Die Welt - 09.11.2019

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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-VP1


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DWBE-VP1

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38 REISEN DIE WELT SAMSTAG,9.NOVEMBER2019


Ein früherer DDR-Flüchtling lief, begleitet von seinem


Hund Sunny, die ehemalige innerdeutsche Grenze ab –


und stellte sich damit seiner eigenen Vergangenheit


Mario Goldstein:
„Abenteuer Grünes
Band“,Knesebeck,
2 88 Seiten mit 331
farbigen Abbildun-
gen, 35 Euro

VVVom om TODESSTREIFEN zur


LEBENSLINIE


RAMONA GOLDSTEIN (2); MARIA GOLDSTEIN, PATRICK SCHILBACH, ERIC FRESIA

V


om Ostseestrand am Priwall
bis ins Vogtland im Südwes-
ten. Genau 1393 Kilometer
lang, bis zu 200 Meter breit,
zog sich der Eiserne Vorhang
durchs geteilte Deutschland. Metallgit-
terzäune (1265 Kilometer), Wachtürme
(578), Stacheldraht, Erdbunker, Grenz-
säulen, Grenzsteine, Selbstschussanlagen


  • und 1,3 Millionen Landminen. Die Ost-
    seite der innerdeutschen Grenze war
    massiv gesichert und forderte Hunderte
    Todesopfer. Dennoch wagten immer wie-
    der DDR-Bürger die riskante Flucht. Wie
    Mario Goldstein aus dem Vogtland. Er
    scheiterte zweimal und wurde schließlich
    aus der Stasi-Haft freigekauft. Erst spät
    stellte er sich seiner eigenen Vergangen-
    heit – als ein „Wandersmann auf Missi-
    on“. Seine Begegnungen entlang des
    Grenzstreifens zeigt Goldstein in dem
    eindrucksvollen neuen Bildband „Aben-
    teuer Grünes Band“.
    Mit Rucksack ist Mario Goldstein, be-
    gleitet von seinem weißen Schäferhund
    Sunny, 100 Tage den noch heute sichtba-
    ren Kolonnenweg abgelaufen, auf dem
    einst bis zu 44.000 bewaffnete Soldaten
    Tag und Nacht patrouillierten und dafür
    sorgten, dass das Schussfeld frei blieb.
    Goldstein wanderte auf diesen zweireihi-
    gen Lochbetonplatten, zeltete am frühe-
    ren Kontrollstreifen, der einst täglich ge-
    harkt wurde, um verräterische Spuren
    und Fluchtversuche zu erkennen. Dort,
    wo heute seltene Orchideen wie Frauen-
    schuh wachsen und Braunkehlchen, Eis-
    vogel und Schwarzstorch nach Nahrung
    suchen, durfte damals an vielen Stellen
    noch nicht mal ein Grashalm wachsen.
    Goldstein: „Paradoxerweise entstand
    in diesem streng bewachten Streifen eine
    Schatzkammer der Artenvielfalt.“ Aus
    dem Todesstreifen ist heute eine Lebens-
    linie geworden: Weil der Mensch ausge-
    sperrt war, hat sich die Natur ihren eige-
    nen Weg erschaffen – das Grüne Band.
    Heide, Wälder und Moore, Orchideen-
    Wiesen, Bäche, und Binnendünen.
    87 Prozent des Grünen Bandes sind na-
    turnah, und inzwischen haben zwei Bun-
    desländer, Thüringen und Sachsen-An-
    halt, ihren Anteil am Grünen Band als
    „Nationales Naturmonument“ streng ge-
    schützt. „Das Grüne Band ist ein verbin-
    dendes Element für Mensch und Natur“,
    sagtHubert Weiger, Vorsitzender des
    Bundes für Umwelt und Naturschutz und
    Mitinitiator des Grünen Bandes. Trotz-
    dem klaffen auf dem Grünen Band auf 170
    Kilometern große Lücken. Allein etwa
    450 Straßen queren das Grüne Band;
    zwölf Mal kreuzen Autobahnen. Laut
    BUND seien etwa zwölf Prozent der Flä-
    che zerstört, meist durch Gewerbegebie-
    te, Industrie und intensive Landwirt-
    schaft. Deshalb kauft der BUND weiter-
    hin Flächen aus Privathand auf.
    Für Mario Goldstein war das Grüne
    Band auch eine persönliche Herausforde-
    rung. Er besuchte Grenzmuseen, lernte,
    dass das unüberwindbare DDR-Zaunma-
    terial, das seine Flucht scheitern ließ, in
    Salzgitter, im Westen, hergestellt wurde.
    Er sprach mit ehemaligen Grenzsoldaten,
    aber auch mit Hinterbliebenen derjeni-
    gen, die damals beim Fluchtversuch er-
    schossen wurden. Sein Resümee auf dem
    Kolonnenweg: „Der monotone Klang der
    Stockspitze, die auf den Beton schlägt, ...
    öffnet Schubladen, die seit Ewigkeiten
    verschlossen schienen.“ KIRA HANSER


UUUnterwegs: Mario Goldstein spaziert mit seinem Hund durch das Abfertigungsgebäude der ehemaligen Grenzübergangsstelle Helmstedt/Marienborn, dann fährt er mit dem Kanu auf der Elbe entlang des nterwegs: Mario Goldstein spaziert mit seinem Hund durch das Abfertigungsgebäude der ehemaligen Grenzübergangsstelle Helmstedt/Marienborn, dann fährt er mit dem Kanu auf der Elbe entlang des
Grünen Bandes (ganz oben). Einer der stehen gebliebenen Wachtürme mit Suchscheinwerfer (o.). Unten: ein Trafohäuschen im Feld, Überbleibsel eines 1974 abgerissenen Dorfes. Ein Stück „Kolonnenweg“ im Wald

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