Neue Zürcher Zeitung - 22.10.2019

(John Hannent) #1

Dienstag, 22. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 25


Die Familiengeschichte von Berater-Legende


RolandBerger weist auchdunkle Flecken auf SEITE 27


Zwei Online-Vermittler in Südostasien liefern sich


einen erbittertenKampf umMarktanteile SEITE 29


Ersetzt 5G bald das Festnetz-Abo?


Schon heute nutzen einige mobiles Internet auch zu Hause. Die neue ste Mobi lfunkgeneration wird dies noch attr aktiver machen


STEFAN HÄBERLI


Wenn zwei sich streiten, leidet der
Dritte. Das ist etwa beim Streit um
die Übernahme des Kabelnetzbetrei-
bers UPC durch Sunrise derFall. Das
Management sowie derVerwaltungs-
rat des Mobilfunkanbieters kämpfen
verbissen für den Deal. Der grösste
Sunrise-Einzelaktionär, Freenet, wehrt
sich nicht minder vehement dagegen.
Das vor allem mit demVerweis auf die
Mobilfunktechnologie 5G, bei der Sun-
rise weltweit zu den Pionieren gehört.
Die Übernahme sei strategisch zweifel-


haft, weil dasKabelnetz von UPC vergli-
chen mit 5G eine«Technologie derVer-
gangenheit» sei,erklärt der deutsche
Aktionär seinenWiderstand.
Damit sprichtFreenet nicht nur UPC
die Zukunftstauglichkeit ab. Die Firma
richtet auch bei den anderen «Kablern»
argumentativenKollateralschaden an.
Das kann Simon Osterwalder nicht ge-
fallen. Als Geschäftsführer von Suisse-
digital vertritt er auch die Interessen der
Kabelnetzbetreiber. «Ich kann mich an
die gleichen Behauptungen erinnern,
als 2012 der Standard 4G mitPauken
und Trompeten eingeführt wurde», sagt
Osterwalder. Es zweifle zwar niemand
daran, dass 5G eine gute Ergänzung
zum Festnetz sein werde. Die Behaup-
tung, dass der Mobilfunk innert kürzes-
ter Frist einFestnetz-Abo obsolet ma-
che, sei hingegen unseriös.


Hotspot statt Festnetz-Internet


Zumindest jüngere, preisbewussteKon-
sum enten sehen dies vermehrt anders.
Sie halten nicht nur dasFestnetztele-
fon ihrer Eltern für Geldverschwen-
dung. Sie verzichten auch vermehrt auf
ein klassisches Internet-Abo.Wenn sie
in ihren eigenen vierWänden mit Note-
books oderTablets surfen, funktionie-


ren sie stattdessen ihre Smartphones zu
WLAN-Hotspots um.Voraussetzung da-
für ist ein Mobilfunk-Vertrag mit einer
hohen Limite oder einer Flatrate beim
Datenverbrauch. Der Mobilfunk er-
reicht im Schweizer Mittellandlaut der
britischenFirma Opensignal im Schnitt
eine Übertragungsrate von 40 Mbit/s;im
Jura und den Alpen sind es um die 35
Mbit/s. Damit steht einemFilmabend
vielerorts nichtsim Wege. Selbst für
Streaming in Ultra-HD-Qualitätreicht
laut Netflix eine Download-Geschwin-
digkeit von 25 Mbit/s aus.
Auf einem anderen Blatt steht, ob
die Telekom-Firmen diese Praxis über-
haupt tolerieren. Denn obwohl diese
mit «unlimitiertem Surfen» werben,
ist das gar nicht so klar. Der Markt-
führerSwisscom setzt beispielsweise
auf eine «Fair UsePolicy». Diese sieht
vor, dass die Geschwindigkeit derVer-
bindung gedrosselt werden kann, wenn
Swisscom eine «erheblicheAbweichung
vo m üblichen Gebrauch» feststellt.Fällt

unter diese schwammige Definition
auch das oben beschriebene «Modell
Hotspot»? Eine Anfrage beiSwisscom
sorgt nicht für Klarheit, sondern stiftet
zusätzlicheVerwirrung.
Ein Sprecher des Unternehmensver-
neint zwar, dass dieses gegen die«Fair
Use Policy» verstosse. Dem wider-
spricht allerdings der eigeneKunden-
di enst. EinerKundin teilt dieser mit,
dass es missbräuchlich sei, auf ein Inter-
net-Abo zu verzichten und zu Hause via
Smartphone-Hotspot zu surfen.Swiss-
com erhalte allerdings erst eine Mel-
dung, wenn sie mehr als 40 GBDaten
pro Monat verbrauche. Zur Einordnung:
Diese Grenze erreicht nach ungefähr
sechs Stunden, wer Netflix-Serien in der
höchstenAuflösung schaut.
Was auch immer beiSwisscom nun
gilt: Dass Mobilfunkanbieter bei Down-
load-Orgien einschreiten, wäre durch-
aus vernünftig. Denn dieKundschaft
teilt sich eine beschränkteBandbreite.
Das Herunterladen eines zusätzlichen

Datenpakets mag aus Sicht des Einzel-
nen kostenlos sein. Doch gratis ist es
nicht: DieKosten tragen andereKun-
den,denen ein Teil derBandbreite
«weggefressen» wird.Da dies kaum je-
mandem schlaflose Nächte breitet, lädt
die Flatrate zur Übernutzung des Netzes
ein. Eine «Fair UsePolicy» schützt somit
die Kunden vor jenen, die deutlich über
die Stränge schlagen.

Ergänzung, nicht Ersatz


Suissedigital-Geschäftsführer Oster-
walder bestreitet denTrend zum kabel-
losen Surfen nicht. Er glaubt trotzdem
nicht,dass das «Modell Hotspot» Schule
macht:«In meinem Haushalt mit drei
‹digital natives›,die nachmittags ihre
App-basierten Hausaufgaben machen
oder heimlich Netflix schauen, würde
das zu gröberen Unstimmigkeiten und
epischen Diskussionen führen.» Eine
leistungsfähige Internetverbindung ge-
hö re zu einem Haushalt wie derWas-

ser- oder Stromanschluss.Wenn es um
Anwendungen mit hohen Anforderun-
gen an Leistung und Stabilität im Ge-
bäudeinneren geht – etwa bei Cloud-
Lösungen –, dürfte der Mobilfunk noch
langekeine ernsthafte Alternative zum
Festnetz sein.Das sieht auchSwisscom
so: 5Gkönne zwar künftig eine inter-
essante Alternative sein, um eine ab-
gelegene Streusiedlung mit schnellem
Internet zu versorgen. Ein Ersatz für
das Festnetz sei dieTechnologie jedoch
nicht,sagt ein Sprecher derFirma.Swiss-
com investiertdeshalb weiter insFest-
netz. Ende 2021 will das Unternehmen
90% der Schweizer Bevölkerung mit
mindestens 80 Mbit/s schnellem Inter-
net versorgen.
Verglichen mit dem Angebot, das
Sunrise als «Glasfaser durch die Luft»
bewirbt, erscheint das ambitionslos. 5G-
Router sollen denKunden laut Sunrise
zu Hause kabellos Geschwindigkeiten
von «bis zu» 1 GBit/s bescheren. Da-
mit wäre die Zukunft des klassischen
Internet-Abos in derTat gefährdet.
Denn die Glasfaser-Angebote (FTTH)
sowie der Kabelanschluss von UPC be-
wegen sich punktoTempo im ä hnlichen
Rahmen. Doch wie bereits erwähnt:Je
mehrKunden im Mobilfunk die glei-
che Zelle nutzen, umso langsamer ist
die Verbindung. Die Mobilfunkanbie-
ter müssten den Antennenwald deshalb
massiv aufforsten, damit5G dieFest-
netz-Angebote ersetzenkönnte. Die
Strahlenschutzverordnung des Bundes
(NISV) schiebt dem allerdings einen
Riegel. In zahlreichen Städten und
Agglomerationen ist die Obergrenze
bei der elektromagnetischen Strahlung
bereits erreicht. DerBau neuer Anten-
nen ist dort kaum eine Option.
Zudem mach t dertechnologische
Fortschrittkeinen Bogen um dasFest-
netz. DieDaten können immer schnel-
ler über die letzte Meile gejagt werden.
Und die Strecke, die sie über dasKup-
ferkabel zurücklegen, wirdkürzer.So
besteht etwa das Netz von UPC zu 95%
aus Glasfasern. Die Kabelnetzbetreiber
arbeiteten längst mit der Glasfasertech-
nologie, sagt Osterwalder von Suisse-
digital. Nur gehe das im Hype um den
Neubau von FTTH-Netzen in den Städ-
ten unter. «Es sind, wenn Sie so wol-
len, gute alte Milchkühe, die von rich-
tigen SchweizerBauern behutsam ge-
pflegt werden», sagt er. Dass solche
Tiere nicht billig zu haben seien, ver-
stehe sich von selbst.

Die Opioid -Krise erwirkt in Ohio erneut nur einen Vergleich


Die amerikanischen Arzneiverteiler McKesson, Cardinal und Amerisource wenden in letzter Minute ein Gerichtsve rfahren ab


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Am Montag hätte in Cleveland ein ers-
ter wegweisender Prozess gegen meh-
rere Pharma-Firmen, die in Amerikas
Opioid-Epidemie eine massgebende
Rolle spielen, beginnen sollen.Kurz vor
Start der Eröffnungsplädoyers haben
sich aber die Arzneiverteiler McKes-
son, AmerisourceBergen und Cardi-
nal Health sowie der israelische Gene-
rikahersteller Teva mit den Behör-
den zweier Bezirke des US-Gliedstaats
Ohio auf einenVergleich geeinigt. Die
Bezirke Cuyahoga und Summit hatten
die Firmen auf mehr als8Mrd.$ ver-
klagt;die Vergleichssumme beläuftsich
nun auf 260 Mio.$.
McKesson, Cardinal and Amerisour-
ceBergenkontrollieren zusammen rund
95% des US-Geschäfts mit der Arznei-
mittelverteilung.Alle drei gehören zu
den grösstenKonzernen der USA. Sie


verpflichteten sich zu einer Zahlung
von 215Mio.$,währendTeva 20 Mio.$
in bar plus Suchtbehandlungsmittel im
Wert von 25 Mio.$beiträgt.ImRahmen
des Vergleichsgeben dieFirmenkein
Fehlverhalten zu. Die Kläger hatten be-
hauptet, dass die Hersteller vonrezept-
pflichtigen Opioiden die Suchtrisiken
für Personen mit chronischen Schmer-
zen falsch dargestellt hätten und dass es
dieArzneiverteiler versäumt hätten,auf
verdächtige Bestellungen solcher Opio-
ide aufmerksam zu machen.
Eine fünfte angeklagteFirma, die
ApothekenketteWalgreens,hat mit den
beiden Ohio-Bezirken nochkeinenVer-
gleich geschlossen.Andere wieJohnson
& Johnson, Mallinckrodt, Endo Inter-
national und Allergan hatten das be-
reits getan, und Cuyahoga (mit Zen-
trum Cleveland) and Summit (mit dem
Zentrum Akron)konnten sich aus die-
sen Vergleichen 61 Mio.$ sichern. Die

Gelder werden investiert in Programme
zur Suchtvorbeugung und -behandlung.
Nach demVergleich von Montag
wartet Amerika weiterhin auf deners-
ten Opioid-Prozess und damit eineAnt-
wort auf die Schuldfrage. Ein Jury-Ge-
richtsverfahren gilt deshalb als beson-
ders wichtig, weil es zur Offenlegung
von Dokumenten und Zeugenaussagen
führt, dieAufschlüsse über dieAusbrei-
tung der Epidemie und insbesondere die
Rolle der Arzneiverteiler ermöglichen.
McKesson, Cardinaland Amerisource-
Bergen spielen eine zentraleVermittler-
rolle zwischen den Produzenten einer-
seits und den Apotheken, Spitälern und
Ärzten anderseits.
Der Vergleich zwischen denFirmen
und Cuyaohoga und Summit befriedigt
nur die Ansprüche der beiden Bezirke.
Tausende Klagen von anderen Bezirken,
Gemeinden, Städten und Ureinwohner-
Stämmen gegen die Opioid-Industrie,

die in einer Sammelklage auf Bundes-
ebene zusammengefasst sind, stehen
landesweitaus. Die Klägergemeinschaft
und ihr Exekutivausschuss hatten die
Ohio-Bezirke zumTestfall füreinen ers-
ten Gerichtsprozess ausgewählt,weil der
Gliedstaat landesweit die zweithöchste
Todesfall-Quote wegen Opioid-Über-
dosenaufweist. Am Montag liess der
Kläger-Exekutivausschuss verlauten,
die Sammelklage werde weiter voran-
getrieben,auch wenn es nun nicht zum
Prozess gekommen sei.Das Szenario
mit Vergleichen, bevor es zur Gerichts-
verhandlungkommt,könnte sichx-fach
wiederholen.Auch nicht ausgeschlossen
ist ein globalerVergleich.
Die Kosten der Epidemie werden
jährlich aufDutzende Milliardenge-
schätzt.Für dasJahr 2013kommt eine
Studie der Bundesbehörde Zentren
für Seuchenkontrolle und -prävention
(CDC)auf einen Betrag von 78,5 Mrd. $.

Ein Drittel davon geht auf Pflegekos-
ten und Suchtbehandlung zurück, rund
20 Mrd. $ gehen zulasten der Öffentlich-
keit.CDC geht davon aus, dass von 1999
bis 2017 fast 218000 Personen an Über-
dosen gestorben sind, die aufrezept-
pflichtige Opioide zurückzuführen sind.
Ausgenommen von der Sammel-
klage ist der OxyContin-Hersteller
Purdue Pharma, seit er einKonkurs-
verfahren und Gläubigerschutz bean-
tragt hat.Für diesenFall ist nun das
Konkursgericht inWhite Plains (New
York) zuständig. Eine Übersicht ist
schwierig, weil zudem die Gliedstaa-
ten separat gegen die Pharmafirmen
vorgehen.West Virginia, der Staat mit
dem höchsten Anteil an Suchttoten, hat
in den vergangenen15 Jahren bereits
vier Vergleichegeschlossen;grosse Auf-
merksamkeit haben auch die Klagen
des Gliedstaats Oklahoma gegen Pur-
due undJohnson&Johnson erhalten.

Um mit 5G dasFestnetz zu ersetzen, müsstendie Mobilfunkanbieterdie Zahl der Antennen massiv erhöhen. P. KLAUNZER/KEYSTONE

Jüngere, preisbewusste
Konsumenten
verzichten vermehrt
auf ein klassisches
Internet-Abo.
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