SpaßmacherDas istkeine Bierbauch-At-
trappe, sondern der gefakte Schwanger-
schaftsbauch von Mala Emde, die in der
ARD-Serie „Charité“ meine Schwester
spielt. Ich wollte unbedingt mal wissen,
wie sich so ein Bauch anfühlt. Nicht sehr
komfortabel übrigens, aber sehr echt ge-
macht von unserem Maskenbildner Gre-
gor Eckstein, der da hinten um die Ecke
linst. Die Rolle, sechs Folgen, war ein ech-
ter Glücksfall mit super Kollegen und
wohl der erfolgreichste Serienneustart
im Fernsehen seit 25 Jahren. In der 1. Staf-
fel spielte Alicia von Rittberg die Haupt-
rolle, wir haben mittlerweile schon vier
Filme zusammen gedreht, und sie ist zu
meiner engsten Freundin geworden. Ich
mag sie wahnsinnig gern und freue mich
riesig, dass sie gerade so durchstartet.
Wenn es zeitlich irgendwie geht, absolvie-
ren wir alle öffentlichen Auftritte zusam-
men. Premieren, roter Teppich und so.
LehrjahreMeine Einschulung 1998. Ich
komme ja vom Land, wir wohnten am
Rande von Kirchwerder bei Hamburg,
direkt hinter unserem Haus fing das Na-
turschutzgebiet an. Wir hatten eine en-
ge Nachbarschaft, jeder kümmerte sich
um jeden. Wenn man mal den Schlüssel
vergessen hatte, nahm einen irgendwer
immer auf. Anders als die meisten den-
ke ich total gern an meine Schulzeit zu-
rück. Nicht nur in der Grundschule,
auch auf dem Gymnasium Bergedorf.
Dass ich nebenher Filme drehte, war
kein großes Ding. Es gab weder Neid
noch blöde Sprüche, weil ich Tanzunter-
richt hatte, statt zum Fußball zu gehen.
Irgendwann habe ich eine Fähigkeit ent-
wickelt, mit der ich immer gut durch-
kam: Ich kann mich zwingen, auch die
uninteressantesten Themen spannend
zu finden. So konnte ich sogar Mathe
cool finden. Englisch war mein Lieb-
lingsfach, darum studiere ich seit zwei
Jahren in Berlin Anglistik und Medien-
wissenschaft. Zurzeit läuft es ja gerade
ganz gut, aber als Schauspieler weiß
man nie, wie lange man was zu tun hat.
Da schadet ein zweites Standbein nicht.
AbenteuerlustIchbin keiner, der viel
konsumiert oder Wert auf materielle
Dinge legt, aber ich liebe es zu reisen
und die Welt zu entdecken. Nach einem
Dreh belohne ich mich oft mit einer Rei-
se – das beste Mittel, um abzuschalten
und runterzukommen. Ich war im
Grand Canyon, in Mexiko, im Mai in
Marrakesch, am besten hat mir bisher
Island gefallen. Hier sind wir in einem al-
ten Camper von Rostock aus nach Nor-
wegen gefahren und waren in den Fjor-
den und am Gletscher unterwegs. Zwei
Typen, eine Frau, 15 Tage und nur jeden
vierten Tag duschen. Cluburlaub oder
Luxusresort und zwei Wochen nur am
Pool liegen? Kann man mich mit jagen.
Wenn ich reise, dann ganz basic. Meist
suche ich was über Airbnb. Vor Kurzem
war ich in Kroatien. Wir hatten ein Zim-
mer auf einer kleinen Insel bei einem al-
ten Mann mit langem Rauschebart ge-
mietet. Der holte uns mit der Fähre ab,
tischte uns seinen eigenen Wein, sein ei-
genes Olivenöl und frische Tomaten aus
seinem Garten auf. Besser kannst du
Land und Leute nicht kennenlernen.
Jetzt plane ich für Dezember eine Reise
nach Brasilien, ich besuche dort eine
Kollegin, die ich beim Dreh in Kapstadt
kennengelernt habe.
FrauensacheMein Aussehen ist nicht
immer von Vorteil. „Ach, der Typ mit der
Tolle“, heißt es. Darum bin ich dankbar
für jede Rolle, die mich auch optisch ver-
ändert. Im TV-Film „Mein Sohn Helen“
spielte ich 2015 einen transsexuellen
Jungen, der zum Mädchen wird. Mit
Kleid und Perücke war die Verwandlung
nicht getan. Es ging darum, feminines
Verhalten darzustellen, ohne dass es wie
eine Karikatur aussieht. Wie schminkt
sich ein Mädchen, wie zieht es sich den
BH an? Ich durfte ein halbes Jahr keinen
Sport machen, weil Männer andere Mus-
keln haben, und wenn mir an der Ampel
eine Frau entgegenkam, versuchte ich
zu gehen wie sie. Ich war so drin im Frau-
sein, dass lange nach dem Dreh Freunde
sagten: „Setz dich mal wieder normal
hin, wie ein Mann halt“. Von Transgen-
dern bekam ich viel positives Feedback.
Das war das größte Lob.
SchlammschlachtAls Trauzeuge für mei-
nen älteren Bruder musste ich seinen
Junggesellenabschied organisieren. Knei-
pentour macht ja jeder. Es sollte was sein,
das zu ihm passt. Er läuft gern, war auch
schon ein paar Mal beim Halbmarathon
dabei, also meldete ich uns 15 Männer bei
der „XLETIX Challenge“ in Grömitz an
der Ostsee an. Das ist so ein Extremhin-
dernislauf über mehrere Kilometer, bei
dem man sich durch ein Schlammbad
wälzen, sich an Seilen übers Wasser han-
geln, eine drei Meter hohe Holzwand
hochspringen oder im Eiswürfelbecken
tauchen muss. Man sieht hinterher aus
wie Sau, es macht aber irre Spaß.
Rock me AmadeusSieht mandem Foto
auch nicht an, dass es schon fast 20 Jahre
alt ist! Da bin ich neun Jahre alt, als klei-
ner Amadé in dem Musical „Mozart“ an
der Neuen Flora in Hamburg. Das lief
dort über neun Monate. Ich spielte Mo-
zarts jüngeres Ich, meinen Part teilte ich
mir mit neun anderen Kindern, weil Kin-
derdarsteller nur eine sehr begrenzte Zeit
arbeiten dürfen. Eine Freundin meiner
Mutter hatte den Castingaufruf in der Zei-
tung gelesen und musste meine Eltern
erst einmal überzeugen, dass ich mich da
bewerbe.
Künstler kommen in unserer Familie
sonst nicht vor, das war komplett frem-
des Terrain. Meine zwei Brüder arbeiten
beide in Papas Maurerbetrieb, meine
Mutter ist Zahnarzthelferin. Aber seit ich
mit sechs das Musical „Cats“ auf der Ree-
perbahn gesehen hatte und viermal dort
war, fand ich die Bühne, Theater und
Tanz toll. Geprägt hat mich auch der Film
„Billy Elliot“. Damit konnte ich mich so-
fort identifizieren: Ein Junge aus der Ar-
beiterklasse, der Tänzer werden will. Mei-
ne erste Fernsehrolle in einer ZDF-Serie
bekam ich mit elf, das war „Die Rettungs-
flieger“. Dafür entdeckt wurde ich nicht
durch das Musical, sondern an einer
Tankstelle. Ich hatte mir gerade ein Über-
raschungsei gekauft, als mich die Schau-
spielagentin Christiane Dreikauss an-
sprach. Bei ihr bleib ich mehr als 14 Jahre,
sie war eine meiner wichtigsten Bezugs-
personen. Bei ihrem Mann Patrick be-
kam ich Schauspielunterricht, er war
mein Coach und Mentor, hat mich auf je-
de Rolle vorbereitet. Ich war ja nie auf ei-
ner Schauspielschule.
KampfgeistDas war die Anti-AfD-Demo
am Reichstagufer im vergangenen Jahr
in Berlin. Vorne auf den Booten und auf
der Straße demonstrierten wir gegen
rechts, während hinten auf der Brücke
die AfDler mit ihren ausländerfeindli-
chen Parolen aufmarschierten. Ein ganz
gruseliger Moment. Ich finde es wichtig,
dass Menschen, die in der Öffentlichkeit
stehen, ihre Bekanntheit nutzen, um
wachzurütteln und an andere zu appellie-
ren, solche Aktionen zu unterstützen. Es
macht mich echt traurig und fassungslos,
dass man im 21. Jahrhundert in diesem
Land noch auf die Straße gehen muss, um
für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.
FOTOALBUM
HELL’S KITCHEN (XXXVIII)
InternationalDas istganz aktuell. Da bin
ich mit Milla Jovovich in Kapstadt für die
Verfilmung des Computerspiels „Mons-
ter Hunter“, einem Fantasy-Action-Thril-
ler. Ihr Mann Paul W. Anderson führte Re-
gie. Ich war der einzige Deutsche und
rannte zwei Wochen mit einem Schwert
durchs Studio und kämpfte gegen imagi-
näre Drachen. Nach „Niemandsland“ mit
Keira Knightley und „Grenzenlos“ mit Ali-
cia Vikander ist das mein dritter internati-
onaler Film. Was anders ist? Der Trailer-
park ist zehnmal so groß, und bei US-Pro-
duktionen ist oft das ganze Drehbuch-
team mit am Set. Da kann man nicht ein-
fach selbst die Dialoge ändern.
Eben noch hatJannik Schümannauf dem Dach des Bayerischen Hofs ein Shooting für ein
Boulevardmagazin absolviert, jetzt zeigt er gut gelaunt Bilder aus seinem Leben. Mit seinen 27 Jahren war
der Schauspieler schon in 47 Rollen in Film und TV zu sehen. Am 10. Oktober kommt die nächste dazu:
Er spielt im Kinofilm „Dem Horizont so nah“ einen jungen Mann, der modelt und an Aids erkrankt
von christine mortag
RATTELSCHNECK
von christian zaschke
Das Beste an der bescheidenen Bleibe,
dieich in einem ehemaligen Schwes-
ternwohnheim in Hell’s Kitchen gefun-
den habe, ist der Balkon. Ich verbringe
viel Zeit auf diesem Balkon und studie-
re dort, mehrmals in der Woche, die
verschiedenen Blautöne des Himmels.
In einer Stadt wie New York braucht
man ein paar Rituale, um nicht durch-
zudrehen.
Der Balkon ist, ehrlich gesagt, nur
eine mit welliger Teerpappe ausgelegte
Freifläche, die von einem wackligen
Geländer umgeben wird. Alle zwei
Monate schleppt Hausmeister Giovan-
ni Colon, dessen Name sich, je nach-
dem, wie man gerade auf ihn zu spre-
chen ist, mit Johannes Doppelpunkt
oder Johannes Dickdarm übersetzen
lässt, eine Inspekteurin auf den Bal-
kon, die am Geländer rüttelt und vor-
sichtig auf die Blasen tritt, die sich
unter der Teerpappe gebildet haben.
„Sollte man sich mal drum küm-
mern“, sagt sie jedesmal.
„Das ist überhaupt nicht nötig“, sage
ich immer.
Wenn man eines in New York auf
keinen Fall will, dann ist es, dass sich
jemand mal um etwas kümmert. Ich
habe tagelang in mit Plastikfolie einge-
packten Möbeln gelebt, weil sich je-
mand um einen neuen Anstrich küm-
mern sollte. Niemand kam. Einmal
bauten sie ein Gerüst auf meinen Bal-
kon und hängten einen Korb an Seilen
dran auf, in dem ein Fassadenreiniger
an der Fassade auf und ab fahren soll-
te, um eben jene zu reinigen. Nicht ein
einziges Mal hat jemand diesen Korb
bestiegen, und nach vier Monaten ha-
ben sie das Gerüst kommentarlos abge-
baut. Ich dachte damals, das passt gut
zu einer Stadt, in der viele irre sind,
aber niemand lebensmüde.
Ende letzter Woche sagte Giovanni,
es sei so weit. Jemand würde die Bla-
sen unter der Teerpappe wegmachen
und ein paar Schrauben ins Geländer
drehen. Das Ganze sei in drei, vier Ta-
gen vorbei.
„Das ist wirklich überhaupt nicht
nötig, Giovanni“, sagte ich.
„Wir machen das für dich“, sagte
Giovanni. Er nannte mich „Chris“.
Ich habe womöglich vergessen zu
erwähnen, dass ich auf dem Balkon
einen Garten angelegt habe. Ich ziehe
Tomaten, Chilis, Bohnen, dazu habe
ich einen Hibiskus, der fortwährend
Blüten hervorbringt und abwirft, als
fast manisches Symbol des Werdens
und Vergehens. Es ist ein Zen-Garten.
Am Sonntag habe ich den Garten
abgebaut. Ich habe ihn komplett in
meine Wohnung verlagert, in der kein
Platz dafür ist. Am Montag sollten
draußen die Arbeiten beginnen. Nichts
geschah. Auch am Dienstag geschah
nichts. Mittwochs passierte: nichts. Am
Donnerstag legten sie im Treppenhaus
und in meiner Wohnung Pappe aus,
damit sie keine Fußabdrücke hinterlas-
sen würden auf dem Weg zum Balkon.
Das ist offenbar Vorschrift.
In diesem Moment wusste ich, dass
sie niemals wiederkommen würden.
Balkon
Der Garten steht nun
im Wohnzimmer,
in dem kein Platz für ihn ist
FOTOS: DPA, PRIVAT (5), INSTAGRAM/JANNIK.SCHUEMANN (2), ARD DEGETO/BRITTA KREHL
54 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019, Nr. 230DEFGH