Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1

VW-Dieselskandal


Bezahlt und verschwiegen


VW hat zwei Dutzend


Gutachten in Auftrag gegeben.


Etliche Professoren schreiben


darauf aufbauend Aufsätze.


Fast alle sind positiv für VW.


Volker Votsmeier Düsseldorf


I


hren Anfang nahm diese Ge-
schichte mit einem Anruf eines
Pressesprechers von Volkswagen
beim Handelsblatt. Er melde sich we-
gen des Interviews dieser Zeitung mit
Michael Heese wenige Tage zuvor. Der
Jura-Professor aus Regensburg übte
harsche Kritik an Volkswagen und be-
scheinigte betrogenen Kunden bei de-
ren Schadensersatzklagen exzellente
Chancen. Ob das Handelsblatt wisse,
auf wen es sich da eingelassen habe,
fragte der VW-Sprecher. „Wir haben
gehört, dass Heese für die Kläger tätig
ist.“ Wo bliebe da die wissenschaftli-
che Unabhängigkeit?
Es war eine gute Frage. Die Dieselaf-
färe beschäftigt die deutsche Justiz in-
tensiv. In den USA hat Volkswagen zu-
gegeben, massenhaft seine Dieselmo-
toren so manipuliert zu haben, dass
sie viel mehr Schadstoffe ausstießen
als erlaubt. Von juristischer Verfol-
gung kaufte sich VW in den USA mit
20 Milliarden Dollar frei, in Deutsch-
land bestreitet der Konzern, dass sei-
ne Kunden überhaupt geschädigt wur-
den. Wer sein Recht will, muss klagen.
Vor Gericht argumentieren beide
Seiten mit Gutachten und Fachaufsät-
zen von angeblich unparteiischen Ju-
risten. Bei einer Verhandlung am
Oberlandesgericht Braunschweig war
es der Vorsitzende Richter selbst, der
auf eine Argumentation von Professor
Heese verwies. Was wäre, wenn Heese
für seine Ausführungen von interes-
sierter Klägerseite bezahlt war?


Mögliche Missverständnisse


Heese reagierte auf die Frage nach sei-
nem Geldgeber mit Empörung. Eine
unverschämte Unterstellung nannte
der Professor die Andeutung aus
Wolfsburg, dass er sich seine wissen-
schaftliche Unabhängigkeit habe ab-
kaufen lassen. „Ich bin bisher in der
Causa ‚Dieselgate‘ für keine der betrof-
fenen Seiten gutachterlich, also gegen
Honorierung, tätig geworden.“
Mit der Antwort des Professors kon-
frontiert, nahm der VW-Sprecher sei-
ne Aussage zurück. Der Hinweis des
Richters am Oberlandesgericht Braun-
schweig auf einen Aufsatz Heeses sei
wohl falsch interpretiert worden. Es
handele sich offenbar um ein „mögli-
ches Missverständnis“.
Die Frage des VW-Sprechers ist da-
mit nicht falsch. Was sind Rechtsmei-
nungen wert, die Professoren in Fach-
aufsätzen und Gutachten nieder-
schrieben? Gibt es welche, die von der
einen oder anderen Seite bezahlt wur-
den? Die Antwort kommt von Volks-
wagen. „Im Rahmen von deutlich
über 500 000 streitigen Ansprüchen
allein in Deutschland haben wir rund
zwei Dutzend Gutachten in Auftrag
gegeben“, sagt VW-Sprecher Christo-
pher Hauss. Es handele sich jeweils
um Gutachten zu unterschiedlichen
Rechtsfragen, die noch nicht höchst-
richterlich geklärt sind. Angesichts der
hohen Anzahl an Klagen und unge-
klärten Rechtsfragen sei das Vorgehen
von Volkswagen üblich.
Einer der Professoren, der von VW
auf diese Weise beauftragt worden
sein soll, heißt Thomas Riehm. Der Zi-


vilrechtler von der Uni Passau schreibt
auch Fachaufsätze, etwa zur Frage, ob
Volkswagen Kunden betrog und damit
nach dem sogenannten Deliktsrecht
entschädigen muss. In der „Neuen Ju-
ristischen Wochenschrift (NJW)“ kam
Riehm Anfang 2019 zum Ergebnis:
„Eine substanzielle Schadensersatz-
haftung der Hersteller manipulierter
Diesel-Fahrzeuge lässt sich dogma-
tisch nicht begründen.“
Für Kunden oder Richter, die sich
mit dem Thema befassen und Riehms
Aufsatz lesen, wäre es hilfreich, zu er-
fahren, wer ihn finanzierte. Doch die-
se Auskunft bleibt die „NJW“ schuldig.
In einer Fußnote wies der Passauer
Professor darauf hin, dass der Beitrag
auf „eine Anfrage aus der Praxis zu-
rückgeht“. Ob diese aus dem VW-La-
ger kam, steht dort nicht. Riehm ant-
wortete auf Nachfrage nicht.

Erstaunliche Zurückhaltung
Auch Christian Armbrüster vertritt
eine klare Position pro Autoherstel-
ler. Der Jura-Professor forscht und
lehrt an der Freien Universität Ber-
lin, die jüngst ihre „Exzellenz“-Aus-
zeichnung als eine der besten Hoch-
schulen Deutschlands verteidigen
konnte. In der „Zeitschrift für Wirt-
schaftsrecht“ erschien im Mai 2019
der Beitrag „Herstellerhaftung für ab-
gasmanipulierte Fahrzeuge“. Autor
Armbrüster schrieb: „Weder das Ver-
trags- noch das Deliktsrecht bietet
den Käufern abgasmanipulierter
Fahrzeuge eine tragfähige Grundla-
ge, den Hersteller auf Erstattung des
Kaufpreises in Anspruch nehmen zu
können.“
Wie sein Kollege Riehms erwähnt
auch Armbrüster mit keinem Wort,
wer seine Beschäftigung mit der Die-
selaffäre alimentiert. Wortreich er-
klärt der Professor dagegen, warum
der Rechtsmeinung des Oberlandes-
gerichts Braunschweig „vollauf zuzu-
stimmen“ sei. Die Braunschweiger
Richter, die ihre Urteile 40 Kilometer
von der Wolfsburger VW-Zentrale
entfernt fällen, gelten als Bastion des
Konzerns. Armbrüster schreibt in sei-
nem Aufsatz nicht, dass die meisten
anderen Gerichte gegen Volkswagen
und für die Kunden urteilen.
Die Frage, ob er von Volkswagen
Geld erhielt, will Armbrüster nicht
beantworten. „Wie es im wissen-
schaftlichen Publikationsbetrieb
nach meinem Verständnis geboten
ist, weise ich bei Aufsätzen, die auf
Rechtsgutachten beruhen, auf diesen
Umstand in der Publikation hin. Mit
diesem Hinweis hat es bei mir gene-
rell sein Bewenden.“
Diese Zurückhaltung verbindet ihn
mit Kai von Lewinski. Der Professor
hat an der Uni Passau einen Jura-
Lehrstuhl. Anfang 2019 schrieb er ei-
nen Aufsatz mit dem Titel „Nichtig-
keit treuhänderischer Abtretungen
an Inkassodienstleister“. Eine Klage
eines solchen Dienstleisters sei
„mangels Aktivlegitimation unbe-
gründet“, schreibt Lewinski. Er
schreibt nicht, dass VW sich in der
Dieselaffäre gerade genau so einer
Klage stellen muss. Der Fall liegt
beim Bundesgerichtshof. Rund
30 000 Dieselkunden haben ihre An-
sprüche an den Rechtsdienstleister
Myright abgetreten.
Lewinski erwähnt in seiner Schrift,
dass sein Aufsatz in der „Monats-
schrift für Deutsches Recht“ Überle-
gungen fortführt, die „Gegenstand ei-
nes Gutachtens für die Praxis waren“.

Wer ihn für das Gutachten bezahlte?
„Das möchte ich nicht sagen“, antwor-
tet der Professor. Der Auftraggeber
wolle nicht genannt werden.
Volkswagen bestätigt das. „Wir le-
gen Wert darauf, dass die Leser der
juristischen Fachartikel erkennen
können, auf welcher Grundlage die
jeweiligen Artikel entstanden sind“,
sagt Sprecher Hauss. Das bedeute
aber nicht, dass unter einem solchen
Auftrag stehen müsse, dass Volkswa-
gen den Autor bezahlte. Richter und
grundsätzlich auch Leser von Fach-
zeitschriften könnten dies entspre-
chend einordnen.
Nach Auskunft des Deutschen
Hochschulverbands ist dies aber
nicht genug. „Allein der Hinweis,
dass ein Aufsatz aus einer Anfrage
aus der Privatwirtschaft zurückgeht,
ist nicht ausreichend“, sagt Ver-
bandssprecher Matthias Jaroch und
wird deutlich: „Gefälligkeitsgutach-
ten, Einseitigkeit der Argumentation
und jeder Anflug von Parteilichkeit

widersprechen dem Berufsethos des
Wissenschaftlers.“
Jaroch betont, dass es in Sachen
Transparenz und Offenlegung mögli-
cher Interessenkonflikte keine Kom-
promisse geben sollte: „Für den
Deutschen Hochschulverband ist die
Unparteilichkeit für die deutsche
Wissenschaft essenziell. Professoren
müssen daher in Aufsätzen oder an-
deren Veröffentlichungen klarma-
chen, ob und von wem sie Zuwen-
dungen erhalten haben.“
Wie das geht, zeigt ein Aufsatz von
Klaus Tolksdorf, bis 2014 BGH-Präsi-
dent. Der Honorarprofessor der Uni
Münster fertigte ein Gutachten für
einen Rechtsdienstleister. Das Ge-
schäftsmodell sei rechtlich nicht zu
beanstanden, resümiert Tolksdorf.
Gleich in der ersten Fußnote macht
er deutlich: „Der Beitrag ist hervor-
gegangen aus Rechtsgutachten im
Auftrag der Financialrights zur Vor-
lage in Zivilprozessen gegen die
Volkswagen AG.“

Gefälligkeits -


gutachten,


Einseitigkeit der


Argumen tation


und jeder Anflug


von Partei-


lich keit wider-


sprechen dem


Berufsethos


des Wissen -


schaftlers.


Matthias Jaroch
Deutscher
Hochschulverband

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DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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