Berliner Zeitung - 23.10.2019

(Brent) #1

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Berliner Zeitung·Nummer 246·Mittwoch, 23. Oktober 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
„WirgehenzusammeninkeinenProbenraummehr–mitAnnagibtes
keineZukunft“,sagendieSilly-Musiker.
DieTrennungvonAnnaLoosistalsoendgültig.
JetztwirdfürdiegroßeJubiläumstourneegeprobt:zehnStädte,
zehnAlben,zehnKonzerte–diegesamteBand-Biografie
vondererstenbiszurletztenPlatte


D

asSilly-PorträtimSpiegelaus
demJahr 2010 gingüberfünfSei-
ten, unddie Schlagzeilehieß:
„DieerstedeutscheBand“.Don-
nerwetter,daswarmaleinesteileThese.Silly
sollte demnach ein gesamtdeutschesPro-
dukt werden, dabei diePuhdys,Karat, City,
PankowundalldieanderenaltenBandsim
Ostenzurücklassen.ZumAufbruch,feinund
spitzbeobachtetvonJochenMartinGutsch,
gehörtedamalsdieSängerinundSchauspie-
lerin Anna Loos als neuerMotor.Sie kam
2006zurBand,zehnJahrenachdemfrühen
Todder Silly-LegendeTamaraDanz, das
erstevondreigemeinsamenAlbenhieß„Al-
lesrot“.EineschönePlatte,380000 Malver-
kauftundmitPlatindekoriert.Sillysahman
fortan überall, sie spielten in einem ZDF-
Krimi, traten inTalkshows auf, wurdenGe-
genstandeinerDoku,zeigtennichtnurmu-
sikalischPräsenz.
ImDezember2018trenntensichSillyund
AnnaLoos.EinKnall,derleisebebte,aberbis
heutegrobnachhallt.InwenigenWochenbe-
ginntdienächsteSilly-TourneemitdenGast-
SängerinnenAnNaR.v onRosenstolzundJu-
lia Neigel –zehn Städte,zehn Alben,zehn
Konzerte .Die„Analog“-Tour umfasst die ge-
samte Band-Biografievonder ersten bis zur
letzten Platte.Aber achtTournee-Städte lie-
genim Osten.SindsiedocheineOst-Bandge-
blieben?Oderwiedergeworden?
WirsitzeninderherrlichenWohnungvon
UweHassbecker mit den großenFenstern
zum Französischen Dom amGendarmen-
markt, und am Küchentisch schaukelt der
GedankeeinbisschenvonTassezu Tasse.Die
Musiker UweHassbecker,58, und Ritchie
Barton, 65, beiderank und schlank, wach
und frisch, immer noch blond, sind an die-
semHerbstmorgeninbesterStimmungund
durch nichts zuverunsichern.Hassbecker
sagt: „Ost-Tour?Weil nur Mainz undHam-
burgdabeisind?Ja,aberdaspassiertedurch
dieüberstürztePlanung.Wirhattenweniger
als ein Jahr Vorlauf, völlig unüblich in dem
Geschäft.WirnahmendieKonzerthallen,die
unsereTour-Managervorschlugen und die
passten.Wirwolltenauchkeinebesonderen
Risiken eingehen, immerhin wirdese in
Neustart. Wirsind ja selbst dieVeranstalter.
SokamendiesezehnStädtezustande.“
DiePlanung hat also mit der plötzlichen
TrennungvonSillyundAnnaLoosimletzten
Jahrzutun.KurzzuvorerhieltdieBandeine
EinladungzuMTV-Unplugged,zudieserbe-
rühmten intimenKonzertreihe.Musikern
giltsieseit30JahrenalsRitterschlag.Dylan,
Clapton,Springsteen,NirvanawarenamAn-
fangdabei,späterGrönemeyer,Lindenberg,
die Ärzte und dieFantastischenVier.Die
Silly-Musiker–alle überragend an ihrenIn-
strumenten–jubelten.Hassbecker erzählt:
„WirwolltendiesesKonzer tunterallenUm-
ständen.Aber Anna war plötzlich ihrSolo-
Album wichtiger.Kein Kompromiss,keine
Einigungmöglich.“


LauterverboteneVokabeln

Am Ende gab es keinUnplugged-Konzert,
stattdesseneineTrennungfürimmer.Fürim-
mer? Warumdann zuerst diese bizarr steife
PresseerklärungvonSillyübereinePauseund
verschiedeneBedürfnisse?AnnaLooserzählt
bis heute,sie sei alsFrontfrau sofortwieder
zurStelle,wennesnurmalIdeengäbe,wenn
die Band bereit wäre, sich weiterzuentwi-
ckeln.AlsSängerinwollesieallerdingskeines-
fallsdas Bisherige„aufwärmen“.
RitchieBarton:„J aja,wirhabendasauch
alles gelesen!Siestellt uns hin wie die alten
Säcke,die nicht aus dem Knick kommen.
Schon unverschämt.Aber anfangs wollten
wir keine Schlammschlacht in denMedien.
Diewarzubefürchten,wennwirgleichver-
kündet hätten:Ausund vorbei. Heute sage
ich–mitAnnagibteskeineZukunft.Wirge-
henzusammeninkeinenProbenraummehr.
Unddas preche ich für die ganzeBand.“
Hassbeckernicktunbewegt.
DieKonzerte vonSillysindlangeausver-
kauft, jedenfalls die imOsten. Istsie denn
obsolet, dieIdee vonder„ersten deutschen
Band“? UweHassbecker:„Also ehrlich, die
große AufmerksamkeitamAnfangwarschon
toll!KlarwolltenwirauchimWestenspielen.
DieBekanntheitvonAnnahatunsTürenge-
öffnet. Wirhaben voneinander profitiert,
tolle Alben gemacht, sind miteinander ge-
wachsen.Undwir hattenvolle Konzerthal-
len, letztlich mehrZuschauer als früher –
8000 allein in der Zitadelle Spandau.“
Barton: „Kritiker monieren, dass das letzte
Album zu glatt klingt, zu poppig.Vielleicht.
Andererseits haben uns gerade jüngereHö-
rerdamit zum erstenMalwahrgenommen.
Nichtzu verg essen:WennmannurimOsten
ZigtausendPlatten verk auft, gilt das alsre-
gionalundzähltnichtfürdieCharts.Sos ind
dieRegularien.Aberwirschafftenesmit,Al-
lesrot‘auf Platzzwei.“
AnnaLoos,FraudesSchauspielersJanJo-
sef Liefers,erwies sich anfangs als überra-
schend zauberhafte Sängerin. Unange-


strengt,stimmsicher,dabeisympathischzu-
rückhaltend–allespasste.Spätertratsievor
allem vordergründig auf. Manchmal, als
wäreSilly ihr eBegleitband. Doch nie drang
ein Krach nach außen, höchstens leise
Knirsch-Geräusche.Beim Album „Wutfän-
ger“ 2016 schmetterte Anna Loos dieText-
AngebotevonWerner Karmaab.Derangese-
hene Dichter hatte mit genialenTexten den
frühen Silly-Ruhm mitbegründet und war
spätermühsamzurückzurBandgeholtwor-
den.ZuletztmarkierteAnnaLooseinigeZei-
len in seinenTexten. Karmadachte,diese
Stellen würde sie beanstanden. Doch nein,
eswarendieeinzigen,dieAnnaLoosinteres-
santfand,erzählteKarmaspäter.Sieschrieb
danneigeneTexte–undsoklingensieauch.
Wieistsiedennso,dieSängerin?Nun,sie
ist kraftvoll, entschlossen, ehrlich, leiden-

schaftlich,verträumt,sinnlich,zerbrechlich,
melancholisch,authentischund–einKraft-
werk .Diese göttinnengleichenEigenschaf-
tenschreibtihrnichteinergebenerBewun-
dererzu,sosiehtsichAnnaLoosselbst.Steht
aufihrerWebsite.Irgendwannharmonieren
sie offenbar nicht mehr,die Sängerin mit
dem klirrendenEgound die Silly-Musiker
mitderentspanntenLässigkeit.KeinDrama.
NachDramaklingenallenfallsSchlagzei-
lenwiedie:ZerbrichtjetztSilly?Ach,zerbre-
chen.Wiesollte das aussehen bei dieser 40
JahrealtenBand?VondenGründernistkei-
ner mehr dabei, aber das heutigeKern-Trio
RitchieBarton(Keyboard),UweHassbecker
(Gitarre)undJäckiReznicek(Bass)bestimmt
den Sound seit denAchtzigern.DieBand
musssichfürunkaputtbarhalten,sovielhat
siezusammenerlebt.

GehenwirzurückindenSeptember1989.
TamaraDanz erzählte mir in dieserWoh-
nung,dassSillygeradeeineResolutionmit-
verfassten.DarinbenanntenRockbandsund
LiedermacherdieZustän deinderDDR,for-
derten Meinungsfreiheit und die Anerken-
nung desNeuenForums .Abends in den
Konzerten trug die Sängerin dieResolution
ihrem Publikum vor. Es war klar ,dass kein
Wort davon in der damals staatstragenden
BerlinerZeitungstehenwürde.
Künstlerzeigten den größtenMutzum
Widerstand, nicht erst, als sie dieDemons-
tration auf dem Alexanderplatz am 4.No-
vember organisieren, auchvorher,als der
Ausgang de rsich anbahnendenRevolution
noch unabsehbar war.Hassbecker erinnert
sich: „Es war unerträglich geworden, selbst
wennmanwiewirgeradeinWest-Berlineine

Platte aufnehmen konnte,darum dieReso-
lution.Aberwirwarenauchgeschütztdurch
unserePopularität, unserPublikum.Unter
denMusikernherrschteEinigkeit,dassesso
nichtweitergehenkonnte.“
DieSilly-Platte„Februar“von1989lieferte
dabei denSoundtrack zu einerGesellschaft
inAgonieundResignation,alsdenrasanten
UntergangdesLandesnochkeineraufdem
Schirmhatte.
Manfragtesich,werdennsolcheTiteler-
laubt hatte–über ein„Gespenst in derMit-
ropa“, denUntergang eines Schiffes,eine
Selbstmörderin,erfrorenzwischendenMen-
schen,undüber„VerloreneKinder“:„Diever-
lornen Kinder/ind enStraßenvonBerlin/In
die warmen Länder/würden sie so gerne
fliehn“. Lauterverbotene Vokabeln –Sehn-
sucht,Flucht,Erfrieren, Untergang. Durftees
alles nicht geben in der DDR.Einige Zeitun-
gen entblödeten sich nicht zu poltern, dass
dieseKinderdochklarerhättenverortetwer-
denmüssen–inKreuzbergnämlich.Alsgäbe
esdaetwasmisszuverstehen.
Solche Metaphernbestimmtenden Stel-
lenwert, derTexten imOsten zukam. Uwe
Hassbecker:„WirsahendieKindernatürlich
in Marzahn voruns.Die Platte entstand in
KooperationmitBMGAriola.Eherdurchdi-
verse Zufälle ging sie letztlich völlig an der
Zensur vorbei. Als sich die Amiga-Chefs auf
dieTexte stürzten, war diePlatte im Westen
schongepresst.“
Nachdem Mauerfallwolltedannerstmal
kein Mensch mehrTrabant fahren oder die
alten Bands hören.Auch Silly erlebte einen
Karriereknick,brachtevierJahrekeinePlatte
heraus .Als sie 1996 mit „Paradies“ wieder
durchstartenwollten,starbihreSängerinan
Krebs ,43,jungundschön,mittenimLeben.
DerMythos um sie begann sofortzuw ach-
sen. DieerschüttertenMusike rließen Silly
zehnJahreruhen.ReznicekwurdeDozentan
der Musikhoc hschuleDresden, Hassbecker
undBartonbetriebenihrDanzmusikStudio,
hinterließenKompositionen bei zahllosen
Bands,Musik-undFilmprojekten.
DasErstaunlicheaberwarnichtdielange
Ruhezeit,sonderndassBartonund Hassbe-
ckeresüberhauptsolangemiteinanderaus-
hielten.Dasssi eFreundebliebenundniemit
Dolchen aufeinander losgingen. Barton
nämlichverlorzweimaleinegeliebteFrauan
seinenFreund,erst Tamara,dannUta.Alsdie
MusikerSilly wieder zum Leben erweckten,
sagteHassbecker:„Aberichhabeihmnichts
weggenommen,beidesindkeineFrauen,die
man jemandem ausspannen könnte.Rit-
chies Bezieh ungen waren zweimal einfach
amEnde.“ UndRitchieüberlegte:„Vielleicht
hat er nicht ganz unrecht. Schlimm war es
trotzdem.“
BartongiltalsderToleranteundSensible,
HassbeckeralsderEhrgeizigeundPragmati-
sche.Umgekehrthätte der Tausch nicht ge-
klappt.AberschließlichnistetesichBestän-
digkeit ein in ihrenBeziehun gen, beideb e-
kamen2006Töchter,dieheutedasselbeMu-
sik-Gymnas iumbesuchen.

AlterTon,vertrauteTexte
UndhieramKüchentischherrschttiefesEin-
vernehmen über die nächsteTournee.Dar-
über,dassSillyin Konzertenwiedergrößeren
WertlegenwillaufdieVergangenheit,diezu-
letzt vernachlässigt wurde.Schon vorWo-
chen begann en die Proben,denn in jedem
Konzer tsteht ein anderes Album imMittel-
punkt, von„Tanzt keinerBoogie“bis„Wut-
fäng er“.Hassbecker:„Insgesam tsind60 Titel
einzustudieren,einevölligunterschätzteAr-
beit, auf die wir uns da eingelassen haben.
DennwirwollenauchmitdenneuenInstru-
mentendenaltenTontreffen.“
Deralte Ton, di evertraute nTexte .Einer
dererstenWest-ManagerhattesichmitSilly-
Musikeingeschlossen und war danach si-
cher,einenSchatzentdecktzuhaben–eine
Bandmi tKultu rgeschichte.Sicher ,nicht um-
sonstliebtjede r, derSillywirklichkennt,die
WuchtdiesesflirrendenKunstrocks ,diesin-
fonischausladendenMelodie bögenundka-
priziösen Crescendi vonGeigenund Gitar-
ren,diemangleichwiedererkennt.
Im verg angenenSommer präsentierte
RadioEins dieTop 100der Ost-Musik und
staunte über dieirreResonanz.Jetzt er-
scheint eine CD-Box mit allenSongs.Unter
denerstenzehnTitelnbehauptensichjeei-
nervon City,Pankow,Karat –und drei von
Silly.Was fürein Geschenk,dass vie rJahr-
zehntenachGründungderBandaufdieAn-
hänglichkeit und Erinnerungskraft einer
ewigenFangemeindeVerlassist.
DieKlasse vonMusik bemisst sich
schließlichnichtdanach,obmans ieauchim
Westen kennt. Eine deutsche Band bleibt
Sillyal lemal.

Vergangene Zeiten: die Silly-Musiker Ritchie Barton, Jäcki Reznicek und UweHassbecker (v.l.) mit Anna Loos. BEN WOLF

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Zukunft


VonBirgitWalter


BirgitWalterschreibt seit den Achtzi-
gerjahren über Silly und staunt über
die Unzerbrechlichkeit der Band.
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