Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

Freitag, 8.November 2019 WIRTSCHAFT 13


INTERNATIONALE AUSGABE


Deutsche Rauchzeichen zur Bankenunion


Ein «Diskussionsbeitrag» von Finanzmin ister Scholz zur europäischen Einlagensiche rung


RENÉHÖLTSCHI, BERLIN


In die seitJahren blockierte Debatte
über die Ergänzung derBankenunion
der EU bzw. des Euro-Raums durch
eine gemeinsame Einlagensicherung
ist Bewegung gekommen. Der deut-
scheFinanzminister Olaf Scholz hat am
Mittwoch in einerRede, einem Gast-
beitrag in der «FinancialTimes» (FT)
und einem «Non-Paper» seines Minis-
teriumsVorschläge zur«Vollendung»
derBankenunion vorgelegt.Für Auf-
sehen sorgte vor allem, dass erKom-
promissbereitschaft zur Einlagensiche-
rung signalisierte. Bisher hat Deutsch-
land einschlägige EU-Pläne gebremst,
wo es nurkonnte.


Scholz für Rückversicherung


Nun spricht sich Scholz für eine euro-
päische Rück versicherung fürBank-
einlagen aus, die die unterschiedliche
Leistungsfähigkeit der nationalen Ein-
lagensicherungssysteme ausgleichen
könne.Aus der Einlagensicherungwer-
den bei einerBankpleite die Sparer für
Einlagen von bis zu 10 0000 € entschä-
digt. Bis jetzt ist sie nach EU-Vorgaben


national organisiert; finanziert werden
die entsprechendenFonds ausBanken-
abgaben. Scholz schlägt vor, ergänzend
einen zentral verwalteten europäischen
Fonds mit nationalenKammernauf-
zubauen.Aus Letzterenkönnten den
nationalenFonds im Bedarfsfall in be-
grenztemAusmass rückzahlbareDarle-
hen zurVerfügung gestellt – und in be-
stimmtenFällen sogarVerluste abge-
nommen – werden.
DerVorschlag treibt die Europäisie-
rung der Einlagensicherung längst nicht
so weit wie ein ursprünglicherVor-
schlag derEU-Kommission aus dem
Jahr 20 15. Dennoch betonte Scholz in
der «FT», dies sei «kein kleiner Schritt
für einen deutschenFinanzminister».
Tatsächlich ist die gemeinsameEin-
lagensicherung hierzulande hoch um-
stritten. Deutsche Sparer sollten nicht
für Probleme südeuropäischerGeld-
häuser haften, lautet seitJahren der
Schlachtruf der Kritiker.

Teil eines Pakets


Scholz betteteseinRauchzeichen aller-
dings in einPaket ein, dessen übrige
dreiTeile bei manchen anderen EU-

Staaten aufWiderstand stossen dürften.
Soregt er als zweitenTeil gemeinsame
Insolvenz- und Abwicklungsmechanis-
men für alleBanken an, unabhängig
von ihrer Grösse undSystemrelevanz.
Bis jetzt greifen bei kleineren Instituten
in Schieflage nationaleVerfahren und
Gesetze.Dieskönne dazu führen, dass
Gläubiger kleinererBanken stärker ge-
schont würden als solche von grösseren
Häusern, monierte der Minister.
Drittens fordert Scholz den weiteren
Abbau vonRisikenimBankensektor.
Dazu pocht er nicht nur auf den Abbau
der notleidenden Kredite, sondern er
rüttelt auch an derregulatorischen Spe-
zialbehandlung von Staatsanleihen.Bis
jetzt werden Letztere als risikolose An-
lageform behandelt, so dass dieBanken
die von ihnen gehaltenen Staatspapiere
nicht mit zusätzlichem Eigenkapital
unterlegen müssen. Zudem sind Staats-
titel von jenenRegeln ausgenommen,
die Klumpenrisiken durch hohe An-
teile von Anleihen eines einzigen Emit-
tenten verhindern sollen.Scholz schlägt
eine vorsichtige Abkehr von dieser Son-
derbehandlung vor.Aus ordnungspoliti-
scher Sicht und im Dienste derFinanz-
stabilität ist dies überfällig, doch hat es

bisher allen voran das hochverschuldete
Italien abgelehnt, das aufreichliche und
günstige Kredite «seiner»Banken ange-
wiesen ist.
Viertens will Scholz mit einerge-
meinsamen Bemessungsgrundlage für
die Unternehmensbesteuerung und
einer effektiven Mindestbesteuerung
die Gewinnverschiebung in steuergüns-
tige Staaten innerhalb derBankenunion
drosseln. Um eine gemeinsame Bemes-
sungsgrundlage (nicht nur fürBanken)
wird in der EU indessen seitJahren er-
folglos gerungen.

Kühle Berliner Reaktion


Auf der europäischen Ebene, auf der
Scholz dieVorschläge nun einbringen
will, sind somit noch einige Hürden zu
nehmen.Doch selbst in Berlin scheint
Überzeugungsarbeit nötig.Regierungs-
sprecher Steffen Seibert bezeichnete
denVorstoss des SPD-Ministers vor den
Medien als «Diskussionsbeitrag», der
innerhalb der Bundesregierungnoch zu
beraten sei. Nach einem abgestimmten
Vorstoss und beherzter Unterstützung
durch Bundeskanzlerin Merkel und die
Unionsparteien tönte das nicht.

China schützt Münchner Bier

Abkommen zum Schutz geografischer Angaben vonlandwirtschaftlichen Produktenunterzeichnet


MATTHIAS MÜLLER, PEKING


AchtJahre haben sich dieVerhandlun-
gen hingezogen. Nun wurdeVollzug ge-
meldet. AmMittwochhaben China und
die EU inPeking ein bilaterales Ab-
kommen zur Zusammenarbeit im Be-
reich der geografischen Angaben und zu
deren Schutz unterschrieben.Dadurch
sind künftig jeweils 100 landwirtschaft-
liche Erzeugnisse Chinas und der EU
gegen Nachahmung und widerrechtliche
Aneignung geschützt.In der EU müs-
sen noch dasParlament und derRat zu-
stimmen. Bis EndekommendenJahres
soll das Abkommen in Kraft treten. Bei
der Unterzeichnung in der chinesischen
Hauptstadt waren auch der französische
St aatspräsident Emmanuel Macron so-
wie ChinasPartei- und Staatschef Xi
Jinping anwesend.


Handelskammer mahnt


In einer gemeinsamen Medienmittei-
lung werden der Ire Phil Hogan, der
noch als EU-Landwirtschaftskommissar
in Peking weilt, und der chinesische Han-
delsminister Zhong Shan mit denWor-
ten zitiert, es handele sich um das bedeu-
tendste Handelsabkommen, auf das sich
die EU und China in den vergangenen
Jahren verständigt hätten. Es sei ein Zei-
chen an dieWelt, dasssich beide Seiten
zu vertieften Handelsbeziehungen be-
kennten.DasAbkommen stehe symbo-
lisch dafür, wie offen dieVolkswirtschaf-
ten seien. Und es sei ein Bekenntnis für
ein auf internationalenRegeln basiertes
Handelssystem, sagen Hogan und Zhong
laut der Medienmitteilung.
Das gemeinsame Bekenntnis Chi-
nas und der EU zu einemregelbasier-
ten Handel ist auch als Spitze gegen den
amerikanischen Präsidenten Donald
Tr ump zu interpretieren, der aus Sicht
Chinas und der EU die bestehende Ord-
nung zu unterwandern versucht.
Durch das neue Abkommen werden
aus Europa vor allem Erzeugnisse aus
Frankreich und Italien vor Nachahmung
und widerrechtlicher Aneignung ge-
schützt. In der Liste mit 100regional-
spezifischen Produkten sind jeweils 26
ausFrankreich und Italien aufgeführt.
So fallen etwaWeine aus derRegion
Elsass (Alsace) sowie Bordeaux oder
Parmaschinken darunter.Aus Deutsch-
land sinddurch das AbkommenWeine
ausFranken, von der Mosel und aus
Rheinhessen geschützt; auch bayrisches
und Münchener Bier werden aufgeführt.
Künftig darf damitkein Brauer aus


China mehrdamit werben, erhabe bay-
risches oderMünchener Bier hergestellt.
Die Europäische Handelskammer in
China lobte das Abkommen und äusserte
di e Hoffnung, dass der Handel mit land-
wirtschaftlichen Gütern aus China und
der EU anziehen werde.Von September
2018 bisAugust diesesJahres waren die
Vereinigten Staaten mitAusfuhren von
24 Mrd. € der wichtigste Markt für land-
wirtschaftliche Produkte aus der EU.
Aufdem zweitenPlatzrangierte bereits
China, wohin dieLandwirte Produkte im
Wert von 12,8 Mrd. € ausführten.
Besonders die Dynamik im Handel
mit dem asiatischenLand dürfte bei
denBauern Begehrlichkeiten wecken:
Gegenüber dem Zeitraum September
2017 bisAugust 20 18 legten die Exporte
um 13,5% zu. Die europäischenLand-
wirte haben die wachsende chinesische
Mittelschicht im Blick, die auf den Ge-
schmack von Gourmetprodukten aus
der EUkommt.
Die Lobbyisten gaben jedoch zu be-
denken, dass europäischen Erzeugnis-

sen künftig der gleiche Schutz gewährt
werden müsse, wie er den chinesi-
schen Produkten in der EU eingeräumt
werde. Die Europäische Handelskam-
mer in China monierte in einer Stel-
lungnahme einnicht eindeutigesRechts-
system in dem asiatischenLand. Es fehle
an einemspezifischenGesetz,durch das
Erzeugnissewegen ihrer geografischen
Herkunft als geistige Eigentumsrechte
definiert würden. Erschwerendkommt
hinzu, dass einige Produkte wie Käse
auf der 100 Erzeugnisse umfassenden
Liste derzeit nicht nach China einge-
führt werden dürfen. Sie erfüllen die
chinesischen Standards und dieregula-
torischenVorgaben nicht.

Macron spricht für Europa


Der derzeitigeLandwirtschafts- und
designierte Handelskommissar Hogan
gehört wie die deutsche Bildungs- und
Forschungsministerien Anja Karliczek
der Delegation des französischen Prä-
sidenten Macron an, der nebenPeking

auch Schanghai besucht hat. Frank-
reichs Staatschef will dadurch den Chi-
nesen vermitteln, dasser nichtalleinim
NamenseinesLandes, sondernauch für
Europa spricht.
Bei Macrons zweitem China-Besuch
hat er im Beisein von französischen und
auch von deutschenFirmenchefsVer-
träge im Umfang von 15 Mrd. $ unter-
schrieben.Davon sollen vor allem die
Energie-, dieLandwirtschafts- und die
Luftfahrt-Branche profitieren.Darunter
dürfte auch die Bestellung von184Air-
bus-A320-Maschinen fallen, die bisher
noch nicht finalisiert worden war. Beide
Seiten haben sich auch dazu bekannt,bis
EndeJanuarkommendenJahres einen
Vertrag für denBau einerFabrik für die
Wiederaufbereitung von Brennstäben
zu unterzeichnen, an der die franzö-
sischeFirma Orano sowie der chine-
sischeKernkraftwerkbetreiber CNNC
beteiligt sind. Eigentlich hätte dies be-
reits Ende vergangenenJahres erfolgen
sollen. DieFabrik brächte Orano rund
10 Mrd.€ein.

Französische undchinesischeFlaggen am Dienstag vor dem Mao-PorträtamTor des himmlischen Friedens inPeking. REUTERS

Dem Cinquecento


droht das Aus


Fiat prüft offenbar den Ausstieg
aus dem Kleinstwagensegment

HERBIE SCHMIDT

Es dürfte noch keine direkteAus-
wirkung der Megafusion zwischenPeu-
geot-Citroën-Opel (PSA) und Fiat-
Chrysler (FCA) sein, wenn der FCA-
Chef Mike Manley gegenüber Analysten
einen Abschied aus dem Kleinstwagen-
segment andeutet, wie Ende Oktober
geschehen.Vorgemacht haben diesen
Fokus auf margenträchtigereFahrzeug-
segmente in Europa bereitsFordund
Opel. So wird der Import des in Indien
gebautenFordKa+gestoppt, und Opel
hat bereits die in Korea gefertigten
Modelle Karl undAdam gestrichen.

Nur noch mit Elektroantrieb


Die sogenannten Minicars sollen bei ei-
nigen Herstellern wenn überhaupt nur
noch als emissionsfreie Stadtautos wei-
terleben. Bei VW hat man sich entschie-
den, künftig den Kleinstwagen Up nur
noch als Elektroauto anzubieten– Glei-
ches dürfte für die Schwestermodelle
Seat Mii und Skoda Citigo gelten. Merce-
des bietet den Smart als Zwei- undVier-
sitzer nur noch mit Elektroantrieb an.
Selbst wennFiat mit demPanda
im Bereich der Kleinstwagen im ers-
ten Semester 20 19 die europäische Hit-
parade anführt, scheintdas Einstellen
derBaureihe nicht mehr tabu zu sein.
Zu hoch sind die Entwicklungskosten
zur Einhaltung der scharfen Abgas-
normen in Europa, zu gering die Mar-
gen nach dem Einbau vonPartikelfiltern
und Abgasnachreinigungssystemen.Wie
Manley bei einerTelefonkonferenz zum
FCA-Quartalsergebnis gegenüber Ana-
lysten bestätigt, plantFiat eineFokussie-
rung auf ein Segmentmit höherenMar-
gen, «und dies wird bedeuten, dass wir
uns vom Minicar-Segmententfernen».
Die Pläne erfolgen zu einem Zeit-
punkt, in dem sowohl derPanda als auch
der 500 alsFiat-Kleinwagen am Ende
ihrer Modellzyklen stehen und durch
modernere und elektrifizierte Fahr-
zeuge ersetzt werden müssten. Der Cin-
quecento ist bereits zwölfJahre alt, und
im ersten Semester 20 19 fielen dieVer-
kaufszahlen um 9%. Der neuestePanda
hingegen ist erst siebenJahre auf dem
Markt und erfreut sich nach wie vor
hoher Beliebtheit. Im ersten Halbjahr
2019 stiegen dieVerkäufe um15%, sie
liegen mit gut 105 500Fahrzeugen etwas
höher als beimFiat 500.

Neuauflagedes Punto


Zum Zeithorizont für einen solchen
Ausstieg bei den Kleinstwagen hat sich
Mike Manley bisher nicht geäussert.
Dazu dürftenRücksprachen mit dem
neuen Fusionspartner PSA erforder-
lich sein, ein Ende fürPanda und 500
dürfte noch mehrereJahre auf sich war-
ten lassen. Bis dahin wird derBatterie-
elektrischeFiat 500e der zweiten Gene-
ration auf den Marktkommen, dessen
erste Generation in den USA zu mässi-
genVerkaufserfolgen führte.
Wie Manley bestätigt, sorgen zwei
Faktoren dafür, dassFiat derzeit in
Europa besonders unter Druck steht.
Einerseits ist die Modellpalette stark auf
die margenschwachen Kleinwagen aus-
gerichtet, und andererseits verfügtFiat
über die durchschnittlich ältestePalette
in derAutoindustrie. Um diese Um-
stände zu ändern,will Fiat nun offen-
bar den nächstgrösseren Kleinwagen-
markt aufrollen und den im vergange-
nenJahr eingestellten Punto in einer
Neuauflagezurückbringen.
Doch die Situation hat sich durch
die Fusion mit PSA verändert. Als
Basis für einen neuen Puntokönnte
etwa die Plattform dienen, diePeugeot
für den 208 und Opel für den Corsa
verwendet. BeideModelle gibt es auch
alsBatterie-Elektroautos – eine prak-
tikable Lösung für einen neuen Fiat
Punto.Auch die Cinquecento-Derivate,
der Minivan 500L und derKompakt-
SUV 500X,könnten mit neuen PSA-
Plattformen weiterleben, sie sind auch
nichtTeil des ertragsschwachen Kleinst-
wagensegments und liefern in Europa
solideVerkaufszahlen ab.
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