Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1
Klasse einer potenziell transformati-
ven Medizin“. Die Zulassungsbehör-
de in Europa hat der Therapie den
„Orphan-Drug-Status“ zugespro-
chen, der dem Medikament eine
zehnjährige Marktexklusivität nach
Zulassung gewährt.
Auch mit dem deutschen Bayer-
Konzern arbeitet Crispr zusammen.
Die Unternehmen gründeten 2017
das Joint Venture Casebia, das neue
Therapien gegen erblich bedingte
Herzkrankheiten, Erblindung und
die Bluterkrankheit erforschen soll.
Aktuell wird diese Zusammenarbeit
aber neu geordnet. Casebia soll künf-
tig bei Crispr Therapeutics integriert
werden. Bayer hat sich bei zwei Pro-
dukten Einstiegsoptionen gesichert.
Die Therapien der Geneditie-
rungsfirmen sind vielversprechend.
Und sie könnten auch einen interes-
santen Business-Case ergeben, wie
Daniel Koller, Leiter des Investment-
teams bei der Beteiligungsfir-
ma BB Biotech, meint. Wenn sie auf
schwerwiegende Erkrankungen mit
kleinen Fallzahlen ausgerichtet sind,
entstehen hochpreisige Therapien.
Die in diesem Jahr von dem Pharma-
konzern No vartis auf den Markt ge-
brachte Gentherapie zur Behand-
lung Spinaler Muskelatrophie bei-
spielsweise gilt mit rund zwei
Millionen US-Dollar als bislang teu-
erste Behandlung weltweit.
Crispr Therapeutics liegt in der
Riege der Geneditierungsunterneh-
men vorn. Von den bei Bloomberg

gelisteten Analysten empfehlen zehn
von 16 die Aktie zum Kauf. Der Richt-
kurs wird bei 62,21 Dollar gesehen,
am Mittwoch notierten die Titel bei
knapp 49 Dollar.

Erfolg nicht garantiert
Auch Editas Medicine ist mit einer
mittels Crispr-Verfahren verbesser-
ten neuen Therapie in der klinischen
Forschung aktiv – gegen die Augener-
krankung Lebersche kongenitale
Amaurose. Die Krankheit ist für zehn
Prozent aller angeborenen Fälle von
Blindheit verantwortlich und lässt
sich auf eine Funktionsstörung des
Pigmentepithels, die Nährstoffquelle
der Netzhaut, zurückführen. Editas
forscht hier zusammen mit dem US-
Pharmakonzern Allergan. Mit den
US-Konzernen Juno und Celgene ko-
operiert Editas zudem bei sogenann-
ten Car-T-Zelltherapien in frühen On-
kologie-Forschungsprojekten. Am
Markt wird Editas derzeit mit etwas
mehr als einer Milliarde Euro bewer-
tet. Die Analysten sehen beim aktuel-
len Kurs von knapp 22 Dollar weite-
res Potenzial nach oben. Der Richt-
kurs liegt bei 39,67 Dollar.
Intellia Therapeutics wiederum ist
in einige Immunonkologie-Projekte
involviert, eines davon mit dem
Pharmakonzern Novartis. Mit dem
US-Unternehmen Regeneron er-
forscht Intellia die seltene Erbkrank-
heit der Transthyretin-Amyloidose,
bei der mutationsbedingt körperei-
gene Organe und Gewebe durch Pro-

teine zerstört werden. Die allermeis-
ten Projekte befinden sich allerdings
noch in einem sehr frühen Stadium,
sodass die Aussichten auf einen Er-
folg noch schwer einzuschätzen
sind. In der Branche gilt die Dau-
menregel, dass es von 10 000 Wirk-
stoffkandidaten, die entdeckt wer-
den, nur einer bis auf den Markt
schafft. An der Börse wird Intellia
derzeit mit 550 Millionen Euro be-
wertet, acht von zwölf bei Bloom-
berg gelisteten Analysten raten zum
Kauf. Der Zielwert liegt bei 28,35 Dol-
lar. Aktuell notiert die Aktie etwas
über elf Dollar.
Die Chancen, mit Aktien von Gen -
editierungsfirmen an der Börse viel
Geld zu verdienen, sind hoch –
ebenso die Risiken. BB-Biotech-Ex-
perte Koller warnt vor hoher Volati-
lität: „Die Aktien solcher Unterneh-
men sind heutzutage riskante Invest-
ments, die meiner Meinung nach
wenig in Portfolios von Privatinves-
toren passen.“ In den nächsten
Quartalen wollen die Firmen erste
Daten publizieren. Fallen diese posi-
tiv aus, werden Analysten und Inves-
toren weitere Anwendungen der
Technologie einpreisen, was zu stei-
genden Kursen führen sollte, erwar-
tet Koller. Fallen die Daten aber
schlecht aus, werden die Aktien
deutlich sinken. „Nach unserer Er-
fahrung reagiert die Börse in einem
solchen Fall sehr harsch und stellt
die gesamte Technologieplattform
infrage“, sagt Koller.

Geneditierung


Chancen


und Risiken


E


ines sei vorweggeschickt: Mit
den genmanipulierten Zwil-
lingen aus China, die vor ei-
nem Jahr für Schlagzeilen sorgten,
haben die Geneditierungsfirmen
der Crispr-Pioniere nichts zu tun.
Sie wollen die von ihnen entwickel-
ten Verfahren ausschließlich für die
Behandlung von Krankheiten ein-
setzen.
Die Crispr-Technologie wird
heute bei Gentherapien und den
sogenannten Car-T-Zelltherapien
angewandt. Bei Letzteren werden
bestimmte Immunzellen von Pa-
tienten, sogenannte T-Zellen, au-
ßerhalb des Körpers genetisch so
modifiziert, dass sie Tumorzellen
leichter aufspüren können, und
anschließend in den Blutkreislauf
zurückinjiziert. Vor allem in klini-
schen Tests gegen einige Formen
von Leukämie zeigte dieses Kon-
zept bereits erstaunliche Erfolge.
Crispr könnte die genetische Ver-
änderung der T-Zellen deutlich
vereinfachen und beschleunigen.
Ein anderes naheliegendes Feld
sind Erbkrankheiten, die durch ein-
zelne Gendefekte ausgelöst werden.
Hier eröffnet die Crispr-Technologie
einen Weg, die defekten Gene zu re-
parieren oder abzuschalten. Ohne
die Genom-Editierung konnten Wis-
senschaftler Patienten mit einem
defekten Gen bislang nur behan-
deln, indem sie mit Viren ein neues
funktionstüchtiges Gen in die be-
troffenen Zellen des Patienten ein-
bauten. Allerdings können die For-
scher bei der klassischen Genthera-
pie nicht vorhersagen, wo genau im
Erbgut die Viren das Gen einfügen
werden. Das Editieren bereits vor-
handener Gene könnte dieses Risi-
ko minimieren.

Kein Allheilmittel


Allerdings funktioniert die Repara-
tur von Genen nur in vergleichswei-
se wenigen Zellen. Es reicht nicht,
einen fehlerhaften Genabschnitt
auszuschneiden. Die Zelle muss an-
schließend die beiden Enden des
DNA-Strangs wieder korrekt ergän-
zen und zusammenfügen. Dieser
Reparaturmechanismus läuft nur in
sich teilenden Zellen ab. Die meis-
ten Körperzellen wie Nerven-, Mus-
kel-, Leber- oder Blutstammzellen
teilen sich jedoch nicht mehr. Bei
einer direkten Anwendung der The-
rapie im Körper wird also nur ein
geringer Teil der Zielzellen erreicht.
Bei Erbkrankheiten tragen jedoch
alle Körperzellen den betreffenden
Defekt.
Zudem bleibt das Problem, dass
Crispr/Cas zwar mit hoher Präzision
sein Ziel findet, in seltenen Fällen
aber auch mal danebengreift. Die
Folge könnten DNA-Brüche an uner-
wünschter Stelle im Erbgut des Pa-
tienten mit unvorhersehbaren Fol-
gen sein. Schließlich bleibt Crispr/
Cas nach einer Gentherapie jahre-
oder jahrzehntelang in den Zellen
aktiv – auch hier sind die Auswir-
kungen noch nicht absehbar. tel/shf

Crispr-Firmen


Börsenwert in Mio. US-Dollar


Eingezahltes Kapital in Mio. US-Dollar


Akkumulierte Verluste in Mio. US-Dollar


Aktienkurs in US-Dollar


HANDELSBLATT Crispr: Biotechfirmen mit maßgeblichem Engagement im Gen-Editing • Quellen: Bloomberg, Unternehmen

Crispr Therapeutics


2 701 1 066 550


847


255


672


479


526


249


Editas Medicine Intellia Therapeutics


49,95 US$


30.10.2018


Gründungsjahr: 2013 Gründungsjahr: 2013 Gründungsjahr: 2014

30 .10.2019


60


50


40


30


20


21,31 US$


30.10.2018 30 .10.2019


35

30

25

20

15

11,47 US$


30.10.2018 30 .10.2019


20

1   

16

14

12

10

+52,9 %
-12,8 %
-39,3 %

wie Crispr


werden


hochge-


schätzt, sie


repräsentieren


aber auch ein


hohes Risiko.


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Private Geldanlage


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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