NZZ-Verlagsbeilage6. November 2019
Wie der Reichsbaumeister
Floris Alkemade die raumplane-
rischen Probleme inden Nieder-
landenlösen will, erzählt er im
Interview.
Floris Alkemade, Sie s ind Reic hsbau-
meister der Niederlande.Sind Sie mehr
Architekt oder mehr Vordenker für
Fragen von Städtebau und Raumpla-
nung?
Ich bin beides.Ich bin der starken Über
zeugung,dass die Denkweisevon Archi
tekten über deren eigentliches Tä
tigkeitsgebiethinauswirkensollte. Es
gehtdarum, Veränderungen zuorgani
sieren.Die Funktiondes Reichsbaumeis
tersist einmalig, weil sichinihr Archi
tektur und Politik treffen. Das ist
interessant, weil Architekten jaimmer
Lösungen erarbeiten. Als Reichsbau
meister kannich auchschondie Fragen
definieren.Esist dieselbeArt des kreati
ven Denkens, nur ineiner früherenund
vermutlich wichtigeren Phase. Als
ReichsbaumeisterbinichBeraterder
staatlichen Liegenschaftenabteilung für
Architekturund Umgebungsgestaltung
von staatlichemBesitz. Darüber hinaus
berateich die Regierung inFragender
architektonischen Qualität sowie der
Raumplanung ganzallgemein. Diese Tä
tigkeit kombiniereich mit der Arbeit für
meine eigenenArchitekturbüros FAA und
Bau+, wobei ich mit diesemvorallemin
Frankreichtätig bin.Zuvorwar ich wäh
rendachtzehnJahrenfür dasBüroOMA
von RemKoolhaastätig,die letzten sie
ben Jahre als Partner. Umzusammenzu
fassen:Ich bin inder Tat beides, Archi
tekt und Vordenker. Inletzterer Rolle bin
ich bestrebt, die kreativeDenkweisedes
Architekten inden Bereich der Politik zu
tragen.Esist dieseineinteressante, aber
leiderzuselteneingesetzte Strategie.
Die Schweizund die Niederlande ken-
nen ähnliche Probleme:starkes Wachs-
tum und zu wenig freie Flächen. Wo
soll denn in Zukunft die wachsende
Bevölkerung wohnen? Welche Auswir-
kungen hat dieses Wachstum auf die
Städte?
Wirzähleninden Niederlanden7, 8 Mil
lionen Häuser. Indennächstenzwei
Jahrzehnten müssen wir zusätzlicheine
Million neuer Häuser erstellen. Für
die SuchenachLösungenist esvon
zentralerBedeutung, die demografi
schen Trendszuverstehen,welchediese
Nachfrage erzeugen.Auf der einen Seite
wächst die Zahlder sogenannten Wis
sensarbeitenden,für die etwaeinehalbe
Million Häuserbenötigt werden. Die
anderen 50 0000 Häuserbrauchenwir,
ummit den ständig kleiner werdenden
Haushaltenumzugehen.Fast 40Prozent
der Haushalte werdenEinpersonenhaus
halte sein. Das ist einegrosseVerände
rung,die auchmit demAlternder Bevöl
kerungzusammenhängt.
Die gegenwärtigeWohnbaustrategieist
primärauf die ErstellungneuerHäuser
ausgerichtet. Wirsollten uns vor allem
mit denbestehendenQuartierenbe
schäftigen.Diese stehenvor einemnoch
grösseren Umbruch,verursachtdurch
die sozialenund baulichen Folgeneiner
alterndenBevölkerung.Deswegenmuss
man die Qualität der öffentlichenRäu
meüberdenken,die Adaption anneue
Energieformen,die Anpassung anden
Klimawandelund ganz allgemeinan
den Übergangzueiner Kreislaufwirt
Notwendigkeit einer wirklichen Revolution
Klimawandel, Biodiv ersität und das Altern der Gesells chaf t – diese und weiter e Themen beschäftigen den Reichsbaumeister Floris Alkemade bei seiner täglic hen Arbeit. F. Alkemade
Die Niederlande und die Schweiz haben vergleichbare raumplanerische Probleme.Interview von Felix E. Müller
schaft. EsmüssenMassnahmengegen
die Gefahreiner sozialenSegregation
getroffenwerden. Diese Problemekön
nennichteinzeln angegangenwerden.
Notwendig wirdein völlig anderer Blick
auf die Entwicklungder Städtesein. Wir
müssen indie bestehenden Wohngebiete
investieren und den Stellenwertder Ag
glomerationen stärken,um die Mobilität
zureduzieren.MeinerMeinung nach
sollten wir möglichst viele der zusätzlich
nötigen Wohnbauten inden bereits
überbautenGebieten erstellen,verbun
den gleichzeitigmit der Absicht, diese
Gebiete zuerneuernund zuverjüngen.
In der Schweiz wird immer noch viel
grünes Land über baut. Sollte man dies
nicht stoppen?
Inden Niederlandenwerdenjeden Tag
durchschnittlichachtHektarenland
wirtschaftliche Flächeneuüberbaut.
Riesige Verteilzentrenund Datazentren
wurdeninden letzten Jahrenneu er
stellt. Esschmerztzuzuschauen,wie
rücksichtslos hiervorgegangen wird, wie
wennLandunbegrenztzur Verfügung
stehenwürde. Wirmüssenhierein ethi
sches Empfinden entwickeln. Unser
Land, unser Boden,unsereLandschaft
habenvielmehrWertals blosseinen
Anlagewert. Esist nötig, dasswir mehr
Sorge tragenzur Qualitätunseres Bo
densund der damit verbundenen Öko
systeme. Auchmussdie Landwirtschaft
nachhaltig sein, sodass die Produktion
von Nahrungsmitteln nicht zulastender
Naturgeht.
In der Schweiz wie in den Niederlan-
den gibt es in den Städten einen Man-
gel an bezahlbaren Wohnungen. Was
lässt si ch dagege n tun?
Kurzfristigbetrachtet scheint eslogisch
zusein, möglichst rasch neuenWohn
raum rund umdie Städtezuerstellen.
Aberesgibtsoviel Wohnraum, der von
älteren Menschenbelegtist, die allein
leben.VieledieserMenschenwürden
gerne inkleinereWohnungen umziehen,
könnenjedoch nichtsPassendesinih
remQuartierfindenodernichts mit ei
nemgenügendenAngebot anBetreuung
und Pflege. Deshalbgilt es, die Logik des
gesamtenAngebots zuüberdenken. Ich
bin der Meinung,dass wir imKernder
bestehenden Quartiereein neuesAnge
bot von flexiblemWohnraumschaffen
müssen.Sofördern wir die Mobilität der
Bevölkerung,die injeweils passende
Domizile umziehenkann. Dadurch ent
steht kein Zwang zueiner weiterenAus
dehnungunserer Städte.
Der Klimawandel steht gege nwärtig im
Zentrum derpoliti schen Debatte. Wie
werden sich die Städte verändern,
wenn sie si ch an den Klimawandel an-
passen?
Klimawandel ist einwichtiges,aber
nicht das einzige Thema.Wirmüssen
auchandie schrumpfendeBiodiversität
denken, andasAlternder Gesellschaft,
anden Übergangzuerneuerbaren Ener
gien,anden Mangel anWohnraum und
andieNachhaltigkeit der Landwirt
schaft. Wirstehensomit vor Herausfor
derungen,welcheunsereGesellschaft
fundamental verändern werden. Das ist
gleichzeitigbedrohlichund aufregend.
Wirstehenvor der Notwendigkeit einer
wirklichen Revolution.Dabeisindwir
als Menschensoprogrammiert, dass wir
Veränderungen soweit wie möglich ver
meiden. Das ist normalerweiseeineklu
ge Verhaltensweise, jedochnicht ange
sichts der globalenHerausforderungen,
vordenen wir heute stehen.
Imletzten Jahrlegte ich als Reichsbau
meister eineZukunftsperspektivefür
die Raumplanung der Niederlande vor.
Darin zeigteich,wie die grossen sozia
len Fragender Gegenwart als Schlüssel
für einepositiveEinstellungzukünfti
gen strukturellen Verbesserungen wir
ken können.Die generelle Furchtvor
Veränderungen lässt sichüberwinden,
indemman auf die Vorteilefokussiert,
die wir schaffenwerden. Der stärkste
Antrieb für Anpassungen ensteht durch
das Verlangen nachÄnderungen.Wir
setzendie Macht der Imagination ein im
Bestreben,diese Lustfür Veränderun
gen herbeizuführen.
Floris Alkemade konnte dank der Niederländischen
Botschaft in Bern für die Real Estate Days
gewonnen werden.
NZZ REAL ESTATE DAYS
Die NZZ Real Estate Days 2019 fanden
am 31. Oktober und 1. November in
Interlaken statt. Rund 300 Führungs
persönlichkeiten des Schweizer Immo
biliensektors nahmen die Aussen
perspektive ein – ganz nach dem Motto
«Periscope».Schwerpunkte der
Konferen z waren aktuelle immobilien
politi sche Themen sowie gesellschaft
liche, wirtschaftliche und ökol ogische
Fragestellungen zur Immobilien
wirtschaft. Zudem warfen die NZZ
Real Estate Days einen Blic k auf
deninternationalen Immobilienmarkt
sowie au f Trends von morgen.
▶www.nzz-red.com
▶Twitter: @nzz_konferenzen | #RED19
HerausgeberNZZ Konferen zen & Services, C.F.L. Lohnerstrasse 24, 3645Gwatt (Thun);Redaktion und AnzeigenSeraina Branschi;GestaltungGina Höchner, EGGER AG, Print und Dialog , 3714 Frutigen;Rückmeldungenkonferen [email protected]
BUILDINGBETTER SITES
Die Innovationals Periskopfür Zukunfts
bilder.
Seite 2
ÜBERZOGENERSTANDARD
VittorioMagnago Lampugnanierklärt
dieTendenzenderheutigenArchitektur.
Seite 5
NACHHALTIGE IMMOBILIEN
Die Nachhaltigkeitsthematiketabliert sich
zunehmend inder Immobilienindustrie.
Seite 6
TREND-RADAR 2019
Die Teilnehmenden der NZZ RealEstate
Dayshabenihren Anlagefavoritengewählt.
Seite 8
Platinpartner Goldpa rtner