Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1

ziplin, das Truck-Geschäft ist ein dauerhafter Re-


strukturierungsfall, und Mercedes wird aller Vo-


raussicht nach der einzige deutsche Autohersteller


sein, der 2021 Strafzahlungen leisten muss, weil er


die CO 2 -Ziele der EU verfehlt“, so Muders.


Daimler ist viel zu spät ins Elektrozeitalter gestar-


tet. Mit dem EQC hat Mercedes zwar mittlerweile


sein erstes Strom-SUV im Angebot, das Modell ba-


siert aber noch auf einer Architektur, die für klassi-


sche Verbrenner konzipiert wurde. Die ersten ech-


ten Elektromodelle, die auf einer kompromisslosen


Stromplattform basieren, kommen erst allmählich


in den nächsten Jahren auf die Straße. Zum Ver-


gleich: VW hat gerade mit der Serienproduktion des


ID.3 begonnen, dem ersten Modell der Wolfsburger


auf dem Elektrobaukasten MEB. Teslas Model S ist


bereits seit 2012 erhältlich, das Model 3 seit 2017.


„Wenn man jetzt den Rückstand nicht aufholt,


wird es eng“, redet Bauknecht von der Deutsche-


Bank-Tocher DWS dem Daimler-Management ins


Gewissen: „Da muss mehr passieren.“ Källenius


verspricht Abhilfe, schwärmt von nachhaltigem,


modernem Luxus und verspricht, die Pkw-Neuwa-


genflotte bis 2039 komplett klimaneutral darzustel-


len. Die Marke mit dem Stern wird grün, und auch


die Lastwagen und Busse von Daimler sollen in


zwei Jahrzehnten fast überall auf der Welt kein kli-


maschädliches Kohlendioxid mehr ausstoßen.


Parallel dazu erklärt Källenius Kostenkontrolle


zum Gebot der Stunde. „Es wird nicht ohne Perso-


nalabbau gehen“, ist Investor Bauknecht sicher,


schließlich droht der Weltautomarkt in den nächs-


ten Jahren zu stagnieren oder gar zu schrumpfen.


Das Problem: Sobald Källenius den Mitarbeitern


ans Portemonnaie will, muss er mit Widerstand


von Michael Brecht rechnen. Wie mächtig der


Daimler-Betriebsratschef ist, zeigt eine Vereinba-


rung, die seit November in Kraft ist und im Zuge


des Umbaus von Daimler zur Holding mit drei Ein-


heiten (Auto, Lastwagen, Mobilitätsdienste) be-


schlossen wurde. Demnach sind die mehr als


170 000 Beschäftigten von Daimler bis Ende 2029


vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.


„Sinnloses Kostenschrubben lehnen wir ab“,


warnte Brecht das Management vergangene Woche


vorsorglich in einem Rundschreiben an die Beleg-


schaft. Källenius’ Plan, den Mitarbeitern Tarifsteige-


rungen vorzuenthalten, lehnt der Betriebsrat „kate-


gorisch“ ab. Gleichzeitig will Brecht punktuellen


Ausscheidungsvereinbarungen nicht im Wege ste-


hen – „die doppelte Freiwilligkeit sowie gute Kondi-


tionen vorausgesetzt“, so der Betriebsratschef.


Auch eine Öffnung der Altersteilzeit sei vorstellbar.


Dividende wackelt


Damit zeichnet sich eine Kompromisslinie ab. Über


Abfindungen, Altersteilzeit, Vorruhestand und na-


türliche Fluktuation könnte Daimler trotz der Be-


schäftigungssicherung einige Tausend Stellen ab-


bauen. Investoren fordern darüber hinaus, die Fer-


tigungstiefe zu reduzieren, die Truck-Sparte an die


Börse zu bringen und einen Abschied aus Engage-


ments abseits des Kerngeschäfts wie der Formel 1.


Im Gegenzug sind die Eigentümer teils selbst


zum Verzicht bereit. „Die Dividende muss um min-


destens einen Euro pro Aktie gekürzt werden. Man


hat kein Geld zu verschenken“, erklärt Bauknecht


von DWS. Bei aller Kritik an Daimler wissen viele


Anleger zugleich um das immense Potenzial. Mer-


cedes sei die wertvollste Luxusautomarke der Welt,


die Strahlkraft sei ungebrochen.


Das Multimediasystem MBUX, das Källenius


noch in seiner Zeit als Entwicklungschef bei Daim-


ler vorangetrieben hat, halten viele Investoren für


das beste Infotainmentkonzept auf dem Markt.


Und wichtiger noch: Dank einer Verbauquote der


teuersten MBUX-Variante von weit mehr 80 Pro-


zent lasse sich damit ordentlich Geld verdienen.


„Daimler hat natürlich das Potenzial, die ge-


wünschten Renditen zu verdienen, aber es braucht


auch das richtige Management dazu“, mahnt Mu-


ders von Union Investment. Am Donnerstag will


Källenius ihm zeigen: Es gibt keinen Besseren für


den Job. Rückendeckung erhält er dabei von Geely-


Gründer Li Shufu, dem größten Einzelaktionär von


Daimler. Dieser unterstütze die Richtung, die der


Vorstand einschlägt, erklärte ein Sprecher.


19,9 %


Daimler in Zahlen
9-Monatszahlen im Vergleich

Kennzahlen nach Segmenten
Jan. bis Sept. 2019

Umsatz Ebit


Umsatz


(Ebit-Marge in %)


Ergebnis (Ebit) Free Cashflow
Industriegeschäft

2018:
120,75 Mrd. €

2018:
8 463
Mio. €

(7,0 %)


2019:
125,62 Mrd. €

+4,0 %


HANDELSBLATT • Quelle: Unternehmen

1) Ohne Überleitung; 2) Eigenkapitalrendite statt Ebit-Marge

2019:
3 941 Mio. €

(3,1 %)


Mercedes-
Benz Cars

67,
Mrd. €

2,
Mrd. €

3,1 % 3 bis
5 %

2018:



  • Mio. €


2019:
-5 22
-53,0 % Mio. €

Ebit-
Marge

Rendite-
ziel 2019

Daimler
Trucks

30,
Mrd. €

2,
Mrd. €

6,9 % 6 bis
8 %

Mercedes-Benz
Vans

10,
Mrd. €

-2,
Mrd. €

-19,4 % -15 bis
-17 %

Daimler Buses


3,
Mrd. €

0,
Mrd. €

5,0 % 5 bis
7 %

Daimler
Mobility

21,
Mrd. €

2,
Mrd. €

17 bis
19 %

IG Metall


Arbeitnehmer


machen mobil


W


ährend Daimler-Chef Ola Källenius am
heutigen Donnerstag die Investoren in
London von seinem Kurs überzeugen
muss, braut sich an der Heimatfront einiges zu-
sammen. Die Arbeitnehmer machen mobil gegen
die Sparpläne in der Branche und von Daimler
im Besonderen. Der einflussreiche Bezirksleiter
der IG Metall Baden-Württemberg, Roman Zit-
zelsberger, trommelt zum Widerstand: „Jobab-
bau? Zukunftsklau? Halbschlau!“ – unter diesem
Motto ruft Zitzelsberger, der auch im Daimler-
Aufsichtsrat sitzt, am 22. November in Stuttgart
zu einem landesweiten Aktionstag gegen die
Sparprogramme in der Auto- und Zuliefererin-
dustrie auf. Über 10 000 Beschäftigte erwartet er
auf dem Schlossplatz.
Um der Sache mediale Wucht zu verleihen,
brachte er am Mittwochnachmittag prominente
Betriebsräte mit. Dazu zählte Michael Häberle
vom Daimler-Stammwerk in Untertürkheim. Hier
werden die Motoren gefertigt. „Wir wollen das
Herz des Automobils bleiben. Dafür nehmen wir
auch den Kampf auf “, sagte Häberle.
Den Antriebsstrang des neuen Elektroautos
EQC liefert bereits ZF. Die Verhandlungen, wie es
in Zukunft mit den Elektroantrieben weitergeht,
laufen – und das aus Häberles Sicht nicht gut. Er

spricht von „völlig überzogenen Forderungen des
Managements, die in keinem Verhältnis stehen“
und inakzeptabel seien. Der Betriebsrat fürchtet,
dass Källenius Investitionen in Untertürkheim
dem Sparkurs opfert. Das Stammwerk könne
beim Wandel zu Elektromobilität an Bedeutung
einbüßen und langfristig auf der Strecke bleiben.
Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet: ZF
baut seinen Antriebsstrang für Daimler in
Schweinfurt zusammen, verwendet aber kosten-
günstige Zulieferungen aus Osteuropa. Preislich
dürften die Daimler-Beschäftigten nur wenig
Chancen haben, ebenso günstig zu produzieren.
Neben Häberle saß an diesem Tag Hartwig Gei-
sel, oberster Arbeitnehmervertreter bei Bosch.
Auch der Technologiekonzern bietet einen elek-
trischen Antriebsstrang an und bricht damit in
die Domäne der Autohersteller ein. Bei der
IG Metall ziehen beide Funktionäre aber am glei-
chen Strang. Geisel kritisierte sein Management:
„Wir fragen, ob der überraschend harte Sparkurs
noch mit dem Bosch-Weg vereinbar ist.“ Scheib-
chenweise bekommt der Betriebsratschef die
Kürzungspläne mit und zählte – was sein Konzern
bisher nicht getan hat – erstmals zusammen:
„2 500 Arbeitsplätze hat Bosch bereits abgebaut,
3 300 kommen in den nächsten beiden Jahren
hinzu.“ Das ist ebenso neu wie die Information,
dass bei der Verbrennungsmotorentechnik jede
fünfte Führungskraft zur Disposition steht. Der
Gesamtbetriebsratschef griff Bosch-Chef Volkmar
Denner an: „Die reine Renditeorientierung spal-
tet die Belegschaft.“ Martin Buchenau

Kostensenkung


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UNTERNEHMEN


in der baden-württembergischen
Automobilbranche haben Sparprogramme bis
hin zum Personalabbau angekündigt.

Quelle: IG Metall


Stuttgarter Sparkurs


DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


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