Die Zeit - 24.10.2019

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34 WISSEN 24. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 44


Quellen


Ein Plädoyer der Helmholtz-Gemeinschaft für
den Einsatz der neuen Gentechnik-Methoden
in der Landwirtschaft: https://bit.ly/2oZFxlv

Hier diskutieren grüne Wissenschaftler, die im
Genome Editing einen Nutzen für die Agrar-
wende sehen: https://progressive-agrarwende.de

Die grünennahe Böll-Stiftung gab ein ganzes
Heft zum Thema »Neue Gentechnik« heraus:
https://www.boell.de/de/gentechnik

Links zu diesen und weiteren
Quellen finden Sie unter:
zeit.de/wq/2019-44

Im Labor des Instituts für Pflanzengenetik an der Universität Hannover werden Apfelpflanzen mit der Crispr-Methode verändert

Blühender Streit


W


ie ein Rebell sieht Hauke
Köhn nicht gerade aus.
Der Physikstudent aus
Hannover wirkt eher
brav, als er mit dick um-
randeter Brille, Rucksack
und Wasserflasche vom
Fahrrad steigt. Mit seinen 21 Jahren ist er noch nicht
lange politisch aktiv – aber für seine Partei Bündnis
90/Die Grünen schon ein Störfall.
»Wir wollen die Debatte um grüne Gentechnik
ohne Dogmen und ideologische Voreinstellung neu
beginnen«: Diesen Antrag brachte Köhn im Herbst
vergangenen Jahres bei der Grünen Jugend in Nie-
dersachsen erfolgreich durch. Seither versucht er,
die ganze Partei von ihrem Anti-Gentechnik-Kurs
abzubringen.
Ganz schön provokant, ist doch dieses No-
Go für die Grünen seit Jahrzehnten Teil ihrer
Identität, so unumstößlich wie die Farbe Rot bei
den Sozialdemokraten oder das »C« der Union.
Bis tief ins Feld dieser Konkurrenzparteien
hinein weiß man überdies bei der Gentechnik-
Kritik in Deutschland bis zu vier Fünftel der
Bundesbürger hinter sich. Und nun sollen sich
ausgerechnet die Wegbereiter dieser Einstellung
davon verabschieden?
Ja, sagt Hauke Köhn, es sei »an der Zeit, wissen-
schaftliche Fortschritte zur Kenntnis zu nehmen«.
Damit spielt er auf neue gentechnische Methoden
an, die seit ein paar Jahren als Genome Editing
Schlagzeilen machen; allen voran Crispr/Cas.
Ursprünglich bekämpfen Bakterien mit dieser
Technik Viren, indem sie fremde DNA-Fragmente
erkennen und entfernen. Doch seit einigen Jahren
nutzen Molekularbiologen diese sogenannte Gen-
schere, um gezielt das Erbgut von Pflanzen, Tieren
und Menschen zu verändern.
Genauer, schneller und kostengünstiger als
beim alten Gentransfer könnten sie nun einzelne
Gensequenzen ausschneiden oder einfügen, sagen
sie. So wie man in einem Text Buchstaben oder
Worte streicht oder verschiebt, redigieren sie quasi
den genetischen Code. Forscher in Unternehmens-
und Hochschullaboren versprechen dank der
Crispr-Methode neue medizinische Therapien,
umweltschonende Industrieverfahren – und ertrag-
reichere Ackerfrüchte. Man will sie gegen Schäd-
linge wappnen oder gegen die Folgen des Klima-
wandels wie Trockenheit, Starkregen und Stürme.
Als Reaktion auf diese Entwicklungen hatte
Grünen-Chef Robert Habeck die Parteimitglieder
im April vergangenen Jahres dazu aufgefordert,


ihre Position zur Gentechnik zu überprüfen. Das
Ergebnis der Debatte soll in das Grundsatzpro-
gramm einfließen, das die Partei 2020 verabschie-
den will. Viele Mitglieder waren verärgert über das
in ihren Augen unnötige Rütteln am Tabu. Bei
manchen Grünen-Treffen herrschte Eiseskälte,
wenn das Thema aufkam, bei anderen wurde es
hitzig. Doch Hauke Köhn ließ es sich nicht zwei-
mal sagen.
Sein Einsatz für mehr Offenheit gegenüber den
neuen gentechnischen Methoden sei von der Sorge
um die Welternährung getrieben, sagt Köhn. Vor
allem aber dulde sein »Naturell als Naturwissen-
schaftler« keine Vorurteile. »Gerade wir Grünen
haben doch immer auf Fakten bestanden. Heute, in
Zeiten von Fake-News, ist das noch wichtiger.«
Sein Hauptargument: Bereits seit Jahrzehnten
baue man in anderen Ländern genmanipulierte
Mais- und Sojasorten an, und es gebe keine Belege
dafür, dass diese Pflanzen der Gesundheit schade-
ten. »Ganz nüchtern« sollten die Grünen deshalb
endlich die Skepsis der Neunzigerjahre hinter sich
lassen, meint Köhn.
Ist das nun der Beginn einer großen Revision?
Oder nur »die Position einer lautstarken Minder-
heit«, wie Harald Ebner glaubt, der Gentechnik-
Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Zumin-
dest sind Köhn und seine niedersächsischen Mit-
streiter nicht allein. Rund um die molekularbiologi-
schen Institute von Heidelberg, Kiel oder Karlsruhe
fordern Wissenschaftler, die mit den Grünen sym-
pathisieren, die Parteien auf, die »Verteufelung« der
Gentechnik zu beenden. Andere Mitglieder wie Jo-
hannes Kopton von der Grünen Jugend propagie-
ren eine »progressive Agrarwende«. Der Magde-
burger Kybernetik-Student twittert als @phytonaut:
»Lasst mal bitte Gentechnik für was Cooles benut-
zen! Nachhaltigkeit zum Beispiel ...«
Hochrangigen Rückhalt bekommen die Kritiker
der Anti-Gentechnik-Fraktion von der baden-
württembergischen Wissenschaftsministerin The-
resia Bauer. »Die Grünen dürfen die Chancen der
Gentechnik nicht länger ignorieren«, schrieb sie
im Spiegel. »In der Debatte werden Fakten nicht
gleichberechtigt anerkannt.«
Faktenignoranz, gar Unwissenschaftlichkeit bei
den Grünen? Dieser Vorwurf treibt die Gegenseite
auf die Palme. Sie selbst, sagt etwa die Bundestags-
abgeordnete Renate Künast, habe das europäische
Gentechnik-Recht als Bundesministerin für Land-
wirtschaft vor 15 Jahren mitgeschrieben. »Und bis
heute rede ich laufend mit Forschern aus Industrie
und Universitäten.« Die aber seien sich bei der

Bewertung der noch jungen Gentechnik-Verfahren
keineswegs so einig wie die Befürworter in der Partei
das nahelegten.
»Es sind auch Wissenschaftler, die von unver-
hofften Nebenwirkungen der vermeintlich so
präzisen Eingriffe berichten«, sagt Künast. Kein
Grüner wolle Gentechnik-Forschung unterbin-
den, und sie sei ja auch ebenso wenig verboten wie
der Anbau. Aber sobald ein gentechnisch verän-
derter Organismus (GVO) in die Natur gelange,
»muss ich als Politikerin mögliche Risiken klären«.
Genau darüber, wie umfänglich solche Risiken
künftig ausgelotet werden sollen, bahnt sich gerade
in Europa ein neuer Grabenkampf an; insofern
kommt die innergrüne Kontroverse zu einem bri-
santen Zeitpunkt. Amerikanische und kanadische
Pflanzenzüchter wollen Produkte exportieren, die
mithilfe der Genschere hergestellt wurden. Bis heute

stehen Forschern und Unternehmen, die Freiland-
versuche planen oder gentechnisch veränderte
Pflanzen anbauen wollen, teure und langwierige
Zulassungsverfahren im Weg. Sollen deren Regeln
auch für die neuen Methoden gelten? Das müssen
die Regierungen der EU bald entscheiden.
Ein eherner europäischer Rechtsgrundsatz da-
für heißt Vorsorgeprinzip: Danach müssen denk-
bare Risiken einer Innovation für Mensch, Tier
und Ökosysteme im Vorhinein sorgfältig geprüft
werden. Bei den »modernen Züchtungstechnolo-
gien«, wie die Befürworter der Gen-Editierung zur
Vermeidung des Buh-Wortes »Gentechnik« gerne
sagen, sei die heute geltende Strenge aber unnötig.
Drei Gründe führen sie an:


  • Bei den neuen Verfahren wird nicht mehr
    unbedingt fremdes Erbgut eingeschleust, vielmehr
    kann man die DNA jetzt auch innerhalb der jewei-
    ligen Art verändern.

  • Zweitens sind Mutationen, die Crispr auslö-
    sen kann, in der Pflanzenzüchtung nichts Neues.
    Ähnliche Veränderungen werden schon lange auch


durch radioaktive Bestrahlung oder chemische
Mittel herbeigeführt – und dafür gibt es eine Aus-
nahme im Gentechnik-Recht.


  • Diese Ausnahme müsse erst recht für die prä-
    ziseren Genscheren-Verfahren gelten. Zumal die
    Folgen, oft Einpunktveränderungen, in der Pflanze
    meist nicht einmal nachweisbar sind.
    Ist die neue Gentechnik also eigentlich gar keine
    Gentechnik, wie die Befürworter der Verfahren
    suggerieren? Diese Frage hat der Europäische Ge-
    richtshof im Juli 2018 aus juristischer Sicht ein-
    deutig entschieden: Sie ist es. Deshalb gelten die
    alten Regeln auch für sie.
    Forschungsorganisationen, Saatgutkonzerne,
    Chemieindustrie und europäischer Bauernverband
    waren damals geschockt. Sie drängen in Brüssel
    auf eine »Anpassung des Gentechnikrechts an
    den wissenschaftlichen Erkenntisstand«, wie es
    diese Woche knapp zwei Dutzend Verbände der
    Agrar- und Lebensmittelwirtschaft noch einmal
    formulierten.
    Naturschützer, Grüne und Sozialdemokraten
    hingegen lobten das Urteil, und vor allem Öko-
    bauern atmeten auf. Für sie ist Gentechnik-Ver-
    zicht nicht nur Überzeugung, sondern auch ein
    Markenkern. Den könnten manipulierte Sorten
    aushöhlen, wenn sie unwiderruflich in Europa hei-
    misch werden, fürchten sie. Einzelne Ökoforscher
    sehen in Crispr auch für den biologischen Land-
    bau Chancen. Doch die Mehrheit der Branche be-
    obachtet die Debatte um die Aufweichung der
    strengen Regeln in der grünen Partei mit Sorge.
    Vordergründig erscheint der Streit wie ein
    Generationenkonflikt, ein Aufstand des Öko-
    nachwuchses gegen das grüne Establishment. Da
    greift zum Beispiel Hauke Köhn den »Starrsinn
    der technologisch Konservativen« an, oder
    Johannes Kopton polemisiert gegen die grüne
    »Angst vor dem Neuen oder dem Künstlichen«.
    Wer junge Leute überzeugen wolle, sagt Kopton,
    der müsse »raus aus der Technik-ist-doof-Ecke«.
    Doch so meinungsstark die GVO-for-future-
    Gruppe auch ist: »Diese Fraktion spricht nicht
    für die Grüne Jugend insgesamt«, betont deren
    Bundesvorsitzende Ricarda Lang. Beim Bundes-
    kongress der jungen Grünen Anfang November
    gibt es neben dem Pro-Gentechnik-Antrag zwei
    weitere zur Landwirtschaft, die ganz andere Prio-
    ritäten setzen. Auch sonst verläuft die Konflikt-
    linie bei genauerem Hinsehen weniger zwischen
    Alt und Jung als zwischen den Agrarfachleuten
    in der Partei und einigen grünen Wissenschafts-
    politikern.


Diesen fehle oft das landwirtschaftliche Praxis-
wissen, meint Harald Ebner aus der Bundestags-
fraktion, und wie einige Mitglieder der Grünen
Jugend seien sie »empfänglicher für die raffinierten
Kommunikationsstrategien der Lobby«. Beispiel
Einpunktveränderungen durch Genome Editing:
»Die klingen harmlos«, sagt Ebner, »aber auch so
ein kleiner Eingriff in der Pflanze kann einschnei-
dende Veränderungen auslösen.«
Vor allem aber ließen sich die großen Verhei-
ßungen von Crispr, etwa dass Pflanzen Trockenheit
oder salzige Böden besser tolerieren können, nur
erzielen, wenn an mehreren Stellen in die DNA
eingegriffen werde – falls das überhaupt möglich
sei angesichts des komplexen Zusammenwirkens
der Gene. Bisher jedenfalls hätten die Genforscher
solche Versprechen nicht eingelöst. Für Klima, Ar-
tenschutz und Welternährung erreiche man mehr
mit breiten Fruchtfolgen, Humusaufbau und ande-
ren ökologischen Methoden, sagt Ebner. In deren
Erforschung flössen aber ungleich weniger Mittel
als in die Gentechnik.
In einem Punkt sind sich die Fraktionen immer-
hin einig: Beide sehen die Gefahr, dass die neuen
Techniken vor allem den großen Agrochemie-
konzernen nutzen. Kleine Züchter nämlich könn-
ten sich die Kosten der Patent- und Lizenzverfahren
gar nicht leisten, sagt Ex-Ministerin Künast. Das
sieht Johannes Kopton ähnlich. Er fordert die Bun-
desregierung auf, die öffentliche Forschung massiv
zu fördern, »damit die Agrarwende nicht der Profit-
maximierung der Konzerne dient«.
Theresia Bauer in Baden-Württemberg will
sich derweil »für eine Anpassung des bisherigen
Regelwerkes einsetzen, um die Erforschung mit
CRISPR/Cas-Methoden zu erleichtern«. Die Wis-
senschaftsministerin plädiert »für eine differen-
zierte Regulierung bei der Gentechnik. »Gleiches
muss zum Beispiel gleich und Ungleiches ungleich
reguliert werden.«
Inzwischen schält sich ein Grundkonsens bei
den Grünen heraus: Laut dem Zwischenbericht
für das neue Parteiprogramm wollen sie an stren-
gen Zulassungsverfahren und am Vorsorgeprinzip
festhalten. Die Brisanz steckt dann in der Frage,
was unter »streng« verstanden wird. Die Kontro-
verse innerhalb der Partei zeigt, dass sich letztend-
lich beide Seiten auf die Forschung beziehen, die
Faktenlage aber nicht immer einfach ist. Aber
Streit gehört nun mal nicht nur zur Politik, son-
dern auch zur Wissenschaft. Die Grünen nehmen
eine Debatte vorweg, die bald auf die gesamte
Gesellschaft zukommen dürfte.

GENTECHNIK


Eine Kontroverse um Gentechnik spaltet die Grünen. Sie nimmt vorweg, was die Gesellschaft demnächst verhandeln muss VON CHRISTIANE GREFE


Foto: Volker Crone

»Gerade wir


Grünen haben doch


immer auf Fakten


bestanden«

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