Gartentüren raus und verbrennen sie, sagt
sie, Leute, die sich nicht benehmen kön-
nen, es fällt das Wort »Hartz IV«.
Ihr Mann erscheint, mit Kuchen für
zwei. Die Frau schenkt Mineralwasser für
alle aus und sagt nichts mehr. Der Mann
sagt, dass er früher Grenzer gewesen sei
und nach der Wende Unternehmer, es
gehe ihm gut heute, aber es müsse etwas
geschehen. Für die Leute ganz unten. Er
wisse das vom Stammtisch. »Dass etwas
passiert, wenn nichts passiert.«
Kalthoff muss jetzt etwas im Angebot
haben, das passt. »Die Grundrente«, sagt
er. »Das sag ich denen immer in Berlin.
Wenn sie das nicht hinkriegen, müssen sie
raus aus der Großen Koalition.«
Als die beiden SPD-Leute in ihren roten
T-Shirts weg sind, hat der Mann im Klein-
garten noch einen Nachtrag, so, als habe
er das aus Höflichkeit verschwiegen: »Ich
bin ja für weiter links. Na ja, alles Gute.«
In einem Garten weiter hinten weht
eine besonders große Deutschlandfahne,
auch da bellt unfreundlich ein Hund. Die
Leute dort sind wohl eher nicht an Kalt-
hoffs Broschüren interessiert.
Einen Umgang mit den Rechten, mit der
AfD zu finden: nicht immer leicht für ei-
nen Wahlkämpfer. Kalthoff meint, dass es
besser sei, sich um den Unmut der Men-
schen zu kümmern und nicht um die Par-
tei, die diesen Unmut funktionalisiert.
Die AfD sagt: Ihr seid abgehängt? Eine
schlechte Idee, meint Kalthoff, die AfD
zum Thema zu machen. Eine gute Idee
- Hans-Peter Perschke, Ingo Lippert, Moritz Kalthoff,
Yannis Bermig.
wäre es, dafür zu sorgen, dass Busse oder
Sammeltaxis fahren und schnelles Internet
kein ferner Traum bleibt.
Die AfD agitiert gegen Windkraft? Eine
gute Idee, sich mit der Windkraft zu be-
schäftigen anstatt mit der AfD. Manchmal
hilft es, in der 150-jährigen Geschichte der
SPD nach Ideen zu suchen. Kalthoff
glaubt, eine passende gefunden zu haben:
Genossenschaften. Windräder, von denen
die Menschen unmittelbar profitieren,
könnten für diese Menschen weniger häss-
lich erscheinen.
Kalthoff ist stellvertretender Vorsitzen-
der des Ortsvereins Eisenberg, er glaubt
an Ideen, die von unten kommen. Einmal,
sagt er, saß er in Berlin zusammen mit Mit-
arbeitern von Bundestagsabgeordneten.
Die fragten: Für wen arbeitest du? Er sagte:
Ich komme aus dem kommunalen Bereich.
Wie, aus dem kommunalen Bereich?
»Sagt mal, tickt ihr noch ganz sauber?«,
habe er sie gefragt. »Ohne die kommunale
Ebene seid ihr in Berlin gar nichts.«
Nirgends merkt man so schnell wie auf
der kommunalen Ebene, wenn das Geld
fehlt. Also wird er denjenigen, der an der
Schwarzen Null festhält, ganz gewiss nicht
an die Parteispitze wählen: Olaf Scholz.
Das Rot zum Leuchten bringen, das ist
der Plan. Auf klassischem leuchtendem
Rot also blickt das Bartgesicht von Moritz
Kalthoff auf den Wahlkampfplakaten die
Wähler an, das passt.
Leider wirbt die Linke mit demselben
Rot für sich.
In einem Rosenbeet an einer Eisenber-
ger Durchgangsstraße ist an einem Mon-
tagmorgen ein Herr im Blouson zu beob-
achten, der Plakate der Linkspartei befes-
tigt, auf strahlendem Rot erscheint der ört-
liche Kandidat. Der habe einen großen
Vorteil, sagt der Mann im Blouson.
Nämlich?
»Er ist von hier.«
Beobachtet wird die Plakatierung von
zwei Frauen, aus ein paar Hundert Metern
Abstand. Die eine ist grauhaarig, die an-
dere ist dunkelhaarig und hat einen Hund.
»Wie die Lage hier ist? Sag ich nicht«,
sagt die Grauhaarige. »Wir sollen nichts
sagen«, sagt die Dunkle.
Was sind die Probleme hier?
»Sag ich nicht«, sagt die Dunkle. »Ge-
hen Sie in den Schlosspark. Da finden Sie
welche, die sagen Ihnen was.«
Was werden die sagen?
»Die werden schimpfen.«
Man wüsste gern, ob es Zufall ist, dass
der Pudel ein Westchen in AfD-Blau trägt,
erfährt es aber nicht.
Man folgt dem Tipp und findet im
Schlosspark eine Gruppe mit Hunden,
zwei Männer, eine Frau, sie sehen nach
klassischen Nichtwählern aus.
Einer trägt ein schwarzes Muskelhemd,
der andere hat Bart und lange Haare und
tiefes Misstrauen, er will sofort den Pres-
seausweis sehen. Die Frau schaut in ihr
rosa umhülltes Handy und sagt nichts.
Der Bärtige sagt, es gebe einen Politiker,
den er allen zum Vorbild wünsche. Martin
Sonneborn. Den von der »Partei«.
Der andere macht die Sache komplizier-
ter. Er hat ein Jesuskreuz um den Hals und
sagt, er habe schon mal Glatze getragen und
Haare bis zum Arsch. Jetzt sind die Haare
mittellang. Er habe Nazifreunde und Punk-
freunde und habe sich auch schon mit Mus-
limen gut unterhalten. Niemand solle aus-
gegrenzt werden, auch die AfD nicht. Seine
Schwester übrigens wähle AfD, neuerdings.
Und vorher?
»NPD.«
Interessiert er sich für Wahlen? Für das,
was in der Welt passiert?
Er sagt: »Ich infomiere mich. Radio, In-
ternet, Fernsehen, YouTube, Verschwö-
rungstheorien.«
Was wählt er?
»Abwechselnd CDU und SPD.«
Die Begegnung im Park ist nicht nur skur-
ril, sie ist auch heilsam. Sie erinnert daran,
dass es Überraschungen gibt. Dass Menschen
nichtimmer so wählen, wie es nach ihrem
Umfeld, ihrem Status, ihrer Erscheinung zu
erwarten wäre. Dass sich der Versuch, wahl-
kämpferisch gesehen, bei jedem lohnt.
Es regnet. Moritz Kalthoff hört sich die
Geschichte vom Wechselwähler im Schloss -
park an und sagt: »Na ja, hoffentlich sind
wir dran dieses Mal.«
Kalthoff ist sich darüber im Klaren, dass
sich die CDU und die AfD in seinem Wahl-
kreis die besten Chancen ausrechnen. Die
SPD-Leute sind hier die Underdogs, »aber
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 63
SPD-Genossen in Schlöben*: Am Wahlabend einen Schnaps trinken