Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1
von ingrid weidner

A


ufgegebene Kasernen, ehemali-
ge Offiziershäuser, stillgelegte
Flughäfen – der Bund hat eini-
ge interessante Grundstücke.
Die Bundesanstalt für Immobi-
lienaufgaben (Bima) bietet sie zum Kauf
an, wenn sie nicht mehr für staatliche Auf-
gaben benötigt werden. Wer über die not-
wendigen Mittel verfügt, kann beispiels-
weise eine ehemalige Abhör- und Peilanla-
ge mit Wohnhäusern in Husum erwerben
oder ein 1938 erbautes ehemaliges Doppel-
haus für Offiziere auf Sylt, für 3,5 Millio-
nen Euro.
Mit dem Abzug von amerikanischen
und britischen Streitkräften und der Bun-
deswehr aus vielen Städten sind viele Flä-
chen frei geworden. „Ein Schwerpunkt für
den Verkauf von Konversionsliegenschaf-
ten liegt in der Region Ostwestfalen-Lippe
in Nordrhein-Westfalen“, berichtet ein
Sprecher der Bima. Die britischen Streit-
kräfte haben angekündigt, sich bis 2020
aus Deutschland zurückzuziehen. In Nord-
rhein-Westfalen stehen dann 20000 Hekt-
ar mit etwa 6200 Wohneinheiten zur Ver-
fügung, für die noch Konzepte entwickelt
werden müssen. Große Entwicklungs-
chancen gibt es auch in der Metropolregi-
on Rhein-Neckar. Die US- Streitkräfte ha-
ben von 2007 bis 2014 mehr als zwanzig
Liegenschaften in der Metropolregion an
den Bund zurückgegeben. Eigentlich soll-
te Mannheim 500 Hektar ehemalige Ka-
sernenflächen bekommen, doch kurzfris-
tig entschied das US-Militär, die 220 Hekt-
ar große Coleman-Kaserne am nördlichen
Stadtrand nicht zurückzugeben. Für die
übrigen 280 Hektar plant die Stadt neue
Wohn- und Gewerbequartiere. „Bis zum
Jahr 2025 benötigen wir rund 10 000 neue
Wohnungen. Auf den Konversionsflächen
entstehen rund 7500 Wohnungen, damit
können wir einen großen Teil des Bedarfs
decken“, sagt Klaus-Jürgen Ammer, Beauf-
tragter für Konversion und Leiter Projekt-
gruppe Konversion in Mannheim.
Gerade bereitet die Bima das Gelände
der ehemaligen Hammonds Barracks zum
Verkauf vor. Seit dem Sommer räumen
dort Bagger das Areal frei, Mitte 2020 soll
der Rückbau abgeschlossen sein. Auf
zwölf Baufeldern sollen dann 400 Woh-


nungen entstehen. Einige der Kasernenge-
bäude bleiben erhalten, um an die Ge-
schichte des ehemaligen Militärstandorts
zu erinnern.
Mannheim will aber nicht alle Flächen
dem freien Markt überlassen. Vor einein-
halb Jahren legte der Stadtrat eine Quote
fest: Im Geschosswohnungsbau ab zehn
Wohneinheiten müssen 30 Prozent der
Wohnungen preisgebunden angeboten
werden. „Als bezahlbare Miete haben wir
einen Quadratmeterpreis von 7,50 Euro
festgelegt. Auch Investoren, die Flächen in
Mannheim kaufen, müssen sich daran hal-
ten“, sagt Ammer.

Heidelberg stehen mit der Konversion
von ehemaligen Militärstandorten
180 Hektar Entwicklungsfläche zur Verfü-
gung. Mit knapp 100 Hektar ist das Pa-
trick-Henry-Village das größte Areal.
Zwar ist das Gelände durch eine Autobahn
vom übrigen Heidelberger Stadtgebiet ge-
trennt, doch die Stadt plant dort für eine
Internationale Bauausstellung (IBA) – Mot-
to „Wissensstadt von morgen“ – ein neues
Viertel. Bürgerdialog und Architekturwett-
bewerb lieferten Idee für das Quartier, in
dem künftig 10000 Menschen leben und
5000 arbeiten könnten. Noch stehen die
Planungen am Anfang, die Stadt möchte
Teile des Areals direkt von der Bima erwer-
ben, verkauft wurde bisher noch nichts.
Im westfälischen Münster sind die Pla-
ner schon einen Schritt weiter. Auf dem
Gelände der ehemaligen Oxford- und
York-Kaserne entstehen neue Wohnquar-
tiere, die Verträge sind unterzeichnet. Auf
den 75 Hektar sollen Wohnungen für
10000 Personen entstehen.
Immer wieder gab es von Kommunen
Kritik an der Bima. Sie verkaufe Flächen
zu Marktpreisen und drehe damit die
Preisspirale immer weiter nach oben. Ge-
nossenschaften, die günstigen Wohn-
raum für ihre Mitglieder schaffen wollten,
oder städtische Wohnungsbaugesellschaf-
ten kämen deshalb häufig nicht zum Zug.
Seit 2012 kann die Bima Konversions-
liegenschaften an Kommunen günstiger

abgeben, im Rahmen des sogenannten
Erstzugriffs. „Die Grundlage für die Kauf-
preise ist in diesen Fällen nicht ein Markt-
angebot, etwa durch eine Ausschreibung.
Stattdessen erfolgt die Preisfindung regel-
mäßig über einen gutachterlich ermittel-
ten Verkehrswert – ausdrücklich nicht
über Höchstpreise“, heißt es bei der Bima.
Und seit 2015 gewährt die Bima zusätz-
lich Preisnachlässe, etwa wenn die Grund-
stücke für einen sozial verträglichen Woh-
nungsbau verwendet werden. Kommu-
nen können so Immobilien verbilligt er-
werben und an Dritte mit dieser Bindung
weiterverkaufen. Nach unten gebe es kei-
ne Begrenzung für Rabatte, so der Bima-
Sprecher. Es komme vor, dass Flächen für
den sozialen Wohnungsbau kostenlos ab-
gegeben werden. Weil in vielen Städten
Wohnungen fehlen, wolle die Bundesregie-
rung vor allem Liegenschaften mit Wohn-
baupotenzial schneller verkaufen. „Die Bi-
ma nimmt den politischen Auftrag ernst“,
sagt der Mannheimer Konversionsbeauf-
tragte Ammer. Er wünscht sich „ein deutli-
ches Entgegenkommen“ in den aktuellen
Verhandlungen mit der Bima. Die bürokra-
tischen Hürden, einen Rabatt zu erhalten,
seien allerdings groß, räumt er ein.
Seit 2015 gewährte die Bima eigenen An-
gaben zufolge Kaufpreisnachlässe von
66 Millionen Euro. Dadurch habe die Bi-
ma zur Errichtung von 3000 Wohneinhei-
ten im sozialen Wohnungsbau beigetra-
gen. Von der neuen Vergabepolitik hätten
zahlreiche Kommunen und Wohnungs-
bauprojekte profitiert. In Darmstadt seien
etwa 630 Sozialwohnungen entstanden,
in Münster um die 450, in Mannheim 260
und in Paderborn 240. Zwar summiert
sich das nur auf rund 1600 Sozialwohnun-
gen deutschlandweit, doch mancherorts
werde noch geplant und gebaut, heißt es.
Weil in Großstädten wie Berlin, Frank-
furt, Hamburg, Köln/Bonn, München
oder Stuttgart Bundesbedienstete nur
schwer eine bezahlbare Wohnung finden,
prüft die Bima in diesen Städten auch,
selbst neue Wohnungen zu errichten. Ers-
te Projekte sollen im kommenden Jahr um-
gesetzt werden, so in Aschaffenburg. Auch
in Berlin gibt es konkrete Pläne. Dort sol-
len in der Cité Foch, der ehemaligen Wohn-
siedlung der französischen Streitkräfte,
400 Wohnungen entstehen.

Kommunalpolitiker mögen sie meist
nicht. Logistikimmobilien verschandeln
in ihren Augen das Stadtbild. Zudem erhö-
hen die Lieferfahrzeuge den Lärmpegel,
verschärfen die ohnehin angespannte Ver-
kehrslage und stoßen obendrein oft erheb-
liche Mengen an CO2 und anderen klima-
schädlichen Stoffen aus. Stadtbewohner
mögen all das auch nicht, aber sie bestel-
len immer mehr Dinge im Internet und
möchten ihre Ware möglichst schnell
nach Hause geliefert bekommen. Und die
Anziehungskraft der Städte steigt weiter,
ebenso wächst der Onlinehandel.
Diese Situation stellt die Logistikbran-
che vor große Herausforderungen. Beson-
ders schwierig ist die Frage, wie denn die
sogenannte letzte Meile bis zum Endkun-
den in Zukunft organisiert werden soll. An
Ideen ist kein Mangel, und noch weiß nie-
mand so recht, welches Konzept sich am
Ende durchsetzen wird. Dass künftig Ro-
boter von Tür zu Tür gehen und Pakete ab-
liefern oder zigtausend Drohnen die Ver-
sorgung aus der Luft übernehmen kommt
vielen ebenso unwahrscheinlich vor wie
die Belieferung durch ein dichtes Tunnel-
system unter der Stadt, ähnlich der alten
Rohrpost in Firmen.
Aber gerade die Tunnellösung wird in
der Branche viel diskutiert. Es gibt schließ-
lich vieles, was schon seit langer Zeit
durch Tunnel läuft: Leitungen aller Art,
Wasser und Abwasser, U-Bahnen und
Autos. Warum also nicht auch Paletten mit
Paketen? „Wenn wir an der Infrastruktur
nichts machen, werden wir uns immer
schwerer tun, Ware pünktlich von A nach
B zu bekommen“, sagt Kuno Neumeier, Ge-
schäftsführer des Logistikimmobilienbe-
raters Logivest. „Es wird immer schwieri-
ger, von Kommunen die nötigen Flächen
zugeteilt zu bekommen und dann auch
noch die Berechtigung, dort Lagerimmobi-
lien bauen zu dürfen.“
Ein solches Tunnel-Projekt ist zum Bei-
spiel der Smart City Loop. Er soll eine
Transportlösung für die vorletzte Meile
sein, also für die Belieferung mit Paketen
von Umschlaglagern vor der Stadt an Stel-
len in der Stadt, von denen aus die Ware an
die Endkunden zugestellt wird. Die Grund-
überlegung ist einfach: Man braucht eine
unterirdische Röhre und je eine Immobi-
lie am Ein- und Ausgang. Am Eingang lie-
fern Versender, also Handelsunterneh-
men und Paketdienste, ihre Sendungen
ab. Dann werden diese in 25 Meter Tiefe
von einer Dienstleistungsfirma transpor-
tiert. Am Ausgang holen die Versender ih-
re Ware dann ab und bringen sie zum Kun-
den, idealerweise per Fahrrad oder Elek-
tro-Lkw. Zugleich werden Waren aus der
Stadt, etwa Retouren, zurück befördert.
Derzeit wird von der Smart City Loop
GmbH eine Machbarkeitsstudie für eine
acht Kilometer lange Strecke in die Ham-
burger Innenstadt erstellt. Mit dieser

Route sollen pro Tag 1500 Lkw auf der Stra-
ße eingespart werden. Geschäftsführer
Christian Kühnhold ist von der Effizienz
überzeugt: „Wenn man von einem großen
Lkw auf das Verteilfahrzeug umladen will,
braucht man große Flächen in der Stadt.
Dem geht man aus dem Weg, wenn man
sich auf zwei Hubs verständigt, die neutral
betrieben werden.“ In Hamburg seien die
Stadtvertreter sehr kooperativ und hätten
eine Strecke unterhalb öffentlicher Stra-
ßen in Aussicht gestellt, so Kühnhold. Die
Genehmigungsverfahren dürften bei pri-
vaten Grundeigentümern erfahrungsge-
mäß viel länger dauern. Auch ist noch
nicht klar, ob in 25 Meter Tiefe noch Bau-
recht oder schon Bergrecht gilt. Aber
wenn alle Hürden genommen sind, könn-
ten unterirdische Tunnel die Logistiklö-
sung der Zukunft sein, davon ist auch Fran-
cisco Bähr, geschäftsführender Gesell-
schafter des auf Logistikimmobilien spezi-
alisierten Entwicklers Four Parx, über-
zeugt. Four Parx will das Gesamtprojekt
konzipieren und kommt auch für die Kos-
ten der Machbarkeitsstudie auf. „Wenn
wir einmal eine solche Pipeline mit zwei
Immobilien in- und außerhalb der Stadt
geschaffen haben, geht es anderswo
auch“, sagt Bähr.

Auch in der Schweiz gibt es fortgeschrit-
tene Überlegungen für eine Verlagerung
der Warenströme unter die Erde. Das Pro-
jekt Cargo Sous Terrain (CST) sieht im Un-
terschied zum Smart City Loop eine sehr
große Lösung vor. „Wir wollen im Endef-
fekt ein gesamtschweizerisches Tunnel-
netz nördlich der Alpen bauen“, sagt Pa-
trik Aellig, Unternehmenssprecher der
Cargo Sous Terrain AG. Für das Projekt
kann die Firma schon Investitionszusa-
gen über 100 Millionen Schweizer Fran-
ken vorzeigen. Damit ist der laufende Be-
trieb inklusive der Machbarkeits- und
Wirtschaftlichkeitsstudien schon einmal
finanziert. Im Moment ist man dabei, die

drei Milliarden Franken einzusammeln,
die man für den Bau einer ersten, 70 Kilo-
meter langen Teilstrecke zwischen dem
Logistikknotenpunkt Härkingen und der
Metropole Zürich veranschlagt hat. Das
ganze Tunnelnetz wird nach Aelligs Anga-
ben dann etwa das Zehnfache kosten.
Eine finanzielle Beteiligung staatlicher-
seits ist nicht vorgesehen. CST setzt in den
Tunneln auf dreispurige Bahnen, auf de-
nen Transportwagen mit einer Geschwin-
digkeit von 30 Kilometer in der Stunde
recht langsam verkehren. Alles wird voll-
automatisch sein, Menschen wird man
dort unten nicht finden. „Im Tunnelsys-
tem werden sehr viele Güter zum gleichen
Zeitpunkt unterwegs sein. Das ist dann
eigentlich ein bewegliches Lager. Oberir-
disch braucht man dann für die Zufüh-
rung und auch für die Zwischenlagerung
viel weniger Platz“, erläutert Aellig. Ab
2030 soll CST schrittweise in Betrieb ge-
hen. Je mehr Teilstrecken dazukommen,
desto weniger Flächenverbrauch wird
man oberirdisch haben, weil sich ein gro-
ßer Teil der Logistik unterirdisch abspielt.
Ob die Städte künftig tatsächlich in gro-
ßem Stil unterirdisch mit Waren beliefert
werden, ist heute noch nicht absehbar. Die
Versender hätten damit meist einen zu-
sätzlichen Aufwand, weil ein weiterer Zwi-
schenschritt in der Transportkette nötig
wäre. Andererseits sind sich die Experten
einig, dass etwas geschehen muss und die
Zeit drängt. Bähr von Four Parx hält es so-
gar für möglich, dass man für Tunnelpro-
jekte Fördermittel aus dem Klimapro-
gramm der Bundesregierung beantragen
könnte, denn darin werden Zuschüsse für
umweltfreundliche Mobilitätskonzepte in
Aussicht gestellt.
Aber es ginge auch ganz anders. „Ich
glaube, dass wir technisch und wirtschaft-
lich sehr anspruchsvoll versuchen, Proble-
me zu lösen, weil wir den Individualver-
kehr nicht einschränken wollen“, sagt
Wolfgang Lammers vom Fraunhofer-Insti-
tut für Materialfluss und Logistik. „Wenn
man einen Teil des Individualverkehrs
durch andere Mobilitätskonzepte ersetz-
te, dann hätte man kein Platzproblem in
der Stadt.“ bärbel brockmann

Konversion mit schwerem Gerät: Auf dem ehemaligen Militärflughafen in Fürstenfeldbruck wird Beton aufgebrochen
und dasGelände so für eine neue Nutzung vorbereitet. FOTO: JOHANNES SIMON

Preis, lass nach


Der Bund verkauft viele interessante Immobilien an Investoren


und Kommunen – immer öfter mit Rabatt


Für den Smart City Loop wird derzeit eine Machbarkeitsstudie erstellt. FOTO: OH

Blick nach unten


Weil Flächen rar sind, wollen Logistikunternehmen Städte untertunneln


In der Schweiz soll ein
riesiges Röhrennetz entstehen,
ganz ohne Staatshilfe

Weil Bundesbedienstete oft nur
schwer eine Wohnung finden,
will die Bima auch selbst bauen

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