Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1

In dieser Woche wurde auf den US-Fi-
nanzmärktendas Geld ziemlich knapp.
Die Notenbank musste mit Milliarden
aushelfen, um den ausgetrockneten Geld-
markt am Leben zu erhalten. Dies steht in
einem seltsamen Kontrast zu der Tatsa-
che, dass an diesem Samstag die weltweit
größte Messe für Flüssiges eröffnet wird,
das Münchner Oktoberfest. Es wird wie-
der sehr feucht zugehen, Liquidität wird
im Übermaß vorhanden sein, nichts wird
austrocknen. Wie kann es sein, dass sich
bei dem Thema diesseits und jenseits des
Atlantiks eine solche Kluft auftut? Kann
man das nicht irgendwie ausgleichen?
Auch ein anderes ökonomisches Pro-
blem der Gegenwart ließe sich mit Hilfe
der Wiesn lösen: Das Inflationsziel der Eu-
ropäischen Zentralbank liegt nahe zwei
Prozent. Weil die Preise aber weniger stei-
gen, hält sie die Zinsen bei Null. Auf der
Wiesn kostet die Mass Bier dieses Jahr im
Schnitt 11,60 Euro, ein Plus von 3,2Pro-
zent, wie die Hypo-Vereinsbank in ihrem
Oktoberfest-Preisindex feststellt. Wenn
es alle so machen wie die Wiesn-Wirte,
könnten die Zinsen wieder steigen und
die Sparer würden nicht mehr enteignet.
Seltsamerweise boomt die Wiesn trotz
der stark steigenden Preise. 2018 gab es
wieder Rekorde: 6,3 Millionen Besucher,
7,9 Millionen Mass. Die Hypo-Vereins-
bank erklärt dies mit dem nach dem
schottischen Ökonomen Robert Giffen
(1837-1910) benannten Paradox. Danach
wird unter bestimmten Umständen mehr
konsumiert, wenn der Preis steigt. Das
gilt vor allem für schwer zugängliche
Güter wie etwa ein Platz im Wiesnzelt.
Das Oktoberfest in München löst dem-
nach drei ökonomische Probleme auf
einen Schlag: Liquiditätsschwäche, Infla-
tionsschwäche und Nachfrageschwäche.
Schade, dass sie in zwei Wochen wieder
vorbei ist. Wer nur ein bisschen was von
Wirtschaft versteht, für den steht des-
halb fest: Es braucht eine weltweite,
ganzjährige, täglich 24 Stunden geöffne-
te Wiesn. harald freiberger


von frederik obermaier,
klausott und mike szymanski

Berlin/München– Die Frist läuft am Mon-
tag ab. Bis dahin haben 17 Beschäftigte des
Rüstungs- und Raumfahrtkonzerns Air-
bus Zeit, sich zu dem Verdacht zu äußern,
sie seien in mutmaßlich illegale Vorgänge
verstrickt. Sie hätten sich Zugang zu ver-
traulichen Planungsunterlagen der Bun-
deswehr verschafft oder solche Papiere
möglicherweise genutzt, um beim Wett-
lauf um lukrative Rüstungsaufträge die
Konkurrenz auszustechen. Es soll um Be-
schaffungsvorhaben der Bundeswehr bei
der Satelliten- und möglicherweise auch
der Gefechtsfeldkommunikation gehen,
die digitalisiert werden soll. Die Staatsan-
waltschaft München I hat dazu diese Wo-
che wegen des Verrats von Betriebs- bezie-
hungsweise Amtsgeheimnissen Ermittlun-
gen aufgenommen. Auch der Verdacht der
Geheimnishehlerei steht im Raum. Airbus
hatte die Ermittler selbst über die verdäch-
tigen Vorgänge informiert und das Ergeb-
nis einer seit Herbst 2018 laufenden inter-
nen Ermittlung an die Staatsanwaltschaft
übergeben.

Bis Montag will das Unternehmen nun
von 17 verdächtigen Mitarbeitern – darun-
ter ein Abteilungsleiter – wissen, ob und
gegebenenfalls wie sie an die vertrauli-
chen Dokumente gelangt sind. Die Be-
schäftigten sind freigestellt. Im Verteidi-
gungsministerium wird jetzt erst, nach
Hinweisen von Airbus und in enger Ab-
stimmung mit der Staatsanwaltschaft, er-
mittelt. „Im Moment ist es noch nicht nach-
vollziehbar, wie diese Dokumente in den
Besitz von Airbus-Mitarbeitern gelangt
sind“, sagte eine Sprecherin. Es werde ge-
prüft, „in welcher Weise Bundeswehrange-
hörige in den Vorgang involviert sind“.
Dabei hat Verteidigungsministerin An-
negret Kramp-Karrenbauer (CDU) doch
schon genug Probleme bei der Truppe.
Das Beschaffungswesen steht unter ver-
schärfter Beobachtung. Rechtswidrige
Auftragsvergaben an Externe beschäfti-
gen seit Jahresanfang einen Untersu-
chungsausschuss im Bundestag. Bislang
hat er eine gefährliche Nähe zu Beratern
aufgezeigt, die Einfluss an zentralen Stel-
len des Ministeriums ausübten. Und nun
landen vertrauliche Papiere bei Airbus, ei-
nem der wichtigsten Partner der Bundes-
wehr bei Rüstungsvorhaben. Deshalb
steht auch für Airbus viel auf dem Spiel.
Der Vorgang, der nun die Staatsanwalt-
schaft München I beschäftigt, hatte im
Spätsommer 2018 begonnen. Damals war

einem Angestellten der Sparte Rüstung
und Raumfahrt bei Airbus ein Dokument
aufgefallen, das im Konzern offenbar gar
nicht hätte vorliegen dürfen. Der Mitarbei-
ter informierte darüber die Rechtsabtei-
lung.
In dem mehrseitigen Dokument ging es
um ein Nachfolgeprojekt für die Satelliten
COMSATBw-1undCOMSATBw-2,diein
die Jahre gekommen sind. Bei dem betref-

fenden Papier dazu handelt es sich um ein
FFF-Dokument. FFF bedeutet: Fähigkeits-
lücke und funktionale Forderungen. Ein
solches „Triple-F“-Dokument entsteht
am Anfang eines Beschaffungsprozesses.
Es markiert den Übergang von der Analyse


  • was braucht die Bundeswehr genau und
    was soll das Produkt können – zur Verwirk-
    lichung: Wie kommt die Bundeswehr dar-
    an? Lässt es sich einkaufen oder muss es


neu entwickelt werden? Solche Informatio-
nen sind äußerst wertvoll für potenzielle
Auftragnehmer. Im konkreten Fall geht es
um die Satellitenkommunikation der Bun-
deswehr, mit der sie Kontakt in die Einsatz-
gebiete hält. Seit 2010 hat die Bundeswehr
zwei eigene Satelliten,COMSATBw-1und
COMSATBw-2, im Einsatz. Deren Übertra-
gungskapazitäten genügen jedoch nicht.
Die Bundeswehr muss zusätzliche Kapazi-

täten anmieten, um Daten und Informatio-
nen etwa mit den Soldaten im Anti-Terror-
Kampf im Irak oder in Mali auszutau-
schen. Der Vertrag darüber wurde 2016
verlängert, läuft bis 2023 und ging nach SZ-
Informationen damals an Airbus. Das Un-
ternehmen hatte sich gegen zwei Mitbe-
werber durchgesetzt. Auftragswert: etwa
113 Millionen Euro. Längst arbeitet die
Bundeswehr an einem Nachfolgesystem,
es soll internen Unterlagen zufolge sicher-
stellen, dass die Bundeswehr „Handlungs-
und Führungsfähigkeit“ in weltweiten Ein-
sätzen langfristig gewähren könne. Für
dieses Schlüsselprojekt unter den Rüs-
tungsvorhaben soll das Triple-F-Doku-
ment erstellt worden sein, das offenbar im
März 2018 vom Generalinspekteur der
Streitkräfte, damals hatte General Volker
Wieker den Posten inne, unterzeichnet
worden war. Über seinen Schreibtisch lau-
fen zentrale Beschaffungsvorhaben.

Ein weiterer Entwurf eines FFF-Doku-
ments, der bei Airbus gefunden wurde, hat
ein Projekt namens D-LBO zum Thema:
die „Digitalisierung landbasierter Operati-
onen“. Das betrifft die Kommunikation im
Gefecht, die Vernetzung vom einzelnen
Soldaten mit seinem Fahrzeug und dem
Gefechtsstand. Der Kämpfer wird mit digi-
taler Technik ausgestattet. Fürs Heer ist
dies eines der bedeutsamsten Projekte für
die Zukunft. Ein erster Testverband er-
probt die neue Technik, das Milliardenpro-
jekt soll zügig vorangetrieben werden. Das
nächste Mal, wenn die Bundeswehr die
schnelle Eingreiftruppe der Nato stellt, im
Jahre 2023, will sie mit modernster Tech-
nik antreten.
Die Papiere könnten von mehreren Stel-
len zu Airbus gelangt sein. Aus dem Pla-
nungsamt der Bundeswehr in Berlin, oder
aus dem Beschaffungsamt in Koblenz, das
ebenfalls früh eingebunden ist. Eine weite-
re Quelle ist das Verteidigungsministeri-
um selbst. Bei Airbus gibt es offenbar bis-
lang keine Hinweise auf die Herkunft des
Dokuments. Der Konzern hatte, nachdem
einem Mitarbeiter die Unterlage aufgefal-
len war, interne Ermittlungen eingeleitet
und die Anwaltskanzlei Roxin damit beauf-
tragt.
Mehrere Mitarbeiter wurden befragt,
Anfang 2019 wurden mehrere Büros durch-
sucht, E-Mails gesichert und Handys für ei-
ne genauere Untersuchung eingesam-
melt. Wie genau die vertraulichen Doku-
mente, die „Nur für den Dienstgebrauch“
vorgesehen waren, zu Airbus gelangt sind,
fanden die internen Ermittler nach SZ-In-
formationen dabei nicht heraus.

World Wide Wiesn


Eine Ausweitung des
Oktoberfests löst zentrale
ökonomische Probleme

DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 HMG WIRTSCHAFT 25


Gefährliche Nähe


Der Fund von vertraulichen Dokumenten bei Airbus deutet auf zu enge
Verbindungen zwischen Bundeswehr und Rüstungsbranche hin

Die Papiere könnten
von mehreren Stellen
zu Airbus gelangt sein

Es werde geprüft, „in welcher
WeiseBundeswehrangehörige
in den Vorgang involviert sind“

Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren ein guter Kunde von Airbus.
ImBild: Ein Soldat am Flughafen nahe des Stützpunktes in Gao im Norden Malis.
FOTO: KAPPELER/DPA

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