nach seinem Amtsantritt die Unterneh-
mensteuer noch einmal drastisch senkte.
Wie sehr die Verteilungsschieflage das
politische Klima vergiftet und den Populis-
mus gefördert hat, illustriert Gabriel Zuc-
man mit einer Episode aus Trumps Wahl-
kampf: Als ihm Hillary Clinton vorwarf,
er habe als Casino-Mogul kaum Steuern
gezahlt, erwiderte Trump, das sei doch
»sehr schlau«. Dass sich ein Präsident-
schaftskandidat über das Steuersystem lus-
tig machen und damit Applaus ernten
kann, zeigt für Zucman, wie verkommen
die Steuerdebatte ist.
Nun aber, glaubt der Ökonom, sei die
Zeit reif für eine Gegenrevolution. Und
weil er die Wirklichkeit nicht nur inter-
pretieren, sondern auch verändern will,
hat er seiner Analyse den Plan für eine
umfassende Steuerreform hinzugefügt.
Einer der Kernpunkte ist eine Mindest-
steuer von 25 Prozent auf die Gewinne
weltweit tätiger Konzerne. Das läge weit
über dem Satz, den die Finanzminister auf
der jüngsten Tagung des Internationalen
Währungsfonds in Washington diskutier-
ten. Zucman aber glaubt, dass der Schaden
des internationalen Steuerwettlaufs größer
ist als bisher bekannt. Und es sind deutsche
Ökonomen, die ihm darin recht geben.
Nach einer neuen Studie des Essener
RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsfor-
schung richten internationale Konzerne
ihre Firmenbeteiligungen mehr denn je da-
nach aus, wo sie am meisten Steuern spa-
ren können. Um das nachweisen zu kön-
nen, hat Studienautor Philipp Großkurth
die gegenseitigen internationalen Verflech-
tungen von rund 28 Millionen Unterneh-
men untersucht.
Die Beteiligungen führten häufig nicht
in die wichtigsten Absatz- oder Produkti-
onsländer, sondern in jene »winzigen Insel-
staaten«, deren Namen vor allem Steuer-
fahndern geläufig sind: die Bermudas etwa,
die Cayman oder die British Virgin Islands.
Noch häufiger weiten Firmen ihr Betei-
ligungsnetz in jene europäischen Länder
aus, die ebenfalls für niedrige Steuersätze
und großzügige Finanzbeamte bekannt
sind. So haben russische Firmen oft Dach-
gesellschaften auf Zypern oder britische
Unternehmen Niederlassungen auf der Ka-
nalinsel Jersey gegründet.
Beliebt sind auch Dreiecksverbindun-
gen, bei denen manche Länder als Schnitt-
stelle fungieren: Luxemburg etwa wird
gern bei amerikanisch-niederländischen
Beteiligungen zwischengeschaltet. Die
Niederlande bilden häufig das Zentrum
amerikanisch-britischer Beziehungen. »Es
ist klar erkennbar«, sagt RWI-Forscher
Nils aus dem Moore, »dass ein erheblicher
Teil der weltweiten Firmenbeteiligungen
steuerlich motiviert ist.«
Eine weltweite Mindeststeuer für Un-
ternehmen ist jedoch nur der erste Schritt
in Zucmans Steuerplan. Sein zweiter Vor-
schlag ist radikaler und umstrittener. Der
Ökonom schlägt, zusätzlich zur Einkom-
mensteuer, eine Reichensteuer von zwei
bis drei Prozent für Vermögen über 50 Mil-
lionen Dollar vor.
Das Konzept hat bei den US-Demokra-
ten bereits Anklang gefunden. Sie berufen
sich auf Zucmans Vorschläge, um nach der
Präsidentschaftswahl ihre Sozialprogram-
me zu finanzieren: gebührenfreie Studien-
und Kindergartenplätze etwa oder eine all-
gemeine Krankenversicherung.
Konservative Ökonomen schmähen
Zucmans Plan dagegen als gefährliches Ro-
bin-Hood-Konzept. Eine Vermögensteuer
würde Investoren und Konzerne aus dem
Land treiben, fürchten sie. Zudem sei der
Verwaltungsaufwand gewaltig, weil Fir-
menanteile oder Kunstwerke schwer zu
bewerten seien. Der den Demokraten na-
hestehende Harvard-Ökonom Larry Sum-
mers wiederum sagt voraus, dass die Zuc-
man-Steuern viel weniger Geld einbringen
würden als gedacht.
In Deutschland, wo sich die SPD gerade
für eine Vermögensteuer starkmacht, wür-
de Zucmans Idee dem Staat zusätzliche
Einnahmen von etwa 15 Milliarden Euro
verschaffen, hat der Berliner DIW-For-
scher Stefan Bach ermittelt. Allerdings sei
die Umsetzung hierzulande schwieriger,
weil das Vermögen der Superreichen häu-
figer in Firmen gebunden ist, die durch hö-
here Abgaben geschwächt würden.
Zucman kann in jedem Fall darauf set-
zen, dass seine Vorschläge die wirtschafts-
politische Debatte prägen werden. Die Ver-
teilungsfrage, sagt er, sei »die entscheiden-
de Herausforderung unserer Zeit«.
Michael Sauga
Mail: [email protected]
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 77
1980 1990 2000 2010 2018
Unfairteilung
Anteile am nationalen Einkommen der USA
vor Steuern, in Prozent
Spitzenverdiener
das obere Prozent
Geringe und mittlere
Einkommen
die unteren 50 Prozent
10 Quelle: Saez/Zucman
12
14
16
18
20%
DINA LITOVSKY / REDUX / LAIF
Besucherinnen einer Modenschau in New York: »Vorzugsbehandlung für Superreiche«