Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

Sha Hua Peking


F

ür Zhang Wenzhong gibt es viele Grün-
de, das mit 1,9 Milliarden Euro bewerte-
te Chinageschäft von Metro zu über-
nehmen. Zuerst einmal wolle er von
den strengen Qualitätsstandards des
deutschen Unternehmens lernen, sagte der 57-jäh-
rige Gründer und Mehrheitsanteileigner der chine-
sischen Supermarktkette Wumart. Außerdem wolle
er weiter expandieren – und Metro gehören viele
gut platzierte Gebäude in den Metropolen Chinas.
Eine Milliarde Euro zahlt der Unternehmer, des-
sen Privatvermögen auf 3,2 Milliarden Dollar ge-
schätzt wird, dafür direkt an den deutschen Han-
delsriesen. Außerdem erhalten die Düsseldorfer ei-
ne Beteiligung von etwa 20 Prozent an dem
künftigen Joint Venture mit Wumart, das im Chine-
sischen Wumei heißt. Zudem muss Zhang noch ei-
nige Minderheitsaktionäre rauskaufen.
„Der hohe Preis spiegelt das Vertrauen der Inves-
toren in Metros Fähigkeit wider, Gewinn zu ma-
chen“, erklärt Jason Yu vom Marktforscher Kantar
Worldpanel. Der Großhändler ist seit 1996 in der
zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt präsent und
konnte im vergangenen Geschäftsjahr ein Betriebs-
ergebnis (Ebitda) in Höhe von 153 Millionen Euro
erwirtschaften. Doch der wohl wichtigste Grund
für die Investition ist Zhangs Hoffnung, von der di-
gitalen Transformation des Supermarktgeschäfts
zu profitieren. Sie sei „unumgänglich“, sagt er. Und
je mehr Daten und Informationen zur Verfügung
stehen, desto erfolgreicher kann diese Umstruktu-
rierung vollzogen werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Zhang auf die
digitale Transformation setzt. Nach seinem Mas-
terstudium an der renommierten Nankai Univer-
sität wurde der akademisch hochtalentierte Ma-
thematiker wegen seiner herausragenden Leis-
tungen in die Forschungsabteilung des
chinesischen Staatsrats berufen, wo er sich unter
anderem mit Preisreform, makroökonomischen
Regularien und der Entwicklung von Chinas
Hightech-Industrie auseinandersetzte. Nebenbei
erwarb er einen Doktortitel.
Über ein chinesisch-amerikanisches Talentförde-
rungsprogramm verschlug es ihn 1990 zu einem
Postdoc der System-Ingenieurswissenschaften an
die Stanford Universität. Dort lernte er die ameri-
kanische Maxime kennen, dass tatsächlich private
Firmen die treibende Kraft für soziale Entwicklun-
gen und Unternehmer die wahren Helden dieser
Welt seien. Also gab Zhang seine Karriere im Staats-
apparat auf und machte sich 1993 selbstständig,
um Informationssysteme für Supermärkte zu ent-
wickeln. Das Problem: Er war seiner Zeit voraus. Es
gab noch kein Unternehmen, das ihm seine Ent-
wicklungen abkaufen wollte.
Damit sein System eine Anwendung finden
und sich beweisen konnte, gründete Zhang in Pe-
king kurzerhand einen eigenen Supermarkt. Wu-
mei, was im Chinesischen so viel wie „schöne
Produkte“ bedeutet, stellte sich als Riesenerfolg
heraus. Gleich im ersten Jahr kam Zhang auf ei-
nen Jah resabsatz von mehr als rund zehn Millio-
nen Dollar.

In Peking gab es damals entweder staatliche Ge-
schäfte mit griesgrämigen Angestellten, die ihr
kleines Sortiment scheinbar gar nicht an den Kun-
den bringen wollten, oder Bauernmärkte, wo das
Fleisch ungekühlt am eisernen Haken hing und
Gemüse auf Plastikdecken auf dem Boden feilge-
boten wurden. Die bei Wumei verkaufte Ware war
rund ein Fünftel billiger als andernorts. Kunden
aus umliegenden Stadtteilen pilgerten zu Zhangs
erstem Geschäft.
Lange war Zhangs Siegeszug unaufhaltsam.
200 3 ging er mit seinem Unternehmen an die Bör-
se. Ein Jahrzehnt nach seiner Gründung war Wu-
mei einer der größten Einzelhändler Chinas, mit
mehr als 500 Super- und Hypermärkten und ei-
nem Umsatz in Höhe von einer Milliarde Euro.
Verkäufer fuhren mitunter mit Rollschuhen, um
die Kunden schneller bedienen zu können.
Zhangs Konkurrenten hießen damals Carrefour
und Walmart. Die beiden Unternehmen hatten
zwar mehr Erfahrung in der Logistik, kannten die
Bedürfnisse des chinesischen Kunden aber nicht
so gut. So kam Walmart, das nur zwei Jahre später
als Zhang in China gestartet war, ein Jahrzehnt
später nur auf 49 Hypermärkte.
Während sein Geschäftspartner Wu Jianzhong
für seinen ruhigen und bedächtigen Führungsstil
bekannt war, hatte Zhang schon früh den Ruf eines
Pioniers, der auch bereit war, riskante Entschei-
dungen zu treffen und radikale Ideen umzusetzen.

Zu 18 Jahren Haft verurteilt
Doch Zhangs persönlicher Erfolg endete abrupt.
2006 wurde er festgenommen und zwei Jahre spä-
ter wegen Bestechung, Veruntreuung und Betrugs
zu 18 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf damals:
Zhang habe Dokumente gefälscht, um an Subven-
tionen in Höhe von fast fünf Millionen Dollar zu
kommen, die eigentlich nur für Staatsunterneh-
men bestimmt waren.
Zhang zeigte sich unbeugsam. Im Gefängnis wid-
mete er sich wieder der Forschung und meldete
sogar vier seiner Erfindungen beim chinesischen
Patentamt an. Diese Patente erhielten regionale
und ministeriale Wissenschaftspreise.
2013 wurde er wegen guter Führung vorzeitig
aus dem Gefängnis entlassen und focht das Urteil
an. Fünf Jahre später wurde das Urteil vom Obers-
ten Gerichtshof Chinas tatsächlich kassiert. Zhang
habe keine „subjektive Absicht“ zum Betrug beses-
sen, befanden die Richter. Das Urteil sei „eine Fehl-
anwendung des Gesetzes und sollte korrigiert wer-
den“, hieß es. Schließlich hätten sich die Gesetze
damals, als Zhang sich für die Subventionen be-
worben hatte, schon zugunsten von Privatunter-
nehmen geändert. Sein Freispruch wurde in China
vor allem von Geschäftsleuten mit großem Interes-
se verfolgt. „Es handelt sich hierbei um das Le-
bensblut der Privatunternehmen“, erklärte Zhang
damals das Interesse. „Hier wird die Frage beant-
wortet, inwiefern sie die gleichen Rechte haben
wie die Staatsunternehmen.“
Allzu viel Zeit mit Feiern wollte Zhang jedoch
nicht verbringen. Bereits im Gefängnis, so erzählte
er in Interviews, sei im klargeworden, wie wichtig
die Integration des Online- und Offlinegeschäfts für
den Handel sei. Gleich nach seiner Entlassung
gründete der unermüdliche Digitalpionier DMall.
Die App verbindet Wumart Supermärkte und mehr
als 12 000 andere Einzelhändler und ihr Sortiment
mit inzwischen mehr als 70 Millionen Kunden in
verschiedenen chinesischen Großstädten.
Metros landesweit 97 Läden haben dafür eine
strategische Bedeutung. Denn bisher ist Wumart
nur ein regionaler Einzelhandelsgigant, der vor al-
lem in Nordchina aktiv ist. „Mit Metro wird er zu ei-
ner nationalen Größe“, so Handelsexperte Yu.

Zhang Wenzhong


Unbeugsamer Pionier


Der neue chinesische Partner von Metro treibt die digitale Transformation des Einzelhandels schon


seit mehr als 20 Jahren an – wenn nötig sogar vom Gefängnis aus.


Zhang Wenzhong:
Sein Privatvermögen
wird auf 3,2 Milliarden
Dollar geschätzt.

Visual China Group/Getty Images

Bisher ist


Wumei nur


ein regionaler


Gigant,


mit Metro


wird er zu


einer


nationalen


Größe.


Jason Yu
Handelsexperte von
Kantar Worldpanel

Familienunternehmen


des Tages


DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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