Focus - 02.11.2019

(Barré) #1
TITEL

Foto: Britt Schilling/Universitätsklinikum Freiburg


FOCUS 45/2019 73

ein Verwandter des Doxycyclins, Men-
schen von hartnäckigen Depressionen
befreit. „Hinweise auf eine Wirkung des
Minocyclins bei schizophrenen Patien-
ten ergaben sich bereits aus früheren
Studien“, erklärt Forschungsleiter Juli-
an Hellmann-Regen. Jetzt geht es um
schwere Depressionen.
Andere Experten derselben Klinik
experimentieren mit der Verabreichung
von Statinen. Diese Arzneimittel senken
vor allem das Cholesterin im Blut, beein-
flussen aber auch das Immunsystem. Vor
wenigen Tagen erschien eine große bri-
tisch-australische Studie. Sie wertete die

Schranke und beeinflussen die Kommu-
nikation zwischen den Nervenzellen.
Ein Zusammenhang zwischen Immun-
system und Depressionen lasse sich in
ähnlicher Weise bei der multiplen Skle-
rose (MS) beobachten, einer Autoimmun-
erkrankung, an der Gold forscht. Auch
MS ist eine entzündliche Erkrankung
des zentralen Nervensystems. In ihrem
Fall zerstören außer Kontrolle gerate-
ne Immunzellen den Schutzmantel der
Nervenfasern im Gehirn (s. Grafik S. 75).
Deshalb verlieren die Patienten teilweise
ihre Beweglichkeit. Depressionen sind
unter MS-Kranken sehr häufig.
Welche Art von Erregern es besonders
oft schaffen, vom Körper aus das Gehirn
anzugreifen und psychische Krankheiten
auszulösen, wissen die Experten noch
nicht so genau. Tebartz van Elst nennt
Herpesviren. Sie könnten die Bildung
von aggressiven Antikörpern hervorru-
fen. Der Forscher Konstantin Schlaaff
von der Universitätsklinik Magdeburg
hat Masernviren in Verdacht. Jedenfalls
spricht sehr viel dafür, sich nach Möglich-
keit vor Infektionskrankheiten zu hüten
und das Immunsystem gut in Schuss zu
halten (s. auch S. 78).
„Die meisten Patienten sind sehr dank-
bar, wenn wir einen immunologischen
Vorgang als Ursache ihrer psychischen
Krankheit diagnostizieren“, sagt Tebartz
van Elst. Das ist schon deswegen nach-
vollziehbar, weil viele zu diesem Zeitpunkt
mehrere erfolglose Behandlungen mit Psy-
chopharmaka hinter sich haben, wie es
etwa bei dem Patienten in der Berliner
Schlosspark-Klinik der Fall war. Neben Cor-
tison, das bei vielen Krankheiten Immun-
reaktionen und Entzündungen dämpft,
versuchen Psychoimmunologen noch auf
andere Arten, das körpereigene Abwehr-
system zu beruhigen. So unterziehen sie in
hartnäckigen Fällen Patienten einer Plas-
mapherese, einer Blutwäsche, die Unheil
stiftende Antikörper herausfiltern soll.

Wie ein Schwelbrand im Gehirn
Manche Fälle verlaufen extrem. In den
USA lebt eine Frau, die man als Patientin
Zero der Immunattacken auf das Gehirn
bezeichnen könnte. Die New Yorker Jour-
nalistin Susannah Cahalan war 24 Jahre
alt, als sie im Jahr 2009 von einem Tag
auf den anderen zu einem schweren Fall
für die Psychiatrie wurde. Sie kreischte
und schlug um sich, dann wieder erstarr-
te ihr Körper. Cahalan hatte Glück. Der
Schwelbrand in ihrem Gehirn wurde

Wirkung von antientzündlichen Mitteln –
darunter Minocyclin, aber auch Aspirin –
bei schweren Depressionen statistisch
aus und kam zu dem Schluss, dass sie
wirken, insbesondere kombiniert mit
Psychopharmaka.
Auf verschiedenen Wegen können
Signale des Immunsystems das Gehirn
erreichen, sagt Stefan Gold, der eben-
falls an der Charité arbeitet. Etwa über
den Vagusnerv – die direkte Achse zwi-
schen inneren Organen und Gehirn;
oder es gelangen von Immunzellen pro-
duzierte Zytokine beziehungsweise die
Immunzellen selbst durch die Blut-Hirn-
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