Süddeutsche Zeitung - 17.10.2019

(Tina Meador) #1
München–Spielart beginnt offiziell am
25.Oktober. Eröffnet wird das Festival
aber bereits zehn Tage vorher. Seltsam. Zu-
nächst einmal bekunden der BMW-Mann
Thomas Girst und die Spielart-Chefin So-
phie Becker wieder mal ihre Freude über
40Jahre von Deutschlands ältester Public
Private Partnership in Gestalt des Vereins
Spielmotor und über 25Jahre Spielart. Im
gleichen Atemzug würdigt man abermals
das Verdienst des scheidenden Festivallei-
ters Tilmann Broszat, der sich, wie üblich,
grau in grau im Hintergrund rumdrückt.
Und Becker weist auf ein paar zusätzliche
Veranstaltungen hin, die man sämtlich im
Internet unter http://www.spielart.org findet.
Warum aber all dies im Ägyptischen Mu-
seum? Mit der obligatorischen Pressekon-
ferenz kurz vor dem offiziellen Start geht,
was unüblich ist, eine Vernissage einher –
die der Ausstellung „21 – Erinnerungen
ans Erwachsenwerden“ des Schweizer
Künstlers Mats Staub, die zeitlich nicht an-
ders hätte platziert werden können. An die-
sem Ort hält man es inzwischen wie schon
lang bei Spielart und immer mehr bei den
Kulturinstitutionen von Stadt und Frei-
staat. Man setzt auf inhaltliche Öffnung
und interkulturelle Durchdringung in Akti-
onen, Vor- und Ausstellungen und bezieht
inzwischen einigermaßen selbstverständ-
lich nichtwestliche Kulturkreise mit ein.
Deshalb seien die etwa 20-minütigen Er-
zählungen von 99Männern und Frauen
aus Europa und Afrika am richtigen Platz,
findet Arnulf Schlüter, Stellvertretender
Direktor des Staatlichen Museums Ägypti-
scher Kunst: „Wir wollen ja über das eige-
ne Kerngebiet hinausschauen.“

Man wandert dann also von Bildschirm
zu Bildschirm. Man schaut auf die Brustbil-
der verschiedener Menschen und muss
sich entscheiden für eine der zunächst sto-
isch erscheinenden Figuren. Man merkt
bald, dass man hier nicht herumschalten
sollte oder gar den Platz wechseln, das
Bänkchen samt zwei Kopfhörern, das man
mit einem meist unbekannten Betrachter
teilt. Man muss dranbleiben an diesen
kunstvoll montierten Erzählungen, weil
man sonst im Zweifelsfall das Entscheiden-
de im Leben des/der Erzählenden ver-
säumt. Staubs Kunstgriff: Er hat die Erzähl-
Videos mit jeweils bis zu 100 Schnitten be-
arbeitet und drei Monate später die Erzäh-
ler beim Betrachten der stark komprimier-
ten Fassung gefilmt. Das ist, was man zu
sehen bekommt: die Reaktionen auf die

eigenen Lebensberichte über die Zeit des
Erwachsenwerdens.
Man sucht und findet sich wahrschein-
lich kaum wieder in all den fremden Leben
aus anderen Zeiten und anderen Weltregio-
nen. Aber sicher ist: Wer nur lange genug
schaut und hört, für den fügen sich aus den
Geschichten nicht-gekannte Landkarten
sowie fremde sozialpolitische Narrative.
Und man folgt Mats Staub darin, dass man
sich am Ende für seine Erste-Welt-Pro-
blemchen schämt, wenn man einer wie der
heute 28-jährigen Madame Kalenga aus
Lumumbashi zuhört. Die nämlich hat mit
21, von der Mutter verjagt, im sechsten Mo-
nat abgetrieben und dem noch lebenden
Neugeborenen erklärt, warum es nicht le-
ben darf. Madame Kalengas Schmerz wird
einen im Schlaf verfolgen, während einem
Frau Ernenputschs Schicksal geläufig er-
scheint. Sie wäre 1943 mit 21 in Frankfurt
wegen eines Tagesangriffs fast gestorben.
Sie lächelt, als sie von der weißen Hoch-
zeitsbluse erzählt, die sie 1946 aus einer
Gardine genäht hat. Und darf ihn teilen,
den Stolz des 29-jährigen Eritreers Muha-
med Ali darauf, nach all den ungerechten
Zurückweisungen in seiner Zuflucht Lau-
sanne doch noch sein Diplom geschafft zu
haben. Und man selbst, wie war das da-
mals mit 21? Es gibt viel nachzudenken,
von den fremden Leben zum eigenen
schweifend. eva-elisabeth fischer

Seine Welt sind die Berge – und die Musik: Christian Bruhn hat um seine berühm-
tenMelodien zur Zeichentrickserie „Heidi“ eine Musical gebastelt. FOTO: KARL KRAMER

München– Lustige Geschichten aufschrei-
ben – das können viele. Sie dann aber auf
der Bühne so zu erzählen, dass sie dem Zu-
hörer auch am Tag danach noch genau so
präsent sind wie am Abend zuvor – das kön-
nen nicht so viele. Nektarios Vlachopoulos,
Baden-Württemberger mit griechischen
Eltern, besitzt diese Gabe. Natürlich kann
man nicht alles memorieren, was dieser in
Sachen Sprechgeschwindigkeit locker an
Dieter Thomas Heck vorbeiziehende Slam-
Poet und Humorist (Selbstbeschreibung)
in der Lach- und Schießgesellschaft so von
der Bühne lässt, aber allein die schwäbi-
sche Version von „50 Shades Of Grey“
(„Komm her, Spätzle!“), der herrlich miss-
ratene Besuch im Techno-Club oder die Be-
schreibung seiner maximal dilettanti-
schen Flirtversuche wärmen das Gemüt
des Zuschauers durchaus nachhaltig.
Das zweite Solo-Programm des 33-Jähri-
gen ist ein Wortüberfall der angenehmen,
aber nicht unanstrengenden Art. „Ein ganz
klares Jein“ hat Vlachopoulos sein Werk ge-
nannt, wobei Jein für ihn das Aushalten
von Komplexität impliziert. Die Welt ist
eben nicht bloß schwarz oder weiß, und wi-
dersprüchliches Verhalten liegt nun mal in
der Natur des Menschen. So flink, geist-
reich und luzide, wie er durch seine Wort-
kaskaden galoppiert, muss man zusehen,
dass man von all den Späßchen und Spiele-
reien nichts verpasst.
Gleich die Einstiegsnummer mit Cro-
Maske („Hoffe, dass wirkt jetzt nicht zu auf-
gesetzt“) lässt er zum beinahe philosophi-
schen Seminar über die geistige Verfasst-
heit des modernen Menschen geraten –
um in der Folge über das vergleichsweise
banale Phänomen „Backpacker auf Jagd
nach instagramtauglichen Urlaubsmas-
ken“ zu verhandeln. Später plädiert er
noch für Faulheit („Sei dumm! Denk mit
dem Herzen. Frag einen Zeugen Jehovas,
ob er mal ne Minute Zeit hat!“), formuliert
mal letzte Worte („Ich kann’s kaum erwar-
ten!“), sinniert über politischen Konserva-
tismus („Seehofer ist nicht böse auf den
Islam – der ist neidisch“) und fragt, wie es
dem Über-Ich eigentlich beim Sex geht. Ist
das nun irre, lustig oder irre lustig? Ein
ganz klares: Jein. thomas becker

München –Die Dreharbeiten zum neuen
Boandlkramer-Film von Joseph Vilsmaier
haben begonnen. Bis Ende November ste-
hen Michael Bully Herbig und Hape Kerke-
ling an diversen Orten in Bayern und Öster-
reich vor der Kamera – zum ersten Mal ge-
meinsam. Die Idee zu „Der Boandlkramer
und die ewige Liebe“ stammt von Herbig,
der bereits vor elf Jahren in Vilsmaiers „Ge-
schichte vom Brandner Kaspar“ in der Rol-
le des personifizierten Tods zu sehen war.
Im neuen Kinofilm (Drehbuch: Marcus H.
Rosenmüller und Ulrich Limmer) spielt
neben Herbig als menschelnder Boandl-
kramer Kerkeling die Rolle des Teufels.
Hannah Herzsprung ist als Gefi zu sehen,
Boandlkramers irdische Liebe. Der Kino-
start ist für Herbst 2020 geplant. blö

99 Männer und Frauen lässt der Schwei-
zer Künstler Mats Staub ihre Lebensge-
schichte erzählen. FOTO: JÖRG BAUMANN

München– Was einmal verbuddelt wurde,
sollte man ruhen lassen. Die Gefahren der
Wiederbelebung wurden schon in Mary
Shelleys „Frankenstein“ aufgezeigt oder in
Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltie-
re“. Trotzdem hatte der auch solo erfolgrei-
che Frank Black alias Black Francis vor Jah-
ren seine von ihm getötete BandPixiesneu
gestartet, um nun den Erfolg einzufahren,
der ihr zu Lebzeiten angeblich verwehrt
blieb. Um nicht zu deutlich zu machen,
dass die Band seitdem nur ihre Vergangen-
heit erntet, erscheinen auch mehr oder
minder nette neue Songs, die in den Kon-
zerten mehr ertragen als gefeiert werden.
Wobei das im September erschienene
jüngste Album „Beneath The Eyrie“ das
beste Album seit der Reunion ist. Das wird
auch deutlich, wenn dessen Songs in der
ausverkauften Tonhalle zu den besten Stü-
cken der Setliste avancieren: die Single-
Auskopplung „Catfish Kate“ zum Beispiel
oder das spannend verspulte „This Is My
Fate“. Beides Stücke, die endlich die Mög-
lichkeit eines wirklichen Neubeginns bie-
ten. Doch dieser Neubeginn würde wieder
in kleinere Clubs jenseits der großen Kon-
zerthallen führen. Also bedient die Band
die Erwartungen der Fans und spielt ne-
ben den neuen Songs ausnahmslos alle al-
ten Hits. Von „Gouge Away“ über „Velou-
ria“ bis hin zu „Where Is My Mind“. Um die
40Titel umfasst die Setliste darum. Dage-
gen fällt die Zugabe „Debaser“ erschre-
ckend kurz aus. Was umso bedauerlicher
ist, da in der Tonhalle gerade so etwas wie
Stimmung aufkommt.
Denn dass man eine Band wiederbele-
ben kann, heißt ja nicht, dass das mit deren
Fans auch gelingt. Zumal heutzutage der
Dokumentation eines Erlebnisses mehr
Aufmerksamkeit zukommt, als dem Erleb-
nis selbst. So dass auch in den vorderen Rei-
hen, wo früher ausgelassen getanzt wurde,
Zuschauer jetzt darauf bedacht sind, ihre
Smartphone-Bildchen nicht zu verwa-
ckeln. Immerhin können die jetzt daheim
bestätigen, dass ein streckenweise fades
Konzert letztlich noch einen krönenden Ab-
schluss fand. dirk wagner

von egbert tholl

D


er Vorhang ist kaputt, die Schau-
spieler kommen zu spät, einer
mault über seine zu kleine Rolle,
ein anderer hat Diarrhöe, seit zwei Jahren
gibt es keine Kantine, der Regieassistent
hat keine Lust mehr, Kaffe zu kochen, und
der Bierautomat ist abgeschafft. Die Zeiten
sind hart am Staatstheater Augsburg, das
muss man dann auch mal sagen dürfen. In
der Ausweichspielstätte im Martinipark,
wo Intendant André Bücker jetzt Shake-
speares „Sturm“ inszeniert, oder besser: ei-
ne Probe davon, oder noch genauer: die ers-
te Ama, was bedeutet „Alle mit allem“ oder
auch „Alles mit allen“, also einen Durch-
lauf mit ungeheuer viel Aufwand.
Klassikeraufführungen als deren Probe
zu inszenieren, ist nicht unbedingt die al-
lerneueste Regieidee, hat aber unbestreit-
bar Vorteile: Man kann die Handlung als
mehr oder weniger bekannt voraussetzen,
also kann man sich um anderes kümmern,
und man muss keine intellektuell tiefe Neu-
deutung vorlegen, schließlich probiert
man ja noch. Und lässt das Publikum dar-
an quasi teilhaben. Darüber wurden schon
ganze Stücke geschrieben, die heißen
dann „Der nackte Wahnsinn“ oder so.


Nur: Der Wahnsinn fehlt hier erst ein-
mal. Ein flattriger Regieassistent (Andrej
Kaminsky), der später den Ariel spielen
wird, geht mit den Schauspielern den Text
durch, fordert politisches Bewusstsein,
weil Sturm, das heißt doch Mittelmeer, al-
so Flüchtlinge, und Klimakatastrophe in ei-
nem. Dann rauscht der Regisseur herein,
nimmt neben der Assistentin im Parkett
Platz und hat schlechte Laune. Und, klar:
Dieser Regisseur, gespielt vom dampfen-
den Klaus Müller, spielt dann auch den Pro-
spero, weil der ja über eine kleine Insel
herrscht und zaubern kann – Herrschen
und Zaubern sind alte Regieträume –, die
Assistentin wird zu Miranda, ist aber viel-
leicht auch des Regisseurs echte Tochter,
jedenfalls nennt er sie Schnubbel.
Es ist nämlich so: Nachdem der Haus-
meister mit Spielverpflichtung und späte-
re Caliban mit großen Füßen, Gerald Fied-
ler, den Vorhang repariert hat, geht es auf
die Bühne rauf und wieder runter, spielen
die Schauspieler immer mehr schauspie-
lernde Schauspieler. Regisseur und Prospe-
ro werden eins, bleiben aber leicht zu tren-


nen, weil hier sehr viel Shakespeare gespro-
chen wird und dazwischen halt ganz was
anderes. So abgestandener Patriarchen-
kram halt. Der Regisseur will Angebote –
„zieh dich aus“ –, hat aber keine Lust auf
„talentlose Titten“, diskutiert lieber über
verschiedene Übersetzungen, verachtet
die von Frank-Patrick Steckel: „Die wird
nicht mehr gespielt außer von seiner be-
scheuerten Tochter, die Provinz auf die
Bühne bringt.“ Daran dürfte die – mehr-

fach ausgezeichnete – Regisseurin Jette
Steckel große Freude haben.
Subtil ist nichts, plump vieles. Und doch
folgt man über die Stunden hinweg immer
lieber dem Shakespeare-Stück, von dem
es ja viel zu hören gibt, erfreut sich am frei-
laufenden Irrsinn der besoffenen Trottel
oder an der Liebestolpatschigkeit von Mi-
randa (Katja Sieder) und Ferdinand (Sebas-
tian Baumgart). Dazu spielt die Augsbur-
ger BandOn The Offshore, die aussieht wie

eine Vaudeville-Piratentruppe und mal
Trip-Hop, mal das eher eintönige Gesäusel
der Insel spielt.
Herumfuhrwerkt wird hier außer-
ordentlich viel, nicht unbedingt immer mit
großem Ertrag, doch oft mit Verve. Schul-
klassen, die Shakespeares Stück ohnehin
für beknackt halten, dürften daran eine
große Freude haben. Allerdings könnte
man das auch in der Hälfte der Zeit bewälti-
gen. Gerade die vielen, vielen Theaterscher-

ze sind auf Dauer, weil meist zotig, ermü-
dend. Man fragt sich auch, worauf sie zie-
len. Sind sie ein Kommentar auf die Diskus-
sion der notwendigen Patriarchendämme-
rung im Theater, auf Me Too? Aber dazu
sind sie doch zu ungelenk wie etwa die Auf-
forderung des Regisseurs an einen Schau-
spieler, etwas zu saufen, weil: „Als du noch
gesoffen hast, hab’ ich was gesehen von
dir.“ Vielleicht hat André Bücker auch ein-
fach das Leben auf der Baustelle satt.

München–Dass es prima bei jemandem
läuft, erkennt man schon daran, dass er
sich selbst „Happy Birthday!“ wünscht.
Christian Bruhn ist so einer, und es scheint
ihm wirklich gut zu gehen an seinem heuti-
gen 85. Geburtstag. Auch natürlich, weil er
einer der allererfolgreichsten „Unterhal-
tungskomponisten“, wie er es nennt, ist:
mit 2500 angemeldeten Werken bei der Ge-
ma (deren Aufsichtsratsvorsitzender er
18Jahre lang war), mit sieben Millionensel-
lern wie „Marmor, Stein und Eisen bricht“
oder „Ein bisschen Spaß muss sein“, mit Se-
rienmusiken fürs Fernsehen, die selbst die
coolsten DJs wie Phil Fuldner oder Hell lob-
preisen („Captain Future“) oder die Sinfo-
nierorchester aufführen („Jack Holborn“).
Seine Stücke hat jeder im Ohr, und ihr
Schöpfer steht – Schlager hin, Werbemu-
sik her („Shamtu Shampoo“) – noch im-
mer zu ihnen, ganz besonders freilich zum
Heinrich-Heine-Zyklus mit Ex-Ehefrau
Ebstein. Dass zuletzt der Kinofilm „Meine
Welt ist die Musik“ sein Leben und Werk
würdigte, fand er „nervig“, aber im Grunde
doch „hübsch“. Aber richtig prächtig geht
es Bruhn vor allem, weil er nach den mor-
gendlichen Runden im Swimming Pool im-
mer noch in sein Studio im Garten der Soll-
ner Villa geht und Melodien produziert.
Denn: „Ich bin nur glücklich, wenn ich ar-
beiten kann“, sagt er.
Natürlich lief in seinem 70-jährigen Wir-
ken nicht alles rund, da ärgert er sich, dann
lacht er drüber. Dazu gehören auch zwei
seiner sechs Musical-Versuche: „Heidi
kehrt heim“, über das er vor einer Weile sag-
te: „Das liegt wie Blei.“ Und „Laura und Kie-

selstein“, über das er auf seiner Internetsei-
te anmerkte: „Ja, da muss wohl noch am Li-
bretto gearbeitet werden...“ Diese beiden
Herzensprojekte hat sich Bruhn jetzt noch
mal vorgeknöpft. Er bringt sie just an sei-
nem 85. Geburtstag in runderneuerten Fas-
sungen als „Hör-Musicals“ über den Film-
kunst-Verlag auf den großen Streaming-
und Download-Plattformen heraus.
„Heidi kehrt heim“ bietet als Einstiegs-
droge Bruhns wie ein Gebirgsbach über-
sprudelnde Titelmelodie zur japanischen
Zeichentrickserie von 1974 mit den Jodlern
von Gitti und Erika (auch eine Ex-Frau).
Die verdichtete Geschichte von Josef Göh-
len nach dem Original von Johanna Spyri,
in der das Kind von der Alm ins stressige
Frankfurt zurückbeordert wird („Ach, adi-
eu, friedliche Welt ...“) bietet den Rahmen
für Bruhns Lieder – eine Berg- und Tal-
Fahrt der Stimmungen, volksmusikalisch
(„Heimat“), art-rockig („Hexen, Fexen“;
beide mit seinem alten Freund, dem Bari-
ton Fred Bertelmann), marschierend („Dis-
ziplin, Disziplin, ist für Kinder der Ruin“),
discogroovend („Die Stadt“). Bruhn be-
herrscht alle Stile, das macht es gerade für
Kinder bunt. So auch im zweiten Musical
mit dem Autor Peter Zentner über die Geis-
terbahn-Besitzer-Tochter Laura und das
Roboter-Gespenst „Kieselstein“. Das mach-
te Bruhn so viel Spaß, dass er auch hier
selbst den Erzählonkel gibt. Seine Sänger-
Karriere als Charly Cotton scheiterte einst
nur daran, dass er sich keine Texte merken
konnte. Vorlesen kann er prima – vielleicht
ein neues Arbeitsfeld, das ihn noch lange
glücklich macht. michael zirnstein

Murnau–Emanuel von Seidl kam 1898
zum ersten Mal nach Murnau. Seine
Schwester Therese, verheiratet mit dem
Landschaftsmaler Konrad Reinherz, besaß
dort seit sieben Jahren eine Sommervilla
am Kapferberg. Seidl, längst erfolgreicher
Architekt, war begeistert und baute sich
1901 in Murnau ein eigenes Landhaus.
Die Villa steht schon lange nicht mehr.
Denkmalgeschützt wurde sie 1972 abgeris-
sen; auch der früher riesige Seidlpark, ur-
sprünglich angelegt im Stil eines engli-
schen Landschaftsgartens, ist nur mehr ru-
dimentär vorhanden. Das Haus seiner
Schwester dagegen, die Villa Reinherz, hat
überlebt. Sie gehört seit 2012 der Münch-
ner Antonie-Zauner-Stiftung, die eine Viel-
zahl von sozialen Projekten fördert, sich
aber auch für Kunst und Kultur zuständig
fühlt. Nach einer aufwendigen Renovie-
rung nutzt sie die Villa nun als Gästehaus.
Wolfgang Kastl, der Vorsitzende der Stif-
tung, zählt zu den Menschen, die das
100.Todesjahr von Emanuel Seidl heuer da-
zu nutzen wollen, den Architekten wieder
stärker ins kulturelle Gedächtnis zurückzu-
rufen. Er ist nicht der einzige. Auch der För-
derkreis Murnauer Parklandschaft und ihr
Ehrenvorsitzender, der Dokumentarfil-
mer Dieter Wieland, mühen sich seit Jah-
ren um die Rekonstruktion des Seidlparks.
Inzwischen ist es ihnen gelungen, Seidls
ehemaligen Eiskeller zu restaurieren. Und
das 100. Todesjahr bot den Anlass, das Glo-
riettl, das Badehaus direkt am Weiher im
Park, zu rekonstruieren.
Wolfgang Kastl wiederum regte die
Künstler Ugo Dossi und Franziska Wolff
an, sich mit Seidls Schaffen auseinanderzu-
setzen. Unter dem Motto „Wohnen? Wie
die Götter!“ entwickelten sie eigene Werke.
Dossi schuf eine Calix (Kelch) mit dem Pro-
fil Emanuel von Seidls aus massivem wei-
ßen Carrara-Marmor, die im Rathausfoyer
steht. Von 25. Oktober an bis zum Jahresen-
de wird er ein gedoppeltes Seidl-Profil an
die Westfassade des Schlossmuseums pro-
jizieren. Ebenfalls im Foyer finden sich die
Arbeiten von Wolff, die mit gewebten Stoff-
streifen Porträts von Seidl, seiner Frau und
der Parklandschaft gestaltet hat. Das Ge-
denkjahr abschließen wird das Schlossmu-
seum Murnau mit einer dem Architekten
gewidmeten Ausstellung (ab 4. Dezember).
An diesem Donnerstag gibt es dort ein Podi-
umsgespräch. Zu Gast sind neben Dieter
Wieland auch Annemarie und Stefanie
Speermann, die in einer Murnauer Seidl-
Villa leben. sabine reithmaier


Leben im Seidlhaus, Podiumsgespräch, Donners-
tag, 17. Oktober, 19 Uhr, Schlossmuseum Murnau


Flut an Worten


Nektarios Vlachopoulos in der
Lach- und Schießgesellschaft

Bully Herbig dreht


mit Hape Kerkeling


Hatz mit Hits


Die „Pixies“ verwalten in der
Tonhalle ihre Vergangenheit

Probe, Spiel oder Probenspiel? Miranda (Katja Sieder), Prospero (Klaus Müller), Ariel (Andrej Kaminsky) und Ferdinand (Sebastian Baumgart). FOTO: JAN-PIETER FUHR

Auf der Baustelle


Intendant André Bücker inszeniert am Staatstheater Augsburg Shakespeares „Sturm“ als Probenbesuch


und Ausflug ins Innere des Theaters, wo es durchaus rau und ruppig zugehen kann


Happy mit Heidi


Christian Bruhn feiert seinen 85. Geburtstag


Leben schauen


Eine Ausstellung eröffnet die Spielart


Alte und Junge denken
darüber nach, wann und wie sie
erwachsen wurden

Die Villa


ist weg


Murnauer erinnern an den
Architekten Emanuel von Seidl

Die vielen Theaterscherze


sind auf Dauer, weil


meist zotig, ermüdend


KURZKRITIK


R18 (^) KULTUR Donnerstag, 17. Oktober 2019, Nr. 240 DEFGH

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