Handelsblatt - 07.10.2019

(Brent) #1
Christiane Benner:
Eine von zwei
Frauen im
IG-Metall-Vorstand.

SZ Photo

Angelika Ivanov Düsseldorf


W


ie so oft ist Chris-
tiane Benner die
einzige Frau auf
dem Podium. Die
51-Jährige sitzt in
der Uni Düsseldorf, um sie herum
drei Männer. Ihr Konterpart ist Peter
Clever vom Arbeitgeberverband BDA.
Beide werden von unterschiedlichen
Moderatoren interviewt. „Aber wir
dürfen schon miteinander spre-
chen?“, fragt Benner – und hat den
ersten Lacher auf ihrer Seite. Die Ge-
werkschafterin schaut zufrieden. Der
Wettstreit kann beginnen.
2015 wurde Benner im traditionel-
len „Männerladen“ IG Metall als erste
Frau zur Zweiten Vorsitzenden ge-
wählt. 80 Prozent der Mitglieder der
größten deutschen Gewerkschaft
sind männlich. Die IG Metall vertritt
Arbeiter aus der Stahlproduktion,
aus dem Metallhandwerk, der Elek-
trotechnik, dem Heizungsbau, der
Holzverarbeitung und ebenso IT-Ex-
perten und die Beschäftigten in der
Textilindustrie. Nahezu alles Bran-
chen mit geringem Frauenanteil.
Wie nur hat es die Soziologin Ben-
ner hierher verschlagen? Nach dem
Abitur machte sie eine Ausbildung
zur Fremdsprachenkorrespondentin
bei der Carl Schenck AG in Darm-
stadt, war Vorsitzende der Jugend-
und Ausbildungsvertretung, später
Betriebsrätin und kam so in Kontakt
mit der IG Metall. Nach Abschluss ih-
res Soziologiestudiums stieg sie dann
voll bei der Gewerkschaft ein.
Zurück zur Podiumsdiskussion in
Düsseldorf. Zu Beginn der Veranstal-
tung scannt Benner das Publikum.
Erkennt sie jemanden, sucht sie Au-
genkontakt und hebt ihre Hand ein
paar Zentimeter zu einem Hallo.
Netzwerke sind in der Gewerkschaft
entscheidend. Im siebenköpfigen
Vorstand sitzt neben Benner nur
noch eine Frau, Irene Schulz.
Die sieben Bezirksleiter sind aus-
nahmslos Männer. Seitdem Benner
da ist, tut sich aber etwas. „Gerade in
den zwei vergangenen Jahren sind
viele Geschäftsführerinnen in den
Regionen gewählt worden“, sagt sie.
Sie könnten im nächsten Schritt Be-
zirksleiterinnen werden.

Nicht unterbrechen lassen


Als Zeichen dafür hängen in ihrem
Büro in Frankfurt zwei Retro-Metall-
schilder an der Wand. Eines zeigt
Rosie the Riveter, eine US-Werbefi-
gur zu Zeiten des Zweiten Welt-
kriegs. Sie warb im Blaumann mit
hochgekrempelten Ärmeln und ge-
streckter Faust für mehr Frauen in
der Rüstungsindustrie. „We can do
it!“ steht darüber.
Auf dem zweiten Metallschild ist
ein Mann zu sehen, der ein Baby
trägt. „Das muss auch gehen“, kom-
mentiert Benner ihre Dekoration. Auf
dem Podium in Düsseldorf versu-
chen Benner und Clever, den Gästen
die aktuelle Tarifdebatte zu erläu-
tern. Benner spricht doppelt so viel
wie der Arbeitgebervertreter. Mit ih-
ren Händen strukturiert sie, was sie
sagt: erstens, zweitens, drittens. Der
Moderator wird ungeduldig und bit-
tet sie, zum Ende zu kommen. Ben-
ner bringt unbeirrt ihre Ausführung
zu Ende. Erst dann signalisiert sie mit
einem Nicken: Ich bin fertig.
Viele fragen sich, wann für Benner
der nächste Karrieresprung ansteht.
Traditionell wird bei der IG Metall
der Zweite irgendwann zum Ersten
Vorsitzenden. Doch beim Gewerk-
schaftstag, der Sonntag begann, stellt
sich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zur
Wiederwahl. Benner muss also war-

ten. Und es ist auch nicht sicher, ob
sie den Spitzenjob später bekommt.
Denn auch unter den Bezirksleitern
gibt es durchaus Ambitionen.
Von ihnen will denn auch keiner
öffentlich kommentieren, ob Benner
das Zeug zur Ersten Vorsitzenden
hätte. Keine Personalfragen so kurz
vor dem Gewerkschaftstag, heißt es.
Reiner Hoffmann, Chef des Deut-
schen Gewerkschaftsbundes (DGB),
sagt: „Sie ist extrem charmant und
eloquent. Aber das darf man keines-
wegs falsch bewerten. Sie weiß ge-
nau, was sie will.“
In Düsseldorf sammeln die Mode-
ratoren Fragen aus dem Publikum.
Eine Teilnehmerin will wissen, wa-
rum nicht der Staat Tarifverträge re-
gelt. Als Benner antworten soll,
schaut sie erst den Moderator an und
sagt dann: „Ich habe verstanden,
dass ich mich kurz fassen soll.“
Ein Schmunzeln geht durch den
Raum. Der Gesichtsausdruck des Mo-
derators entspannt sich. Und dann
antwortet Benner doch sehr ausführ-
lich. Die Schultern des Moderators
sacken leicht ein. Er hat kapituliert.

„Frauen in Führungspositionen zu
bringen ist strukturelle Arbeit“, sagt
Benner. In der Gewerkschaft ist sie
neben dem Personal auch für Ziel-
gruppenarbeit und Gleichstellung zu-
ständig. Sie setzt auf Netzwerke und
gezielte Förderung. „Das gilt sowohl
für Betriebe als auch für die IG Metall
selbst.“ Sie selbst ist im Frauennetz-
werk der Gewerkschaft aktiv.
Überhaupt ist Benner wichtig, dass
Menschen sich gegenseitig unterstüt-
zen. Vielleicht komme das aus der
Kindheit, mutmaßt sie. „Meine Mut-
ter hatte eine typische Frauener-
werbsbiografie.“ Arzthelferin, kleine
Nebenjobs. Während des Studiums
habe sie ihrem Mann finanziell den
Rücken freigehalten, danach war er
der Hauptverdiener. Nach der Schei-
dung stand sie allein mit zwei Kin-
dern da. Diese Ungerechtigkeit habe
sie geprägt, sagt Benner.
Im Berufsleben wurde sie immer
wieder gefördert und unterstützt –
„auch von Männern“. Innerhalb der
Gewerkschaft ist ihr der Rückhalt oh-
nehin gewiss. Mit großer Mehrheit –
91,6 Prozent, und damit 0,6 Punkte
mehr als Hofmann – wurde sie 2015
zur Vizechefin gewählt. Ob sie nicht
gerne schon jetzt Erste Vorsitzende
geworden wäre? „Nein, das Team
bringt uns jetzt Stabilität“, sagt sie.
„Außerdem bin ich noch jung.“
Benners Kontrahent Clever ist mitt-
lerweile vom Tisch weggerückt. Die
Gewerkschafterin spricht, schaut von
rechts nach links in den Saal, als wol-
le sie kontrollieren, ob ihr die Zuhö-
rer wirklich folgen. Als der Modera-
tor sich regt und zum Mikro greift,
kommt sie ihm zuvor. „Ich weiß, kurz
fassen“, sagt sie. Dann lächelt sie und
holt doch erneut aus. Sie lässt sich
nicht moderieren. Sie übernimmt.

Christiane Benner


Gegen die Macht


der Männer


80 Prozent der IG-Metall-Mitglieder sind


männlich. Die Zweite Vorsitzende hat sich in der


Gewerkschaft durchgesetzt.


Frauen in


Führungspositionen


zu bringen ist


strukturelle Arbeit.


Christiane Benner
Zweite Vorsitzende der IG Metall

Höchstes Gremium Alle vier Jahre legt der
Gewerkschaftstag den künftigen Kurs der IG
Metall fest. Vom 6. bis zum 12. Oktober treffen
sich rund 480 Delegierte in Nürnberg und bera-
ten über fast 800 Anträge und Entschließungen.

Wahlen Am kommenden Dienstag tritt der
gesamte siebenköpfige Vorstand zur Wiederwahl
an, darunter der Erste Vorsitzende Jörg Hofmann
und seine Stellvertreterin Christiane Benner.

Positionen Ein Schwerpunkt der Beratungen
wird ein Aktionsprogramm zur Mobilitäts- und
Energiewende sein, die die Metall- und Elektro-
industrie mit ihren rund vier Millionen Beschäf-
tigten vor große Herausforderungen stellt. Es

gibt aber auch Anträge zur Anhebung des Ren-
tenniveaus auf 53 Prozent, für ein erweitertes
Streikrecht oder flexiblere Arbeitszeiten.

Mitglieder Die IG Metall ist mit knapp 2,3 Millio-
nen Mitgliedern Deutschlands größte Gewerk-
schaft, ein knappes Fünftel davon sind Frauen.
Während die meisten DGB-Gewerkschaften
schrumpfen, hat die IG Metall von Anfang 2015
bis Ende 2018 unter dem Strich gut 17 000 Mit-
glieder hinzugewonnen. Allerdings stehen nur
knapp 1,6 Millionen Mitglieder aktiv im Erwerbs-
leben. Mit mehr als 230 000 Mitgliedern unter
27 Jahren versteht sich die IG Metall selbst als
größte politische Jugendorganisation in
Deutschland. Frank Specht

Gewerkschaftstag


Wirtschaft & Politik
MONTAG, 7. OKTOBER 2019, NR. 192

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