Die Zeit - 07.11.2019

(Elle) #1
Es hat sich angefühlt wie ein Feind – weil es die Aufmerksamkeits-
spanne zerstört und man so viel Zeit damit verliert. Außerdem dik-
tiert durch das Internet der Mob, was Menschen lesen.
Was meinen Sie damit?
Viele Menschen kaufen Bücher aufgrund von Amazon-Ratings.
Diese Ratings können aber davon abhängen, ob ein Buch pünkt-
lich versendet wurde, in einem zerrissenen Umschlag ankam oder
so. Wenn also jemand aus irgendeinem Grund mit der Post ein be-
schädigtes Exemplar erhält, schreibt er eine schlechte Beurteilung,
und wegen dieser einen Stimme sinkt mein Rating von, sagen wir,
fünf Sternen auf vier. Ob das Buch gut oder schlecht ist, spielt bei
dieser einen Bewertung gar keine Rolle. Grauenhaft!
Wie wirkt sich die Digitalisierung sonst noch auf das Leben einer
Schriftstellerin aus?
In meinem Buchvertrag stand, dass ich eine Autorenwebsite an-
legen und mein Buch über Social Media bewerben muss. Jeder
Autor hasst das, aber alle machen es, weil man sonst das Gefühl
hat, abgehängt zu werden.
Was ist so schlimm daran, Werbung für sein Buch zu machen?
Dass ich Teil dieser Hype-Maschinerie werde. Damit wir uns nicht
falsch verstehen: Ich habe grundsätzlich nichts gegen Werbung
und Vermarktung, ich weiß, dass es dazugehört. Ich kann nur
schreiben, wenn ich Geld damit verdiene, und verdiene nur Geld,
wenn ich meine Bücher beziehungsweise mich selbst in die Öffent-
lichkeit bringe. Was ich schwierig finde, ist das Gefühl, nur noch
über mich selbst zu sprechen.
Umso größer wirkt die Entscheidung der italienischen Bestseller-
Autorin Elena Ferrante, als Autorin anonym zu bleiben.
Ja. Aber sie hat diese Entscheidung noch zu einem Zeitpunkt ge-
troffen, als das Internet weniger besitzergreifend war. Es war da-
mals leichter, als Autor unsichtbar zu bleiben.
Wie sieht Ihre Arbeitsroutine aus?
Bevor ich mit dem Schreiben beginne, passiert lange Zeit erst mal
gar nichts. Jedenfalls nichts Sichtbares. Ich nutze meine Notizen-
App auf dem Handy und sammle Ideen, mit denen ich gedanklich
spiele. Im Kopf passiert natürlich eine Menge, ich entwerfe Dinge,
reichere sie an, verwerfe sie. Wie ein Komposthaufen: Abfall wird
zersetzt, und übrig bleibt, was sich verwerten lässt. Das Schrei-
ben geht dann sehr schnell. Meinen Roman habe ich in ungefähr
zwei Monaten in Frankreich im Haus meiner Großeltern geschrie-
ben. Für den langen Essay habe ich zwei Wochen gebraucht. Die
Schreibphase ist sehr intensiv, meist geht es von sieben Uhr mor-
gens bis nach Mitternacht.
Werden Frauen als Schriftstellerinnen weniger ernst genommen
als Männer?
Ja, das ist sicher so. Wir sind zwar seit George Eliot ein ganzes Stück
weitergekommen und müssen nicht mehr vorgeben, wir seien
Männer, um publiziert zu werden. Aber wir werden erst am Ziel
sein, wenn es in den Buchhandlungen nicht mehr diese Regale mit
women’s fiction, mit Frauenliteratur, gibt. Male fiction existiert als
Kategorie nicht – weil die männliche Perspektive als universal gilt.
Während der Zeit in New York fiel mir auf, wie sehr mich der Ka-
non weißer, verstorbener Schriftsteller geprägt hat, mit dem ich auf-
gewachsen bin. Ich habe versucht, ihre Stimmen zu imitieren, was
mir nicht besonders gut gelungen ist. Und dann habe ich viele zeit-

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[]


Lu stauf


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Neuesausder


SammlungWürth


zur Kunst nach 1960


KunsthalleWürth,


Schwäbisch Hall





    1. 2019 –





    1. 2020




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