über-
sahenseineKritikerdiegutenSeitensei-
nerVision, die der heute 62-Jährige seit
seinem Studium der Computerwissen-
schaften in Kalifornien verfolgt. Nach
dem Studiumkehrte der Sohnkore ani-
scher Einwanderer nachJapan zurück,
weil er sich daheim als Querkopf grös-


sereKarrierechancenausrechnetealsim
an Querdenkernreichen Amerika.
Son möchte Softbank zu einem der
grösstenKonzerne im Computerzeit-
alter und zur Ikone künstlicher Intelli-
genz aufbauen. SoftbanksKerngeschäft
sei die Informationsrevolution, lautet
seinCredo.DieseLeidenschaftführtezu
einem grossenPortfolio an Beteiligun-
gen,dienunSoftbankmitKursgewinnen
und Dividenden über die Schwäche der
ungestümenwieunstetenMega-Startups
hinweghelfen. Besonders die jüngsten
Kursgewinne von Chinas Online-Han-
delsplattform Alibaba hob Son hervor,
seinen bisher grössten Coup.

Allein, es fehlt der Glaube


MitdemSoftbankVisionFundsetzteSon
noch mehr auf das Gesetz der grossen
Zahl. 2016 überzeugte er den saudischen
Kronprinzen Mohammed bin Salman,
mit ihm gemeinsam auf Einhornjagd zu
gehen. Inzwischen hat derFonds bereits
sein gesamtes für Investitionen vorgese-
henes Kapital in rund 90 Unternehmen
investiert, darunter auch deutscheFir-
men wieWirecard.Auf jedes Unterneh-
men, dessenWert gesunken sei, kämen
drei mitWertsteigerungen, meinte Son.
Den BüroanbieterWework jeden-
falls will Son nicht aufgeben. Er und

sein Team hätten schon vieleKonzerne
saniert. In18 Mon aten werde auchWe-
work hochprofitabel sein statt hoheVer-
lusten aufweisen,versprach Son.Das sei
ganz einfach. Der neue Mehrheitseigner
hat schonWeworksrasante und teure
Expansion gestoppt, willPersonal ent-
lassen und unprofitable Nebengeschäfte
verkaufen oder einstellen. Erst wenn die
Gewinne fliessen,wird der Büroanbieter
wieder expandieren dürfen.
Sons Problem bleibt allerdings,die
Investoren von seiner Erfolgsgeschichte
zu überzeugen. Generell werde die
Aktie wie die vieler Holdinggesellschaf-
ten miteinem grossen Abschlag auf den
Buchwert gehandelt,sagt einAnalytiker
eines ausländischenFonds, der nicht ge-
nannt werdenwill. Dennbei Holdings
könne man kaum nachprüfen, wie viel
die einzelnenTeile wirklich wert seien.
Mit der Gründung des SoftbankVision
Fund ist dieses Problem noch grösser
geworden.
VieleAnlegerglauben,dass Softbank
zu viel Geld investiert und damit eine
Startup-Blase erzeugt hat. Einbrüche
wie diejenigen vonWework und Uber
bestraften die Anleger daher hart. Seit
dem Frühjahr verlor Softbank etwa ein
Drittel an Marktwert und wird laut Son
nun 60% unter Buchwert gehandelt.

Vorsichtiger bei Börsengängen


Dass Son auf die am Markt geäusser-
ten Bedenken einging, verriet ein we-
nig, wie sehr ihn dasWework-Desaster

wurmt. Er habe ein Monster gezeugt,
soll er intern eingeräumt haben. So weit
ging er am Mittwoch nicht.Einerseits er-
klärte er, dass Softbanks Investitionskri-
teriennochstrikter angewendet werden
sollen.Anderseits gab er sich lernwillig.
Er beginne zu denken, dass man beim
Zeitpunkt von Börsengängen vorsich-

tiger sein sollte.Ausserdem versprach
Son, die Machtfülle einiger Gründer
nichtmehrzu akzeptieren,mehr auf Ge-
winne zu achten undkeine Unterneh-
men mehr zurett en.
Letztlich gab er sich allerdings unbe-
irrbar: «Ich habe die Lehren gezogen,
aber unsere Strategie wird sich nicht
ändern.» Ein zweiter SoftbankVision
Fund sei inArbeit,versicherte Son. Und
der werde ähnlich gross wie der zweite.
Schliesslich glaubt derFan vonRobo-
tern daran, dass mit künstlicher Intel-
ligenz derDatenverkehr exponentiell
wachsen werde.

Softbank-Chef Masayoshi Son beantwortet an einer Medienkonferenz inTokio Fragen vonJournalisten. KIM KYUNG-HOON/REUTERS

«Ich habe
die Lehren gezogen,
aber unsere Strategie
wird sich nicht ändern.»

Masayoshi Son

gegründet 1888

Themonolingual and bilingual way at FGZ

Info-Anlass /


InformationEvent


Weiter eInfo-Anlässe/Furth er events: http://www.fgz.ch

Zweisprachige Ausbildung
Dienstag, 29. Oktober 2019, 18.30 Uhr,Bibliothek

Bilingual Education Programme
Tuesday, 29 October 2019, 6.30 pm, Library
Free download pdf