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ie Frau auf der Bühne lässt die Hüf-
te kreisen wie Beyoncé, sie fasst sich
ergriffen an die Brust, als hieße sie
Adele, und streicht sich den langen Zopf
glatt, als wäre sie Ariana Grande. Sie heißt
Kim Petras und spielt an diesem Abend
Anfang September ihr erstes ausverkauf-
tes Konzert in Berlin. Es wirkt manchmal
wie ein Best-of der Gesten großer Stars.
Doch Petras, 27, ist selbst ein Star. Ihre
Songs wurden millionenfach gestreamt. Im
Sommer erschien ihr Debütalbum, »Cla-
rity«, eines der bisher besten Bubblegum-
Popalben des Jahres: Es klingt, als hätte
sie darauf den Sound der Gegenwart, den
der Nullerjahre und den der Achtziger zu
einem kühlen Cocktail vermischt – samt
Sonnenschirmchen.
Petras’ Gesicht war schon mal auf einer
Werbetafel auf dem Times Square in New
York zu sehen, der amerikanische Fern-
sehsender ABC und die Branchenzeit-
schrift »Billboard« nannten sie vor Kur-
zem eine neue »Prinzessin des Pop«. In
den USA hat sich Petras mittlerweile einen
Namen gemacht. In ihrer Heimat Deutsch-
land geht ihre Karriere als Sängerin gerade
erst los.
Stunden vor ihrem Konzert sitzt sie, lan-
ge blonde Haare, schwarz lackierte Finger-
nägel, auf einem Sofa in einem Studio in
Berlin-Mitte. Zuvor hat sie hier für Fotos
posiert, nun erzählt sie ihre Geschichte –
die als seine Geschichte beginnt.
Mit zwei Jahren wusste Tim Petras,
dass er ein Mädchen ist. Mit vier Jahren
schrie er, er schneide sich »das Ding« jetzt
ab. Die Mutter, eine Tanzlehrerin, und
der Vater, ein Architekt, suchten Hilfe
und unterstützten ihr Kind. Zu Hause, in
Uckerath am Rande des Westerwalds,
durfte Tim mit Puppen spielen, Barbie-
Filme gucken und im pinkfarbenen Kos-
tüm im Garten tanzen. Schon als Teen-
ager wurde er offiziell zum Mädchen. Aus
Tim wurde Kim.
»Ich hatte halt Glück, dass meine Eltern
das gemacht haben«, sagt Kim Petras
jetzt. »Und so viele Leute haben nicht
das Glück.« Die Großeltern distanzierten
sich von den Eltern, Nachbarn beschimpf-
ten die Mutter als Hexe, bewarfen
ihr Auto auf dem Weg zur Schule mit
Eiern.
In der Schule wurde Petras »Transe« ge-
nannt, mal schlug ihr jemand ins Gesicht,
mal pinkelte jemand in der Umkleide -
kabine auf ihre Sportsachen. Zu Hause
fand sie Schutz, in ihrem Kinderzimmer.
An den Wänden hingen Poster, eine Wand
für Britney Spears, eine für Paris Hilton.
Petras hörte die Spice Girls, Kylie Minogue
und Beyoncé, wühlte sich auf ihrem PC
durch Fanseiten, durch YouTube und Wiki -
pedia, analysierte die Musikvideos, las
126 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019
Kultur
Die Prinzessin
aus Uckerath
PopKim Petras, als Junge in Deutschland geboren, wird als Sängerin
in den USA gefeiert. Ein Transstar wollte sie zuerst gar nicht sein.
Musikerin Petras: »Ich habe nicht Hunderte Songs geschrieben, um dann nur gefragt zu werden, wie es ist, ein Mann zu sein«
MUSTAFAH ABDULAZIZ / DER SPIEGEL
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