Neue Zürcher Zeitung - 22.10.2019

(John Hannent) #1

Dienstag, 22. Oktober 2019 ZÜRICH UND REGION21


Rückgriff aufs Trammuseum reicht nicht

Nächstes Jahr sind in der Stadt Zürich weniger Schienen fahrzeuge unterwegs


ANDRÉ MÜLLER


Der Mensch ist dasTier, das sich durch-
wurstelt.Jedenfalls so lange, bis das nicht
mehr geht. DieVerkehrsbetriebe Zürich
(VBZ)sind im Sommer an diesem Punkt
angelangt:Wegen mehrererTramunfälle
und wegen derVerlängerung der Linie 2
nach Schlieren fehlten ihnenTrams, um
alle Kurse wie gewohnt zu fahren. Die
VBZ holten zwar uralte Mirage-Trams
ausdemTrammuseumzurück,aberselbst
das reichte nicht.Dass sie auf der Linie 8
über die Hardbrücke zeitweise fast nur
noch alteTrams fahren liessen, brachte
ihnenscharfe Kritik von Menschen mit
Behinderung ein, die zumPendeln auf
niederflurige Einstiege angewiesen sind.
AllenTrickszumTrotzwirktesichjede
Störungrasch auf dieFahrplanstabilität
aus, denn dieVBZ fuhren so gut wie ohne
Ersatzfahrzeuge.Weil sich die Situation
erst im Sommer2020 bessert, wenn die
neuen Flexity-Trams von Bombardier
schrittweise in Einsatzkommen,reagie-
ren die VBZ jetzt und bauen denFahr-
plan für 2020 stark um: Die Linie17 wird
komplett eingestellt, dafür fährt der10er
montags bis samstags über dieBahnhof-
strasse weiter zumBahnhof Enge und in
den Hauptverkehrszeiten bis zum Albis-
gütli. Der 6er übernimmt ab demBahn-
hofquai den anderen Arm des17ers via
Escher-Wyss-Platz bis zumWerdhölzli.


15-Minuten-Takt für den 15er


Natürlich müssen auch dieTrams für
die längerenKurse der Linien10 und 6
irgendwoherkommen: Deshalb dünnen
die VBZ den15er von Montag bis Sams-
tag auf einen15-Minuten-Takt aus. Dass
es die kurze Linie15 trifft, istkein Zu-
fall, verzeichnet sie doch die geringste
Nachfrage von allen VBZ-Linien.Auf
der Linie 12 vom Flughafen zumBahn-
hof Stettbach fahren teilweise nicht mehr
Cobra-Trams, sondern ältereTram-2000-
KompositionenmitsogenanntenSänften,
die auch niederflurig sind. Der 8er wird
wieder zu 50 Prozent mit niederflurigen
Trams geführt.
FaktischwirdsoderFahrplanzwischen
demBahnhofEngeunddemHauptbahn-
hof sowie zwischen Bucheggplatz, Cen-
tral und Stadelhofen ausgedünnt. Stadt-
ratMichaelBaumer (fdp.)hofft aufVer-
ständnis der Nutzer des15ers, zu denen
wohnortbedingt auch er selber zählt.
SeineFrau habe ihm gesagt, dass das
schon nicht ideal sei, «aber daraufkön-


nen wir leider nicht eingehen».Das neue
Liniennetzgi ltabdem25.Novemberund
spätestensbiszumFahrplanwechsel2020.
Die VBZ werden die Liniennetz- und
die Fahrplänean den Haltestellen aus-
tauschen und beim HauptbahnhofKun-
denberater einsetzen,die desorientierten
Fahrgästen weiterhelfen sollen. Im On-
line-Fahrplan und an denAushängen soll
man wieder verbindlichablesenkönnen,
wannjeweilsdieFahrzeugemitbehinder-
tengerechtem Einstieg verkehren.«Wir
schaffen einFahrplanangebot,auf das
sich dieKundinnen undKunden verlas-
sen können», sagt VBZ-Direktor Guido
Schoch.Es sei kleiner, aber zuverlässiger.
Weil auf dem 8er wiederregelmässig
niederflurigeTramsverkehren,stellendie
VBZihrAngebot,dassKundenohneAuf-
preis die Behinderten-Transporte Zürich
(BTZ) aufbietenkönnen, Ende Novem-
ber wieder ein.Laut Baumer wurde das
Angebot sowieso nur vier-bis sechsmal
proWoche genutzt.Da Personen mit Be-
hinderungsichmitvielVorlaufzeittelefo-

nisc hmeldenmüssen,isteswenigflexibel
undimPendleralltagnichtsehrpraktisch.
DasersteFlexity-Tramsollzwarschon
imNovembervonderBombardier-Fabrik
in Wien nach Zürich gelangen, hier muss
es aber erst ausgiebig auf dem Netz ge-
testet werden.Ab Sommer 2020 soll dann
etwajedenMonateineneueKomposition
zur Flotte stossen, so dass sich der Eng-
pass schrittweise auflöst.

Keine Ersatzfahrzeuge gefunden


Doch wie kam es zum Engpass? Die Un-
fälle diesen Sommer sind nur die Spitze
desEisbergs,schwererwiegtderumJahre
verzögerte Kauf der neuenTramgenera-
tion:Seit 2011sind dieVBZ daran,einen
Nachfolger des veraltetenTrams 2000 zu
beschaffen. Eigentlich sollten dieFahr-
zeuge,dieZürichbeiBombardierbestellt
hat, seit 20 16 im Einsatz stehen.Wegen
Unstimmigkeiten mit dem ZVV und
Rekursen der unterlegenenKonkurren-
tensinddieerstenFlexity-Einheitenaber

erst im Sommer 2020 im Linienverkehr
einsatzbereit. Er habe sich 2011 «inden
schlimmstenTräumen» nicht ausmalen
können, dass die Beschaffung mehr als
neunJahre dauern würde, sagte Schoch.
MichaelBaumer führte aus, dass die
VBZ auch andereLösungengeprüft hät-
ten, so den Ersatz durch Busse oder den
Einsatz von altenTrams derBaselland
TransportAG. Doch die Busse hätten
nicht an allen Haltestellen stoppenkön-
nen,unddieBaslerTramshabenTrittbret-
ter, die nicht zu den ZürcherHaltekanten
passen.Auch dieForchbahnhat keine Er-
satzfahrzeuge,diesiewährendderHaupt-
verkehrszeiten abgebenkönnte. So war
dieAusdünnungdesFahrplansdieeinzige
Option, um wieder eine kleineReserve
ins Tramnetz zu bringen.«Wir werden
den 15er nicht einstellen», erwidertBau-
mer noch auf entsprechende Gerüchte,
die sich hartnäckig halten. In Zukunft,
wenn dasTram Affoltern gebaut ist,soll
die Linie15 sogar vom Bucheggplatz via
Oerlikon bisAuzelg verlängert werden.

Weil die ZürcherVerkehrsbetriebe zuwenige Trams haben,werden auchamCentralweniger Kurse verkehren. CHRISTIAN BEUTLER / KEYSTONE

Der Kantonsrat hat doch Musikgehör


Mit einiger Verspätung erhält der Kanton Zürich ein Gesetz für die Musikschulen


STEFANHOTZ


Erst12Stundenwarenvergangen,seitdas
Resultatder Nationalratswahl feststand,
da trat der Kantonsrat bereits wieder
zusammen. Sieben Mitgliederkonnten
Glückwünsche für ihren weiteren poli-
tischenWeg in Bern entgegennehmen.
Dann befasste sich dasParlament den
ganzenVormittag über mit dem neuen
Musikschulgesetz.Essollneudenfreiwil-
ligen Instrumentalunterricht ausserhalb
der Schuleregeln.Das klingt schöner,
als es sich angehört hat. DerRat musste
sichdurch15 Detailabstimmungenkämp-
fen.Der Grund:Ihm lagein Kompromiss
vor, der diesen Namen wirklich verdient.
Das zeigte sich daran, dass von links und
rechts versucht wurde, mit Minderheits-
anträgenVerbesserungen zu erwirken.
Der Ton war zuweilen giftig, man ist ver-
sucht,vonDissonanzenzusprechen.Den-
noch befürwortete die Bildungskommis-
sion denVorschlag einstimmig.
Schon dieVorgeschichte ist schwierig.
Im März 2016 trat der Kantonsrat auf
einenerste nAntrag für ein Musikschul-
gesetznichteinmalein.EinGesetzseiun-
nötig, fand damals diebürgerliche Mehr-
heit. Die Musikschulen im Kanton seien
gut ausgebaut, wie das die Bundesverfas-
sung seit 2012 fo rdere.


2017 reichte derVerband Zürcher
Musikschulen mitVerbündeten eine
Volksinitiative in der Sache ein. Diese
ging derRegierung zu weit, weshalb sie
mehroderwenigerihrenfrüherenAntrag
als Gegenvorschlag präsentierte. Der lag
nun,ineinigenPunktengegendenWillen
der Regierung abgeändert, demRat vor.

Hauptstreitpunkt ist, wenig verwun-
derlich, das Geld. Der Regierungsrat sah
vor,denkantonalenAnteilandenKosten
für Musikschulen auf der heutigen Höhe
bei drei Prozent zu belassen. Das fanden
gar bürgerliche Sprecher etwas «schmür-
zelig». Die Initianten hatten einekanto-
nale Beteiligung von 20 Prozent verlangt.

DashättedieKostenfürdenKantonjähr-
lich um26 MillionenFranken erhöht.
Die Kommission einigte sich auf eine
Beteiligung von 10 Prozent. Gleichwohl
forderten SP, GP,AL, EVP und EDU im
Rahmen des Gegenvorschlags 20 Pro-
zent,um die Gemeinden zu entlasten.Sie
scheitertenaber mit98 gegen 66 Stim-

men. Die gleicheMinderheit wollte die
Beiträge der Eltern für den Musikunter-
richt auf maximal 43 Prozent begrenzen.
Der Rat hielt am Mehrheitsantrag von
50 Prozent fest.
Fast dramatisch war das Ringen um
die Voraussetzungen,die für Musikschu-
lengeltensollen.DieKommissionschrieb
vonLehrpersonenmitHochschuldiplom.
Ein eBlockflötenlehrerin,kritisierten die
Bürgerlichen, brauche dochkeinen Uni-
abschluss. Das gelte nur «in derRegel»,
und anerkannt werde auch eine gleich-
wertigeAusbildung, entgegneten die Be-
fürworter. SVP-Fraktionschef Martin
Hübscher tönte an, es hänge von dieser
Bestimmung ab, ob dasReferendum er-
griffen werde.Tatsächlich liessen sich,
was selten vorkommt, einige Grüne und
Grünliberale umstimmen.Dank ihnen
strich derRat mit 85 zu 84 Stimmen die-
sen Passus. Erst nach der Schlussabstim-
mung in einigenWochen wird sich zei-
gen,obniemanddasReferendumergreift
und die Initiative zurückgezogen wird.
NebendemGezänkumdieDetailszeigte
die Debatte auch den klarenWillen , am
Kompromissfestzuhalten.Bildungsdirek-
torinSilvia Steiner äusserte sich ziemlich
schmallippig und meinte, was die Musik-
schulen zusätzlichkosteten, gehe zulas-
ten des Bildungsbudgets.

Musikunterricht in der Volksschule unter Druck


len.·NebenzweiimLehrplanveranker-
ten Musiklektionen ist in den meisten
Schulgemeinden auch der Besuch der
musikalischen Grundausbildung vorge-
sehenundimStundenplanverankert.Das
MGAgenannteFach wirdanders als der
reguläre Musikunterricht von musikali-
schenFachlehrpersonen unterrichtet. Es
ist je nach Schulgemeinde mit ein oder
zweiLektionendotiertundwirdwährend
ein bis zweiJahren angeboten.
Mit dem im letztenJahr eingeführten
neuen Lehrplan 21 steigt die Lektionen-
zahlimerstenPrimarschuljahr von22auf
24Lektionenan.EinigeZürcherGemein-
denhabensichdeshalboffenbardazuent-
schieden, diese beidenzusätzlichen Lek-
tionen zukompensieren, indem sie die
musikalischeGrundausbildungganzoder

teilweiseabbauten. Dies, um diejungen
Schülerinnen und Schüler nicht zu über-
fordern, ihnen einen zusätzlichen freien
Nachmittagzuermöglichenoderschlicht,
um zu sparen. So bieten etwaFehraltorf
und Wallisellen dasFach MGA nur noch
freiwillig an; Bonstetten, Elsau,Neerach,
Oetwil/Geroldswil, Pfungen sowieRüm-
lang gar nicht mehr.
Laut dem Verband der Zürcher
Musikschulen (VZM) hält sich die Zahl
der soreagierenden Schulgemeinden
zwar in Grenzen,könnte aber zuneh-
men.Unter Druck sei neben der musika-
lischen Grundausbildung auch der indi-
viduelle Instrumentalunterricht, den die
Schüler in derFreizeit besuchen. Die da-
für benötigten Zeitfenster würden durch
verschulte Nachmittage, aber auch durch

vermehrteTagesschulstrukturen und die
Konkurrenz durch andereFreizeitpro-
gramme immer weniger, monieren Mu-
sikschullehrer. Sie sind zunehmend von
Klein- und Kleinstpensen betroffen.
Der VZM sehejedoch auchChancen
des neuen Lehrplansfür die Musikschu-
len , wie dessen PräsidentThomas Inei-
chen auf Anfrage festhält. Die darin ge-
forderten Musikkompetenzen seien
höher angesetzt als bisher. Sie umfassen
neben Singen und Sprechen etwa auch
Bewegen undTanzen sowie Musizieren.
Volksschullehrpersonenbrächtendienö-
tigenVoraussetzungen für dieVermitt-
lung dieserKompetenzen indes nur be-
dingt mit. Ineichens Ansicht nach lohnte
es sich,dafür Musikschullehrerinnen bei-
zuziehen, etwa imTeamteaching.

Höchste


chinesis che


Auszeichnung


Ehrung des ehemaligen Zürcher
Stadtpräsidenten Thomas Wagner

ADI KÄLIN

ak.·Allesbegann1980miteiner Ausstel-
lung imKunsthaus,wo drei der mittler-
weile weltberühmtenTerrakotta-Krieger
des ersten chinesischen Kaisers gezeigt
wurden. DieFaszination war so gross,
dass sich daraus eine intensive Städte-
partnerschaft zwischen Zürich und der
chinesischen ProvinzstadtKunming ent-
wickelte.Verantwortlich dafür war bis zu
seinemRücktritt 2002 der FDP-Stadt-
ratund StadtpräsidentThomasWagner.
Die Städtepartnerschaft entwickelte sich
über denAustausch kultureller Errun-
genschaften hinaus. Zürich unterstützte
die chinesische Stadt in den Bereichen
Wasserversorgung, Denkmalschutz und
öffentlicherVerkehr.Kunming umge-
kehrt schenkte Zürich1994 den China-
garten, der seither zu den gut genutzten
touristischen Angeboten gehört.Auch
nach seinemRücktritt als Stadtrat enga-
gierte sichWagner für die Zusammen-
arbeit mit China – unter anderem als Prä-
sid ent der Gesellschaft Schweiz - China
oder als Berater für SchweizerFirmen,
die eine Niederlassung in China gründe-
ten.Wagner geniesst in China hohesAn-
sehen und ist Ehrenbürger gleich meh-
rere r Städte.
Gewissermassen als Krönung istWag-
ner nun mit demFreundschaftspreis der
chinesischen Regierung ausgezeich-
net worden. Es handelt sich dabei, wie
einer Medienmitteilung des chinesischen

Generalkonsulats entnommen werden
kann, um «die höchsteAuszeichnung für
ausländische Experten, die Chinas Ent-
wicklungsfortschritt unterstützen und
die freundschaftlichen Beziehungen zwi-
schen China und derWelt formen».Wag-
ner konnte an derVerleihung des Preises
in China aus persönlichen Gründen nicht
teilnehmen.DaschinesischeGeneralkon-
sulat teilt mit, dass aber eineVerleihung
in würdigerForm folgen werde.

ThomasWagner
Ehemaliger
NZZ Zürcher Stadtpräsident
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