Berliner Zeitung - 21.09.2019

(Ron) #1

66 21./22. SEPTEMBER 201921./22. SEPTEMBER 2019


E


sgibtsieinjederEigenheimsiedlung:Gärten,dienicht
ausErdeundPflanzen,sondernausgeschottertemGra-
nit,QuarzundKiesbestehen.Zuweilenragtausderto-
tenMaterieeinakkuratgeschnittenerBuchsbaum,eine
asiatischanmutendeZierkiefer,eineinsamerGrasbüscheloder
einBaumarkt-Buddhahervor.Dazugibtesoftnochzierende
Plastik-oderBetonelementeoderFelsbrockenundnatürlichge-
pflasterteBereiche.
DerBerlinerBotanikerUlfSoltaunenntdiesesPhänomenGar-
tenmord.Erdokumentiertundkommentiertesa ufdersatirischen
Facebook-Seite„GärtendesGrauens“,EndeSeptembererscheint
dasdaraushervorg egangeneBuch.Derenorme Erfolg
seiner Aktivitätenzeigt, dass es vieleMenschen
erschüttert, was Schotterfreunde auf ihren
Grundstücken anrichten. Offenbar ist
Steinstatt Grüneinernstzunehmen-
derTrend,jedenfallsgibtessolche
Gärten immer mehr.Natur-
schützer schlagen Alarm, die
Lokalpolitiküberlegt,wassie
gegendieZerstörungpriva-
terGrünflächenanrichten
kann, ersteKommunen
arbeitenanVerboten.
Eine pflanzenfreie
Gartengestaltung ist
nicht nur ein ästheti-
sches,sondernein
ökologischesProblem.
Schottergärten funk-
tionierennurbeitotaler
Leblosigkeit. EinFließ
odereineFoliestopptje-
desWachstumvonunten,
erstickt nicht nur Löwen-
zahn und Giersch, sondern
auch im Boden lebendeMi-
kroorganismen.Darauf breitet
man eine dicke Schicht kleiner
oder größerer Steine aus,das soll
offenbareine klare, saubereWirkung
erzeugen. Zuweilen werden solche Flä-
chen als „asiatisch“angepriesen, was eine
kompletteVerkennungeineraltenundkomplexen
Gartenkulturist.So odersogehtesumMonotonieund
Ordnung,dieaberunterfreiemHimmelkaumaufrechtzuer-
haltensind.DennsobaldsicheinLüftchenregt,verteiltdie
Natur Blätter,Früchte,Samenkapseln,Pollen und Organi-
schesallerArtaufjederFläche.AuchaufdemSchotter.
Daderabernichtgeharktwerdenkann,wirddasuner-
wünschteMaterialmeistmitLaubpusteroder-saugerbe-
seitigt.Trotzdemerwischtmanniealles,inZwischenräu-
menbildetsichHumus,ausdemunweigerlichneuesLe-
benerwacht.DirektandenSteinensiedelnsichaußer-
dem Moos und Algen an, daher greifen viele
Schottergärtner zu Gift und Hochdruckreinigernoder
sieflämmenihreSteineab.DasisteineödeSisyphusar-
beitundverhindertnicht,dassdasGrauüberkurzoder
langnichtmehrklinischreinerstrahlt,jawomöglichso-
garschmuddeligwirkt.NachdreibiszehnJahrensollten
die Steineerneuertwerden, das meinen zumindestviele
Gartenbauunternehmen.Dieverdienen allerdings auch
daran:Esistnichtbillig,tonnenweiseSteinezukaufen,zu
bewegenundzuverlegen.
Wastreibt Menschen dazu, sich das anzutun?Istesder
HassaufPflanzenoderNachbarn,diebeimAnblickihrerGär-
tentraurigwerden?DiedeprimierendeWirkungdergrauenGär-
tenbelegteineSchweizerStudie,SoltauweistinseinemVorwort
aufsiehin.InseinemBuchsindGrundstückemitbedrückender,
garbeklemmendaggressiverAusstrahlungzusehen.Inmanchen
steckt auch eine zwanghaftwirkende Mühe,dawerden Muster
undgoldeneKantengelegtoderHunderte QuadratmetermitStei-
nenbedeckt.
NichtalleSchottergärtensindganzsobizarr.DasBuchzeigt
auchdiefastschonalltäglicheKieselödeinReihenhaus-Vorgär-
ten.Vermutlich wirdsoe twas aus durchaus nachvollziehbaren
Motivenangelegt,etwawenndie OmanichtmehrdurchsGrün
kriechenundjätenkann.OderwennMenschen,zumBeispielar-
beitendeEltern,einfachkeineZeitfürdenGartenhaben,aber
auch keine struppigeSpontanvegetationvorder Haustü rwol-
len.GartenbaufirmenundBaumärkt elocke nsiemitSchlagwor-
tenwie Funktionalität,KomfortundÄsthetik.Undnatürlichin-
formieren die Anbieterweniger vehement darüber,dass das
adrette Kieselbeetregelmäßiggereinigtwerdenmuss .Oderdass
versiegelte und teilversiegelteFlächen (und als solche gelten
Schottergärten)dieAbwasserkostenerhöhen,dassdieSteinedie
UmgebungstemperaturaufheizenunddieSpeicherungvonCO 2
imBodenverhindern,dasssiekeinenFeinstaubausderLuftfil-
ternwiejedesnochsolangweiligeBlattestut.


MEIN PLATZ


StefanWalter pendelt


zwischen Müggelhortund


Kelchsecke


Beruf: Grafiker;Alter:57; geboren in Düsseldorf; wohnt in: Neukölln; Zeit am Platz: mehrereTage dieWoche. BENJAMIN PRITZKULEIT

D


ieses Haus ist eins der ältesten auf
Kelchsecke,einer wirklich kleinenIn-
sel,dienochjenseitsvomMüggelseeinder
Spreeliegt. Es gibt nurWochenendhäuser,
ganz so wie in einerGartenkolonie–ein
Idyll, fernabvonallem, obwohl es sogar
noch zuBerlin gehört.NurdreiGebäude
sind zweigeschossig und größer als die an-
deren: Dashieristeinesdavon,mindestens
100Jahrealtwir desw ohlsein.Aberdieletz-

ten 27 Jahrehat quasi keinMensch das
Grundstückbetreten,sohabenesdieNach-
barnerzählt. Alles ist baufällig, dieDecken
sindhalbeingestürzt.
JetzthatdasHauseinenneuenBesitzer.
EinguterFreundvonmir,derArchitektist,
plant dieInstandsetzung, und ich bin der
KümmerervorOrt.Ichhalte Kontaktzuden
Insulanern, ich sehe zu, dass dieBaustelle
läuft.Bisvorkur zemwarderOrtganzzuge-

wuchertundverwunschen,mankonntedas
HausvomWasserauskaumausmachen.Erst
einmalhabeichallesgerodetundeinenfes-
ten Steg gebaut.Eine Toilette,einen Kühl-
schrank,einenGasherdgibtesnunauch.Ich
habeaußerdemeinTransportfloßbauenlas-
sen.
Erstpendeleichselbstmiteinemkleinen
Motorboot zurInsel. Dann fahr eich mit
demFloßzumFähranlegerMüggelhort,um

VonJörg Niendorf (Text)
und Benjamin Pritzkuleit (Fotos)


die Bauarbeiter abzuholen.DieGerüst-
bauer waren da, jetzt ist es einBauunter-
nehmen, und bald kommenZimmerleute.
Solche Firmen haben doch kein eigenes
Boot.
Wirschippernalso morgens um sieben
überdenSpreekanal,dannistaufdemWas-
sernochnichtslos,keinBootweitundbreit.
Kaum ein Geräusch, nurStille.Das ist eine
traumhafteZeitindieserEcke.

EinGrundfüreinpflanzenfreiesDesignistsicherauch,dass
vieleMenschennichtwissen,wieeinfachihrWunsch
nach einem pflegeleichten, klar strukturierten,
ordentlichenGartenmitden Bedürfnissen
der Natur zu vereinbaren ist.Dass es
viel einfacher und preiswerter ist,
mitalsgegensiezuarbeiten.Wo
Pflanzen sich wohlfühlen,
wachsen sie fastvonallein
und so dicht, dass kein
Unkrautdurchkommt.
Gärtner nist keine
Zauberei, solange
man die Bedürf-
nisse desGrüns
respektiert.Und
die heißen zu-
allererst Licht
und Wasser.
Istein Beet
sonnig oder
schattig, ist
es trocken
oderfeucht?
Istdas ge-
klärt, kön-
nen wir
schonaussu-
chen und
einbuddeln.
Stauden eig-
nen sich am
besten, das sind
langlebige Ge-
schöpfe,manche
werden Jahrzehnte
alt. Derfrühe Herbst
ist die perfekteZeit sie
zu pflanzen, dann wur-
zelnsie vormWintereinund
legen imFrühling richtig los.
Weresp uristisch mag, wählt nur
eine einzige Art, die den Boden
schlicht und niedrig bedeckt: Thymian,
MauerpfefferundWollziestfühlensichinder
Sonne wohl.Haselwurz,Immergrün,Efeu oder
Gelber Elfenspiegel gedeihen im Schatten, auch im tro-
ckenen.Walderdbeeren, dieruckzuck ganzeGärten er-
obernundaußerdemhübschblühenundleckereFrüchte
tragen, liebenHalbschatten. Alle diese Pflanzen–und
viele andere–sind langlebig, genügsam, winterhart,
wintergrünundperfektfürAnfänger.Außerdembieten
sieInsektenFutter.AuchGräserkönnenhübschausse-
hen,auchsiegibtesfürjedenStandort. JederGärtner
unddas InternethelfenbeiderAuswahlderpassenden
Bodendecker.
Nichtnur kompakteBlattflächen, auch hohe,kun-
terbunte,sich lässig imWind wiegendeBlütenmeere
können sich, einmal gut eingewachsen, sozusagen
selbstverwalten.MannenntdasdannPräriegärtenoder
NewGerman Style,dasprominentesteBeispielistdieBe-
grünung derHigh Line ,einer stillgelegtenNewYorker
Hochbahnstrecke,durch den Niederländer PietOudolf.
DafürgibtessogarfertigePflanzenmischungeninderGärt-
nerei. Vieledavonsindsounkompliziert,dasssienichtnurin
privatenGärten,sondernauchaufVerkehrsinselnundGewer-
beflächengrünenundblühen.
SichvoneinerSchotterkompositionzutrennenundsiezure-
vitalisierenmachtMüheundMüll,keineFrage.Aberam Endebe-
lohnt man sich selbst mit einem viel schöneren, lebendigeren,
pflegeleichterenGrundstück. Menschen undTierewerden sich
freuen. WährendFließ undFolie auf demRestmüllhof landen,
können zumindestTeile der Steine in einer sonnigenEcke ein
zweitesLebenalsHaufenbeginnen.WerneugierigistundNatur-
nähe erträgt, wartet ab,was dor tmit der Zeit alles keimt und
wächst.AlleanderenpflanzenSteinpflanzenundZiergräser ,viel-
leicht auch ein paarrobuste Kräuter.WärmeliebendeInsekt en
undEidechse nwerde nSchotterundgrößereBrockenschnellals
Lebensraumentdecken.UndwerordentlichenSteineinfachsehr
gernhat,kannWege,Treppen,Mauer nundTerrassengestalten,
dieesimGartenjatrotzdemnochgibt.

UlfSoltau: Gärten desGrauensEichborn-Verlag,Köln2019.128 S.,14Euro

Sabine Rohlfhätte auchgern weniger Gartenarbeit und überlegt,
das Gemüse- in ein Präriebeet zuverwandeln.

Entschottert


euch!


SteinstattGrünisteindeprimierenderTrend


inderGartengestaltung.Dabeigibtesgenügend


Pflanzen,diewenigerArbeitmachenalsein


leblosesKieselbeet


VonSabine Rohlf


So grau und leblos:
Schottergärten in
verschiedenen
Variationen. Aus Ulf
Soltaus Buch „Gärten
des Grauens“, das
Ende des Monats
erscheint.
ULF SOLTAU (3)
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