Donnerstag, 31. Oktober 2019 FEUILLETON 35
Das Whistleblowe r-Drama «Offical Secrets» schwankt
zwischen Untertreibung und heroischer Erzählung SEITE 37
Der deutsche Maler Wilhelm Leibl suchte seine Erfüllung
als Künstler im ländlichen Dasein SEITE 39
DasVisum ist in letzter Minute ausgestelltworden.Aber reicht die Zeitnochfür dieFahrt zum Flughafen vonYaoundé? ADRIENNESURPRENANT / BLOOMBERG
Freie Welt? Dass ich nicht lache
Manchmal hilft nur noch Humor. Etwa, wenn man – als geladener Gast – von Kamerun nach Berlin reisen will.Von Fl orian Ngimbis
Als Kameruner insAuslandreisen...
Ein Martyrium, sagen die einen. Ein
surreales Märchen, meinen die andern.
Warum? AnTheorien mangelt es nicht.
Es gibtLandsleute, die mit falschenPa-
pieren unterwegs sind oder die sich in
derFremde etwas zuschuldenkommen
lassen, es gibt die Schurkereien unserer
berüchtigtenFeymania, es gibt Cyber-
kriminalität.Jeder hat seine eigene Er-
klärung, warum der Mensch des 21.Jahr-
hunderts den Kameruner mit quasi uni-
versalem Misstrauen betrachtet.
Aber zu laut wollen wir nicht klagen.
Bürger anderer Nationen haben seit
9/11 noch höhereHürden zu überwin-
den, wenn sie die «freieWelt» bereisen
wollen.Wenn ein Kameruner im eigenen
Land von einem Ort A nach Ort B gelan-
gen will, dann sagt er:«Ich gehe nachB.»
Liegt B hingegen imAusland, heisst es:
«Ichreise nachB. » Das impliziert, dass
keiner wirklich gereist ist, der nicht auch
den zur Erlangung einesVisums nötigen
Hindernislauf absolviert hat.
Der Botschaftenwalzer
Die Übung beginnt mit dem taumelnden
Walzer durch die Botschaften, bei dem
aucheinem gestähltenTänzer schwind-
lig werden kann. Exotische Dokumente,
gargantueske Forderungen, liliputa-
nischeFristen...diese kaukasischen
Kanzleien tun alles in ihren Kräften Ste-
hende, um einem dasReisen zu verlei-
den. Und ums ganze Prozedere weht ein
Hauch kalter Herablassung,der aus dem
unbekümmertenReisenden einen lar-
moyanten Bittsteller macht.
In diesen unseligen Zeiten gehen
manche Botschaften so weit, den Kandi-
daten nach derReise zwecksKontrolle
nochmals vorzuladen, wobei der Be-
such binnen einer bestimmtenFristab-
gestattet werden muss. Ach, dieFreude,
Kameruner zu sein...die steteWonne,
von der Essenzder Geringschätzung zu
kosten. Die schwarze Hülle der Armut,
des Prekariats abbeizen zu müssen, um
die weisseWeste darunter zu zeigen, die
Zutritt zum weissenParadies verschafft.
Aber derWalzer ist nur der Anfang.
Wenn der kamerunischeReisende jung
ist wie ich, wenn er lässig gekleidet und
mit leichtem Gepäck unterwegs ist, dann
wirdihm an den Flughäfen oft eine ganz
besondere Behandlung zuteil. Ein ge-
wisser Blick, als umgebe ihn eine nega-
tiveAura. Vibrationen, in denen derVer-
dacht mitschwingt, er verdrückesich aus
wirtschaftlichen Gründen, wolle abtau-
chen,mitunsauberenMitteln Geld in
derFremde machen.
Ja, in unseren Breiten gilt dasWort:
«Partir,c’est mourirunpeu.»Man stirbt
ein klein wenig in denAugen der ande-
ren, bei der Abreise, bei der Ankunft, im
Tr ansit. Diese anderen, die urteilen, taxie-
ren, schnüffeln, befragen, Schlüsse ziehen.
Diese anderen, die dich in eine Schublade
stecken, die ihrenRespekt anhand der
Farbe einesReisepasses bemessen.
Nehmen wir einkonkretes Beispiel
- eineReise nach Berlin, wohin ich als
Mitglied einerJury eingeladen war, wel-
che die besten internationalen Blogger
auszeichnet. In der deutschen Botschaft
ist man freundlicher als in derjenigen des
Nachbarlands jenseits des Rheins,ob-
wohl Kamerun zurFrankofonie gehört.
Aber auch bei den Deutschen muss ich
eine Unzahl von Dokumenten vorlegen,
zwecks Bestätigung von Unsinnigkeiten,
die irgendjemand irgendwo zur unerläss-
lichen Bedingung dafür machte, europäi-
schen Bodenbetreten zu dürfen.
Den gestempeltenPasserhalte ich in
letzter Minute. Rase zu dem Hangar, den
man hier inYaoundé pompös Flughafen
nennt.Traurig, scheusslich, veraltet,
deprimierend. Bei der Personenkon-
trolle tippt mir jemand auf die Schulter:
«GutenAbend, mein Bruder. Dunimmst
dieAir France nachParis, nicht?»Ich bin
nicht sein Bruder, aber nachdem mich
derTaxifahrer während der ganzenFahrt
angeschwiegen hat, mache ich den Mund
auf: «Vielleicht.»Das mag ich, idiotische
Antworten im B-Movie-Stil.
Der andere fragt nach meinem Ge-
päck. Ich habe nur einenRucksack –
eine knappeWochein Berlin, da braucht
man nicht viel mehr alsWäsche zum
Wechseln undT- Shirts. Der Bruder legt
nach. Er möchte mir gleich einenKof-
fer überlassen und offeriert eine äus-
serst verlockende Summe fürs Mitneh-
men. Ich versuche ihm klarzumachen,
dass ich inParis lediglich umsteige.Er
hatrasch eineLösung zur Hand:Jemand
könnte das Gepäckstück in Berlin ab-
holen.Langsam verliereich die Geduld:
«Akié! Bruder, ich kann dein Gepäck
nicht mitnehmen, tut mir leid.»
Ich erinnere mich noch an seinen
Blick. Ein Mix ausFragezeichen und
Totenköpfen, umschwirrt vonFragen und
Sarkasmen, die nicht laut werden, aber
leicht zu erraten sind:Wie,du willstkein
Geld? Bist du überhaupt Kameruner?
Nicht wahr,duwillst abhauen von hier?
Inzwischen bin ich am Schalter und
zücke meinenPass. Überraschender-
weise ist der Beamte ein alter Bekann-
ter. Kein Kirchenlicht, aber dank einer
Politik desregionalenAusgleichsPolizist
geworden, dank guten Beziehungen zum
Offizier aufgestiegen und schliesslich auf
diesemPosten gelandet.
Unter Generalverdacht
«Euye! Ngimbis, dugehst?» Rhetorische
Frage. Ich lächle gezwungen. «Kein Ge-
päck? Nicht wahr, du willst abhauen.»
MeinLächeln erstarrt. «Bruder, das ist
nicht einfach...Aberrecht hast du. Hier
ist’s zukompliziert.»Ja, wegen Idioten
wie dir.Aber diese Antwort schlucke ich
mitsamt meiner Galle hinunter.
Check-in. Die junge Angestellte von
Aéroports du Cameroun lächelt nicht.
Schaut aberauch nicht unfreundlich. Sie
macht einfach ihre Arbeit. Professionell.
«Wohin fliegen Sie?»
«Berlin.»
«GepäckzumAufgeben?»
«Nein, Madame.»
Sie hebt die Brauen. Zuerst denke ich,
das sei wegen des «Madame» – bei uns
sagt man lieber «ma chérie».Aber dann
sehe ich, wie sie meinenRucksack mus-
te rt, meine Dreadlocks und mit ihrerKol-
le gin am nächsten Schalter einen langen
Blick wechselt.KeinWort fällt, aber ich
lese in filigraner Schrift den Satz:Wie-
der einer,der nicht zurückkommen wird.
Paris, Charles de Gaulle, einige Stun-
den und eine schlechte Mahlzeit später.
DerHerr von der Grenzkontrolle ver-
langt meinenPass, scannt ihn, betastet
ihn, kratzt daran, beschnüffeltihn beinah.
«Wohin fliegen Sie?»
«Berlin.»
«Grund derReise?» Ich möchte mit
ihm gleichziehen,so lakonisch antworten,
wie er fragt. Also:«Wettbewerbsjury.» –
«Pardon?» – «Ich bin Mitglied einerJury.»
- «Beruf?»Ich grinse innerlich und knalle
«Blogger» hin. «Pardon?» – «Blogger.»
Diesmal kassiert er’sschweigend.
Dannkommt dieFrage,obich eine
Einladung habe. Ich ziehe sie hervor, sie
ist auf Deutsch verfasst. «Haben Sie das
nicht aufFranzösisch?» – «Nein, Mon-
sieur, aber ich kann Deutsch.Wenn Sie
wollen, übersetze ich es.»
Seine grossen, abstehenden Ohrenrö-
ten sich. «HabenSie eineReiseversiche-
rung?» Aber sicher.Jeder Subsaharier
mit krausem Haar weiss, dass ihm nebst
seinenReisedokumenten allerhand an-
dere abgefordert werdenkönnen.Ver-
sicherung, Hotelreservation, Nachweis
verfügbarer Geldmittel, Einladung usw.
Die Erfahrungen, die ich in den Flughäfen
der «freienWelt» sammeln durfte, haben
mich geprägt. Ich bin bereit.Halb spöt-
tisch, halb arrogant präsentiere ich jedes
verlangte Dokument mit einemLächeln.
Woich in Berlin logiere, fragt er noch.
«BeiVerwandten?» – «Nein, einVier-
sternehotel, sehr hübsch.»Damerkt er
endlich, dass er sich für dumm verkaufen
lässt. Ein finsterer Blick, widerwillig setzt
er den Stempel inmeinenPass. «Gute
Reise, Monsieur.»Wie ich sie liebe, diese
Verachtung à la française. Immer schön
verdeckt. Schwer auszumachen, weil
rundum in zuckersüsse Heuchelei gehüllt.
Flughafen Berlin-Tegel, einige Stun-
den und einen Imbiss später. Ich habe
geschlafen, nicht einmal die Stichpro-
benkontrolle des Handgepäcks kann
mich aus derRuhe bringen.Ich habe
gegen mich selbst gewettet, dass sie mich
herauspflücken. Bingo. Ich bin zugleich
tausendFrancsreicher und ärmer.
Dawinkt schonderAusgang...
«Please, sir?»
ZweiTypen wie frisch aus der Krimi-
serie «EinFall für zwei» erscheinen zu
meinerRechten und Linken und füh-
ren mich in einen Nebenraum. In einem
Englisch, das man mit der Motorsäge
schneidenkönnte, erklären sie, dass sie
meinenRucksack durchsuchen wollen.
Fragen, ob ich etwas zu verzollen habe.
Der eine tastet mich minuziös ab,
während der andere sich, mit einem
Wattestäbchen bewehrt, wie einRaub-
tier auf meinenRucksack wirft.Daver-
stehe ich. Sie suchen Drogen. Zum ers-
ten Mal lässt mich mein Gleichmut im
Stich. Mit erstickter Stimme stosse ich
hervor: «Ekié!Was soll das, Chef?»
Florian Ngimbis, 1983 inYaoundégeboren,
ist Schriftsteller, Community-Manager und
Blogger. SeinBlog «KamerKongossa» wurde
2012 vonder DeutschenWelle alsbesterfran-
kofoner Blog ausgezeichnet. Der obige Texter-
schien imOriginalimBakwa Magazine 09 , «Taxi
Drivers who Drive UsNowhere and otherTr a-
velStories».– Aus demFranzösischenvon as.