Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
von victor gojdka

E


s klang so spielend leicht, was
Facebook-Chef Mark Zucker-
berg Anfang des Jahres als Visi-
on verkündete: Geld überwei-
sen? Das solle künftig so einfach
sein, wie ein Foto zu senden. Das Musik-
abo einfach per Klick bezahlen, Freunden
Geld für das letzte Mittagessen überwei-
sen, bei Facebook mit nur einem Wisch
den tollen Pullover kaufen. Die Digitalwäh-
rung Libra soll es möglich machen, schon
im kommenden Jahr könnte es losgehen.
Doch im Hype um das Geldprojekt gehen
oft die Fakten durcheinander. Hier die
fünf häufigsten Irrtümer.

Irrtum 1: Libra ist eine
Facebook-Währung

Facebook-Geld, Zuckerberg-Dollar, oder
blaue Dukaten: Die geplante Digitalwäh-
rung Libra hat viele Spitznamen. Streng ge-
nommen sind jedoch alle irreführend,
denn hinter der Digitalwährung Libra
steht nicht Facebook – zumindest nicht al-
lein. Der Tech-Konzern hat Libra mit 27 an-
deren Partnern gegründet. In einem Kon-
sortium wachen sie gemeinsam über Wohl
und Wehe der Währung.
Mit dabei sind unter anderem Zahlungs-
dienstleister wie Visa und Mastercard,
Techunternehmen wie der Fahrvermittler
Uber und der Telekomkonzern Vodafone.
Bereits im ersten Halbjahr 2020 soll die
Zahl der Mitglieder im Konsortium auf et-
wa hundert anschwellen.
Facebook ist zumindest auf den ersten
Blick also nicht mächtiger als die anderen
Partner. Im neuen Geld-Bund gilt schließ-
lich der Grundsatz: Jeder ist stimmberech-
tigt. Zum ganzen Bild gehört jedoch, dass
die Initiative zur Digitalwährung Libra im
Hause Facebook entstanden ist. Außer-
dem wird das Unternehmen „im Verlauf
des Jahres 2019 eine Führungsrolle behal-
ten“, heißt es im Prospekt zu Libra.

Irrtum 2: Libra hilft den Armen


Es klingt nach rührender Selbstlosigkeit:
Facebook und Co. würden mit ihrer Wäh-
rung den Armen ohne Konto helfen. „Ih-
nen das Leben leichter machen“, so wurde
die Mission von Libra im Eckpunktepapier
definiert. Selbst ansonsten kritische Wirt-
schaftsinstitute und Bankvolkswirte tei-
len diese Einschätzung oft. Allein: Sie ist
schwer zu glauben.
Laut Weltbank müssen weltweit derzeit
1,7 Milliarden Menschen ohne Konto le-
ben. Eine Umfrage der Weltbank-Studien-
macher zeigt: Zwei Drittel der Befragten
ohne Konto gaben zumindest als einen
Grund an, dass sie schlicht zu wenig Geld
haben, das sie anlegen könnten. Ihnen
wird also auch Libra nicht helfen. 30 Pro-
zent meinen laut Weltbank-Statistik, sie
bräuchten gar kein Konto. Auch ihnen
brächte Libra nichts.
Die meisten Menschen ohne Konto le-
ben zudem in China, Indien und Indonesi-
en. Doch ausgerechnet in China ist Face-
book verboten. Eine indische Regierungs-
kommission arbeitet derzeit daran, Kryp-
towährungen im Land zu verbieten. Und in

Indonesien dürfen Bürger zwar auf Han-
delsplattformen mit Kryptodevisen speku-
lieren. Aber Kryptocoins als Zahlungsmit-
tel einzusetzen ist nicht erlaubt. „Ob Libra
den Armen wirklich hilft, ist also fraglich“,
sagt Finanzprofessor Volker Brühl vom
Center for Financial Studies. Zumal viele
Menschen in Entwicklungsländern vor al-
lem dem Bargeld vertrauen.

Irrtum 3: Libra ist eine
sichere Währung

Immer wieder werben die Macher der Digi-
tal-Devise, wie stabil Libra in ihrem Wert
sein werde. Denn wenn Nutzer für Euro,
Yen oder Pfund Libra-Münzen kaufen, soll
das herkömmliche Geld in eine Reserve
wandern, eins zu eins. Das klingt nach Si-
cherheit: Am Ende wäre das herkömmli-
che Geld ja immer noch da. Doch die Pro-
bleme liegen im Detail. Eine Garantie, dass
Nutzer ihre Libra-Münzen jederzeit wie-
der in eine Staatswährung zurücktau-
schen können, gibt das Konsortium nicht.
„Jeder kann in hohem Maß sicher sein,
dass er seine digitale Währung zu einem
Wechselkurs in ein lokales Zahlungsmittel
umtauschen kann“, schreiben die Libra-
Macher. „In hohem Maße sicher“? Nach ei-
ner verlässlichen Zusage klingt das nicht.
Dazu kommt ein zweites Problem: Der
Kurs von Libra soll sich an einem Wäh-
rungskorb aus Dollar, Euro, Yen, Pfund
und Singapur-Dollar orientieren, wie der
Spiegelmeldet. Zwar stimmt es, dass diese
Währungen relativ stabil sind. Aber in
gewissem Maße schwanken sie eben doch
zueinander. Für Verbraucher im Euro-
Raum heißt das: Der Wert von Libra wird
gegenüber dem Euro schwanken. „Privat-
anleger werden so zu Währungsspekulan-
ten“, sagt Kryptoexperte Gilbert Fridgen
von der Uni Bayreuth.

Irrtum 4: Libra ist eine
Krypto-Devise

Das technische Grundgerüst der erklärten
Weltwährung haben 52 Experten auf
29 Seiten skizziert. Und doch fragen sich
viele Krypto-Spezialisten: Ist Libra am En-
de ein einziger großer Etikettenschwin-
del? Denn es ist umstritten, wie viel „Kryp-
to“ wirklich in Libra steckt.
Auf der einen Seite sollen auch bei Libra
Überweisungen von A nach B verschlüs-
selt sein. Aber da enden die Gemeinsam-
keiten mit herkömmlichen Kryptowährun-
gen wie Bitcoin bereits.
Vor allem orthodoxe Anhänger der Kryp-
to-Bewegung monieren: Bei Libra haben
circa zwei Dutzend Großkonzerne die Ho-
heit über das ganze Netzwerk, bei Bitcoin
wiederum kann jeder das Netzwerk mit-
kontrollieren. Denn das technische Netz-
werk hinter Bitcoin betreibt nicht eine zen-
trale Stelle wie eine einzelne Bank, son-
dern viele Nutzer gemeinsam. Etwa 11 000
dieser Nutzer stellen große Rechnerkapazi-
täten zur Verfügung und prüfen damit die
Überweisungen im Netzwerk.
Bei Libra hingegen werden zunächst
nur die 28 Gründungsmitglieder das Sa-
gen haben und alle Überweisungen durch-
winken. Wer in diese Riege der Libra-Ver-
walter stoßen will, muss mindestens zehn

Millionen Dollar Eintrittsgebühr zahlen.
Dezentral und für jeden offen, wie sich die
Krypto-Puristen es vorstellen, ist das Netz-
werk nicht. „Es ist ein Konsortium aus Kon-
zernen“, warnt Krypto-Experte Fridgen.
Von den Idealen der Kryptobewegung sei
nicht viel zu erkennen, monieren Exper-
ten, der Begriff Kryptowährung ein Etiket-
tenschwindel. Libra wiederum verweist
darauf, dass man das technische Netz in
spätestens fünf Jahren für die Allgemein-
heit öffnen wolle. Experten bezweifeln je-
doch, ob das technisch möglich ist. Man-
che sagen: Libra habe mit herkömmlichen

Kryptowährungen so viel zu tun wie Zen-
tralbanker mit Goldwäschern.

Irrtum 5: Libra wird das
neue Welt-Geld

Facebook und Co. wollen keine kleinen
Brötchen backen. Von einer „globalen Wäh-
rung“ sprachen sie, als sie die Idee vorstell-
ten, bereits im ersten Halbjahr 2020 solle
es losgehen. Doch Experten erscheint das
unwahrscheinlich. Finanzaufseher in den
USA und Europa äußern sich zunehmend
kritisch. Terrorfinanzierung? Anlegersi-

cherheit? Einmischung in Geldpolitik? Auf
all diese Sorgen brauchen die Libra-Ma-
cher Antworten. „Unter diesen Bedingun-
gen können wir die Entwicklung von Libra
auf europäischem Boden nicht zulassen“,
sagte kürzlich Frankreichs Finanzminis-
ter Bruno Le Maire. Ob Libra also tatsäch-
lich rund um den Globus zugelassen wird,
ist fraglich. „Wahrscheinlich starten sie
erst mal in ganz wenigen Entwicklungslän-
dern“, sagt Krypto-Experte Volker Brühl.
Von einer Welt-Währung wäre dann kaum
noch die Rede. Auf Fragen der SZ hat die
Libra-Association nicht reagiert.

von alexander hagelüken

D


eutschlands Tafeln, die 1,5 Millio-
nen Menschen mit Essen versor-
gen, senden jetzt eine Warnung:
Vergangenes Jahr nahm die Zahl der er-
grauten Kunden sprunghaft zu – um ein
Fünftel. „Altersarmut wird uns in den
kommenden Jahren mit einer Wucht
überrollen, wie man es heute nur vom
Klimawandel kennt“, fürchtet der Tafel-
Vorsitzende Jochen Brühl. Angesichts sol-
cher Entwicklungen ist es gut, dass die
Bundesregierung auf eine Einigung bei
der Grundrente zusteuert. Eine Friseu-
rin, die ihr Leben lang für den halben
Durchschnittslohn Haare schnitt, kann
dann mit 1000 Euro Rente statt Alters-
Hartz-IV rechnen. Zur Wahrheit gehört je-
doch auch: Es braucht noch mehr Maß-
nahmen, um Altersarmut zu verhindern.
Die Grundrente wirkte in den vergan-
genen Monaten wie das Paradebeispiel
dafür, dass die große Koalition keine
Zukunft hat. SPD und Union stritten hin-
gebungsvoll, aus sachlichen, aber beson-
ders aus taktischen Gründen. Die SPD
hat mit dem geplanten Zuschuss für drei
Millionen Niedrigrentner ein massen-
taugliches Thema entdeckt, mit dem sie
sich von CDU/CSU sozial abheben kann.
Weil der Union ein eigenes Rentenkon-
zept fehlt, reagierte sie auf den Vorstoß
sichtlich panisch.
Diese taktischen Erwägungen über-
deckten die Sachdifferenzen, die es auch
gibt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
wollte auf eine Bedürftigkeitsprüfung
verzichten, um keinen Senior abzuschre-
cken. Jeder dritte berechtigte Ältere bean-
tragt heute nicht Hartz IV, weil er sich vor
dem Gang zum Amt schämt. Die Union
wiederum wandte ein, dass es ohne jede
Prüfung sehr teuer wird, weil übermäßig
die Falschen profitieren. Beide Seiten ha-
ben einen Punkt.


Lässt man das Parteitaktische außen
vor, erschien immer ein Kompromiss
möglich: Das Einkommen prüfen, damit
vor allem jene Grundrente bekommen,
die sie wirklich brauchen – aber ohne
abschreckende Ausforschung jedes er-
sparten Euros. Lassen Union und SPD die
Taktik im Schrank, können sie sich nun
in ihrer Arbeitsgruppe auf so einen Kom-
promiss verständigen. Dann bekommt
keine Friseurin Grundrente, deren Ehe-
mann hohe Altersbezüge hat oder die
selbst nennenswerte Mieteinnahmen
kassiert – eine sinnvolle Einschränkung.
Forscher von DIW und Bertelsmann-Stif-
tung errechneten gerade, dass sonst viele
Senioren mit höheren Einkünften profi-
tieren würden.
Ohne Widersprüche ist die Grundren-
te leider auch dann nicht, wenn nun der
notwendige Kompromiss gelingt. Den
Rentenaufschlag soll nur bekommen,
wer 35 Jahre Beiträge in die gesetzliche
Alterskasse nachweist. Wer nur 29 oder
34 Jahre hat, bleibt in der Grundsiche-
rung, also Alters-Hartz hängen – obwohl
er lange arbeitete. Darüber sollte die Re-
gierung noch mal nachdenken.
So oder so wäre es wichtig, endlich die
Grundrente einzuführen, an der die bei-
den vorherigen Regierungen scheiterten.
Die Altersarmut nimmt zu. Es gehen in
nächster Zeit mehr Alleinerziehende, Ge-
ringverdiener und Ostdeutsche mit lan-
ger Arbeitslosigkeit in den Ruhestand.
Gesellschaftlicher Wandel, zunehmende
Ungleichheit und schwindende Verhand-
lungsmacht der Arbeitnehmer wirken
sich für sie direkt aus. Wenn nichts ge-
schieht, wird in 20 Jahren mehr als jeder
fünfte alte Mensch armutsgefährdet
sein, also nach heutigen Werten über we-
niger als 900 Euro im Monat verfügen.
Andere Industrieländer haben längst
eine Grundrente. Deutschland braucht
sie auch. Noch besser als die nachträgli-
che Reparatur von Altersarmut wäre aller-
dings, vorzubeugen. Mehr Qualifikation,
stärkere Gewerkschaften und mehr Be-
rufschancen für Mütter bewirken, dass
Altersarmut erst gar nicht entsteht.


DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 HMG 23


WIRTSCHAFT


Das Coachella Valley in Kalifornien hat ein
interessantesGeschäftsmodell entwickelt:
Jeder darf hier sein, wie er will Seite 32 Der Kapitalismus kriselt, sozialistische Ideen sind
wiederpopulär. Umso wichtiger, dem Vergessen
entgegenzuwirken. Der Samstagsessay Seite 24

Für Alexander Hagelüken
muss diegroße Koalition
jetzt zeigen, dass man sie
überhaupt braucht.

Wie eng sind die Bande zwischen
der Bundeswehrund der
Rüstungsbranche?  Seite 25

Gefährliche Nähe


Libra nicht


Facebook erregt mit einer Digitalwährung


Aufsehen. Das Netz-Geld soll global sein,


stabil – und auch noch die Armen retten.


Selbst Experten fallen auf die


Werbesprüche des Konzerns herein


Tal der Coolen


Sehnsucht Sozialismus


GRUNDRENTE

Die Altersarmut


kommt


Wenn nichts geschieht, ist


in 20Jahren jeder fünfte alte


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