Thekla Ehling
R
afael Laguna de la Vera
kommt entspannt zu
Fuß und mit Rucksack
zum Interview. Der
neue oberste Innovati-
onsantreiber der Republik ist eine
Dreiviertelstunde vom Berliner Bahn-
hof Zoo zur Handelsblatt-Redaktion
gelaufen und hat unterwegs im Son-
nenschein Telefonate erledigt. Am
- Oktober wird in seiner Geburts-
stadt Leipzig die Agentur für Sprung-
innovationen feierlich eröffnet, die
der Unternehmer leitet. Sie soll im
Auftrag des Forschungs- und des
Wirtschaftsministeriums bahnbre-
chende Erfindungen aufspüren und
mithelfen, daraus marktreife Produk-
te zu entwickeln.
Herr Laguna, sind Sie als erfolgrei-
cher Gründer und Unternehmer
nicht das beste Beispiel dafür, dass
wir gar keine Agentur für Sprungin-
novationen brauchen?
Nein. Gründer, die es allein versu-
chen, werden bei uns oft praktisch
enteignet. Venture-Capital-Geber
können sich hierzulande die Rosinen
herauspicken und 99 Prozent der In-
teressenten nach Hause schicken.
Meine Firma Open-Xchange ist ein-
mal fast pleitegegangen, bevor ich ei-
ne Finanzierung bekommen konnte.
2007 musste ich die halbe Beleg-
schaft entlassen und den Rest ein hal-
bes Jahr privat bezahlen. Unzählige
Unternehmen mit guten Ideen gibt es
nicht mehr in Deutschland, weil ih-
nen die Luft ausging. Es gibt sehr we-
nig deutsches Wagniskapital, beson-
ders für die Spätphasen, das meiste
kommt aus den USA, Saudi-Arabien
oder China.
Sie sollen jetzt für Deutschland Ge-
nies finden, die sogenannte Sprung-
innovationen liefern – also bahnbre-
chende Innovationen wie das Rad,
das Internet, Penicillin?
Nach einer Sprunginnovation ist die
Welt nicht mehr so, wie sie vorher
war, denken Sie an das Auto oder das
Handy. In den letzten zehn Jahren
fällt mir noch Uber oder AirBnB ein.
Wo lauern denn solche Megaideen,
mit denen sich in Deutschland gutes
Geld verdienen ließe?
Digitale Computer stoßen an Gren-
zen: Moore‘s law, wonach sich die
Speicherkapazität alle anderthalb
Jahre verdoppelt, gilt schon lange
nicht mehr, und sie verbrauchen im-
mer mehr Energie. Aber wir können
ja schlecht neben jedes Rechenzen-
trum der Zukunft drei AKWs stellen.
Auch der Quantencomputer ist noch
Forschungsmaterial. Das nächste
ganz große Ding könnte deshalb ein
neuer analoger Computer sein – wie
früher mit großen Schränken und
vielen Kabeln, nur in modern.
Was soll der können?
Er ist weit überlegen, weil er etwa ein
Fitzelchen Mäusehirn nicht nur simu-
liert, sondern nachbaut – und dafür
nur einen Bruchteil der Energie
braucht. So etwas könnten wir in Sili-
con Saxony schon bauen.
In welchem Stadium ist der neue
analoge Computer?
Noch am Anfang, und bei der Ent-
wicklung kann natürlich viel schiefge-
hen. Aber wir haben das Know-how,
vor allem die nötigen Spitzenmathe-
matiker, in Deutschland. Und wir
müssen es anschieben, bevor es an-
dere tun. Der Erfinder Bernd Ulmann
wird heute schon von der Nasa einge-
flogen. Das wird unser erstes Projekt,
die Anbahnung läuft auf Hochtouren.
Und all das managen Sie dann ausge-
rechnet aus Ihrem Geburtsort Leip-
zig, dem Standort der Agentur?
Ja, das wollte ich so. Die Aufbruch-
stimmung in Leipzig ist prächtig –
vielleicht wie in Berlin vor zehn Jah-
ren. Aber wir werden Genies in der
ganzen Republik fördern. Ich bekom-
me jetzt schon stapelweise Ideen zu-
geschickt, ich kann auf die Großfor-
schung zugreifen, bei Bedarf grün-
den wir eigene Tochtergesellschaf-
ten. Dazu brauchen wir Innovations-
manager, die eigene Netzwerke mit-
bringen, Genies finden können und
begleiten. Interessenten bitte unter
[email protected] melden!
Dürften Sie als Unternehmer auch
mit eigenem Geld einsteigen, wenn
die Agentur eine tolle Innovation
auftut?
Als Mitglied der Gründungskommissi-
on hätte ich das dem Agenturchef er-
laubt – als ich noch nicht wusste, dass
ich es selbst werde. Aber die Kom-
mission hat entschieden, dass da zu
große Interessenkonflikte lauern.
Müssen denn alle Projekte, die die
Agentur anstößt, irgendwann Ge-
winn bringen?
Nein. Wenn wir Projekte finden, die
der Volkswirtschaft nutzen, weil sie
zum Beispiel bundesweit Lehrlinge
und Ausbilder zusammenbringen
oder eine brillante Idee für ein pro-
duktives Grundeinkommen haben, fi-
nanzieren wir auch das.
Veranstalten Sie wie Ihr Vorbild, die
US-Agentur Darpa, Wettbewerbe?
Ja. Wir beginnen mit drei Wettbewer-
ben: Energieeffizientes KI-System, Or-
ganersatz aus dem Labor und Welt-
speicher. Die hat der Bund gestartet
und wir übernehmen sie, weil ich sie
für sinnvoll halte.
Das klingt nicht so, als ob sie ganz
frei agieren könnten ...
Doch, das ist die Bedingung. Deshalb
darf die Politik auch nicht die Hälfte
des Aufsichtsrats der Agentur beset-
zen, der die Projekte absegnet. Ver-
treter aus Wirtschaft und Wissen-
schaft müssen in der Mehrheit sein.
Das müssen wir noch ändern.
Und das Geld? Die Darpa hat jähr-
lich 3,4 Milliarden Dollar zur Verfü-
gung. Sie bekommen bis 2022 erst
mal 150 Millionen Euro und dann
vielleicht für zehn Jahre eine Milliar-
de. Ist das nicht mickrig?
Ja. Aber wir müssen ja erst mal an-
fangen – und für deutsche Verhältnis-
se ist man mit 100 Millionen Euro im
Jahr schon ein Riesen-Venture-Capi-
tal-Geber. Zudem hat die Darpa 300
Leute und treibt vor allem militäri-
sche Projekte an – wir arbeiten nur zi-
vil. Und Herr Altmaier hat verspro-
chen, dass Geld das geringste Pro-
blem sein wird, wenn es gut läuft.
Sie müssen also schnell echte Knal-
ler liefern, sonst wird Ihnen der
Hahn zugedreht?
Nein. Klar herrscht jetzt Euphorie,
aber es wird die Zeit kommen, dass
wir 15 oder 20 Projekte finanziert ha-
ben, die ersten fünf sind schon ka-
putt und bei den anderen ist noch
kein Erfolg in Sicht. Dann werden wir
erklären, dass das Wagniskapitalge-
schäft Zeit braucht. Deshalb muss
auch die Auflage fallen, dass Projekte
maximal fünf Jahre lang gefördert
werden dürfen.
Wie viele Projekte haben Sie neben
dem analogen Computer schon im
Hinterkopf?
Die Pipeline ist übervoll, ich werde
überhäuft mit Ideen, die wir noch
sichten müssen. Derzeit gibt es vier
weitere Top-Projektideen: Eine da-
von ist effektives Plastikrecycling. Das
Rafael Laguna de la Vera
„Ich bekomme stapelweise
Ideen zugeschickt“
Der analoge Computer könnte die Welt verändern, glaubt der Chef der Agentur
für Sprunginnovationen. Deshalb will er dafür sorgen, dass Deutschland bei der
Entwicklung vorn mit dabei ist. Aber auch bei anderen Zukunftstechnologien
vertraut der Innovationspapst auf seinen Spürsinn – und sein Netzwerk.
Der Förderer Laguna
führt die neue Agen-
tur für Sprunginnova-
tionen der Bundesre-
gierung, die in Leipzig
angesiedelt wird und
Anfang 2020 den
Betrieb aufnimmt. Sie
soll herausragende
Geschäftsideen finden
und ihnen zum Durch-
bruch verhelfen. Das
Budget beträgt 1,
Milliarden Euro für
zehn Jahre.
Der Unternehmer
Laguna, der mehrere
Unternehmen gegrün-
det hat, ist seit 2008
Chef der Software-
firma Open-Xchange.
Die AG macht mit
offener E-Mail-Soft-
ware 45 Millionen
Euro Umsatz und hat
270 Mitarbeiter.
Laguna wird sie auch
weiterhin führen.
Vita
Rafael Laguna
de la Vera
Wirtschaft & Politik
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192
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