Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

Freitag, 8.November 2019 WIRTSCHAFT 9


INTERNATIONALE AUSGABE


NZZ SWI SS INTERNATIONAL FINANCE FORUM


Existenzfrage für Notenbanken


Bitcoin und Libra machen den Währungshütern Dampf


CHRISTOPH EISENRING,RÜSCHLIKON


Das 20.Jahrhundert war dominiert von
Notenbanken mit ihrem Währungs-
monopol. Dieses wird nun herausgefor-
dert durch privateWährungen wie Bit-
coin und Libra. Doch privateWährun-
gen gab es auch schon in derVergangen-
heit,man denkeandas19.Jahrhundert,
als Banken eigeneWährungen her-
ausgaben. Und in der Schweizkennt
man etwa das WIR-Geld, eineParal-
lelwährung, die von KMU akzeptiert
wird. Es ist zwar einfach, privateWäh-
rungen herauszugeben, aber unendlich
viel schwieriger, einen grossen Kreis von
Personen dazu zu bewegen, diese zu hal-
ten. Dieses Problem steht auch einer
raschenVerbreitung digitalerWährun-
gen imWeg, wie an einerPanel-Diskus-
sion imRahmen des NZZSwiss Inter-
nationalFinanceForum inRüschlikon
deutlich wurde.


E-FrankenfürdieBörse


Offen gegenüber solchen Innovatio-
nen gab sich ausgerechnet derVertre-
ter einessolchenMonopolisten.Tho-
masMoser,stellvertretendes Mitglied
des Direktoriums der Schweizerischen
Nationalbank (SNB), begrüsste die neue
«privateKonkurrenz».Sollten private
Währungen gewisse Geldfunktionen
besser abdecken als das herkömmliche
Notenbankgeld, dann müsste das dem
Staat zu denken geben, sagte er. Gleich-
zeitig strich er dieWettbewerbsvorteile
von Notenbankgeld hervor. So gibt es
kein Kreditrisiko,und in Sachen Liqui-
dität ist Notenbankgeld privaterKon-
kurrenz immer noch weit voraus.
Die SNB ist punkto digitalen Geldes
selbst aktiv geworden. Sie wird digitales
Geld anbieten, das auf der Blockchain-
Technologie basiert. Allerdings nicht
für den Privatgebrauch und auch nicht
fürTr ansaktionen über dieLandesgren-
zen hinweg,wo digitaleWährungenVor-
teile bietenkönnten.Esgeht der SNB in
einemersten Schritt vielmehr darum, für
dieTeilnehmer der Schweizer Börse SIX
mithilfe von E-Franken die Abwicklung
effizienter zu gestalten.
Eine geradezu euphorische Sicht
auf die jüngsten Entwicklungen vertrat
ValeryVavilov, was bei einem Block-
chain-Entrepreneur auch nicht unbe-
dingt überraschen mag. In Libra sieht er
nichts Geringeres als eineRevolution in
der Art desWirtschaftens. AufInitiative


vonFacebook hat sich eine Gruppe von
Firmen zusammengetan (wobei einige
wieVisa, Mastercard oderPaypal be-
reits wieder abgesprungen sind), um
diesen «stable coin» zu lancieren. Hier-
bei handle es sich um einenkollabora-
tiven Ansatz, der das vorherrschende
Wettbewerbsmodell immer öfter ab-
lösen werde, sagteVavilov.Auch die
Digitalwährung Bitcoin lobte er in den
höchstenTönen. Sie sei noch nie ge-
hackt worden und diene mittlerweile
alsWertaufbewahrungsmittel für 150
Mrd. $.Das Schürfen von Bitcoins brau-
che viel Elektrizität, sagte er als Ant-
wort auf eine Kritik. Doch auch die
Prägung von Münzen verschlinge viel
Energie, argumentierte er.

FehlendeIdentifikation


Erwartungsgemäss blieb seine Sicht
nicht ohne Widerspruch: Professor
Alexander Lipton wies auf die enor-

menWertschwankungen vonBitcoin
hin, weshalb sich dieses digitale Geld
kaum als Wertaufbewahrungsmittel
eigne.Auch an Libra liess derFin-
tech-Spezialist und Mathematikerkein
gutes Haar. DerTaktgeber des Projekts,
Facebook, sei kürzlich mit5Mrd.$ge-
büsstworden, weiles Defizite beim
Schutz privaterDaten gegeben habe.
Das seien denkbar schlechteVorausset-
zungen fürein solches Projekt. Libra
beruht im Gegensatz zuBitcoin auf
einemWährungskorb und gilt deshalb
als «stable coin». Lipton warnte ferner
vor der Hoffnung, dass Libra für Ent-
wicklungsländer ein Segen seinkönnte.
Hier liege das Defizit in der fehlenden
Identifikation, die unabdingbar sei, um
an einem digitalen Zahlungssystem teil-
zunehmen.
In einem Punkt waren sich diePanel-
Teilnehmer einig. Die Notenbanken
werden nichtdarum herumkommen,
selbst digitales Geld anzubieten, wenn

sie ihreRolle behalten wollen. Und
wenn eine Gruppe von Notenbanken
zusammenspannen würde, könnten
schnelle länderübergreifende Überwei-
sungen auf Blockchain-BasisRealität
werden. In jedemFall bleibt die Iden-
tif ikation derTeilnehmer anTr ansaktio-
nen die grösste Herausforderung.Mit
dem analogenPasskommt man hier
nicht weiter. Die Identifikation dürfte
künftigauf biometrischenDaten be-
ruhen, vielleicht auf der Iris, demFin-
gerabdruck oder der Stimme.Wenn
dieseFrage geklärt ist, steht einem digi-
talenPortemonnaie mit privat ausge-
gebenen sowie digitalenWährungen
von Notenbanken nichts mehr imWeg.
Dass Notenbanken wie die SNB sich
mit digitalenWährungen befassen,ist
dabei der privatenKonkurrenz von Bit-
coin et al. zu verdanken. DerWettbe-
werb – undnicht so sehr eine angeb-
lich neue Ära derKooperation – wirkt
alsoweiterhinWunder.

Blickineine Einrichtung zum Schürfen einer Kryptowährungim WalliserDorf Gondo. VALENTIN FLAURAUD/KEYSTONE

WennBanken


doch bloss


wie Netflix wären


Geschäftsmodelle von Tech-und
Unterhaltungsfirmen als Vorbild

DANIEL IMWINKELRIED,RÜSCHLIKON

Wenn sichBankmanager heutzutage
treffen,reden sie mit einem gewissen
Neid vonFirmen-Newcomern wie Net-
flix,Facebook oder Uber. Das ist auch
amSwiss InternationalFinanceForum
(SIFF) derFall. Die vornehmlich aus
den USA stammenden Gesellschaften
haben es in kurzer Zeit geschafft,ein
Geschäft aufzubauen und dieKunden
eng an sich zu binden. Und sie wissen
ziemlich genau, wer ihre Nutzersind
und welcheVorlieben diese haben.

Banking – einAlltagsprodukt


Davon sind dieBanken weit entfernt.
Viele ihrer Dienstleistungen stehen
unter einem starken Margendruck, und
das Geschäft wächst kaum mehr.Aus
der Sicht derKunden muss eineBank
einfach funktionieren, zumal deren
Produkte nicht dieselbe Anziehungs-
kraft auf sie ausüben wie beispielsweise
eine neue Netflix-Serie. Finanzhäuser
würden Hypotheken verkaufen, dabei
möchte derKunde dochein Haus,sagte
ein Berater zum grossenParadox des
Bankgeschäfts am SIFF.
Zumindest den neuartigen Smart-
phone-Banken scheint es aber gelungen
zu sein, denKunden eine gewisse Client-
Experience zu vermitteln, auch wenn
das mittlerweile ein überstrapaziertes
Schlagwort ist.AufRevolut gab es etwa
einenAufruf im vergangenen Sommer,
für den brennendenRegenwald Bra-
siliens Geld zu spenden. Und die Nut-
zer desFinanzdienstleisters sahen, ob
Freunde ebenfalls Geld dafür gaben.
Tagungsteilnehmer machten den
Banken allerdingsMut. Noch sei es nicht
zu spät, das Geschäftsmodell neu zu
konstruieren. Man müsse nicht einFirst
Mover sein, sondern einFastFollower.

Als Beispiel dafür diente dieAutobran-
che.Tesla verliert viel Geld, und mitt-
lerweile scheint es, als ob die etablier-
ten Hersteller bei E-Automobilenrasch
aufholten.

Newcomer wachsen rasch


Für Banken besteht aber das Risiko,
und davon war am SIFF ebenfalls häu-
fig dieRede, dass die Newcomer den
Etablierten viele Geschäfte wegneh-
men. Die Smartphone-BankRevolut
hat hierzulande angeblich mittlerweile
25 00 00 Kunden; in den vergangenen 14
Monaten ist sie in der Schweizrasant ge-
wachsen. SelbstreifereSemester zücken
mittlerweile gerne die Kreditkarte des
Unternehmens, um sich ein modernes
Image zu geben.
Nochkönnen sich dieBanken des An-
sturms der Newcomer einigermassen er-
wehren. Doch wenn selbst der Grossteil
derTeilnehmer an einer Diskussions-
runde am SIFF auf eine entsprechende
Frage des Diskussionsleiters sagt, man
nutze mittlerweileRevolut, wird die Zeit
für die etabliertenBanken vielleicht
langsam knapp. DieFinanzhäuser müss-
ten ihreWahrnehmung, was dennBan-
king überhaupt sei, ändern, sagteFrede-
rik Gregaard vom Experience Center,
einer Einrichtung der Beratungsfirma
PWC. Gleichsam hinter demRücken der
Banken entstündenFinanzgeschäfte, die
nicht von ihnenbedient würden. So wür-
den im Bereich E-Sports Millionen von
Tr ansaktionen abgewickelt, ohne dass
dieBanken darin involviert seien.

Das Ende der Privatsphäre


Unternehmen wie Facebookoder Amazonkennenihre Kundenbesserals diese sichselbst


ERMESGALLAROTTI, RÜSCHLIKON


Das Ende des Privatenist da: Das ist die
Botschaft von MichalKosinski, Profes-
sor an der Stanford University, an die
Besucher des diesjährigenSwiss Inter-
nationalFinanceForum. Bereits auf der
Basis der Likes, die Nutzer vonFace-
book posten, ist es heute ein Leichtes,
mit einerTr efferquote von 70 Prozent
und mehr ihr Geschlecht,ihre politi-
sche Einstellung oder sexuelle Orien-
tierung festzustellen. Möglich machen
das Algorithmen, mit denen die gesam-
meltenDaten auf Zusammenhänge und
Gesetzmässigkeiten analysiert werden.
Mittlerweile sind die Maschinen so
weit, dass sie sogar diePersönlichkeit
eines Individuumsbesser einschätzen
können als seine Mitmenschen. Schon
auf derBasis von 10 Likes ist ein Algo-
rithmus in derLage,einePerson besser
zukennen als derenFreunde. Rund 250
Li kes versetzen die Maschine sogar in
dieLage, einen Ehemann besser zuken-
nen als es dessen Ehefrau tut, die täg-
lich mit ihm zu tun hat.LautKosinski
ist es nicht mehr möglich, dieKontrolle
über die eigenenDaten zurückzuerlan-
gen.Wenn esRegierungen nicht schaf-


fen,Daten zukontrollieren – wie sol-
len es Privatpersonen tun?Kosinskirät
denn auch von einem solchenVorhaben
ab und empfiehlt vielmehr, sich Gedan-
kenüber die neueRealität zu machen,
in der eskeine Privatsphäremehrgibt.

Konzentration auf Kerngeschäft


Das Vordringen des Digitalen in alle
Lebensbereiche ist nicht zuletzt auch
fürBanken ein grossesThema. Immer
mehrKunden verkehren auf digitalen
Kanälen mit ihrenBanken, führen un-
abhängig von Ort und ZeitTr ansaktio-
nen durch, nehmen Zahlungen vor oder
kontrollieren ihre Depots.Vor die-
sem Hintergrund ist es für UrsRoh-
ner,Verwaltungsratspräsident der Cre-
dit Suisse, von entscheidender Bedeu-
tung, dass sichBanken darüber klar-
werden, was ihrKerngeschäft ist. Alles,
was nicht dazugehört, kann aus seiner
Warte an Dritte ausgelagert werden. Zu-
dem muss es lautRohner darum gehen,
möglichst viele Prozesse zustandardisie-
ren, zu automatisieren und zu digitalisie-
ren. Denn in einer digitalenWelt neigen
Banken dazu, strukturell zu hoheKos-
tenblöcke vor sich herzuschieben.

Anders alsRohner ist CorneliaSten-
gel,Rechtsanwältin undKennerin der
SchweizerBankenwelt, der Meinung,
dass die hiesigenBanken in Sachen
Digitalisierung nocheinenlangenWeg
vor sich haben und imVergleich mit der
ausländischenKonkurrenz imRück-
standsind. Einen Grund dafür ortet die
Juristin in der prinzipienbasiertenRegu-
lierung der Schweiz. Behörden undBan-
ken sind aus ihrer Sicht stark gefordert,
wenn es darum geht, Prinzipien in ope-
rableRegeln umzugiessen.

Versicherer mitNachholbedarf


Schwerer alsBanken tun sich dieVer-
sicherer mit der Digitalisierung – sie
investieren mit gerade einmal 3,6%
ihres Budgets nur halbso viel in die
IT wie dieBanken. PiaTischhauser,
Mitglied derKonzernleitung von Bos-
ton Consulting Group,wünscht sich,
dassVersicherer in Zukunft mehr tun.
Potenziale sieht sie beispielsweise im
Aufbau von Ökosystemen, in denen
Versicherungsunternehmen mit Fin-
tech-Firmen zusammenarbeiten und
innovative Produkte und Dienstleistun-
gen entwickeln. Die Hoffnungkeimt,

dasseine Neuauflagevon bisher ge-
scheiterten Allfinanzangeboten, dank
dem nunmehr weitentwickelten digi-
talen Instrumentarium, Erfolg haben
könnte.Warum soll ein Hypothekar-
kunde mit einigen zusätzlichen Klicks
nicht auch eineVersicherung abschlies-
senkönnen, die bei Unfall oder Krank-
heit einspringt und die Bedienung des
Kredits übernimmt?
Die Digitalisierung kann nichtbei
Banken undVersicherungen haltma-
chen, sondern muss auch die Börsen-
infrastruktur erfassen. Derzeit ist die
Swiss Digital Exchange im Entste-
hen, die auf derBasis der Blockchain-
Technologie die Emission, den Han-
del, die Abwicklung undVerwahrung
vonWertpapieren neu institutionalisie-
ren will.LautRomeoLacher, Präsident
der Schweizer Börse SIX, soll es mög-
lich werden, eineTr ansaktion nicht mehr
innert Stunden oderTagen, sondern
ohne zeitlicheVerzögerung durchzufüh-
ren. Die technologischeBasis besteht
bereits, aber derAuf- undAusbaupro-
zess hat immer noch explorativen Cha-
rakter. Erste Produkte sollen lautLacher
in der zweiten Hälfte 2020 auf der neuen
Infrastruktur gehandelt werden.

«Hinter dem Rücken
der Banken entstehen
Finanzgeschäfte,
die nicht von ihnen
bedient werden.»

Frederik Gregaard
PWC Schweiz
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