Mittwoch, 9. Oktober 2019 FEUILLETON 37
«Obama war ein schwacher Präsident»
Die grossen USA bereiten ihm Albträume, die kleine Schweiz hingegen findet er grossartig. René Scheu hat den amerikanischen
Starregisseur Oliver Stone in Zürich zum Gespräch getroffen
Herr Stone, ich muss mit dieserFrage
beginnen:Mögen Sie diese Stadt, von
der einige behaupten,sie sei superlang-
weilig und superkorrekt?
Ich weiss, das ist ZürichsRuf ausser-
halb von Zürich. Aber ich teile diese
Sicht nicht.Ich war schon oft in offi-
zieller Mission hier, erstmals 2007, als
ich einenAward erhielt, und ich fand
immer: Zürich ist wunderbar.
Und in nichtoffizieller Mission?
Nun ja, ichkenne und schätze Zürich
schon länger. Ich war vor Urzeiten
nicht allzu weit von Zürich Ski fahren,
ich kannte ein paar nette Zürcherin-
nen, und ich hatte hier auch einmal ein
Bankkonto. Ich war also mehrfach invol-
viert, wenn ich das so sagendarf.Aber
das liegt lange zurück. Darum kann ich
sagen: Seien Sie zufrieden mit der Stadt,
sie ist wirklich attraktiv.
Danke für das Lob.Aber Hand aufs
Herz: Ist sie nicht einwenig zu langwei-
lig für einenrastlosenRegisseur wie Sie?
EsistgeradedieseRuhe,dieihreAttra k-
tivität ausmacht. Und das gilt für die
ganze Schweiz. Schauen Sie: Sie haben
hier einsolid es System der halbdirekten
Demokratie, wie es das nirgendwo sonst
gibt. Weil es euch so gut geht, kritisiert
ihr das als langweilig und allzu ordent-
lich.Aber glauben Sie mir:Viele Ameri-
kanersehnensichnachmehrLangeweile.
Die Schweiz nicht als Schwesterrepu-
blik , wie esgerne heisst, sondern als
Antithese?
Ja, alsAntithese zu den Zeitläuften.Was
mich wirklich auf fast der ganzenWelt
stört,ist dieser journalistischeund poli-
tische Sensationalismus.Stets braucht
es eine Superstory, jeder Satz muss
mit einemAusrufezeichen enden. Alle
schreien.Und indem sie schreien, hören
sie dieWahrheit nicht mehr. Sie beschä-
digen,zermalmen,ja töten dieWahrheit.
Nun greifen Sie aber selber zu deftigen
Formulierungen.
Nun wohl, das stimmt. Ich spüre den
Jetlag, und diese Sache nervt mich wirk-
lich. Die ganzeWelt verkommt doch
so zu einer schlechten Soap-Opera, die
Demokratie verwandelt sichin eine
grosseFarce. Du liebst den einen, und
du hasst den anderen.Du jubelst, und du
buhst. Politik wird zum Schauspiel, zum
Spektakel. EinPolitiker–das ist plötz-
lich ein Schauspieler, und ein schlechter
noch dazu. Er sagtbloss etwas, wenn er
eine Kamerasieht, die ihn filmt. Sonst
schweigt er und hat nichts zu sagen.Und
die Leute bemerken das und fragen sich
irgendwann – was treiben die da?Was
geht mich das an?Was soll das?Das ist
ziemlich genau die Situation, in der wir
zum Beispiel in den USA stecken. Rea-
li tät istReality-TV. Ihr in der Schweiz
habt es da besser. Ihr seid auch klein –
wir sind gross.Und wo es Grösse gibt,
da gibt’s natürlichVorteile, aberes gibt
eben auch grosse Probleme.
Sie übertreiben.
Nein, bestimmt nicht.Was ich sagen will,
ist nur: Ihr seid schon langweiliger, aber
die Langeweile ist in diesen unseren
Zeiten gerade ziemlich viel wert.
Werden Sie von den langweiligen Zür-
chern erkannt,wenn Sie durch die Stadt
spazieren?
Manchmalschon.Dann huschen die
Leute schnell über die Strasse, gratulie-
ren mir und sindauch schon wieder weg.
Die Zürcher, überhaupt die Schweizer
sind eindiskretesVolk. Und die Leute,
die meineFilme mögen, sowieso.
Was ist Ihnen alsJury-Präsident am
Zurich FilmFestival aufgefallen?
Ich habe mir vierzehnFilme angesehen,
solche aus Mexiko, Iran, Schweden, aus
Island, und ja, auch aus den USA. Un-
glaublich. Alle sind gut, Karl Spoerri
und Nadja Schildknecht haben wirklich
ganze Arbeit geleistet. Die fünf, die in
die Endauswahl kamen,nun ja,wirklich:
Wow.Die sind alleAplus,es ist kaum
zu glauben,was die jungenRegisseure
aus der ganzenWelt heute an künstle-
rischemWert zu generieren vermögen.
Ich hätte mir gewünscht,ich wäre in
meinen jungenJahren so gut gewesen.
Sie schmeicheln. Filme sindimmerauch
der Spiegel ihrer Zeit. Erkennen Sie eine
Tendenz in diesenWerken?
Es geht ums Menschliche: um dieFami-
lie, die Beziehung zwischen Mutter und
Sohn,Vater undTochter, Ehemann und
Ehefrau, um schlecht bezahlte Arbeiter.
Diese täglichen Dinge, das sind dieech-
ten Kampffelder, hier spielendie wah-
ren Konflikte.All das hat mich ziemlich
mitgenommen, ich bin beeindruckt.
Also keine Apokalypse, sondern echtes
Leben?
Apokalypse bringt Geld, echtes Leben
führt zuKunst. Und hier geht’s wirk-
lich um das Menschliche, das ist gros-
ses Kino. Ich muss es nochmals sagen:
Karl und Nadja haben so etwas von
hart gearbeitet, um diesesFestival auf
die Beine zu stellen. Ich weissnoch, wie
es am Anfang war – ganz klein, fast un-
scheinbar. Und nun – dieserReichtum,
diese Qualität!
Ich habe tonnenweiseFragen über Ihr
Schaffen vorbereitet...
...um Himmels willen, übertreiben Sie
bloss nicht...
... sehen Sie sich mehr als Historiker
denn alsRegisseur?
Das sehen Sie so, und das nehme ich
gerne alsKompliment so an. Sie sagen
damit, dass es da etwas Prophetisches in
meinenFilmen gibt, richtig?
Nicht zwangsläufig, ich wollte auf etwas
andereshinaus. Sie haben sichmit Pro-
tagonisten des Zeitgeschehens auseinan-
dergesetzt, mit JFK und Nixon in semi-
fiktionalerWeise, mit Chávez und Cas-
tro, mit GeorgeW. Bush und Putin im
dokumentarischen Stil.Warum?
Ich versuche unsere Zeit zu verstehen
–wie Sie wissen, erscheinen bald meine
Erinnerungen.Durch dieseFilme,die ich
gedreht habe, habeich unsere Gegen-
wart besser verstanden, habe ich mein
Land besser verstanden, habe ich mich
besser verstanden. Das treibt mich an.
Wie um alles in derWelt sind Sie dazu
gekommen, Wladimir Putin kennenzu-
lernen und zu interviewen?
Oh, Mann, lassen Sie mich nachdenken.
Ich arbeitete an meinemFilm über
Edward Snowden und besuchte ihn
mehrmals in Moskau, wo er lebt, denn
er kannRussland nicht verlassen. Dazu
muss ich noch sagen: Ichkenne Gorba-
tsch ow seit längerem. Ich habe zu Be-
ginn der1980er Jahre auch Dissidenten
interviewt,Russland ist mir also ver-
traut.Aber gut, wie kam ich zu Putin...
...genau. Haben Sie eine offizielle An-
frage gestartet?
Nein, natürlich nicht.Ich h abe imLaufe
der Zeit Leutekennengelernt, unter
anderen einen Anwalt, der Snowden
vertrat undKontakte zum Kreml hatte.
So kam ich dazu, Putin zu interviewen.
Russland ist einFeind der USA – und
ich habe mir gesagt:Du musst deinem
Feind zuhören, bevor du ihn hasst, du
musst ihnverstehen,dumusstvers tehen,
wie er denkt.Das warmeine Motivation.
Sie waren, vornehm gesagt, in den Inter-
views sehr nett zu Putin – Sie haben ihn
einfach reden lassen.
Ja,klar.DaswardieIdeedesProjekts.Er
sollte einmalreden können. Mein Ein-
druckist:Putinwarsehrehrlich,ersp rach
offen.Wir hatten einen guten Flow.
Echt jetzt?
Ja, warum?
Putin ist einAutokrat. Eine Szene aus
Ihren Interviews ist mir in besonderer
Erinnerung: Sie fragen Putin,ob er ruhig
schlafen könne. Er antwortet mitJa, und
Sie haken nach.Sie fragen,ob er niemals
Albträume habe. Haben Siewelche?
Ich schlafe für gewöhnlich gut.Aber ich
habe zuweilen Albträume, das stimmt,
die Ängste und Sorgenkommen an die
Oberfläche, das ist okay. Ich denke, es ist
wich tig, sich mit seinenTräumen ausein-
anderzusetzen.
Nun, kommt in Ihren Albträumen
DonaldTrump vor?
Die Trump-Frage! Ich habe den Namen
bisher vermieden. Muss das jetzt sein?
Lassen Sie mich das Pferd am Schwanz
aufzäumen, dann schauen wirweiter.
Würden Sie nachWerken über Richard
Nixon und GeorgeW. Bush gerne einen
Film überBarack Obama drehen?
Weil er der erste schwarze Präsident der
USA war? Nein.Denn er war ein schwa-
cher Präsident. Er hat wenig verändert
undübleKriegegeführt.Undja,dasmuss
manTrumptrotzallemlassen:Erhatbis-
her keinen Krieg vom Zaun gebrochen,
das immerhinrechne ich ihm hochan.
Also doch:DonaldTrump.
Ja, er hat alles Mögliche vermasselt,und
er droht ständig mit Krieg, gegenüber
VenezuelaoderIran.Aberwieesscheint,
will erkeinen Krieg. Das ist etwas. Die
Demokraten führen Krieg, die Repu-
blikaner wollen ausnahmsweisekeinen
Krieg – crazy. Normalerweise wollen
beide grossenParteien Krieg.Als Pazi-
fist haben Sie in den USAkeine Wahl.
Es gibt diePartei der Libertären...
...ja,aberdieParteiistklein,spieltkeine
Rolle.Wenn Sie in den USA eineWahl
gewinnen wollen, brauchen Sie Milliar-
den. Sie h aben es in der Schweiz besser.
Schon wieder!
Ja. Denn sagen Sie: Hat die Schweiz
jüngst Krieg geführt?
Konservativ geschätzt: in den letzten 500
Jahren nicht.
Eben. Die Schweiz ist langweilig – aber
die Schweiz ist grossartig.
«Trump hat alles Mögliche vermasselt», sagt Oliver Stone.«Aber wie es scheint, will er keinen Krieg.Das zumindestrechne ichihm hochan.» MICHAEL CAMPANELLA / GETTY
«DieWe lt verkommt
zu einer schlechten
Soap-Opera. Du liebst
den einen, und du hasst
den anderen. Politik
wird zum Spektakel.»
Ausgezeichnet
mit drei Oscars
rs.·Oliver Stone zählt zu den grossen
Regisseuren, Drehbuchschreibern und
Filmproduzenten der USA.Für sein
Schaffen hat der 73-Jährige drei Oscars
erhalten. Mit engagiertenFilmen hat
er auch zahlreiche Debatten ausgelöst.
Zu seinen bekanntestenWerken zählen
«Platoon», «JFK», «The Doors», «Natu-
ral Born Killers» und «Snowden».