Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1

Adidas


Wunder


bleiben aus


S


chneller, höher, stärker: Das
olympische Motto scheint wie
gemacht für Kasper Rorsted.
Seit der Manager vor gut drei Jah-
ren als Chef von Adidas antrat, geht
es bei dem Sportkonzern meist
bergauf. Die Investoren feiern den
57-Jährigen dementsprechend, der
Aktienkurs hat sich in seiner Amts-
zeit verdoppelt.
Wer sich die Zahlen aber einmal
genau anschaut, der stellt fest: Ror-
sted hat zwar viel richtig gemacht.
Die Wunder, die so mancher Anle-
ger von dem Dänen erhoffte, die
kann aber auch der Ex-Chef von
Henkel nicht vollbringen.
Das zeigen die jüngsten Ergebnis-
se des dritten Quartals ganz deut-
lich. So verkaufte Rorsted zwar we-
sentlich mehr Schuhe und Textilien
als im selben Zeitraum 2018. Un-
term Strich blieb aber weniger hän-
gen als im Vorjahr.
Schon zu Jahresbeginn hatte sich
gezeigt, dass nicht alles rundläuft
bei der Marke mit den drei Streifen.
Rorsted setzte seinen Einkaufsvor-
stand vor die Tür. Der Manager hat-
te viel zu wenig Ware für den wich-
tigen US-Markt bei den Fabriken in
Fernost geordert. Ein gravierender
Fehler, der Adidas das ganze Jahr
über gebremst hat.
Dazu kommt: Auf dem wichtigen
europäischen Heimatmarkt hinkt
der Dax-Konzern dem US-Angreifer
Nike schon seit mehreren Quartalen
hinterher. Nur ganz langsam kommt
das Geschäft in Europa wieder in
Gang. Und auch bei der angeschla-
genen US-Tochter Reebok tut sich
Rorsted schwer. Die Wachstumsra-
ten sind nach wie vor mager, das
Renommee der Marke ist dürftig.
Unklar ist darüber hinaus, wie Ror -
sted auf die Innovationsoffensive
von Nike reagieren will. Der Welt-
marktführer hat in jüngster Zeit
vielversprechende Tech-Start-ups
übernommen.
Keine Frage: Rorsted hat bisher
einen guten Job gemacht. Adidas ist
unter seiner Führung profitabler
geworden und stark gewachsen. Die
Investoren haben viele Risiken aber
ausgeblendet und einfach darauf
vertraut, dass es Rorsted schon
richten wird. Es ist höchste Zeit,
Adidas nüchtern zu betrachten.


Die Investoren setzten viel zu
große Hoffnungen in
Vorstandschef Kasper Rorsted,
warnt Joachim Hofer.

„Die Wahrnehmung ist, dass
Softbank in den Morast von WeWork
heruntergezogen wird. Ich blicke mit
wahrem Bedauern auf die irrtümlichen
Investitionsschritte, die ich gemacht habe.“
Masayoshi Son, Softbank-Gründer

Worte des Tages


Der Autor ist Korrespondent in
München.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


E


ine der ersten Reisewellen löste wohl Jo-
hann Wolfgang von Goethe aus. Ende
des 18. Jahrhunderts begab sich der
Dichter und Denker auf seine „italieni-
sche Reise“ und fasste die Erlebnisse in
einer Art Tagebuch literarisch zusammen. Betuchte
Familien, die etwas auf Bildung hielten, schickten ih-
re Söhne und manchmal auch ihre Töchter auf die
Spuren Goethes, auf dass sie fremde Kulturen ken-
nen lernen und ihr Wissen erweitern sollten. Eine
Massenbewegung hat Goethe gleichwohl nicht aus-
gelöst. Reisen war damals nur etwas für Reiche.
Welch ein Gegensatz zu heute: Vom Junggesellen-
abschied auf Bali bist zum Tagespendler über 100 Ki-
lometer zum Arbeitsplatz ist heute Reisen so selbst-
verständlich wie noch nie. Die Bundesbürger unter-
nahmen im vergangenen Jahr 70 Millionen
Urlaubsreisen. Bahn, Fernbus und Fluggesellschaf-
ten zählten allein 200 Millionen Inlandsreisende.
Das alles wird noch übertrumpft von den Nahver-
kehrsbetrieben, die inzwischen pro Jahr mehr als
zehn Milliarden Fahrgäste befördern. Tendenz unab-
hängig vom Verkehrsmittel: stetig steigend.
So wundert es nicht, dass grenzenlose Mobilität
als etwas Selbstverständliches betrachtet wird. Die
Menschen erheben den Anspruch, ihrem Bedürfnis
nach Fortbewegung jederzeit und überall nachkom-
men zu können. Da kann der Taktverkehr auf der
Schiene nicht dicht genug, können Flugziele nicht
exotisch oder Autobahnen nicht breit genug sein.
Aber Mobilität ist kein Grundrecht. Auch wenn das
immer wieder behauptet wird.
Die Tourismuswirtschaft etwa warnt, dass der ak-
tuelle Klimahype die Freiheit bedrohe. Zusätzliche
Steuern auf Flugreisen etwa seien eine Gefahr für
die „Demokratisierung des Reisens“. Reisen dürfe
nicht wieder zu einem Luxusgut für eine Elite wer-
den. In der Tat möchte niemand zurück in Goethes
Zeiten, als 90 Prozent der Menschen ihr Dorf zeitle-
bens nicht ein einziges Mal verlassen haben.
Aber mit Demokratie hat das alles nichts zu tun.
Zurzeit werden die Argumente für oder auch gegen
staatliche Eingriffe wild durcheinandergewürfelt.
Freiheit ist ein Grundrecht, ja. Aber nicht das Reisen
selbst.
Man muss gar nicht den Irrsinn von 9,99-Euro-Ti-
ckets für den Wochenendtrip mit dem Flieger nach
Barcelona strapazieren, um eine Debatte über den
Sinn und Unsinn des Reisens zu entfachen. Und man
braucht auch keine schwedische Umweltaktivistin
Greta, um die Frage nach den Grenzen des Reisens
an sich zu stellen. Man muss nur auf deutsche Auto-
bahnen fahren, am besten morgens zwischen sieben

und neun Uhr, um den Wahnsinn zu erleben, den
unbegrenzte Mobilität auslöst. Der Verkehrsinfarkt
ist längst Realität, jeden Tag.
Es ist auch keine Frage der politischen Perspekti-
ve. Der Staat sollte nicht nur, er muss eingreifen,
wollen wir auf Dauer unsere Mobilität erhalten. Wir
erhalten damit auch unsere Freiheit. Dieser Punkt
geht zuweilen in der Klimadebatte unter. Es nutzt
uns überhaupt nichts, 48 Millionen Pkws in Deutsch-
land mit Elektromotoren auszurüsten, Flugzeugflot-
ten auf CO 2 -arme Triebwerke umzurüsten oder Lkws
in autonomen Kolonnen fahren zu lassen. Das redu-
ziert die Schadstoffemissionen, verhindert aber kei-
nen Verkehrsinfarkt.
Die Permanentüberlastung aller Verkehrssysteme
ließe sich vielleicht noch als lästige Begleiterschei-
nung der mobilen Welt abtun. Wären da nicht der
volkswirtschaftliche Schaden, der damit angerichtet
wird. Allein die Staus auf deutschen Straßen vernich-
ten jährlich wirtschaftliche Werte in einem Umfang
von 100 Milliarden Euro, sagen Fachleute. Wem die
Klimaschutzdebatte zu ideologisch geführt wird, der
kann sich auch an ökonomischen Argumenten fest-
halten.
Hier gegenzusteuern bedeutet aber ganz klar, Frei-
heiten einzuschränken. Und zwar die Freiheit des
Einzelnen. Das klingt wie ein Widerspruch. Aber die
Aufgabe des Staates besteht nun einmal darin, die
Interessen aller Bürger zu vertreten. Das heißt im
Einzelfall, Mobilität zu verhindern. Nachtflugverbote
als Lärmschutz für Flughafenanwohner sind ein Bei-
spiel dafür. Das heißt aber auch und vielleicht sogar
vor allem, Mobilität zu lenken. Etwa von der Straße
auf die Schiene.
Erfolgversprechend sind allerdings weniger Ge-
und Verbote des Staates. Der beste Lenkungseffekt
wird immer noch über den Preis erzielt. So wie Bil-
ligstflüge Kunden erst zum Reisen animiert haben,
die sie nie im Sinn hatten, so werden fühlbare Steu-
ern und Abgaben auf den Luftverkehr diesen Boom
auch bremsen können. Das Fliegen wird deshalb
nicht gleich zu einem Luxusgut. Aber das Reisen
wird überlegter, weil teurer. Und das muss ja das Ziel
sein. Wie aber kann man Elektromobilität mit Milli-
arden fördern, zugleich aber den Diesel-Steuerbonus
beibehalten? Wie kann man Verkehr reduzieren wol-
len, gleichzeitig aber die Pendlerpauschale erhöhen?
Der Staat sollte darauf achten, keine widersprüchli-
chen Signale zu senden.

Leitartikel


Reisen – ein Privileg


für Reiche?


Wie weit darf der
Staat die Freiheit
des Einzelnen
einschränken? Die
Klimadebatte
befördert eine
Grundsatzfrage
der Demokratie
auf den Tisch,
beobachtet
Dieter
Fockenbrock.

Der beste


Lenkungs-


effekt


wird immer


noch über den


Preis erzielt.


Der Autor ist Chefkorrespondent im Ressort
Unternehmen & Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
32

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