Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
EINE PUBLIKATION VON SMART MEDIA

012 SANIERUNGS UND INSOLVENZRECHT


D


ie Europäische Union will die Situ-
ation für kriselnde Unternehmen in
ihren Mitgliedsstaaten verbessern –
indem sie ihnen auf rechtlichem Weg einen
Vertrauensvorschuss gewährt: Denn Mitte
Jahr trat die »Richtlinie zum präventiven Re-
strukturierungsrahmen« in Kraft. Vereinfacht
gesagt soll es Unternehmen auf diesem Weg
ermöglicht werden, sich im Krisenfall jenseits
eines Insolvenzverfahrens zu sanieren. Ein
konkretes Bündel an Maßnahmen soll zu die-
sem Zweck zum Tr agen kommen.

Nun haben die EU-Mitglieder zwei Jahre Zeit,
um diese Vorgaben in ihr nationales Recht zu
überführen. Fachleute befürchten in diesem
Zusammenhang für Deutschland Komplika-
tionen – und haben aus diesem Grund bereits
Forderungen aufgestellt, wie der deutsche
Gesetzgeber die neue EU-Richtlinie zur vor-
insolvenzlichen Sanierung von Unternehmen
umsetzen soll. Es bestehe »Konkretisierungs-
bedarf«, schreibt das »Handelsblatt«. Denn die
neuen Regelungen müssten »passgenau für das
deutsche Sanierungs- und Insolvenzrecht sein.«
Nur so ließen sich Missbrauchsfälle vermeiden.

Schutz vor Vollstreckung
Doch wie soll es Unternehmen, die sich in
finanziellen Schwierigkeiten befinden, künftig
leichter gemacht werden, sich ausserhalb eines
Insolvenzverfahrens zu sanieren? Laut »Han-
delsblatt« kann für solche Betriebe ein »Mo-
ratorium« erklärt werden. In dieser Zeit be-
steht Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen
durch die Gläubiger sowie keine Pflicht zum
Insolvenzantrag. Zwar müsse die Geschäfts-
führung einen Antrag beim Insolvenzgericht
stellen, hat dann aber Zeit, gemeinsam mit
den Gläubigern einen sogenannten »Restruk-
turierungsplan« auszuarbeiten.

In bestimmten Konstellationen kann das
Gericht zudem einen »Restrukturierungsver-
walter« zur Überwachung einsetzen. Darüber
hinaus ist eine Sanierung auch gegen den
Willen einzelner Gläubiger – oder Gläubiger-
gruppen – möglich.

Diese neue Ausgangslage wirft in Experten-
kreisen in Deutschland Fragen zur konkreten
Umsetzung auf. Aus diesem Grund haben in
der ersten Jahreshälfte verschiedene Fach-
leute im Rahmen der »Handelsblatt Tagung
Restrukturierung« ein Thesenpapier für den

Gesetzgeber erarbeitet. Dies mit dem Ziel,
die zuständigen Stellen für allfällige Proble-
matiken zu sensibilisieren. Im Thesenpapier
wird unter anderem ein »Abstandsgebot«
zu den klassischen Insolvenzverfahren, aber
auch zu den Verfahren nach dem »Gesetz zur
weiteren Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen« (ESUG) gefordert. Denn ge-
rade Letzteres biete für Deutschland bereits
ein Verfahren in Eigenverwaltung, was aber
eine frühzeitige Insolvenzantragstellung vo-
raussetzt. Dies solle sich laut der Thesen auf
Unternehmen beschränken, die fortgeführt

oder deren gesunde Teile in eine neue Ge-
sellschaft überführt werden können. Die
Expertengruppe hält zudem zentralisierte
und professionelle »Sanierungsgerichte« für
erforderlich, die auch frühzeitig informativ
eingebunden werden können.

Auch der Kernidee der EU-Richtlinie neh-
men sich die Experten an: So soll die Anord-
nung eines Moratoriums nicht erfolgen, wenn
bereits Zahlungsunfähigkeit eingetreten sei,
heißt es in dem Thesenpapier. Vielmehr müsse
eine Zahlungsunfähigkeit direkt die Pflicht
zum Insolvenzantrag auslösen. Darüber hin-
aus sei die geplante Dauer eines Moratoriums
in einem vorinsolvenzlichen Sanierungsver-
fahren mit zwölf Monaten zu lang.

Auch die Interessen der
Gläubiger wahren
Damit ein Restrukturierungsplan für ein sa-
nierungsbedürftiges Unternehmen in Kraft
treten, beziehungsweise ausgearbeitet werden
kann, sei nach Ansicht der Experten eine
Summenmehrheit von 75 Prozent erforder-
lich, damit eine breite Mehrheit der be-
troffenen Parteien den Plan unterstützt. Der
Gesetzgeber soll außerdem den möglichen
Gestaltungsspielraum im Sinne einer wettbe-
werbsorientierten Sanierungskultur ausnutzen
und sicherstellen, dass Zwischenfinanzierun-
gen rechtssicher gewährt werden können.

Welche konkreten Aufgaben in die Zustän-
digkeit eines »Restrukturierungsbeauftrag-
ten« fallen, müsse ebenfalls im Detail geklärt
werden. Die Fachleute schlagen in ihrem
Thesenpapier vor, dieser Aufsichtsperson die
Rolle eines »Restrukturierungsmanagers« zu-
zuschreiben und sie möglichst frühzeitig in
den Prozess einzubinden.

Diesen Sommer hat die EU neue Leitplanken für Unternehmen gesetzt, mit der »Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen«. Die neuen Vorgaben
sollen es Firmen in finanzieller Schieflage erleichtern, wieder zurück auf Kurs zu gelangen. Wie alle EU-Mitgliedstaaten hat nun auch Deutschland zwei Jahre Zeit,
um die neue Richtlinie in nationales Recht zu überführen – was gemäß Experten noch für Stirnrunzeln sorgen dürfte. Sie fordern daher Konkretisierungen.

EU-Richtlinien krempeln


deutsches Insolvenzrecht um

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