Handelsblatt - 07.11.2019

(Darren Dugan) #1
„Scholz will den letzten
Schritt zur europäischen
Einlagensicherung vollziehen,
bevor er überhaupt zum ersten
angesetzt ist.“
Jürgen Gros, Präsident Genossenschaftsverband
Bayern (GVB), zur europäischen Einlagensicherung

„Die Finanzminister von Frankreich
und Deutschland haben sehr
deutlich gemacht, dass sie unter
keinen Umständen parallele
Währungen akzeptieren werden.“
Felix Hufeld, Präsident der Finanzaufsicht Bafin, zu
Facebooks Plänen einer eigenen Kryptowährung

E


s ist legitim, dass Wissenschaftler Privatgutach-
ten für die Wirtschaft schreiben und damit ne-
ben ihrer regulären Tätigkeit an einer Hochschu-
le Geld verdienen. Nicht akzeptabel ist es allerdings,
wenn sie ihren Hauptberuf mit ihren Nebenjobs vermi-
schen, ohne ihre Leser darüber aufzuklären. Der Die-
selskandal bei Volkswagen ist dafür ein Beispiel. Allein
eine halbe Million Dieselkunden von Volkswagen for-
dern auf verschiedenen Wegen Schadensersatz vom
Konzern. Das wirft naturgemäß vielfältige Fragen auf,
die auch an den Jura-Fakultäten der Universitäten heftig
diskutiert werden.
Volkswagen hat etliche Professoren eingespannt, um
rechtliche Fragen rund um die Abgasaffäre zu beurtei-
len. In vielen Fällen schreiben dieselben Professoren zu
diesen Themen vermeintlich wissenschaftliche Aufsät-
ze. Das Problem: Die Hochschullehrer machen dabei
nicht transparent, dass sie gegen Honorar für den Auto-
bauer tätig waren. Oft finden sich lediglich Hinweise da-
rauf, dass der Beitrag auf eine Anfrage aus der Privat-
wirtschaft zurückgeht.


Damit verstoßen die Wissenschaftler gegen funda-
mentale Prinzipien. Universitäten und Hochschullehrer
können sich auf die Freiheit von Forschung, Wissen-
schaft und Lehre berufen und genießen dafür nach Ar-
tikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes sogar verfassungs-
rechtlich garantierten Schutz. Diese Sonderstellung ver-
langt allerdings größtmögliche Transparenz für
Hochschulprofessoren, die für eine bestimmte Partei
tätig werden. Es gilt, allein den Anschein eines mögli-
chen Interessenkonflikts zu vermeiden. Schon der Ein-
druck, dass Auftraggeber Einfluss auf Wissenschaftler
nehmen, beschädigt deren Glaubwürdigkeit. Auch die
Universitäten, die solche Professoren beschäftigen, neh-
men Schaden, wenn ihre wissenschaftliche Unabhän-
gigkeit infrage steht.
Wie problematisch das sein kann, zeigt aktuell ein
Strafprozess vor dem Landgericht Bonn. Dort stehen
zwei britische Aktienhändler wegen Hinterziehung von
Kapitalertragsteuern in dreistelliger Millionenhöhe vor
Gericht. Der Vorsitzende Richter bezeichnete Professo-
ren, die das mutmaßliche Steuerhinterziehungsmodell
in gut bezahlten Partei-Gutachten und Aufsätzen als le-
gitim einstuften, als „Mietschreiber“. Der Richter, na-
turgemäß selbst an einer Universität ausgebildet, rügte
noch im Gerichtssaal diese Praxis scharf.
Der Deutsche Hochschulverband fordert maximale
Transparenz, das gebiete das Berufsethos des Wissen-
schaftlers. Nur haben die Empfehlungen des Verbands
ausschließlich appellativen Charakter. Viele Professoren
ignorieren offensichtlich diese Empfehlungen. Es ist
Zeit, bei Verstößen wirksame Sanktionen zu verhängen.

Gutachten


Wissenschaft auf Abwegen


Professoren, die Aufträge aus der
Wirtschaft annehmen und dazu
Aufsätze schreiben, müssen für
Transparenz sorgen, fordert
Volker Votsmeier.

Der Autor ist Investigativ-Reporter.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Schon der


Eindruck,


dass


Auftraggeber


Einfluss


auf Wissen-


schaftler


nehmen,


beschädigt


deren


Glaub-


würdigkeit.


AFP, GVB, Axel Griesch/FinanzenVerlag/laif

Wirecard


Zweifel


bleiben


E


s ist paradox. Wirecard mel-
det starke Zahlen und erfreu-
liche Prognosen. So steigt
der Umsatz um mehr als 36 Pro-
zent, 2020 dürfte der Gewinn die
Schwelle von einer Milliarde Euro
übersteigen. Kein anderer Dax-Kon-
zern wächst so schnell. Doch an der
Börse lösen die Zahlen keine Eu-
phorie aus: Die Aktie liegt im Mi-
nus, erholt sich nur schleppend
vom Einbruch nach den jüngsten
Berichten der „Financial Times“
(„FT“). Wirecard sollte das endlich
als Warnsignal begreifen.
Dass der Konzern transparenter
werden muss, sagt Chef Markus
Braun inzwischen selbst. Ein gutes
Signal ist etwa, dass KPMG die Bi-
lanzfälschungsvorwürfe extern un-
tersucht. Allein, es reicht nicht aus:
Der Konzern muss sich viel stärker
öffnen, muss Anlegern wie Analys-
ten Einblick gewähren in sein kom-
plexes Geschäftsmodell. Dass es da-
ran erneut mangelt, zeigt die Vor-
stellung der Quartalszahlen.
Eine genaue Erklärung zu den um-
strittenen „FT“-Dokumenten fehlt
noch immer. Eine vollständige Liste
der Partnerunternehmen? Fehlan-
zeige. Ihr Anteil am Transaktionsvo-
lumen? Wird nicht aufgeschlüsselt.
Wirecard scheint so große Angst da-
vor zu haben, Geschäftsgeheimnisse
preiszugeben, dass der Konzern sich
weiter einigelt und bestenfalls hoch-
aggregierte Zahlen bereitstellt. Kriti-
ker überzeugt er so nicht.
Wirecard befindet sich in einem
schmerzlichen Reifungsprozess –
und das schon zu lange. Vorstands-
chef Braun hat seit 2002 aus einer
Dotcom-Bude einen potenziellen
Technologiegiganten geformt. Er
hat früh die Zahlungsabwicklung als
Zukunftsmarkt erkannt und weiß:
In der margenschwachen Branche
ist nur erfolgreich, wer möglichst
viele Kunden auf die Plattform holt.
Für Wirecard hieß das: Wachstum
um jeden Preis. „Hochrisikoberei-
che“ des E-Commerce wie Glücks-
spiel machten lange große Teile des
Umsatzes aus, in fernen Regionen
expandierte man mit unbekannten
Drittpartnern. Für ein Start-up ist
eine solche Strategie kein Problem –
ein Dax-Konzern muss sie erklären.
Und das schnell und umfassend.

Der Zahlungsabwickler legt starke
Zahlen vor. Doch das reicht nicht,
um kritische Beobachter zufrieden-
zustellen, sagt Felix Holtermann.

Der Autor ist Finanz-
korrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 7. NOVEMBER 2019, NR. 215
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