Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1
Bei der Unterhauswahl 2017 hatte die Labour-Partei unter Jeremy Cor-
byn überraschend gut gegen Theresa May abgeschnitten und die
Tories zu einer Minderheitsregierung gezwungen. Nun nimmt der Alt-
linke den zweiten Anlauf auf die Downing Street, ist laut Umfragen
aber wieder der Außenseiter.

Brexit: Eine Labour-Regierung würde einen anderen Kurs einschlagen
als die Konservativen. Innerhalb von drei Monaten nach einem Wahl-
sieg will Corbyn mit der EU einen neuen Brexit-Deal aushandeln. Im
Unterschied zu den Tories strebt Labour langfristig nicht bloß ein Frei-
handelsabkommen, sondern eine engere Partnerschaft inklusive einer
Zollunion an. Die Briten sollen dann in einem zweiten Referendum
über den Deal abstimmen. Die zweite Option soll der Verbleib in der
EU sein. Labour ist allerdings gespalten, für welche der beiden Optio-
nen man dann Wahlkampf machen würde. Die Basis ist mehrheitlich
für den EU-Verbleib, die Parteiführung hält bislang am Brexit fest.

Wirtschaftspolitik: Im Gegensatz zu Premierminister Johnson will
Corbyn den Wahlkampf weg vom Brexit hin auf innenpolitische The-
men lenken. Er hofft, vom Überdruss der Briten an der konservativen
Sparpolitik zu profitieren. Auf dem Parteitag hat Labour eine radikale
wirtschaftspolitische Wende angekündigt. Einzelne Branchen wie
Bahn, Post und Energie sollen wieder verstaatlicht werden. In den Auf-
sichtsgremien aller Unternehmen soll die Mitbestimmung der Arbeit-
nehmer eingeführt werden. Das staatliche Gesundheitssystem NHS
und die Kommunen sollen Milliarden investitionen erhalten. Finanziert
werden sollen diese durch Steuererhöhungen. Besonders den NHS
nutzt Corbyn im Wahlkampf zu Attacken auf den Premier: Wenn John-
son an der Macht bleibe, werde er in einem Handelsabkommen mit
den USA den NHS für amerikanische Pharmafirmen öffnen. Dann wür-
den die Medikamentenpreise für die Briten steigen.

Schwäche: Labours große Schwäche ist ihr Chef. Viele Briten, darunter
auch führende Parteifreunde, halten Corbyn für ungeeignet als Pre-
mier. Sein Wirtschaftskurs gilt als zu radikal. Auch wird ihm vorgewor-
fen, Antisemitismus in der Partei zu dulden.

Jeremy Corbyn, Labour


Die schottische Nationalpartei SNP ist, wie der
Name bereits verrät, eine Regionalpartei. Die
Parteichefin Nicola Sturgeon ist zugleich Minis-
terpräsidentin von Schottland. Als solche tritt
sie damit nicht für einen Platz im Londoner Par-
lament zur Wahl an. Vorsitzender der dritt-
stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus ist bis-
lang Ian Blackford.

Brexit: Im Gegensatz zu anderen Regionen des
Vereinigten Königreichs hatten die Schotten
2016 mit einer klaren Mehrheit für „Remain“
gestimmt. Unter Berufung darauf tritt die SNP
für den Verbleib in der EU ein und will im kom-
menden Jahr zudem ein zweites Referendum
über die Unabhängigkeit Schottlands abhalten.
Dafür benötigt die SNP allerdings die Zustim-
mung der Londoner Zentralregierung. Premier-
minister Boris Johnson hat das bereits katego-
risch ausgeschlossen. Sollten die Stimmen der
SNP-Abgeordneten im Londoner Parlament für
die Bildung einer Mehrheitsregierung entschei-
dend werden, dürfte die Zustimmung eine der
Bedingungen der Schotten sein.

Schwäche: Die Frage nach der Unabhängigkeit
Schottlands ist auch in der Region selbst
umstritten. Bei dem ersten Referendum 2014
hatten 55,3 Prozent der Schotten gegen die
Abspaltung vom Königreich gestimmt. Aller-
dings galt damals die Aussicht, zugleich auch
aus der EU auszuscheiden, als gewichtiges
Argument für den Verbleib im Vereinigten
Königreich.

Nicola Sturgeon, SNP


Bis vor Kurzem sah die Brexit-Partei nach einer großen
Gefahr für Premier Boris Johnson aus. Ihre Anhänger mach-
ten dem Premier den Vorwurf, den Brexit nicht „durchzuzie-
hen“.

Brexit: Der von der Regierung ausgehandelte Brexit-Deal
ermögliche keinen „klaren Schnitt“, hatte Nigel Farage kriti-
siert. Der EU-Austritt müsse den Briten die Kontrolle über
ihre Gesetze, Grenzen und ihr Geld zurückgeben. Vor eini-
gen Tagen legte Nigel Farage dann eine Kehrtwende ein:
Man müsse „Boris zumindest eine halbe Chance geben“,
erklärte er und strich die Liste der Kandidaten für die Brexit-
Partei radikal zusammen. Zur Begründung verwies er darauf,
dass Premier Johnson zugesichert habe, keine weitere Ver-
längerung zu beantragen und sich künftig nicht an
EU-Regeln gebunden fühle. Damit sieht Nigel Farage seine
Brexit-Forderungen erfüllt.

Schwäche: Mit der Kehrtwende macht Farage sein eigenes
Argument zunichte, man müsse die Brexit-Partei wählen,
damit der EU-Ausstieg durchgezogen wird. Darüber hinaus
fehlen der Partei weitere Themen. Ihre Umfragewerte sinken
seit einiger Zeit.

Nigel Farage, Brexit-Partei


Wirtschaft & Politik
DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


11

Free download pdf