21./22. SEPTEMBER 2019 7
I
ndiesemAugenblicktratMajorCram-
pasanEffiheranundbat,sichnachih-
remBefindenerkundigenzudürfen.
EffiwarwiemitBlutübergossen.“Die
wenigenZeilenausdemRoman„EffiBriest“
eröffnendenKosmosvonTheodorFontane:
GesellschaftlicheKonventiontrifftaufüber-
bordende Emotionalität,preußischeOffi-
zierebegehrenFrauen,diekindlichempfin-
den. Dasreibt sich, istvollerWiderspruch –
und nahezu immerverlieren amEnde die
Frauen, so wieEffi Briest, die berühmteste
vonFontanesFiguren.
Daran,dasserdasfüreinehimmelschrei-
endeUngerechtigkeithält,lässtFontanekei-
nen Zweifel. DerSchriftsteller ist berühmt
fürdieempathischeDarstellungseinerHel-
dinnen. Im Fontane-Jahr entdecken die Le-
serinnen und Leser ihn neu und sind faszi-
niert,wietieferindiePsycheder Frauenein-
taucht. Vor200 Jahren geboren, scheint er
Frauen besser zuverstehen als mancher
Mann heute.Das macht neugierig, sich ihn
alsAutorund Mannnäheranzugucken.War
er wirklich so einFrauenversteher,wie der
ersteEindruckesvermittelt?
GEHENWIRZURÜCKZUEFFI:Sieliebtund
leidet–undstirbtamEndeklaglosimelterli-
chenGarten.UndnichtnurEffifälltinsBo-
denlose.DertiefeSturznachhohemFlugist
einwiederkehrendesMotiv.CorinnaSchmidt
wehrtsichin„FrauJennyTreibel“gegenihr
Schicksal,umsichdannmitdemihrgesell-
schaftlichzugedachtenWegzub escheiden.In
„Irrungen,Wirrungen“verzichtetLeneaufihr
Glück,damitihrGeliebter,einverarmterBa-
ron,eine reicheFrauheiratenkann.DerDich-
terscheinthin-undhergerissendazwischen,
Frauenzuermutigenundantiefkonservativer
Konventionfestzuhalten.
WiewichtigihmFrauensind,schreibtFon-
tane in einemVers.„Wasist aus Dichtern
schonallesgeworden?Hofräte,mitundohne
Orden; –MiraberscheintderPreisauf Erden:
VonFrauenherzenverstanden zuwerden.“
DieZeilenstammenvermutlichausdemJahr
1853.DreiJahrezuvorhatteFontaneimAlter
von30J ahren seineJugendfreundinEmilie
Rouanet-Kummer geheiratet und ein langes
Junggesellenlebenaufgegeben.
Eines,das er für manchesAbenteuer ge-
nutzthat,wiedieSchweizerFontane-Biogra-
finReginaDieterleweiß.„E rerzählteinmalals
24-Jähriger,wie er eine 32-jährigeDame zu
verführen versuchte“, schreibt sie.Reif und
dunkelhaarig gefielen ihm dieFrauen. Fon-
tanehatteGlück:SeineZeitauf Freiersfüßen
fielindieVierzigerjahredes19. Jahrhunderts.
„Das war eine libertineZeit –besonders für
Männer“, sagtDieterle.Die französischeRe-
volution und dieHerrschaft Napoleons hat-
tendieLänderEuropasdurcheinandergerüt-
telt. DieromantischeEpoche mit derMusik
vonFranz Schubertund den Gedichten von
Novalisschwangnach.
Fontane hatte–trotz seinerNeigung zur
Literatur–zunächst eineApothekerausbil-
dungangetretenundvollendetedieseinBer-
lin, Leipzig undDresden. Überall fand er
schnell Freunde: SeinWitz, seineStegreifge-
dichte und seineRollenspiele machten den
gutaussehendenjungenMannauchinhöhe-
renKreisenbeliebt.UndbeiFrauen.„Diejun-
gen Mädchenrissen dieFenster auf“,wenn
Fontane in Leipzig durch dieGassen kam,
schreibteineZeitzeugin.
Undder Apothekergehilfe scheint öfters
stehengebliebenzusein.„EinBriefFontanes
ausdemJahr1847belegt,dasser–vermutlich
inDresden–zweiunehelicheKinderhatte,für
dieerzahlte“,sagtDieterle.EinDresdnerGe-
richtverdonnerte FontanezudenAlimenten.
WerdieKinderwaren,wosiegebliebensind,
istunbekannt.FontanesFrauräumtespäter–
mitEinverständnisihresMannes–dieKorre-
spondenzenaufundvernichtete,wasdieÖf-
fentlichkeitnichtsanging.
Mechthild Henneke
findet immer neue Seiten
an Fontane.
LEBEN &STERBEN
Der langeAbschied
A
bschiednehmenistnieleicht.Aberman
kannessichauchbesondersschwerma-
chen.Nehmenwirzusammenan,dassOma
schonsehrkrankistundnichtmehrlangele-
ben wird.DieÄrzte geben ihr nur noch ein
paar Monate,und weil sie zu krank und zu
schwachist,umihremTodinWürdezu Hause
aufder Couchentgegenzusehen,brauchtsie
intensivePflege.Nennen wir dasKind beim
Namen: Neben allem anderen muss irgend-
werOmaden Hinternabwischen,weilsiees
selbst vielleicht nicht mehr kann.Außerdem
mussihrjemandMedikamenteverabreichen
undaufpassen,dasssienichtaufeineunkon-
trollierteEntdeckungsreise geht.Undgenau
andieserHaltestelledesLebenseinerFamilie
kanndieReiseRichtungAbschiedindieun-
terschiedlichstenRichtungengehen.
Dennselbstwenndas VerhältniszurOma
eng undvertrauensvoll ist, selbstwenn es
Mamaund Enkelnmöglichistundnichtsaus-
macht, OmazuH ause zu pflegen, meistens
macht so etwas denAbschied nicht leichter.
ImGegenteil.IchhatteFrauenvormirsitzen,
diesichzuTodeschämten,weilsie Erleichte-
schäftigt ist,Bettpf annen zureinigen?Wenn
irgendwann mal meineOmasterben wird,
washoffentlicherstinvielenJahrenpassieren
wird,dannwillichmichdocheherdaranerin-
nern,wiesiemirleichtangetüdelteinenver-
sautenWitzer zählthat.Undnicht,wieichihr
denHinternsauberm achte.
Es ist sehr wichtig, dass man sich dieser
Untiefenbewusstwird.Sonstkanneseinem
ergehen wie derMutter der früheren MTV-
ModeratorinSophie Rosentreter,die mir die
traurige GeschichteihrerMamaer zählte.So-
phies Großmutte rwurde dement.Sophies
Mutter fühltesichverpflichtet,ihreMamazu
pflegen.DochdiePflegederdementenDame
wars okräftezehrend,dasssiekurznachdem
Todder Omaselberkrank wurde und bald
darauf verstarb.
Wasalsotun, wennder Todnahtundder
sterbendeMensch Pflege benötigt, die man
alsFamiliee igentlichnichtmehrleistenkann,
ohne sich selbst aufzugeben?Eine sehr gute
Ideeis tes,sich überdieStandorteundMög-
lichkeitenumliegenderHospiz ezuinformie-
ren.Mehral s230stationäreHospizeundüb er
Heute: EricWrede, Bestatter
1500ambulanteHospizdienstegibtesinzwi-
scheninDeutschl and.Hospizeundauch Pal-
liativstationenübernehmengenaudieAufga-
ben,vondenenichebensprach.Siesindda-
für da, es dem sterbendenMenschen und
auchseinenAngehörigensoleichtwiemög-
lich auf diesem so schwerenWegdes Ab-
schiedszumachen.
EsgibtbestimmteRegelnin Hospizen,d ie
eineGrundlagefürdieseErleichterungschaf-
fen, zumBeispiel eine begrenzte Anzahlvon
Betten,damitjederPatientdenFreiraumbe-
kommt, den er braucht.Manche dieserEin-
richtung en machen es möglich, dassOma
nocheinmalanihrengeliebtenOstseestrand
fahren kann oder auf demPonyhof denGe-
ruchvonfrischenPferdeäpfelngenießendarf,
weilsiedassoanihreKindheiterinnert.Und
ja, in Hospizen werden auchHinternabge-
wischt, damitIhreuch in der gewonnenen
ZeitvonOmaeinendreckigenWitzerzählen
lassenkönnt.
rung verspürten, alsOmaendlich gestorben
war.WeilsiesichselbstinderPflegesoveraus-
gabtundverlorenhatten,dassdieeigenenso-
zialenKontaktezerbröckelten.WeilsoeineIn-
tensivpflege eine gigantische Aufgabe ist.
Oderweildas VerhältniszuOmaauchdeswe-
gen immer schlechter wurde,weilman si ch
nunmalnichtaufAugenhöhebewegt,wenn
man einer anderenPerson denHinternab-
wischt.
Ichbinsehrskeptisch,wennichmitMen-
schenspreche,diesich vorgenommenhaben,
ihreAngehörigenaufderZielgeradeihresLe-
bens so eng zu begleiten.Dann berichte ich
ihnen vonden zahlreichenAufgaben, die so
eine Pflege mit sich bringt.Wieviel Zeit und
Mühen dieseAufgaben kosten.Undwelche
Auswirkungen das auf dasVerhältn is zwi-
schenPflegerundGepflegtemhabenkann.Es
warOma,di eMamafrüherdieWindelnwech-
selte.Wasma chtesm itOma,wennam Ende
ihres Lebens dieRollen plötzlichvertauscht
sind?U ndwiesollman Zeitdafürfinden,be-
sondereErinnerungenaneinenMenschenzu
schaffen,wenn man viel zu sehr damit be-
NächsteWocheschreibt an dieser Stelle die
Hebamme Sabine Kroh.
TheodorFontane und seineTochter Mar-
tha, mit der er ein engesVerhältnis pflegte
und nach derenVorbild er Romanfiguren
gestaltete. THEODOR-FONTANE-ARCHIV (2)
Von
Frauenherzen
verstandenwerden
TheodorFontanekamseinenRomanheldinnensonahwiekeinanderer
SchriftstellerseinerZeit.SeinVerhältniszumanderenGeschlechthatte
jedochBrüche.EmanzipationwarihmsogareinGräuel
VonMechthild Henneke
schriebeineNovelle,dieFontaneeinermo-
dernenFrauenillustriertenanbot“,sagtDie-
terle.DieZeitschriftlehnteabunddieTochter
gabauf.
ZuMarthakamenFreundinneninsHaus.
SieinspiriertenFontane,derseit 1876 nurals
Schriftstellerarbeitete.„Manchederjungen
Frauen“,schreibtDieterle,„brachtenihmGe-
schenke–Blumen, Honig, sie bewunderten
ihn.“ErhörtesichihreGesch ichtenundSor-
genan. AusseinenB riefen,besondersausden
Briefenan TochterMartha,lässtsichheraus-
lesen, dass er auch medizinischeRatsch läge
gab.SeinApoth ekerwissenweckteVertrauen,
sichzuöffnen.
FontanewaraucheinguterZuhörer .Man-
cheEpisodemaginseinehöchstaktivelitera-
rischeProduktioneingeflossensein.Zupoliti-
schen Schlussfolgerungen animierte ihn
seine Empathie fürsweibliche Geschlecht
nicht.DieFrauenbewegungwarFontaneein
Gräuel .Den Zeitgenossinnen, dieGeorge
Sand nacheiferten, warfer„Emanzipations-
sucht“vor.„Hosentragen,Zigarren rauchen,
diefreieLiebepostulieren–wob leibtd adie
Weiblichkeit“,beschreibt Dieterle Fontanes
Auffassung in den Vierzigerjahren. Im Alter
hattesichdiesnichtgeändert.Erstdieeman-
zipierte Melusine in seinem letzten Roman
„Der Stechlin“ raucht, was der alte Dubslav
vonStechlinkeineswegsverurteilt.
Dabeiwaren die adeligenFrauen seiner
ZeitdurchausinderLage,auchohneMänner
einzufriedenesLebenzuführen.DerBerliner
AutorRobertRauhhatsichaufdieSpurenvon
ElisabethvonArdennebegeben,diedasVor-
bildfürEffiBriestwar.NachdemScheiternih-
rerEhe und demTodihres Liebhaberslebte
vonArdennebiszumAltervon98Jahrenin
Lindau,wosie–„nobeligbiszudemletzten
Schnaufer“–verstarb,wie ihreKranken-
schwester berichtete.Der traurige Abgang
vonEffibliebElisabetherspart.
FONTANEWOLLTEKEINHAPPYEND. Die
Frauenfigurenkönnten,somutmaßtBiogra-
fin Dieterle,letztendlichfür den Schriftstel-
lerselbstgestandenhaben.„Erwarselbstäu-
ßerst sensibelund befand sich als Künstler
und Schriftstellerin permanentemKonflikt
mitderGesellschaft“,sagtsie.AlsSohneines
einflusslosenApothekersaus Brandenburg
musste Fontane sich jedes Privileg, jede Un-
terstützungdurch Verlage und öffentliche
Geldgeber harterkämpfen.„Die Sachen von
Marlitt,vonMaxRing,vonBrachvogel,Perso-
nen,dieichgarnichtalsSchriftstellergelten
lasse,erleben nicht nur zahlreiche Auflagen,
sondernwerdenauchwomöglichinsVorder-
undHinter-Indische übersetzt; um mich
kümmertsichkeineKatze“,klagteer1879in
einem Brief an Emilie,nachdem er mit dem
Erfolgvon„GreteMinde“nichtzufriedenwar.
Erst „Effi Briest“ bescherte ihm 1895
große Aufmerksamkeit.Fünf Auflagen wur-
den schon im ersten Jahr gedruckt –„der
erstewirklicheErfolg,denichmiteinemRo-
manhabe“, jubelte der Schriftstellerin ei-
nem Brief. Diegescheiterte Frau brachte
Fontane das,wonach er sein ganzes Leben
langgehungerthatte.
EinigeJahrezuvor ,1891,hattederDichter
einenfeuilletonistischenFragebogenbeant-
wortet,indemauchseinVerhältniszuman-
deren GeschlechtThema war.„Wiedefinie-
renSiedieLiebe?–Mirzuschwer.Wiedefi-
nieren Siedie Frau?–Noch schwerer“, ant-
wortete er,wie Dieter le zitiert. Acht Jahre
später,am2 0.September1898,hörteFonta-
nes Herz aufzus chlagen.Tochter Martha
warim Nebenzimmer.
Zum Lesen
Regina Dieterle:TheodorFontane
Biografie. CarlHanser München 2018. 832S.,
34 Euro
RobertRauh: Fontanes Frauen.
Fünf Orte–fünfSchicksale –
fünf Geschichten
Bebra-Verlag,Berlin 2018. 256S.,22Euro
EinDraufgänger also,und einer ,der um
seine Wirkung wusste.Ein Dresdner Freund
nennt Eitelkeit Fontanes „Hauptschwäche“,
wie beim Theodor-Fontane-Archiv inPots-
damzul esenist. Dieter lesiehtihneheralsje-
manden,derdasLebenauskostet.Dieunehe-
lichenKinder,glaubtsie ,entsprangenkeiner
ernsthaftenBeziehung,eherLiebeleien.
SeineEhefrauEmiliewar ,sodieEinschät-
zungdermeistenBiografen,diemitAbstand
wichtigsteFrau in seinem Leben.Mitihr
pflegteFontaneeinefasttäglicheKorrespon-
denz,wenneraufReisenodersiebeiFreun-
denzur Sommerfrischewar.DenBriefenent-
nimmt man:DerDichter war empfindlich
inspiration innerhalb derFamiliewar seine
Tochter Martha. 1860 kam sie zurWelt. Fon-
tanewarbereits40Jahrealt,verdientes einen
Lebensunterhalt alsJourna listund kämpfte
immer nochumAnerkennungalsLiterat.
DasVerhältnis zu rTochter warüberaus
eng.RomanfigurenwieCorinnaSchmidtge-
staltete er nach ihremVorbild. Martha reiste
mit ihm und leistete ihm gerneGesellschaft.
Siewar ausgebildete Lehrerin, was in
Deutsc hland,woFrauenderZugangzurUni-
versität nochverwehrtwar,der bestmögli-
chen Ausbildung entsprach.Dass si eintelli-
gent und geistreich war,erkannte ihrVater.
Auch ihrT alent zur Schriftstellerin. „Martha
BeiFrauen beliebt:Fontane auf derTitelselte einer illustriertenFrauenzeitung im Jahr 1882.
undoftkränklich,EmiliezumeistdieTatkräf-
tigere. Si eschrieb alle seineManuskripte ins
Reine und übte gelegentlich auch Kritik an
Textstellen.„Duhastden Storm’schenBibber
nicht“, warfsie ihm einmalvorund meinte,
seine geschilderten Liebesszenen vibrierten
zu wenig. Sieglaubte zuweilenweniger an
seinTalentalsmanchaußenstehenderFörde-
rer.Abersi ehieltihmdenRückenfrei.
Wenn Fontane ihr auch etlicheGelegen-
heitsgedichtewidmete,seineMusewarE mi-
lienicht.„KeineseinerRomanfigurenistnach
ihrem Vorbild angelegt“, sagtDieterle,„mit
Ausnahme vielleicht der lebenspraktischen
TitelheldinMathi ldeMöhring.“SeineHaupt-