Vor seinem Besuch in Goma unterschrieb Spahn
in Ruanda eine Absichtserklärung, um die Zusam-
menarbeit beider Länder bei der Ebola-Bekämp-
fung zu verstärken. In den kommenden Monaten
sollen Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts insge-
samt 600 Gesundheitsfachkräfte schulen, die wie-
derum Helfer im Epidemiegebiet ausbilden sollen.
In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ver-
spricht er eine Million Euro, um das Krisenreakti-
onszentrum der Afrikanischen Union (AU) für Infek-
tionskrankheiten auszubauen. Spahns finanzielle
Mittel sind begrenzt. Doch er fühlt sich zuständig.
„Gesundheit kennt keine Grenzen“, sagt er. Es ist
das Motto der Reise – und das Amtsverständnis des
Ministers.
Spahns Konvoi bahnt sich den Weg über eine
holprige Straße zur Grenze zwischen dem Kongo
und Ruanda. Den Übergang in Goma passieren je-
den Tag gut 50 000 Menschen. Jeder Reisende muss
sich desinfizieren, Wärmekameras messen die Kör-
pertemperatur und melden Verdachtsfälle. Die Sor-
ge ist groß, dass das Ebola-Virus aus dem Kongo in
das Nachbarland weitergetragen wird. Der Minister
lässt sich die Kontrollen zeigen, umringt von Vertre-
tern unterschiedlicher Hilfsorganisationen, Journa-
listen und Uniformierten. Mit Unbehagen beobach-
ten die Sicherheitsleute des Bundeskriminalamts,
wie sich bei Grenzgängern der Unmut staut, dass
der Betrieb aufgehalten wird. Im Niemandsland
zwischen dem Kongo und Ruanda beginnt es zu
regnen. Über dem Minister und seiner Entourage
entfalten sich rote, blaue und grüne Schirme. Dann
spricht Spahn in die Kameras: „Man kann gerade
hier an der Grenze sehen, dass Gesundheit und Mi-
gration miteinander zu tun haben. Es geht darum
zu vermeiden, dass Ebola in ein anderes Land und
in eine andere Region weitergetragen wird.“
Leisere Töne
Bevor Spahn gegen den ursprünglichen Willen der
Kanzlerin zum Gesundheitsminister wurde, trat er
als scharfer Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik auf. Im
Herbst 2015 stellte sich der stellvertretende Partei-
vorsitzende als einer der ersten ranghohen CDU-Po-
litiker in dieser Frage gegen Angela Merkel. Spahn
beklagte eine „jährliche ungeordnete, überwiegend
männliche Zuwanderung in einer Größenordnung
von Städten wie Kassel oder Rostock“ und warnte
davor, dass die Sorgen vieler Bürger ignoriert wür-
den. Als Gesundheitsminister hält er sich aus der
Flüchtlingsdebatte weitgehend heraus. Stattdessen
agiert er als problemlösender Ressortchef, der sich
um die Personalnot in der Pflege oder die langen
Wartezeiten von Kassenpatienten beim Arzt küm-
mert. „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch
werden“, wird Spahn in einer Biografie zitiert. Der
Minister legte bislang 18 Gesetz in 18 Monaten vor,
auch wenn noch nicht alle vom Bundestag ver -
abschiedet sind. Selbst Merkel stellte auf ihrer dies-
jährigen Sommerpressekonferenz anerkennend
fest, ihr Gesundheitsminister schaffe „eine Menge
weg“.
Das Flüchtlingsthema treibt Spahn aber weiter
um. Auf seiner Afrika-Reise schlägt er einen Bogen
von der Gesundheitsversorgung in Afrika zu den
Migrationsbewegungen nach Europa. Die Hilfe sei
„auch in unserem eigenen Interesse“, sagt der CDU-
Politiker. Wenn es in den Heimatländern bei Arbeit,
Bildung und Gesundheit eine Perspektive gebe,
könne der „Migrationsdruck“ reduziert werden. In
der ruandischen Hauptstadt Kigali informiert sich
Spahn beim UN-Flüchtlingshilfswerk über ein Rück-
führungsprogramm aus Libyen. Ruandas Präsident
Paul Kagame hat sich bereit erklärt, 500 afrikani-
sche Flüchtlinge aus libyschen Lagern aufzuneh-
men. Vor allem sollen unbegleitete Minderjährige
und Frauen kommen, die auf die gefährliche Über-
fahrt nach Europa warten. Die Aufnahmelager in
Ruanda sind zum größten Teil von der EU finan-
ziert. Das Programm sei ein Vorbild, findet der Ge-
sundheitsminister.
Die Botschaft der Bundesrepublik in Kigali hat zu
den Einheitsfeierlichkeiten geladen, Ehrengast ist
Spahn. Der Gesundheitsminister soll vor 600 gela-
denen Gästen eine Ansprache zum 3. Oktober hal-
ten, es wird eine politische Grundsatzrede. Spahn
wirbt für einen „weltoffenen Patriotismus“, um die
Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden. Er
spricht über das deutsche Bekenntnis zu europäi-
scher Integration und Multilateralismus. Und er ver-
bindet die deutsche Verantwortung für den Holo-
caust mit dem Völkermord in Ruanda, bei dem
1994 bis zu eine Million Menschen getötet wurden.
„Die Erfahrungen unserer beiden Länder mögen
sich unterscheiden, so wie die Landschaften, in de-
nen die Gräueltaten stattfanden: die Hügel von Ru-
anda, die Wälder um Auschwitz“, sagt er. „Aber
was wir teilen, sind die Lehren aus diesen beiden
schrecklichen Ereignissen in unseren Geschichten.“
Spahn wirkt berührt, als er diese Sätze aus-
spricht. Kurz vor der Feier in der Botschaft hat er
die Genozid-Gedenkstätte in Kigali besucht. Seine
Rede könnte Spahn noch einmal vor größerem Pu-
blikum halten. In einem anderen Amt.
Termin bei der
Afrikanischen Union
in Addis Abeba:
Eine Million Euro für
ein Ebola-Frühwarn-
system.
imago images/photothek
Spahn mit dem äthiopischen Gesundheitsminis-
ter Amir Aman Hagos: Hilfe im eigenen Interesse.
imago images/photothek
Migration hat immer auch
etwas mit der Frage von
guter Gesundheits -
versorgung zu tun.
Jens Spahn
Bundesgesundheitsminister
Union
Wenig Rückhalt
für CDU-Chefin
D
as Ergebnis des Kräftemessens war
deutlich: Im Rennen um den CDU-Vor-
sitz hatte Annegret Kramp-Karrenbauer
beim Parteitag im vergangenen Dezember 450
Delegiertenstimmen erhalten, Jens Spahn lan-
dete damals im ersten Wahlgang mit 157 Stim-
men abgeschlagen auf Rang drei hinter Fried-
rich Merz.
Zehn Monate später ist die Sympathie in der
Bevölkerung nicht so eindeutig verteilt. Das An-
sehen Kramp-Karrenbauers, die sich in der
Stichwahl schließlich gegen Merz durchgesetzt
hatte, hat deutlich gelitten. In einer Insa-Umfra-
ge für die „Bild“-Zeitung bejahten 63 Prozent
der Befragten die Aussage „Ich traue Annegret
Kramp-Karrenbauer das Kanzleramt nicht zu“.
Nur 29 Prozent der Bürger trauen demnach der
CDU-Vorsitzenden zu, die Nachfolge von Angela
Merkel als Regierungschefin anzutreten. Selbst
von den Unionsanhängern bezweifeln 56 Pro-
zent die Eignung der Saarländerin als Kanzle-
rin, nur 20 Prozent trauen ihr die Aufgabe zu.
Auch in einer Umfrage von Kantar Public für
den „Spiegel“ kommt Kramp-Karrenbauer nicht
gut weg. Nur noch 29 Prozent der Befragten
wünschen sich für die CDU-Chefin eine „wichti-
ge Rolle“. Im Dezember 2018, kurz nach ihrer
Wahl an die Parteispitze, lag der Wert noch
doppelt so hoch.
Ein peinlicher Karnevalsauftritt, die unange-
messene Reaktion auf das „Rezo-Video“ und der
Eintritt ins Bundeskabinett trotz vorheriger ge-
genteiliger Aussage haben dem Ansehen der
CDU-Chefin geschadet. Während die Sympathie-
werte der Kanzlerin nach ihrem Abschied von
der Parteispitze gestiegen sind, geht es bei
„AKK“ fast kontinuierlich nach unten.
Zuletzt sorgte für Unmut, dass Merkel und
Kramp-Karrenbauer zur fast gleichen Zeit in
zwei Regierungsmaschinen in die USA flogen.
Sofort machten Gerüchte die Runde, die CDU-
Chefin habe sich mit der Kanzlerin überworfen.
„Für alle zum Mitschreiben: Es gibt kein Zer-
würfnis zwischen Angela Merkel und mir“, stell-
te Kramp-Karrenbauer danach in einem Inter-
view klar.
Urwahl von Kanzlerkandidat und
Parteichef im Gespräch
Die CDU-Chefin bemüht sich um Profilierung
und internationalen Glanz, auch mit ihrer Afri-
kareise, die sie als Verteidigungsministerin jetzt
angetreten hat. Doch der Posten der Oberbe-
fehlshaberin kann auch Schleudersitzcharakter
haben. Das hat schon Amtsvorgängerin Ursula
von der Leyen erlebt, die viel Kritik einstecken
musste, bevor sie überraschend als EU-Kommis-
sionspräsidentin nominiert wurde.
Auf jeden Fall wird vor dem Parteitag Mitte
November in Leipzig der Druck auf Kramp-Kar-
renbauer zunehmen. So brachte die Junge Uni-
on ( JU) jetzt eine Urwahl für die Bestimmung
des Kanzlerkandidaten und des nächsten Partei-
chefs ins Spiel. Bei ihrem Jahrestreffen am kom-
menden Wochenende will die Nachwuchsorga-
nisation von CDU und CSU über einen entspre-
chenden Vorschlag mehrerer JU-Verbände
abstimmen. „Ich persönlich kann mir durchaus
eine stärkere Einbindung unserer Basis auf allen
Ebenen vorstellen“, sagte der JU-Vorsitzende
Tilman Kuban der „Bild am Sonntag“. Die Mit-
glieder der Union seien selbstbewusster gewor-
den und „brauchen einen Motivationsschub für
die nächsten Wahlkämpfe“, erklärte Kuban.
Frank Specht
Wirtschaft & Politik
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192
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