Handelsblatt - 14.11.2019

(Steven Felgate) #1

Martin Greive, Jan Hildebrand Berlin


O


laf Scholz (SPD) wirkt wie ausge-
wechselt. Noch am Dienstagnachmit-
tag hat der Bundesfinanzminister ei-
nen seiner üblichen, einschläfernden
Auftritte im Neuköllner Hotel Estrel
beim Arbeitgeberverband. Eine Viertelstunde las er
vom Manuskript ab, bevor die Wirtschaftsvertreter
ihn das erste Mal mit Applaus unterbrachen, aber
auch das eher aus Höflichkeit, weil die Stille nach
Scholz‘ Sätzen unangenehm wirkte.
Wenige Stunden später und einige Kilometer ent-
fernt steht am Dienstagabend dann ein ganz ande-
rer Scholz im Willy-Brandt-Haus. In der SPD-Zen-
trale duellieren sich die Bewerberpaare um den
Parteivorsitz, der Vizekanzler und seine Mitkandi-
datin Klara Geywitz auf der einen Seite und Nor-
bert Walter-Borjans und Saskia Esken auf der ande-

ren. Und Scholz zeigte sich hier von Beginn an an-
griffslustig. Er lobte sich nicht nur selbst für die
„Riesenverhandlungsleistung“ bei der Grundrente,
er unterbrach seine Kontrahenten und ließ sie im-
mer wieder „harten Widerspruch ertragen“, den er
vorher noch selbst warnend ankündigte.
Es sollte jeder Genosse mitbekommen: Der höl-
zerne Scholz kann auch anders. Eine „angriffslusti-
ge“ SPD wünsche er sich, sagte er – und machte
dann mit seinem Auftritt deutlich, dass er als Par-
teichef dazu durchaus beitragen könnte. In kleinen
Runden kann man Scholz häufiger mal „on fire“ er-
leben. Doch wer ihn nur von öffentlichen Auftrit-
ten kennt, kann sich das kaum vorstellen. Hier hat
sich der SPD-Politiker staatstragende Zurückhal-
tung auferlegt. Die Bürger sollen ihm ohne Beden-
ken das Kanzleramt anvertrauen, das ist sein Ziel.

Und da schaden aufbrausende Auftritte im Zweifel.
Scholz‘ Problem ist nur: Vor einer möglichen Kanz-
lerkandidatur muss er nun erst einmal Parteichef
werden und die SPD-Mitglieder überzeugen. Und in-
nerhalb seiner eigenen Partei zählt Scholz nicht gera-
de zu den Lieblingen. Zu kühl und technokratisch sei
er, lautet ein Vorwurf, zu rechts, ein anderer.
Und so war die Bewerbung um den SPD-Vorsitz
für den Vizekanzler und bekanntesten Kandidaten
von Beginn an alles andere als ein Selbstläufer. Nur
knapp schafften es Scholz und Geywitz im ersten
Wahlgang auf den ersten Platz. Und sollten die Ge-
nossen, die bisher eines der eher linken Kandida-
tenduos unterstützten, zu Walter-Borjans und Es-
ken abwandern, wird es für Scholz und Geywitz
schwierig. Jedenfalls wagt aus der SPD-Führung
niemand eine Prognose, wie das Rennen ausgehen
wird. „Es wird knapp“, gibt auch ein Scholz-Ver-
trauter zu. Und das ist der Grund, warum Scholz
nun die Zurückhaltung ablegt, die er noch in den
23 Regionalkonferenzen zeigte, und auf Abteilung
Attacke schaltet.

Prominente Unterstützung


Scholz und sein Umfeld haben ihre Kampagne ge-
nau geplant. Dazu zählt einerseits, omnipräsent zu
sein. Scholz gibt so viele Interviews wie nie. Dazu
sprechen sich nach und nach prominente Genos-
sen für ihn und Geywitz aus. Man hat fast das Ge-
fühl, das Ganze folgt einem Drehbuch. Besonders
wichtig war für Scholz die Unterstützung des frühe-
ren Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Schließlich
wünschen sich viele in der Partei, dass mit der neu-
en Führung auch die Zeit der ewigen Grabenkämp-
fe endet. Auch die Schützenhilfe von Niedersach-
sens Ministerpräsident Stephan Weil ist daher
wichtig für den Finanzminister. Die beiden können
eigentlich nicht gut miteinander.
Doch im Scholz-Lager kann man sich nicht da-
rauf verlassen, dass dieser Zuspruch bei den Genos-
sen Eindruck hinterlässt. Es gibt sogar mahnende
Stimmen, die raten, es nicht zu übertreiben. Auf
keinen Fall dürfe es so wirken, dass die SPD-Vorde-
ren mit Scholz einen der ihren pushen wollen, um
so die Koalition und damit ihre Posten zu sichern.
Das könnte nach hinten losgehen. Der dritte Bau-
stein der Kandidatur sind größere Kurskorrekturen,
um den Kontrahenten Angriffsfläche zu nehmen.
So ist Scholz jetzt etwa auch für eine Vermögen-
steuer oder die Veröffentlichung länderbezogener
Steuerdaten von Firmen.
Das ungeliebte Bündnis mit der Union bleibt
aber ein Angriffspunkt. Geywitz und der Bundesfi-
nanzminister sind für die Große Koalition und ihre
Fortsetzung und damit aus Sicht vieler SPD-Linker
für den Niedergang der Partei. Deshalb war die Ei-
nigung auf die Grundrente für Scholz so wichtig.
Das soll den Genossen vor Augen führen, dass die
SPD der Union einiges abringen kann, und zwar
weit über den Koalitionsvertrag hinaus. Schon wer-
den die Ersten in der Union nervös und warnen,
man dürfe Scholz nicht unterschätzen. Kanzlerin
Angela Merkel mache möglicherweise zu viele Zu-
geständnisse, nur um die Koalition zu retten.
Der Vizekanzler kostet diesen „Erfolg der SPD“,
wie er es nennt, auch am Dienstagabend aus. Kei-
nesfalls will er es zulassen, dass Esken und Walter-
Borjans das schmälern. „Die Grundrente repariert
nur, was wir jahrelang auf dem Arbeitsmarkt zuge-
lassen haben. Da muss sich was verändern. Wann
beginnen wir mit dieser anderen Politik?“, fragte
Esken ihn. Und Walter-Borjans setzte gleich nach:
Die SPD habe sich in den Verhandlungen von CDU/
CSU doch daran hindern lassen, „für weitere zwei
Millionen Menschen die Grundrente rauszuhan-
deln“. Das, so die Botschaft, sei typisch für die heu-
tige SPD. Sie sei zu hasenfüßig.
Scholz hält sofort dagegen: „Wenn die SPD einen
riesigen Erfolg erzielt hat, macht es keinen Sinn,
das kleinzureden. Sonst macht sie sich klein.“ Als

Der doppelte Olaf

Im Kampf um den SPD-Vorsitz gibt Olaf Scholz den linken


Sozialdemokraten. Doch nach einer geglückten Wahl dürfte


er sich schnell wieder in die Mitte orientieren.


Olaf Scholz:
Angriffslustiger
Kandidat für
den SPD-Vorsitz.

dpa

Wenn die


SPD einen


riesigen


Erfolg erzielt


hat, macht


es keinen


Sinn, das


kleinzureden.


Olaf Scholz
Vizekanzler

Wirtschaft

& Politik

DONNERSTAG, 14. NOVEMBER 2019, NR. 220


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