Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

20 PANORAMA Freitag, 8. November 2019


INTERNATIONALE AUSGABE


ZAHLENRÄTSEL NR. 260

SPIELREGELN«GEBIETSSUMME»:Die
Ziffern 1 bis 7 sind so ei nzutragen, dass sie
in je der Zeile und jeder Spalte einmal vor-
kommen. Die kleinen Zahlen in den umran-
deten Gebieten geben die Summe im
jeweiligen Gebiet an. I nnerhalb eines Ge-
biets können Ziffern mehrfachvorkommen.

Auflösung:
Zahlenrätsel Nr. 259

ALEXANDRA WEY/KEYSTONE

Schützenfest an symbolträchtigem Schauplatz
Über 10 00 Schützinnen und Schützen haben am Mittwoch am traditionellen Schiessen auf derRütliwiese hoch über dem Urner-
see teilgenommen. Der Anlass fand diesesJahr zum157. Mal statt. Der ungewöhnlicheSchiessplatz stellt nicht nur an dieTeil-
nehmer besondereAnforderungen, sondern auch an die Helfer,die auf den Zielscheiben am steilenHang dieTr effer anzeigen.

Aufrechter Gang ist vielleicht inEuropa entstanden

Knochenfunde im Unterallgäu werfen ein neues Licht auf die Evolution zum Zweibeiner


(dpa) / Spe.·Nicht wie bisher angenom-
men in Afrika, sondern in Europasoll sich
der aufrechte Gang des heutigen Men-
schen entwickelt haben.Einneu entdeck-
ter möglicherVorfahrvon Mensch und
Menschenaffe habe sich wohl bereits vor
fast zwölf MillionenJahren auf zwei Bei-
nen fortbewegenkönnen, vermutet ein
Forschungsteam um Madelaine Böhme
von der UniversitätTübingen und des
SenckenbergCenter for Human Evo-
lution andPalaeoenvironment in einer
imFachmagazin «Nature» veröffentlich-
ten Studie. Das wäre mehrere Millionen
Jahre früher, als bisher angenommen.


Neuer Vorfahr des Menschen


«Das ist eine Sternstunde derPaläo-
anthropologie und ein Paradigmen-
wechsel», sagte Böhmeder Nachrichten-
agentur DPA. DieFunde stellten die bis-
herige Sichtweise auf die Evolution der
grossen Menschenaffen und des Men-
schen grundlegend infrage. Dass sich der
Prozess des aufrechten Gangs in Europa


vollzogen habe, erschüttere diePaläo-
anthropologie in ihren Grundfesten.
DasTeam hatte zwischen 20 15 und
2018 ineinemBachlauf derTongrube
«Hammerschmiede» im Unterallgäu
die versteinertenFossilien einer bisher
unbekannten Primatenart entdeckt. Der
sogenannteDanuvius guggenmosi habe
vor 11,62MillionenJahren gelebt und
sich wahrscheinlich sowohl auf zwei Bei-
nen als auch kletternd fortbewegt. «Bis-
her war der aufrechte Gang ein aus-
schliessliches Merkmal von Menschen.
AberDanuvius war ein Menschenaffe»,
sagte Böhme.Die bisher ältesten Be-
lege für den aufrechten Gang sind rund
6 MillionenJahre alt und stammen von
der Insel Kreta und ausKenya.
Aus derTongrube bargen diePalä-
ontologen vollständig erhaltene Arm-
und Beinknochen,Wirbel,Finger- und
Zehenknochen–insgesamt 15 Prozent
eines Skeletts. Damit liess sichrekon-
struieren,wie sichDanuvius fortbewegte.
«Zum ersten Malkonnten wir mehrere
funktionell wichtige Gelenke in einem

einzigen fossilen Skelett dieses Alters
untersuchen»,erklärte die Professorin.
«Zu unserem Erstaunen ähnelten einige
Knochen mehr dem Menschen als dem
Menschenaffen.» So habeDanuvius sei-
nenRumpf durch eine s-förmigeWirbel-
säule aufrecht haltenkönnen, während
Menschenaffen lediglich eine einfach
gebogeneWirbelsäule besitzen.Danu-
viuskombinierte die von den hinteren
Gliedmassen dominierte Zweibeinigkeit
mit dem von den vorderen Gliedmassen
dominierten Klettern, wie der Mitautor
David Begunvon der University of
Toronto sagt.Laut den Forschern war
der «neueVorfahr des Menschen» etwa
einen Meter gross. DieWeibchen,von
denen ebenfallsTeile eines Exemplars
in derTongrube gefunden wurden, dürf-
ten etwa 18 Kilogramm gewogen haben,
dasgefundene Männchen 31 Kilogramm.
FürTracyKivell,Professorin an der
University ofKent, beantwortet der
Fund einige noch offeneFragen: Zu-
sammengenommen böten dieFunde das
bisher beste Modell, um zu zeigen, wie

ein gemeinsamer Vorfahr von Mensch
und afrikanischen Menschenaffen aus-
gesehen habenkönnte, erklärte Kivell,
die selbst nicht an der Analyse beteiligt
war, in einer in «Nature» veröffentlich-
ten Einschätzung zur Studie.

Nur einVersuch der Evolution?


Christoph Zollikofer von der Univer-
sität Zürich spricht von einer Studie, in
der enorm viel Sorgfalt und Detailarbeit
steckten. Interessant findet er vor allem,
was die Knochenfunde über die Evolu-
tion derFortbewegung verraten. Gene-
rell gehe man davon aus, dass dieFort-
bewegung vor 12 MillionenJahren weni-
ger spezialisiert gewesen sei als heute, er-
klärt der Anthropologe auf Nachfrage der
NZZ. Deshalb habe man schon seit lan-
gem nach einer hybridenFortbewegungs-
weise gesucht. Die neuenFunde eines fos-
silen Menschenaffen aus Europa bekräf-
tigten diese Generalisten-Hypothese.
Offensichtlich sei dieFortbewegungda-
malsein Mittelding zwischen Stehen auf

zwei Beinen und Greifen mit Händen und
Füssen gewesen, dies allerdings noch in
denBäumen und nicht am Boden.
Unklar sei aber,ob die postulierte
Zweibeinigkeit des neuenFossils etwas
mit der unseren zu tun habe.Eskönnte
auch sein, dass es sich um einen von vie-
len evolutionärenVersuchen handle, die
in einer Sackgasse endeten. Offen ist für
Zollikofer auch, ob der Ursprung die-
serFortbewegungsweise tatsächlich in
Europa liegt. Europa sei ein zu eng ge-
fasster Begriff.Sinnvoller wäreesseiner
Meinung nach, von Eurasien zu sprechen.
Nach Einschätzung Böhmes dürf-
ten weitereFunde die Erkenntnisse aus
demDanuvius-Fund stützen.Von einem
Weibchen wurden bereits Zähne, ein
Finger und einkompletter Oberschen-
kel ausgegraben.Auch von einem jun-
gen Exemplar liegenReste vor.Ausser-
dem erwartet dieTübingerPaläontolo-
gin weitere erfolgreicheAusgrabungen
imBachbett derTongrube. «Das muss
man sich vorstellenwie ein Puzzle, in das
immer mehrTeile eingefügt werden.»

Massaker anMormonen


inMexiko


Hintergründe der Ermordung vonneun Personen unklar


NICOLE ANLIKER, RIO DEJANEIRO


DreiFrauenund sechs Kinder im Alter
zwischen acht Monaten und zwölfJah-
ren sind am Montagmorgen von einer
bewaffneten Gruppe im Norden Mexi-
kos ermordet worden. Alle Opfer waren
amerikanisch-mexikanische Doppelbür-
ger und gehörten einer Mormonen-Ge-
meinde an. Hinter derTat wird das orga-
nisierteVerbrechen vermutet, die Hin-
tergründe desVorfalls sind derzeit aber
noch unklar.Der Angriffereignete sich
auf einer Strasse zwischen den Glied-
staaten Chihuahua und Sonora nahe der
Grenze zu den USA.Verschiedene Dro-
genkartelle kämpfen um dieKontrolle
des Gebietes, das seitJahren von Gewalt
heimgesucht wird.


Trump bietet Hilfe an


Bei den Opfern handelt es sich um
Familienmitglieder des in derRegion
bekannten AktivistenJulián Lebarón.
Diese waren in einemKonvoi von drei
Fahrzeugen auf demWeg zum Flughafen
nach Phoenix in die USA.Laut lokalen
Medienhatte eines derAutos kurz nach
der Abfahrt einen plattenReifen, wes-
halb es auf der Strasse wartete, bis die
Angehörigen ein Ersatzfahrzeug brach-
ten. Offenbar griffen die Täter während-
dessen den stehendenWagen an und
attackierten denRest derFamilie,als
diese mit dem Ersatzauto ankam. Die
Täter feuerten offenbar auf dieAutos
und setzten eines davon in Brand. Die
verkohlte Leiche einerFrau und ihrer
vier Kinderwurde darin gefunden. In
den beiden anderen Fahrzeugen wurden
die totenKörper zweier weitererFrauen
und zweier Kinder gefunden.Acht Kin-
derkonnten dem Angriff entkommen.
Der amerikanische Präsident
DonaldTr ump hat seinem Nachbar-
land am Dienstag Hilfe im Krieg gegen
die Drogenkartelle angeboten. Zwar
habeMexikos Präsident Andrés Ma-
nuel López Obrador, kurz Amlo ge-
nannt, die Bekämpfung derSyndikate
vorangetrieben. Diese seien aber «so
gross und mächtig geworden, dass man
manchmal eineArmee braucht, um eine
Armee zu besiegen», schriebTrump im
KurzmitteilungsdienstTwitter. Die USA
seien bereit, sich einzubringen und die
Arbeit schnell und effektiv zu erledigen,
ergänzte er. «Für Mexikoist die Zeit ge-
kommen, mithilfe der USA Krieg gegen
die Drogenkartelle zu führen und sie
vom Erdboden zu beseitigen.Wir war-
ten nur auf einen Anruf von eurem
grossartigen neuen Präsidenten!»


Am Dienstagnachmittag bedankte
sich Amlo perTelefon beiTr ump für
das Hilfsangebot. Dabei versicherte er
ihm aber, dass Mexiko für Gerechtigkeit
sorgen werde. Dies teilte Amlo später
überTwitter mit. Am Mittwoch wurde
bekannt, dass das Aztekenland bei den
Ermittlungen nun mit dem FBI zusam-
menarbeiten wird. DieRegierungen von
Chihuahua und Sonora liessen in einer
gemeinsamen Erklärung verlauten, dass
zusätzliche Sicherheitskräfte in das Ge-
biet geschickt worden seien. Die Gou-
verneurin von Sonora nannte die Täter
Monster.
Über deren Motiv wird derzeit spe-
kuliert. Mexikos Sicherheitsminister
AlfonsoDurazo brachte eine mögliche
Verwechslung ins Spiel.Auch mexikani-
sche Medien vermuteten, dass derKon-
voi allenfalls mit dem einer rivalisie-
rendenBande verwechselt worden sei.
Amlo forderteAufklärung.Es müsse
geklärt werden, ob es sich um einen ge-
zielten Angriff auf dieFamilie gehan-
delt habe, betonte er. Julián Lebarón
zeigte sich im Interview mit mexikani-
schen Medien ahnungslos darüber, aus
welchen Gründen jemandFrauen und
Kinder angreifen würde.

Mormonen-ClanLebarón


Die Mitglieder des Mormonen-Clans
Lebarón sind dafür bekannt, dass sie
sich gegen lokale Drogenbanden weh-
ren und die ausufernde Gewalt der
Kartelle öffentlich anklagen. DieFami-
lie wurde bereits in derVergangenheit
vom organisiertenVerbrechen insVi-
sier genommen. 2009 wurde Erick Le-
barón entführt. Der Clan weigerte sich,
das verlangte Lösegeld zu zahlen. Er be-
fürchtete, dass dies nur weitere Entfüh-
rungen nach sich zöge. Die Kartelle lies-
sen Erick eineWoche darauf frei.
Monatespäterwurde dafür sein Bru-
der Benjamin, der sich zum Aktivisten
entwickelt und die Kampagne für Ericks
Freilassung angeführt hatte, in seinem
Haus in Chihuahua ermordet – gemein-
sam mit seinem Schwager. DerFall hat
ausJulián Lebarón, dem Dritten im Ge-
schwisterbund, einen Sozialaktivisten
und nationalen Menschenrechtsvertei-
diger gemacht. 2010 veröffentlichte er
einen Artikel in den «Dallas Morning
News», in dem er die Mexikaner auffor-
derte, sich gegen das organisierteVer-
brechen zu wehren. Bis heute kämpft
er um Gerechtigkeit für seinen Bruder.
Am Dienstag erklärteJulián Lebarón
im mexikanischenRundfunk, dass seine
Familie Drohungen erhalten habe.

Stressfreies Ei nkaufen


Supermarktkette in Neuseeland denkt an Autisten


kkl.·In NeuseelandkönnenPersonen
mitAutismus und andere sensibleKun-
den in einer der grössten Supermarkt-
ketten desLandes seit Ende Oktober
einmal in derWoche entspannter ein-
kaufen:Jeden Mittwoch zwischen 14
Uhr 30 und 15 Uhr 30 stellt dieKette
Countdown in ihrenLäden die Musik ab
und dimmt das Licht.Durchsagen sollen
sichauf Notfälle beschränken, auch das
Einräumen vonRegalen und das laute
Zusammenschieben von Einkaufswagen
sollen auf ein Minimumreduziert wer-
den. Die Geräusche an den Kassen sol-
len ebenfalls leiser werden.
Die Idee für diese «stille Stunde»
hatte eine Angestellte,die Mutter eines
autistischen Sohnes ist.Für Personen mit
Autismus ist es schwierig, unterschied-
lichste Sinneseindrücke zu filtern.Auf
bestimmteReize wie etwa Licht, Ge-
rüche und Geräuschereagieren sie oft
über- oder unempfindlich und entwickeln
unter Umständen Angstreaktionen. All-

tägliche Situationenkönnen für Betrof-
fene so zur Herausforderung werden.
Die Supermarktkette griff denVor-
schlag der Mitarbeiterin auf und tes-
tete ihn einJahr lang in mehrerenFilia-
len.Dafand die «stille Stunde» grossen
Anklang–nicht nur beiAutisten. «Wir
haben sehr vielepositiveRückmeldun-
gen bekommen», sagte die Countdown-
Managerin Kiri Hannifin derTages-
zeitung«T he Guardian». «Unsere älte-
ren Kunden geniessen die ruhige Zeit
ebenso sehr wie viele andere,die das
Einkaufen einfach ein bisschen anstren-
gend finden.» Countdown entschloss
sich daraufhin, die «stille Stunde» lan-
desweit in allenFilialen einzuführen.
Lob kamvonDane Dougan, dem
Chef der OrganisationAutismus Neu-
seeland.Viele Betroffene hätten sich be-
geistert gezeigt: «Das zeigt auf, wie einige
kleine Änderungeneine inklusivere Um-
gebung schaffenkönnen, die sich auf das
Leben von Menschen deutlich auswirkt.»
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