Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
Martin Murphy Frankfurt

D


as Nein von Sigmar Ga-
briel hat die Automa-
nager Ola Källenius
und Arndt Kirchhoff
kalt erwischt. Die bei-
den Firmenchefs sind mit der Suche
nach einem neuen Präsidenten für
den Verband der Automobilindustrie
(VDA) betraut. Es ist ein wichtiger
Posten, gilt es doch gerade in der
Umbruchphase, den Kontakt zur Po-
litik zu halten.
Auf zwei Köpfe hatten Daimler-
Chef Källenius und der Boss von
Kirchhoff Automotive das Feld der
Kandidaten eingedampft. Verblieben
waren die früheren Staatsminister
Hildegard Müller und eben Gabriel,
der Minister für die Bereiche Wirt-
schaft, Umwelt und Auswärtiges so-
wie Vizekanzler und SPD-Chef war.
Ein Tausendsassa. „Er wäre unser Fa-
vorit gewesen“, sagten etliche Vertre-
ter der Autobranche.
Er war Favorit, und nun fällt seine
Berufung kurz vor der entscheiden-
den Sitzung des VDA-Vorstands am
Donnerstag aus. Ohne Zweifel sei die
Präsidentschaft eine „spannende und
herausfordernde Aufgabe“, erklärte
Gabriel. Aber er stehe für diese Auf-
gabe nicht zur Verfügung.
Für Källenius und Kirchhoff ist die-
se Absage ein herber Rückschlag. Am
Samstag hatten die drei über die
künftige Rolle und Aufstellung des
Verbands diskutiert. Es war sozusa-
gen ein Abklopfen der grundsätzli-
chen Frage, ob Gabriel denn für die
Aufgabe auch wirklich bereit ist. Posi-
tiv sei das Gespräch gewesen, hieß es
vonseiten eines Beteiligten. Gabriel

habe sogar Überlegungen angestellt,
wie die International Automobilaus-
stellung (IAA) zukünftig besser posi-
tioniert werden könnte. Die Messe
hatte zuletzt unter Besucherschwund
gelitten. Nun wird gar diskutiert, ob
die Veranstaltung von Frankfurt nach
Berlin wandert und am Ende zu ei-
nem Event für nachhaltige Mobilität
umfunktioniert wird.
Problematisch ist aus Sicht einiger
Autobosse Gabriels Parteibuch gewe-
sen. Mit Blick auf die aktuellen Um-
fragewerte ist ein dauerhafter Ver-
bleib der SPD in der Bundesregie-
rung unwahrscheinlich. „Besser ist
da eine Mitgliedschaft bei der CDU
oder den Grünen“, sagte ein mit den
Vorgängen vertrauter Manager aus
der Industrie.
Es waren nicht die einzigen Zwei-
fel: Auch Gabriel wohl gesonnene
Menschen hatten ihm abgeraten.
„Die Autoindustrie steckt in einem
Umbruch, und da wird der Kontakt
mit der Politik nicht einfach sein“,
sagte eine Person aus seinem persön-
lichen Umfeld. Er habe Gabriel daher
empfohlen, nicht Präsident des VDA
zu werden.
Und dann sind da noch die Aussa-
gen von ihm selbst, die eine Über-
nahme des Postens zumindest erklä-
rungsbedürftig gemacht hätten.
„Man soll nicht an Türen klopfen,
hinter denen man selbst mal geses-
sen hat“, hatte er einmal der
„Bild“-Zeitung gesagt. Sprich, Lobby-
ist hätte er nicht werden wollen. Tei-
le der SPD hätten ihm das sicher
nicht verziehen. Viele Genossen zür-
nen immer noch Ex-Kanzler Gerhard

Schröder, der heute unter anderem
für die russische Energiewirtschaft
arbeitet.
Källenius und Kirchhoff verbleibt
nun mit Hildegard Müller vorerst nur
eine Kandidatin für die VDA-Spitze.
Mit ihr hatten die beiden Mitte vergan-
gener Woche gesprochen. Es sei ein
angenehmes und konstruktives Tref-
fen gewesen, hieß es. Als Ex-Staatsmi-
nisterin ist sie in der Politik bestens
verankert und als frühere Chefin des
Energieverbands BDEW mit der Ver-
bandsarbeit vertraut. Als Vorständin
von Innogy kennt sie sich zudem in
dem Bereich Elektromobilität sehr gut
aus. „Sie ist definitiv eine Bereiche-
rung“, sagte ein Branchenvertreter.
Wenn der Vorstand des VDA am
Donnerstag in der Früh zusammen-
tritt, wird die Personalie Müller im
Zentrum der Diskussion stehen. Eine
Entscheidung über die Neubesetzung
soll indes noch nicht gefällt werden,
berichteten Teilnehmer dem Han-
delsblatt. „Einige Mitglieder des VDA
kennen Frau Müller nicht.“ Sie müsse
sich nun vorstellen und um Vertrau-
en werben.
Ihre Wahl könnte dann dem Ver-
nehmen nach Anfang kommenden
Jahres stattfinden. Damit wird klar,
dass der Verband zumindest eine
kurze Zeit führungslos sein wird.
Amtsinhaber Bernhard Mattes hatte
im September überraschend seinen
Rücktritt zum Jahresende angekün-
digt. Müller selbst soll für die Aufga-
be unverändert zur Verfügung ste-
hen, auch wenn Gabriel der Favorit
gewesen sei, hieß es am Mittwoch
aus Industriekreisen.

Automobilindustrie


Hängepartie um


Verbandsspitze


Nach dem Rückzug von Sigmar Gabriel könnte Hildegard Müller oberste


Auto-Lobbyistin werden. Die Entscheidung wird sich


aber bis 2020 ziehen.


Bernhard Mattes: Der VDA-Chef
geht Ende des Jahres.

imago/photothek

Ohne Zweifel


ist es eine


spannende


und heraus -


fordernde


Aufgabe.


Sigmar Gabriel
über das Amt des
VDA-Präsidenten, das
er nicht anstrebt

Arndt Kirchhoff: Der Unternehmer
muss bei der Präsidenten-Suche die
Interessen der Zulieferer wahren.

imago/Jürgen Heinrich

Ola Källenius: Der Daimler-Chef hat
mit der Suche eines neuen VDA-Präsi-
denten einen schwierigen Job.

dpa

Streik


Lufthansa


streicht 1 300


Flüge


Jens Koenen Frankfurt


E


instweilige Verfügung, Gesprä-
che in letzter Minute – bis in
den späten Mittwochabend hi-
nein versuchte die Lufthansa-Spitze
alles, um den von der Kabinenge-
werkschaft UFO ausgerufenen zwei-
tägigen Arbeitskampf noch zu verhin-
dern. Doch schon am Mittwochmit-
tag zeichnete sich ab, dass die Aus-
stände nicht mehr aufzuhalten sind.
Auch deshalb aktivierte Lufthansa
den sogenannten Sonderflugplan.
Danach streicht Europas größte Flug-
gesellschaft am Donnerstag und am
Freitag insgesamt 1 300 Verbindun-
gen. Auffällig dabei: Auch Flüge bei
den Töchtern Swiss, Austrian, Edel-
weiss und Brussels Airlines sind be-
troffen. Das Unternehmen fürchtet
wohl, dass UFO die Drohung wahr
macht, den Aussstand bei der Kern-
marke Lufthansa kurzfristig auf die
Ableger auszuweiten.
Das zeigt, wie verkorkst die gesam-
te Situation mittlerweile ist. Daran
dürfte auch ein kurzfristig von Luft-
hansa-Chef Carsten Spohr einberufe-
nes Gespräch mit allen „Kabinenge-
werkschaften“ – also der UFO, Verdi
und der sich gerade gründenden CU
unter dem Dach der IGL – wenig än-
dern. Zwar war es bei Redaktions-
schluss dieser Ausgabe noch nicht
beendet. Aber Daniel Flohr, der stell-
vertretende Chef der UFO, sagte sei-
ne Teilnahme schon im Vorfeld ab.
Die Stimmung zwischen UFO und
Lufthansa ist auf einem absoluten
Tiefpunkt. Die Entscheidung des
Konzerns, per Antrag auf einstweilige
Verfügung gegen den Arbeitskampf
vorzugehen, dürfte wenig zur
Entspannung beigetragen haben. In
einer ersten Instanz wurde der An-
trag der Lufthansa abgelehnt, noch
am Abend wollte das Landesarbeits-
gericht über die Berufung entschei-
den.
Es gilt aber als recht wahrschein-
lich, dass auch die zweite Instanz den
Beschluss bestätigen wird. Zwar
zweifelt Lufthansa die ordnungsge-
mäße Besetzung des UFO-Vorstands
an und damit auch die sogenannte
Vertretungsberechtigung der Ge-
werkschaft. Doch das Streikrecht ist
ein hohes Gut, das deutsche Arbeits-
gerichte in der Vergangenheit stets
deutlich geschützt haben.
UFO hat wegen eines gekündigten
Tarifvertrags zum Streik aufgerufen.
Es herrscht also keine Friedenspflicht
mehr. Genau dieser Punkt war für
das erstinstanzliche Urteil am Mitt-
wochvormittag entscheidend.
Wie die vertrackte Situation nun
überhaupt noch gelöst werden kann,
ist offen. Zwar werben auch Verdi
und CU in der Kabine um Mitglieder.
Doch die UFO hat mit Abstand die
meisten und damit nach dem Tarif-
einheitsgesetz das Recht, den Tarif-
vertrag auszuhandeln.
Zwar könnte Lufthansa UFO nun
umgehend zu Verhandlungen einla-
den oder die Schlichtung anrufen,
wie es beide Seiten schon vor einigen
Jahren bei Streitfällen vereinbart hat-
ten. Doch damit würde das Unter-
nehmen die UFO als Gewerkschaft
anerkennen. Die gerichtliche Prüfung
der Statusfrage, die im April verhan-
delt werden soll, wäre damit wohl
hinfällig.


Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
24

Free download pdf