Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

unverschämteste Glück nichts ist ohne List und Wagemut, begann Attilio
Profeti seine Strategie zu entwerfen.


Ein teures Wohnhaus im noblen Viertel Prati, unweit des früheren
Gerichtsgebäudes. Der dunkelgrüne Handlauf aus Serpentin betonte das
elegante Oval der Treppe. Als Attilio auf die Messingklingel drückte, öffnete
ihm eine junge Frau. Ihre Haut war von derselben Farbe wie die
Lakritzästchen, die er als Kind so gerne gelutscht hatte, von hellem Holz.
Rund um ihre Augen, oben und unten, war die Haut etwas dunkler. Der sehr
hohe Haaransatz oberhalb der Stirn verlieh ihr eine adlige Anmutung.
»Ich möchte zu Richter Carnaroli. Ist er zu Hause?«, fragte Attilio.
»Ja. Wen darf ich melden?«
Beruflich hatte Attilio noch nie jemandem erzählt, dass er die Universität
nicht beendet hatte. Nur Casati wusste es – »Ich habe Informationen
eingeholt« –, und das reichte. Die wenigen Male, die er sich zu seinem
Studium erklären musste, hatte der Hinweis auf die Hegelsche
Phänomenologie des Geistes als Thema seiner Examensarbeit genügt, um
weitere Neugier im Keim zu ersticken. So hatte er sich trotz mancher Fragen,
was ein Mann mit Philosophiestudium in einer Baufirma zu suchen hatte, nie
verstecken müssen.
»Dottor Attilio Profeti«, erwiderte er also lächelnd der jungen Frau, die
zu elegant war, um eine Hausangestellte zu sein. »Sie sind die Tochter?«
Sie nickte. Sie musste um die fünfundzwanzig sein, Attilio überschlug
kurz die Jahre und zog seine Schlüsse. ›Sie ist dort geboren. Er hat sie
geheim gehalten, aber anerkannt.‹
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Ich möchte keinesfalls Ihren Sonntagnachmittag stören, aber es
wird gewiss nicht lange dauern. Sagen Sie ihm, dass wir uns in Addis Abeba
begegnet sind, 1939.«
Sie machte große Augen. Ihre dunklen Lider flackerten wie von
plötzlicher Aufregung.
»Addis Abeba ...«, murmelte sie, als spräche sie den Namen eines fernen
Planeten aus. »Folgen Sie mir bitte.«
Sie durchquerten die großzügige Wohnung, die sachlich und ohne jede
Spur weiblichen Geschmacks eingerichtet war. Im Salon angekommen,
wandte die junge Frau sich einer Balkontür zu, die auf die grünen Hügel des

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