Handelsblatt - 17.10.2019

(Ron) #1
klärte der Fonds. Die US-Handelskon-
flikte und ein schwächeres globales
Wachstum hatten die großen Noten-
banken dazu bewogen, ihre Geldpoli-
tik erneut zu lockern. Eine zuvor ge-
plante vorsichtige Abkehr von der
sehr expansiven Ausrichtung nach
der Finanzkrise ist damit erst einmal
auf Eis gelegt. Die US-Notenbank Fed
senkte ihre Leitzinsen bereits zwei
Mal in diesem Jahr. In der Euro-Zone
hatte die Europäische Zentralbank
(EZB) erst vor wenigen Wochen ein
umfassendes Maßnahmenpaket zur
Stützung der Konjunktur auf den
Weg gebracht, zu dem auch eine
Zinssenkung und erneute Anleihe-
käufe gehören.
Gefährliche Schwachstellen im Fi-
nanzsystem sieht der Fonds insbe-
sondere bei Finanzdienstleistern ab-
seits der klassischen Banken. Seit
April seien die Gefahren in diesem
Teil der Finanzwirtschaft in den USA
und in der Euro-Zone gestiegen. Der
IWF forderte, die Aufsicht über die-
sen Teil der Finanzwirtschaft zu ver-
stärken. Dazu komme, dass die Ver-
schuldung der Firmen zunehme.
Sorgen bereitet dem Fonds auch ei-
ne wachsende Auslandsverschul-
dung in den Schwellenländern. Soll-
ten sich die Finanzierungsbedingun-
gen plötzlich verschärfen, könnte
dort der Schuldendienst schwerer
werden. Reuters

Zahlungsdienstleister


Druck auf Wirecard wächst


Der Verdacht der Bilanz -


fälschung bei Wirecard hat


Anleger aufgeschreckt. Nun


rückt die Rolle von Prüfern


und Aufsicht in den Fokus.


F. Holtermann, A. Rezmer,


C. Schnell Frankfurt, München


N


ach den Veröffentlichungen
der britischen Wirtschaftszei-
tung „Financial Times“ (FT)

vom Dienstag fordern Anleger wie


Beobachter Aufklärung vom Zah-


lungsdienstleister aus Aschheim bei


München. Die „FT“ hatte am Vortag


berichtet, dass 2016 rund die Hälfte


des Wirecard-Vorsteuergewinns über


ein Partnerunternehmen aus Dubai


namens Al Alam erzielt worden sei.


Die „FT“ kontaktierte 34 Kunden, de-


ren Geschäfte laut zugespielter Doku-


mente über die Plattform des Part-


ners abgewickelt worden sein sollen.


Fast die Hälfte hatte den Namen Al


Alam nie gehört, andere waren be-


reits seit Jahren aufgelöst oder unauf-


findbar.


Anlegerschützer erwarten eine


transparente Aufarbeitung der Re-


cherchen: „Der Konzern kann die


gravierenden Vorwürfe nicht mehr


einfach beiseitewischen“, sagt Danie-


la Bergdolt, Vizepräsidentin der


Deutschen Schutzvereinigung für


Wertpapierbesitz. „In der Vergangen-


heit hat der Vorstand Hinweise auf


Missstände zunächst abgebügelt, um


dann im Nachhinein scheibchenwei-


se mit der Wahrheit herauszurücken.


Damit muss Schluss sein. Wirecard
ist ein Dax-Konzern, kein Start-up.“
Er müsse rasch eine Sonderprüfung
durch Dritte einleiten.
Ähnlich sieht es der Corporate-Go-
vernance-Experte und frühere DWS-
Chef Christian Strenger: „Der Auf-
sichtsrat sollte schnellstmöglich eine
intensive Prüfung des Sachverhalts
beauftragen.“ Diese sollte aus Effi-
zienz- und Zeitgründen durch den
amtierenden Wirtschaftsprüfer EY er-
folgen, der die Ordnungsmäßigkeit
der Bilanz zu bestätigen habe.

Unverständnis in Aschheim


In Aschheim stoßen derlei Forderun-
gen auf Unverständnis. „Wirecard
sieht keine Veranlassung für die Be-
auftragung eines Sonderprüfers“, er-
klärte eine Sprecherin am Mittwoch
auf Handelsblatt-Anfrage. Am Morgen
hatte sich der Konzern per Ad-hoc-
Mitteilung zu den „FT“-Vorwürfen
geäußert: Bei Al Alam handele es sich
um ein mittelständisches Unterneh-
men mit Zugang zu vielen Zahlungs-
methoden. „Diese Partner sind oft im
Hintergrund aktiv, ein in der Branche
üblicher Ansatz“, heißt es. Alle mehr
als 300 000 Vertragskunden seien
mit der eigenen Technologieplatt-
form verbunden, nicht mit Partner-
firmen. Alle Umsätze und Erträge der
Bilanz bezögen sich somit auf die
Dienstleistungen, die über diese
Plattform bereitgestellt würden. 2018
seien knapp 32 Prozent des weltwei-
ten Umsatzes über Kunden geflossen,
die über Rechenzentren in Dubai ver-
traglich gebunden sind.

Zu den 34 Kundennamen, die in
der „FT“ genannt wurden, bietet
Wirecard eine überraschende Erklä-
rung: Dabei handele es sich gar nicht
um die Namen echter Einzelhändler.
Stattdessen verbärgen sich dahinter
sogenannte Kundencluster, die für
Reportingzwecke erstellt würden
und jeweils Hunderte echter Einzel-
händler enthielten.
Wirecard hatte die „FT“-Dokumen-
te zunächst als „nicht authentisch“
bezeichnet, das zuletzt aber nicht
wiederholt. Die Sprecherin erklärte,
manche der veröffentlichten Doku-
mente enthielten falsche Fakten und
verzerrte Darstellungen. Andere sei-
en echte „interne Arbeitsdokumen-
te“, die aber nicht in die Öffentlich-
keit gehörten, da sie für Externe kei-
ne sinnvollen Schlussfolgerungen
zuließen. Die angekündigte lokale Bi-
lanzprüfung der Dubai-Töchter sei in-
zwischen beauftragt. Es sollen nur
die Bilanzen ab 2018 überprüft wer-
den, nicht die früherer Jahren.
Großinvestoren überlegen nun,
was als Nächstes zu tun ist. „Wir wer-
den in der Verantwortung für das
Vermögen unserer Kunden alle
Schritte prüfen“, sagt Benjardin Gärt-
ner, Leiter Portfoliomanagement Ak-
tien beim Fondshaus Union Invest-
ment. Ingo Speich von der Sparkas-
sen-Fondstochter Deka erklärte,
wenn im Umfeld der Hauptversamm-
lung eine Sonderprüfung veranlasst
würde, würde die Deka diese unter-
stützen. Man stoße jetzt jedoch keine
an, da diese ein bis anderthalb Jahre
dauern könnte. Der jüngste Vorfall

zeige, dass Wirecard schneller han-
deln müsse, etwa seine Compliance-
Abteilung ausbauen, saubere Struktu-
ren schaffen und Vorstand und Auf-
sichtsrat kompetenter besetzen. Das
alles habe die Deka bereits zur letz-
ten Hauptversammlung gefordert.
„Passiert ist nichts“, so Speich.

EY im Fokus


Volker Brühl von der Frankfurter
Goethe-Universität sieht auch die
Aufsichtsinstanzen in der Pflicht.
„Die Deutsche Prüfstelle für Rech-
nungslegung sollte ein Interesse da-
ran haben, den Sachverhalt aufzuklä-
ren, gegebenenfalls auf Veranlassung
der Finanzaufsicht Bafin“, sagte er.
Zu begrüßen sei, „dass die Bafin ihre
laufenden Untersuchungen zu mögli-
chen Marktmanipulationen auswei-
ten möchte“. Christian Sprenger
schlägt einen weiteren Weg vor: „EY
muss von der Verschwiegenheits-
pflicht befreit werden, um eine über-
zeugende Aufklärung dokumentieren
zu können.“ So könne auch geklärt
werden, wie tief die Dubai-Geschäfte
bei der Konzernprüfung durchleuch-
tet worden sind. „EY hat hier auch
ein hohes Eigeninteresse, mögliche
Zweifel auszuräumen.“ Am Mittwoch
tagte der Wirecard-Aufsichtsrat tur-
nusgemäß. Die Zeit für business as
usual dürfte jedoch vorbei sein.

Deutsche Bank


Beförderung trotz


Warnsignalen


Prüfberichte der Deutschen


Bank warfen schon früh ein


wenig schmeichelhaftes


Licht auf einen hochrangigen


Compliance-Manager.


Yasmin Osman Frankfurt


D


ie Beförderung eines hoch-
rangigen Compliance-Mana-
gers der Deutschen Bank

wirft zunehmend Fragen auf. Denn


von der Bank beauftragte externe An-


wälte warfen dem Betroffenen schon


im Jahr 2015 Fehlverhalten vor. Der


Manager, der fast drei Jahre in Asien


arbeitete, spielte 2005 eine wichtige


Rolle beim Engagement eines dubio-


sen Beraters in China.


Gegenstand der Vorwürfe sind


zweifelhafte Einstellungspraktiken


der Bank in den Jahren nach 2002 in


Ländern wie Russland und China.


Der in der Kritik stehende Manager


war an einem dieser Vorgänge betei-


ligt, weil er trotz Bedenken der eige-


nen Compliance-Abteilung einen Be-


ratervertrag durchgeboxt hatte. Dies


geschah auf Wunsch des damals star-


ken Mannes der Deutschen Bank in


China, Lee Zhang. Wie sich kurz nach


Vertragsschluss herausstellte, war


der dubiose Berater eng mit der Fa-


milie des damaligen chinesischen


Premiers verbunden.


Als die Bank die Vorgänge 2015 von
externen Anwälten aufbereiten ließ,
kamen die zu einem für den Manager
ungünstigen Urteil, wie die „Süddeut-
sche Zeitung“ am Mittwoch berichte-
te. Danach befand die Kanzlei, der
Deutschbanker habe seine Pflichten
verletzt, weil er den Beratervertrag
ausstellte, noch bevor ein laufender
Hintergrund-Check abgeschlossen
war. Außerdem habe er nicht darauf
bestanden, dass ein zuständiger Ma-
nager diesen Berater persönlich traf.
Auch seine Vorgesetzten habe er
nicht informiert.
Trotz des ungünstigen Befunds
wurde der Manager, der nach seiner
Zeit in Asien Karriere im Privatkun-
dengeschäft machte, im Februar 2017
Organisationschef der Compliance-
Abteilung. Das blieb er bis Juli 2019.
Seither ist er in leitender Funktion
mit Risikoaufgaben betraut.
In Finanzkreisen heißt es, dass
dem Manager arbeits- und strafrecht-
lich nichts vorzuwerfen gewesen sei.
Ob es Sanktionen wie etwa Bonus-
kürzungen gab, ist nicht bekannt. Ob
bei seiner Beförderung innerhalb der
Compliance-Abteilung die mögliche
Außenwirkung durch die Personalab-
teilung thematisiert wurde, ist eben-
falls unklar. Ebenso, ob dies je im Ge-
samtvorstand diskutiert wurde. Eine
entsprechende Anfrage des Handels-
blatts ließ die Bank unbeantwortet.

Die


politischen


Entschei-


dungsträger


müssen


dringend


handeln.


Finanzstabilitätsbericht
des IWF

Wirecard-Zentrale in
Aschheim: Investoren
reagieren besorgt auf
die Vorwürfe.

Bloomberg

Finanzstabilität


IWF warnt vor mehr Risiken


für das Finanzsystem


An wichtigen Aktien- und


Kreditmärkten seien die


Kurse bereits überhöht.


Die Schwachstellen im


Finanzsytem nähmen zu,


betont der Internationale


Währungsfonds.


D


er Internationale Währungs-
fonds (IWF) warnt wegen
der sperrangelweit geöffne-
ten Geldschleusen vieler Notenban-
ken und der ultratiefen Zinsen vor
Gefahren für die Stabilität des welt-
weiten Finanzsystems. Zwar unter-
stütze eine lockere Geldpolitik die
Konjunktur auf kurze Sicht, erklärte
der IWF am Mittwoch bei der Vor-
stellung seines neuen Finanzstabili-
tätsberichts. Aber die günstigen Fi-
nanzierungsbedingungen ermutig-
ten Investoren, auf der Suche nach
Rendite noch mehr Risiken einzuge-
hen. In einigen wichtigen Aktien-
und Kreditmärkten seien die Kurse
bereits überhöht. Die Schwachstel-
len im Finanzsystem würden zuneh-
men, was mittelfristig ein Risiko für
das Wachstum darstelle.
„Die politischen Entscheidungsträ-
ger müssen dringend handeln, um
die finanziellen Verwundbarkeiten
anzugehen, die den nächsten Ab-
schwung verschärfen könnten“, er-

Finanzen & Börsen
DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200


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