National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1
Die Giraffen in Niger sind zwar noch seltener,
aber die dortige Population der Westafrikani-
schen Giraffe ist ausgehend vom Tiefpunkt im
Jahr 1996 mit nur 49 Tieren auf immerhin mehr
als 600 gestiegen. Das ist eine der bedeutends-
ten Erfolgsgeschichten für den Naturschutz auf
dem Kontinent – und zugleich eine der erstaun-
lichsten.
Denn Niger rangiert laut dem UN-Index der
menschlichen Entwicklung – einem Wert, der
sich aus Faktoren wie Lebenserwartung, Schul-
bildung und Nationaleinkommen zusammen-
setzt – auf dem letzten Platz von 189 Ländern.
Und der Wildtierschutz hatte in dem Land tra-
ditionell keine Priorität. Nach einem Staats-
streich 1996 schickte Nigers neuer Präsident
Ibrahim Baré Maïnassara die Armee in den
Busch, um eine Gruppe Giraffen einzufangen.
Er wollte die Tiere den Präsidenten der Nach-
barländer Nigeria und Burkina Faso schenken.
Keine einzige gefangene Giraffe überlebte, und
die Population Westafrikanischer Giraffen sank
durch diese Aktion um fast ein Drittel. Drei
Jahre später starben zwei weitere Giraffen, als
der nächste Präsident dem Staatschef von Togo
ein Geschenk zukommen lassen wollte.
Doch 2011 entwickelte Niger als erstes afrika-
nisches Land eine nationale Strategie zum
Schutz der Giraffen. Der Staat brachte die Wil-
derei durch sein Eingreifen fast vollständig
zum Erliegen. Und da die Giraffen keine natür-
lichen Feinde fürchten mussten, wuchs die
Population in Koure wieder an. Durch den
raschen Anstieg um mehr als elf Prozent jähr-
lich kam es allerdings zu Konflikten mit Bauern
und Hirten. Schon bald wurde den Verantwort-
lichen klar, dass die Zahl der Giraffen in Niger
nur dann so weiterwachsen könne, bis sie wie-
der einen gesunden Bestand erreicht hat, wenn
an anderer Stelle eine zweite Satellitenpopula-
tion angesiedelt würde.

IM NAHE GELEGENEN DORF KANARÈ ́ sitzt der
Häuptling Hamadou Yacouba unter der buschi-
gen Krone eines Niembaums und sagt: „Giraf-
fen gelten hier als domestizierte Tiere: Gott hat
die Giraffen hierhergebracht, also leben wir mit
ihnen. Die anderen Länder haben keine Giraf-
fen bekommen. Wir haben welche.“
Kanaré profitiert ein wenig vom Giraffentou-
rismus und einem lokalen Entwicklungsfonds,
den internationale Naturschützer gegründet
haben. Allerdings ist der Tourismus aufgrund

die Populationen in den vergangenen drei Jahr-


zehnten um fast 40 Prozent zurückgegangen,


sodass es heute auf der Welt noch geschätzt


110 000 Giraffen gibt.


Nur in einigen Regionen Afrikas geht es den

Giraffen wirklich gut. In Südafrika und Nami-


bia, wo die Bestände durch private Wildfarmen


erhöht und Giraffen legal gejagt werden, haben


sich die Populationen in den vergangenen Jahr-


zehnten verdoppelt. Bei den Netzgiraffen und


den Massai-Arten in Ostafrika sieht es deutlich


schlechter aus. „In Südkenia sterben die Giraf-


fen vor allem durch Zäune. Die sind eine noch


größere Gefahr als die Wilderei. Giraffen kön-


nen nicht über Zäune springen, was bedeutet,


dass ihr Verbreitungsgebiet fragmentiert wird“,


sagt Arthur Muneza, Ostafrikakoordinator der


Giraffe Conservation Foundation (GCF).


Zusätzlich bedrohen das Bevölkerungs-

wachstum und die Überweidung der Savanne


die Giraffenhabitate. So ist die Population der


Nubischen Giraffen, die vorwiegend in Uganda


lebt, in den vergangenen 30 Jahren um bis zu


97 Prozent zurückgegangen. Diese Art zählt zu


den am stärksten vom Aussterben bedrohten


großen Säugetieren der Welt.


DEN GIRAFFEN IN SÜDAFRIKA


UND NAMIBIA GEHT ES GUT.


ABER IN OSTAFRIKA HABEN


DIE NETZGIRAFFE


UND DIE MASSAI-GIRAFFE


EINE WESENTLICH


SCHLECHTERE PERSPEKTIVE.


Giraffa camelopardalis. Doch genetische Ana-


lysen hatten ergeben, dass es eigentlich vier


unterschiedliche Arten gibt, die sich stärker


voneinander unterscheiden als der Braunbär


vom Eisbären.


Zwei dieser vier Arten lassen sich sogar in

fünf weitere Unterarten einteilen, darunter


befindet sich die seltene westafrikanische


Giraffa camelopardalis peralta, ebenjene blas-


sen, gefleckten Flüchtlinge, die jetzt nur noch


in der nigrischen Region Koure leben. Nach


dieser neuen Taxonomie gelten alle außer zwei


Unterarten als gefährdet, stark gefährdet oder


vom Aussterben bedroht; in ganz Afrika sind


102 NATIONAL GEOGRAPHIC

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