Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

Freitag, 8. November 2019 INTERNATIONAL


INTERNATIONALE AUSGABE


Ein bisschen Frieden zeichnet sich in Jemen ab

DieSeparatisten im Süden und die international anerkannte Regierung haben sich auf eine Machtteilung geeinigt


CHRISTIAN WEISFLOG, BEIRUT


Einfach zu verstehen war der Krieg in
Jemen noch nie. Doch im vergangenen
Sommer geriet er völlig ausserKon-
trolle. Bis dahin verlief die eigentliche
Front zwischen den mit Iran verbandel-
ten Huthi-Rebellen im Norden und der
international anerkanntenRegierung im
Süden, zu deren Gunsten Saudiarabien
und dieVereinigtenArabischen Emirate
vor vierJahren ihre Militärintervention
begonnen hatten. Das Kriegsziel der
bei den su nnitischenGolfmonarchien
schien klar: Die vonTeheran unter-
stützten schiitischen Huthi-Rebellen
sollten besiegt und dieKontrolle über
die Hauptstadt Sanaasollt e ihnen wie-
der entrissen werden.


Islamistenspalten Koalition


Doch innerhalb der saudisch-emirati-
schenKoalition zeichnen sich seit län-
geremgrosse Differenzen ab.Den Emi-
raten ist neben den Huthi auch die isla-
mistische Islah-Partei ein Dorn imAuge.
FürAbu Dhabi ist sie ein Ableger der
Muslimbrüder. Um deren Einfluss in
Jemen einzudämmen, unterstützten die
Emirate ab 2017 den SouthernTransi-
tional Council. Dieser will imSüden
Jemens einenunab hängigen Staater-
richten, wie es bereits von1967 bis 1990
der Fall war. Saudiarabien jedoch will
eine SpaltungJemens unbedingt verhin-
dern und hält an der «legitimenRegie-
rung» von Präsident Abedrabbu Man-
sur Hadi fest. Dieser jedoch stütztseine
Macht unter anderem auf die einfluss-
reiche Islah-Partei.
Im August brach dieserKonflikt in
einen offenen Krieg aus. Die Separa-
tistenübernahmen die südliche Hafen-
stadtAden vollständig und vertrieben
Hadis Einheiten.Aden galtbis dahin als
die temporäre Hauptstadt der interna-
tional anerkanntenRegierung, in deren


Namen Riad und Abu Dhabi ursprüng-
lich inJemen interveniert hatten.Wie
aber sollten die Golfstaaten ihrenFeld-
zug nun weiterrechtfertigen, wenn die
«legitimeRegierung», die sie eingeladen
hatte, faktischkeine Macht mehr hatte,
weil ihr dasLand unter denFüssen weg-
gezogen wurde?
Zumindest auf demPapier hat Saudi-
arabien diese drängendeFrage gelöst.
WährendWochen hatte Riad zwischen
Präsident Hadi und den Separatisten

vermittelt.Am Dienstagabend wurde
das Abkommen unter denAugen des
saudischen Kronprinzen Mohammed
bin Salman in Riad unterzeichnet. Die-
ses sieht einerseits eine paritätische
Machtteilung zwischen denKonflikt-
parteien vor. Andrerseits übernimmt
Saudiarabien die Hauptverantwor-
tung für die Umsetzung derVereinba-
rung,während dieVereinigten Arabi-
schen Emirate ihren imJuli begonne-
nen Rückzug fortsetzen.

In den nächsten 30Tagen soll eine
Regierung gebildet werden, die je zur
Hälfte aus Ministern der beidenKon-
fliktparteien besteht. Gemässdem Ab-
kommen wird das neue Kabinett von
Präsident Hadi vereidigt. Sein künfti-
ger Sitz soll inAden sein, von woalle
bewaffneten Einheiten und schweren
Waffen abgezogen werden müssen. Die
militärischen Einheiten der Separatis-
ten sind angewiesen, sich innerhalb von
zwei Monaten dem Befehl desVerteidi-

gungsministeriums zu unterstellen. Zu-
dem sollen alle Staatseinnahmen zu-
nächst in derZentralbank inAden de-
poniert werden.
DieUmsetzung des Abkommens
wird von Saudiarabien überwacht, wäh-
rend die Emirate ihre Präsenzin Jemen
weiter zurückfahren. Bereits vor einer
Woche hatte Abu Dhabi mitgeteilt, alle
seineTruppen ausAden abgezogen zu
haben. Man werde inJemen aber wei-
terhin «terroristische Organisationen»
bekämpfen.Was auch immer damit ge-
meint sein könnte, die Formulierung
lässt einen breiten Spielraum offen.

Erfolgfür Separatisten


Auch wenn sie ihr Ziel eines unabhängi-
gen Staates nicht erreicht haben,bedeu-
tet das Ab kommenauch für die Sepa-
ratisten einen Erfolg. Bisher wurden
sie und ihre Interessen von Riad nicht
anerkannt. Nun werden sie womöglich
auch amTisch sitzen, wennes imRah-
men der Uno-Friedensgespräche darum
geht, einenAusgleich mit den Huthi zu
finden. Ein saudischer Offizieller, der
nicht namentlich genannt werden will,
bestätigte am Mittwoch, dass Riad mit
den Huthi inKontakt steht.
SeitdemverheerendenRaketen-und
Drohnenangriff auf die saudischen Erd-
ölanlagen Mitte September haben die
Huthiihre zuvorregelmässigenAttacken
aufZieleinSaudiarabieneingestelltund
300Gefangenefreigelassen.Riadseiner-
seits fliegtweniger Luftangriffe und hat
Treibstofflieferungen in Huthi-Gebiete
zugelassen. Angesichts der zunehmen-
den Spannungen mit Iran wäre eine Be-
friedung der Südflanke für Saudiarabien
eine wichtige Entlastung. Mit Blick auf
die unzähligenKonfliktlinien und die
vielen Stolpersteine scheinen die Chan-
cen auf einen baldigenFrieden inJemen
zwar immer noch gering.Aber sie waren
lange nicht mehr so gross wie jetzt.

Die Kronprinzen vonAbu Dhabi und Saudiarabien undJemens Präsident (v.l.) unterzeichnen in Riad einAbkommen. H. AL KAABI/EPA

Die Guineer haben genug


von Langzeitherrschern


Wochenlange Proteste gegen eine dritte Amtsze it des PräsidentenAlpha Condé


DAVID SIGNER,DAKAR


Die Namen Conté und Condé unter-
scheiden sich nur minimal, und tatsäch-
lich werden sich beideMänner immer
ähnlicher.Aber es gab eine Zeit, da
lagenWelten zwischen dem ehemaligen
Präsidenten Guineas, Lansana Conté,
und dem damaligen Oppositionellen
und jetzigen Staatschef Alpha Condé.
2010 wurde Condé zum ersten wirklich
demokratisch gewählten Präsidenten
des rohstoffreichen, aber mausarmen
Staates inWestafrika.Nach der 25-jähri-
gen Diktatur Contés herrschten Erleich-
terung und Euphorie imLand.
2015 wurde Condé wiedergewählt.
Nach zwei Amtszeiten wäre lautVer-
fassung nun Schluss.Aber offenbar
kann er es nicht lassen. Seit länge-
rem streut er Andeutungen inReden
und Interviews, dass er dieVerfassung
ändern und 2020 ein drittes Mal kandi-
dieren möchte.Am 14.Oktober wurde
es den Guineern zu viel. Seither haben
die Proteste gegen den sturen 81-Jähri-
gen nicht mehr aufgehört.15 Demons-
tranten und einPolizist wurden bis-
her laut der Oppositiongetöt et, Dut-
zende verletzt. Noch am Montag trug
man Todesopfer zu Grabe, die Bestat-
tung verwandelte sich in eine Demons-
tration, die eskalierte und bei der zwei
weitere junge Männer getötet wurden.


Wut und Trauer


DieWut gegen Condé mischt sich in den
Stellungnahmen der Demonstranten
mischt mit Enttäuschung undTrauer.
Trauer darüber, dass ein weiterer alter
Mann auf demKontinent, dessenVer-


dienste alle anerkennen,es nicht fer-
tig bringt, sich würdig zurückzuziehen.
Kaum jemand will eineRevolution oder
einen Sturz – nur normaleWahlen und
einen friedlichen Übergang.
Das kleineLand mit seinen 13 Millio-
nen Einwohnernhätte idealeVorausset-
zungen, um zu prosperieren. Nirgendwo
auf derWelt existieren so riesigeEisen-
vorkommen wie im Süden Guineas. Im
Nordwesten desLandes befinden sich
die grösstenBauxit-Reserven der Erde,
und im Nordosten gibt es Gold und Dia-
manten. Aber die schwachen Institutio-
nen und die verbreiteteArmutmachen
das Land anfällig fürKorruption.Für
internationaleFirmen ist es ein Leich-
tes, einen schlechtbezahlten Minister zu
bestechen, um an eine billige Schürf-
lizenz zu gelangen. Sokommt es, dass
das Volk nichts hat von all denReich-
tümern unter Guineas Boden. Es bleibt
ungebildet und arm und kann denAus-
beutern nichts entgegensetzen.
Die Schwierigkeiten begannen schon
1958.Im Gegensatz zu anderen ehemali-
gen Kolonien entschiedensich die Gui-
neer in einer Abstimmung für vollstän-
dige Unabhängigkeit undAblösung von
Frankreich. Der erste Präsident, Sékou
Touré, verspürte absolutkeine Lust,
freundschaftlich mit dem «Mutterland»
verbunden zu bleiben.Charlesde Gaulle
brüskierte er mit denWorten «Wir zie-
hen Armut inFreiheit einemReichtum
in der Sklaverei vor». Paris tat in den fol-
gendenJahren alles, um Guinea zu sabo-
tieren und zu destabilisieren. Gleich-
zeitig wandte sich SékouTouré der So-
wjetunion zu, schottete seinLand ab und
regierte wie ein afrikanischer Möchte-
gern-Stalin. Als er1984 starb, nach 26

Jahren an der Staatsspitze, hinterliess
er ein ruiniertesLand. Schätzungsweise
50 000 Menschen,die Intelligenzia Gui-
neas, hatte er umbringen lassen.

BittereEnttäuschung


NachTourésTod übernahm Oberst
Lansana Conté die Macht und liess sich
mehrmals in Pseudo-Wahlen im Amt
bestätigen.Auch er führte den Staat
fast einVierteljahrhundert lang, bis er
2008 an Leukämie starb. Sofort über-
nahm danach das Militär unterDadis
Camara dieKontrolle und machte die
zög erliche Demokratisierung der letz-
ten Jahre rückgängig.Aber dann wurde
Camara bei einem Attentat schwer ver-
letzt, und sein Stellvertreter beraumte
Wahlen an, die Alpha Condé im Sep-
tember 2010 gewann.
Condé hatte inParis studiert und war
Professor an der Sorbonne gewesen.
Unermüdlich hatte er sich für Demo-
kratisierung eingesetzt und mehrmals
erfolglos als Präsident kandidiert.Sékou
Touré hatte ihn inAbwesenheit zumTod
verurteilt, Conté ihn ins Gefängnisge-
worfen. Es galt fast alsWunder, dass
Condé es mit 72Jahren doch noch ins
Präsidentenamt schaffte.
Umso bitterer ist nun die Erfahrung,
dass auch er sich an die Macht klammert.
Die Protestegegen Condé gehen über
Guinea hinaus. Blogger in Côte d’Ivoire
und Senegal nehmen Anteil an den Ge-
schehnissen im Nachbarland, weil die
dortigen Präsidenten Ouattara und Sall
ebenfalls mit einer verfassungswidrigen
dritten Amtszeit liebäugeln. Offensicht-
lich nimmt die Sensibilität für die frühen
Symptome der Machtversessenheit zu.

Anschlag in Thailand


forder t 15 Todesopfer


Angriff auf Milizionäre im muslimischen Süden


MANFRED RIST, SINGAPUR

In der südthailändischen ProvinzYala
sind bei einem Angriff auf ein Dorf 15
Personengetötetworden;beidenOpfern
handelt es sich hauptsächlich um Mili-
zionäre, die Schutzaufgaben im Grenz-
gebiet zu Malaysia hatten. Die Angrei-
fer seien mitSchusswaffen und Grana-
ten über die Siedlung hergefallen,sagte
ein Sprecher desVerteidigungsministe-
riums am Mittwoch.Sie sprengtenKom-
munikationseinrichtungenundzündeten
Autos an.NebendenTodesopfernsolles
mehrereVerletzte geben.

SeparatistischerTerror


Im muslimischen Süden desKönigreichs
sind kleinere Zwischenfälle zwischen
Separatisten und Armee- oderPolizei-
angehörigen fast an derTagesordnung.
Aber ein Massaker in diesemAusmass
sprengt den üblichenRahmen. DieAtta-
cke geht höchstwahrscheinlich auf das
Konto von Separatisten. Sie deutet an,
dass sämtliche Friedensbemühungen
zwischen der Zentralregierung inBang-
kok und den nachAutonomie und Un-
abhängigkeit strebenden Gruppierun-
gen am Nullpunkt angelangt sind.
Der Anschlag galt dem DorfLam
Phaya im Distrikt Muang. Die etwa
zehn Angreifer kamen kurz vor Mitter-
nacht zuFuss durch Kautschukplanta-
gen. Sie streckten die Sicherheitsleute,
die indieserKonfliktzone stationiert
waren, sowie den Dorfvorsteher und
das Verwaltungspersonal nieder und
erbeuteten Schusswaffen ab. Bekenner-
briefe sind in diesemschwelenden Bür-
gerkrieg unüblich.

Aus Bangkok, wo man denKonflikt
indendreimalaiisch-muslimischgepräg-
ten ProvinzenYala,Pattani und Narathi-
watherunterspielt,gibteskeineoffizielle
Reaktion. Aber vieles deutet auf das
Werk muslimischerTerrorgruppen hin,
die unter Hinweis auf historische, eth-
nische, kulturelle undreligiöseWurzeln
eineLoslösung vomKönigreich anstre-
ben.UnterdenAufständischenimSüden
spielt dieBarisanRevolusi Nasional
MelayuPatani(BRN)einemassgebende
Rolle.Als Urheberkommen aber auch
andere Gruppierungen infrage.

Perfides Signal nach Bangkok


Der Zeitpunkt des Anschlags – nur
einenTag nach dem Ende des EastAsia
Summit inBangkok – sorgte für erhöhte
Aufmerksamkeit und sandte ein deut-
liches Signal an die thailändischeRegie-
rung: Ohne echteVerhandlungen und
Zugeständnisse gibt eskeinen Frieden.
Terrorexperten machen auf einen
wichtigen Unterschied zu anderen mus-
limisch geprägtenKonfliktgebieten in
Südostasienaufmerksam,etwaimSüden
der Philippinen und in Indonesien.Dort
bestündenKontakteundKooperationen
zur internationalenTerrorszene. In Süd-
thailandgebeesdafürbisjetztkeineAn-
zeichen.Der dort gärende Separatismus
stehe in Zusammenhang mit der Iden-
titätsfrage, nämlich der ethnischen und
kulturellenAndersartigkeitderMalaien,
derenGebiete1909demKönigreichSiam
zugeschlagen wurden. Seither habe jede
Zentralregierung inBangkok auf eine
Thai-Assimilierung gedrängt,regionale
Autonomielösungen abgelehnt und eine
erdrückende Militärpräsenz aufgebaut.
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