Jakob Blume, Lars-M. Nagel Frankfurt, Berlin
D
er Jurist wollte seinen Mandanten
auf das Schlimmste vorbereiten.
Das Geschäftsmodell der PIM Gold
GmbH habe wenig Zukunft, war das
Fazit eines Gutachtens, das der
Fachanwalt für Kapitalmarktrecht im März 2015
dem Geschäftsführer Mesut P. und seinem Ver-
triebschef, Julius L., vorlegte. Die für Juli des Jah-
res erwartete Verschärfung des Kleinanleger-
schutzgesetzes werde es der PIM unmöglich ma-
chen, ihre Goldverträge wie bisher zu vertreiben.
Die Finanzaufsicht Bafin werde zum massiven
Hindernis.
Der Mann sollte sich irren. Zwar trat das Klein-
anlegerschutzgesetz im Juli 2015 in Kraft und wur-
de zum 1. Januar 2017 noch einmal verschärft.
Doch erst 2019 bereitete die Staatsanwaltschaft
Darmstadt dem Treiben des Goldhändlers aus
Heusenstamm bei Frankfurt ein Ende. Anfang
September rückten die Ermittler aus, beschlag-
nahmten alles Vermögen und nahmen den Chef
Mesut P. in Untersuchungshaft. PIM soll Gold ver-
kauft haben, das es nie gegeben hat. Von Liefer-
verpflichtungen in Höhe von 3,4 Tonnen hat der
kürzlich eingesetzte Insolvenzverwalter der PIM,
Renald Metoja, erst 500 Kilogramm gefunden.
Der mögliche Schaden für die Anleger: 80 bis 120
Millionen Euro.
Im Skandal um die mutmaßliche Betrügerfirma
rückt nun die Bonner Finanzaufsicht in den Fo-
kus. Nach Recherchen des Handelsblatts hat die
Bafin spätestens im Jahr 2013 erste Hinweise er-
halten, dass bei PIM Gold etwas nicht stimmt.
Das mögliche Versagen der Aufseher beschäftigt
mittlerweile den Bundestag. Die Linkspartei hat
eine sogenannte Kleine Anfrage im Parlament ge-
stellt. Über all dem steht die Frage: Hätten die
Aufseher früher eingreifen müssen?
Der PIM-Anwalt sah die Bafin 2015 jedenfalls als
gefährlichen Gegner. Nach der neuen Rechtslage
könnten die Goldverträge nur noch als Vermö-
gensanlage mit Prospekt vertrieben werden. Für
die Genehmigung der Prospekte wiederum müs-
se die PIM gegenüber der Finanzaufsichtsbehör-
de „die Hosen herunterlassen“ und ihre Bilanzen
offenlegen, warnte er.
Dem Juristen war klar, dass Transparenz für PIM
keine Lösung sein könne. „Es muss daher unbe-
dingt und größter Wert darauf gelegt werden, jede
auch noch so geringe Erweckung des Eindrucks ei-
ner Vermögensanlage zu vermeiden“, wies er seine
Mandanten an. Diese Strategie war offenbar so er-
folgreich, dass sie bis heute nachwirkt.
Bafin sieht sich nicht zuständig
Die Firma habe das Gold der Kunden im Auftrag
als „Einmalanlage“ oder „Goldsparplan“ ange-
schafft, in Depots verwahrt oder ausgeliefert,
schreibt auch das Bundesfinanzministerium vor
wenigen Tagen als Antwort zu einer Kleinen An-
frage der Linkspartei im Parlament, die dem Han-
delsblatt exklusiv vorliegt. „Das damalige Ge-
schäftsmodell war als reiner Kauf physischen Gol-
des ausgestaltet; diese Art von Dienstleistung
steht nicht unter einem finanzaufsichtsrechtli-
chen Erlaubnisvorbehalt“, verteidigt das Ministe-
rium seine Behörde.
Und auch die Bafin selbst sagt, sie sei nicht zu-
ständig. „Edelmetallkäufe, die keine Vermögens-
anlagen sind und auch kein erlaubnispflichtiges
Einlagengeschäft, liegen außerhalb des Kompe-
tenzrahmens der Bafin.“
Es ist paradox: Um Kritik an mutmaßlicher Un-
tätigkeit abzuwehren, müssen sich Bafin und Fi-
nanzministerium die Legende der PIM zu eigen
machen, an die selbst der Firmenanwalt damals
nicht glaubte. Während die Behörden die Erzäh-
lung vom reinen Goldkauf mit verzögerter Auslie-
ferung schluckten, rechnete der Anwalt der PIM
offenbar fest mit einer Intervention der Aufseher.
2015 vertrieb die PIM Goldsparverträge, die An-
legern eine „Rückkaufsoption“ zu einem festen
Goldpreis einräumten, wenn sie das Gold im Tre-
sor der PIM einlagern ließen. Zudem stellte die
PIM ihren Anlegern sogenanntes „Bonusgold“ in
Aussicht, eine Art Zins in Höhe von drei bis sechs
Prozent pro Jahr, ausgezahlt in Gold.
Damit werde bald Schluss sein, heißt es in dem
Gutachten des Anwalts. Die Neufassung des
Kleinanlegerschutzgesetzes werde auch „Direkt-
investments in Sachgüter, zum Beispiel Rohstoffe,
mit einer zugesagten jährlichen Verzinsung und
einem Rückerwerb der Anlage nach einem gewis-
sen Zeitraum“ erfassen.
Ahnungslose Verbraucher
Auf Milde der Aufseher könne die PIM nicht hof-
fen, so der Anwalt. „Die Bafin dürfte in diesem
Punkt gerade in Anbetracht der bereits erfolgten
Auffälligwerdung der Firmen wohl kaum mit sich
reden lassen“, schreibt er in einer E-Mail. Die Fol-
gen eines Einschreitens wären gravierend und
würden einen „erheblichen Flurschaden“ verur-
sachen, der sich nicht mehr ohne Weiteres repa-
rieren ließe. Die PIM wäre am Ende gewesen.
Dazu kam es nicht, dabei war die PIM spätes-
tens seit 2013 im Blickfeld der Aufseher. Die Kun-
den erfuhren davon lange nichts. Die Behörde
Skandal
unter Aufsicht
Nach der Pleite des Goldhändlers PIM fürchten Tausende
Kunden um ihr eingelagertes Edelmetall. Die Finanzaufsicht Bafin
gerät in die Kritik. Hätte die Behörde früher eingreifen müssen?
Die Bafin darf
ihr durchaus
robustes
Mandat
nicht selbst
immer weiter
herunter-
spielen.
Jörg Cezanne
Linkspartei
Private
Geldanlage
DONNERSTAG, 17. OKTOBER 2019, NR. 200
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