Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

22 FILM Freitag, 8.November 2019


INTERNATIONALE AUSGABE


Als Filmheld leuchtet Bruno Manser viel zu hell


Der biografische Spielfilm über den im Jahr 2000 verschollenen Basler Umweltakti visten ist aufwend ig inszeniert, hinterlässt abe r ein Unbehagen


LORYROEBUCK


Kann ein einziger Satz einen ganzen
Film ruinieren? «Durch dich haben wir
gelernt, dass es sich lohnt, für unsere
Lebensweise zu kämpfen», spricht der
Penan-Häuptling Along Sega am Ende
des Films zu Bruno Manser. Es könnte
ein dahingeworfener Satz sein – er-
munternde, etwas kitschigeWorte des
bescheidenen Häuptlings an seinen
Schützling.
Doch weil es die letztenWorte sind,
die Along an denBasler Umweltaktivis-
ten richtet, bevor dieserim Mai2000 im
Urwald von Sarawak spurlos verschwin-
det, erhalten sie ungemein viel Gewicht.
Sie werden zur Quintessenz des ge-
samtenFilms: Bruno Manser mag den
Kampf gegen die Abholzung verloren
haben, nicht aber jenen um dieWürde
der Penan. Es war nicht alles umsonst.
DieWorte des Häuptlings haben
auch den Zweck,das Kinopublikum
ruhigen Gewissens nach Hause zu ent-
lassen.Stattdessenhinterlassensie ein
Unbehagen. Musste das sein? Muss der
erste Kinospielfilm über Bruno Mansers


Wirken das Stereotyp des «white savi-
our» – des weissenRetters –bedienen,
wie kürzlich auch der Oscar-Gewinner-
Film «Green Book»? Dort lehrte ein
Weisser einen Schwarzen, wie man rich-
tig schwarz ist (Jazz! Hühnchen!). Hier
lehrt Manser die Indigenen, ihreeigene
Kultur richtig wertzuschätzen.

Kritische Stimmen diskreditiert


Es gibt imFilm durchaus Stimmen, die
Mansers moralische Überlegenheit in-
frage stellen.«Was glauben Sie eigent-
lich , wer Sie sind?», fragt ihn etwa ein
malaysischerRegierungsbeauftragter –
und antwortet gleich selbst: «Ein weis-
ser Spiesser, der sich ausLangeweile
in fremde Dinge einmischt.» Doch bis
zum Ende hat derFilm alle kritischen
Einwände fein säuberlich diskreditiert.
Selbst der britischeReporter, der die
Notlage derPenan an die Öffentlichkeit
bringen will und Manser zurVorsicht
mahnt, entpuppt sich als bestechungs-
anfällig. Der Zuschauer vermisst eine
di fferenzierteAuseinandersetzung mit
Mansers Aktivismus.

Das klischeebeladene Drehbuch ist
dieAchillesferse diesesFilms, hinter
dem ein gigantischer Produktionsauf-
wand steht. Die Crew um den freibur-
gischenRegisseur und Drehbuchautor
Niklaus Hilber («Amateur Teens»)
musste während des dreizehnwöchigen
Drehs in Sarawak grosseWiderstands-
kraft unter Beweis stellen. Hochwasser,
ein Baumsturz und krankeDarsteller
trieben die Produktion in dieLänge und
das Budget in die Höhe.
4,7 MillionenFranken hätte derFilm
ursprünglichkosten sollen, am Ende war
man näher bei 6Millionen. «Bruno Man-
ser – Die Stimme desRegenwaldes» (so
der offizielle, etwas umständlicheFilm-
titel) ist somit neben dem AnfangJahr
veröffentlichten «Zwingli» (ebenfalls 6
Millionen) eine der teuersten Kinopro-
duktionen in der Geschichte des Schwei-
zer Films. Nur eben – hat sich derAuf-
wand gelohnt?Verspricht er wenn nicht
dramaturgischen,so doch ästhetischen
undkommerziellen Erfolg?
DerFilm erreicht zweifellos zu einer
opportunen Zeit die Kinos. Wenn Man-
ser im Film beispielsweise am G-7-

Gipfel einTransparent enthüllt, spie-
geln sich darin die öffentlichkeitswirk-
samen Aktionen von GretaThunberg.
Und wenner um die«Lunge derWelt»
fürchtet, holt uns das die jüngsten Be-
richte über den brennenden Amazonas-
wald ins Gedächtnis zurück.
Stellenweise ist «Bruno Manser»
auchwirklich mitreissend inszeniert.
Als die erstenBagger vorfahren, möchte
man sich am liebsten aus dem Kino-
sessel direkt in die von Manser orga-
nisierte Strassenblockade werfen. Und
die Luftaufnahmen (Kamera: Gabriel
Sandru) über dem Urwald auf Borneo
(gedreht wurde auf der indonesischen
Seite der Insel, weil Mansers Name in
Malaysia immernoch einrotes Tuch ist)
sind eineWucht. Wie schützenswert der
Lebensraum derPenan ist, machen also
alleine schon dieFilmbilder spürbar.

Ohren zuunddurch


EinJammer nur, dass diese Sinnlichkeit
durch den Soundtrack zunichte gemacht
wird. Der libanesischeFilmkomponist
und Oscar-Gewinner GabrielYared

(«The English Patient») verantwor-
tet diese vorPathos triefenden Klänge,
die dieFilmhandlung weniger unter- als
übermalen. Manche Zuschauer mögen
sich fragen: IstYared selbst für eine der-
art ambitionierte Schweizer Produktion
nicht eine Nummer zu gross?
Dass derFilm trotz all seinen Män-
geln sehenswert ist, liegt vor allem an
Sven Schelker. Der 29-jährigeDarstel-
ler ausBasel ist die ideale Besetzung. Er
verkörpert Bruno MansersWandel vom
Aussteiger zum Aktivisten mit grosser
Glaubwürdigkeit – nicht nur, weil er die
meisten seiner Dialoge in derPenan-
Sprache vorträgt.
Seine meisterhafte Körperbeherr-
schung ermöglicht es Schelker immer
wieder, ganz in derRolle seiner histori-
schenFilmfiguren zuverschwinden.Für
seinenAuftritt alsRöbi Rapp in «Der
Kreis» gewann er 2015 den Schweizer
Filmpreis, für jenenals Manser wird
er bei der nächsten Preisverleihung im
Frühjahr garantiert wieder im Schein-
werferlicht stehen.Dass sein Manser
als weisserRetter viel zu hell strahlt,ist
nicht sein Verschulden.

Facetten einer Fanatisierung

Der ambitionierte Zürcher Spielfilm «Al-Shafaq» ze igt die Radikalisi erung eines Sohnes – und fängt die Verzweiflung seiner Eltern ein


URS BÜHLER


Ein Teenager aus Zürich zieht inSyrien
in einen sogenannt Heiligen Krieg:Das
hätte vor zehnJahren noch wie eine abs-
truseFiktion geklungen.Inzwischen ist
es inDutzendenFällen zurRealität ge-
worden. Esen Isik, die schweizerisch-tür-
kischeFilmemacherin mit kurdischen
Wurzeln, zoomt in ihrem zweitenLang-
spielfilm «Al-Shafaq – wenn der Him-
mel sich spaltet» nahe an dasThema
heran. Sie führt uns mitten hinein in
dieKeimzelleFamilie – und zu eini-
gen der stärksten Momente des Schwei-
zer Filmjahrs.


Religiöser Eifer und Gewalt


Wie bei ihrem herausragenden Erstling
«Köpek», in ihrer Herkunftsstadt Istan-
bul spielend und 2016 mit dem Schwei-
zer Filmpreis prämiert, arbeitet die fünf-
zigjährigeAutorenfilmerin tief berüh-
rende Momente aus einem Cocktail aus
religiösem Eifer, Macht und Gewalt her-
aus. Diesmal allerdings in einem erzähl-
technischkomplexeren Gefüge.
Als Handlungsorte dient nebst
Zürich das von Kriegswirren erschüt-
terte türkisch-syrische Grenzgebiet.
Dort wurde auch gedreht, unter zum
Teil sehr schwierigen Bedingungen. Der
Film rückt aber nicht den Krieg ins Zen-
trum, sondern die Geschichte einer Ent-
fremdung:In Rückblenden werden die
unspektakulären Etappen bis zurRadi-
kalisierung desTeenagers aufgerollt.
Die türkischstämmige muslimische
Filmfamilie Kara lebt unter derFuch-
tel des strenggläubigenVaters Abdul-
lah (Kida KhodrRamadan) seit länge-
rem in Zürich. Der ältesteSohn Kadir
(Ali Kandas) und dieTochter Elif (Eda
Gürbüz) scheinen sich im Spagat zwi-
schen denKulturen einigermassen ein-
gerichtetzuhaben.
Der jüngere Sohn Burak indes, un-
sicher,sanftmütig und etwasverträumt,
hat besonders zu kämpfen auf der Su-
che nach seinem Platz in derFamilie
und der Gesellschaft, zwischen Moschee
und nichtmuslimischen Altersgenossen.
Dann kommt er inKontakt mit einer
jihadistisch orientierten Gruppierung,
deren Mitgliedern eingebläut wird:
«Ihr seid die wahren Helden unseres
Glaubens.»
In diesen Kreis eingeführt hat den
Teenager ein zwielichtiger Geschäfts-
mann.Dass dieser ein salafistischer
Mittelsmann ist, ahnt derVater nicht,
als er ihm seinen Sohn anvertraut mit
der Bitte, diesen auf denrechtenWeg zu
führen. Tatsächlich sieht derPatriarch


Abdullah zunächst Buraks verstärk-
tes Interesse für denKoran als erfreu-
liche Entwicklung. Schliesslich haben
seine früherenVersuche, dem Sohn die
Gottesfurcht mit dem Gürtel einzupeit-
schen, so wenig gefruchtet wie der An-
satz der Mutter Emine (BerenTuna),
den Glauben liebevoller zu vermitteln.

«Das ist nichtmein Sohn!»


Als dieFamilie schliesslich merkt,auf
welcheBahn der fanatisierteJüngste
geraten ist, ist es zu spät.Auch die Er-
mahnungen des älteren Bruders – «Man
kämpft doch nicht so für Allah!» – pral-
len an ihm ab. Sein Entschluss,in den
Jihad zu ziehen, ist unumstösslich.
Später sieht die Mutter entsetzt ein
dem Zuschauer verborgenes Video,
wohl Burak inSyrien in Aktion zei-
gend, und es entfährt ihr fassungslos:
«Das ist nicht mein Sohn!» DieVer-
zweiflung und Machtlosigkeit der Eltern
wird so zum prägenden Element der Ge-

schichte,namentlich die Selbstvorwürfe
des Vaters, der sich fragen muss, inwie-
fern er die fatalen Geister rief.
Esen Isik verbindet den Mut zu gros-
sen Gesten und ein Gespür für die fei-
neren Schattierungen des Zwischen-
menschlichen.Nichts wirkt effekthasche-
risch, von den prägenden Erdtönen über
die eindrückliche Bildsprache (Kamera:
Gabriel Sandru) bis zum unaufdringlich
starken Soundtrack (MarcelVaid). Und
die Anlage wirkt deutlich vielschichtiger
etwa als «L’adieu à la nuit», in dem der
französische Altmeister AndréTéchiné
jüngst dasThema in einer Grossmutter-
Enkel-Beziehung gespiegelt hat.
DieRegisseurin selbst ist als Nach-
fahrin verfolgter alevitischerKurden
aufgewachsen, betont aber, atheistisch
erzogen worden zu sein.Vor bald dreis-
sig Jahren floh sie vor denrepressiven
Zuständen ihrer Heimat in die Schweiz
und absolviertespäter dasFilmstudium
an der Zürcher Hochschule derKünste.
Zum Stoff ihres jüngstenWerks inspi-

riert hat sie derFall einer deutschen
Familie aus ihrem Bekanntenkreis,
deren16-jähriger Sohn sich vor rund
fünfJahren den Jihadisten anschliessen
wollte, worauf sie ausführliche Gesprä-
che mit ihmführte.

Starke Schauspielerleistungen


Natürlich kann man dieWege derRadi-
kalisierung innert neunzig Minuten nur
andeuten,es bleiben vieleFragen und
Lücken offen. Mosaiksteinchen werden
ausgelegt, die sich am Ende eher dra-
maturgisch als argumentativ zu einem
Ganzen fügen. Man kann dem Dreh-
buch durchaus anlasten, zu vieleFragen
stehen zu lassen.Das Fragmentarische
und Sprunghafte, mitunter hoheAnfor-
derungen an das Publikum stellend, ist
hier allerdings nicht bloss ein erzähleri-
scher Kniff. Es spiegeltauch die Brüche
und die Zerrissenheit in den Biografien.
Gleichzeitig lässt derFilm in seinenraf-
finiert und entsprechend anspruchsvoll

verwobenen Handlungsebenen vieles in
der Schwebe.Das ist schon imTitel an-
gedeutet: «Al-Shafaq» ist das arabische
Wort fürDämmerung, und diese kann
die Nacht ebenso einleiten wie denTag.
Dass sich das Ganze mit Leben füllt,
ist auch dem überzeugendenDarstel-
lerensemble zu verdanken – vom Zür-
cher Ismail Can Metin,der als Burak
ein famoses Debüthinlegt, über Be-
renTuna, die schon in «Köpek» vollauf
überzeugte, bis zu AhmedKour Abdo:
Der syrische Flüchtlingsjunge spielt
einen ebensolchen namens Malik, der
aus nächster Nähe die Ermordung sei-
ner kurdischenFamilie hat miterleben
müssen – durch Jihadisten.Ausgerech-
net in der Begegnung mit diesem Buben
in d er Türkei liegt der Schlüssel zu einer
womöglich versöhnlichenWendung für
den Vater. DessenAussicht auf ein Hap-
py-End allerdings wird schon in der Ein-
stiegsszene gekappt–als er die Leiche
des gefallenen Sohns im syrisch-türki-
schen Grenzgebiet abholt.

Dersyrische Flüchtlingsbub AhmedKour Abdo (2.v.l.) glänzt in derRolle von Malik, dessenFamilie von Jihadisten heimgesucht wird. PD
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