Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Von der Gießkanne in der Hand des Richters fiel ein Tropfen eisenrote
Flüssigkeit herab und färbte einen Hausschuh hämoglobinrot. Er merkte es
nicht, sondern blickte verloren in Attilios schönes Gesicht. Er schwankte
leicht unter dem Gewicht des schlechten Gewissens. Ein Leben lang hatte er
es verdrängt, doch im Grunde immer darauf gewartet.


Die betagte Gräfin wurde von Richter Carnaroli für unzurechnungsfähig
erklärt. Die drei Neffen wurden zu ihren rechtlichen Vormunden bestellt.
Bald darauf unterschrieb Casati mit ihnen den Kaufvertrag über das Land. In
dem darauffolgenden Jahr begannen die Bauarbeiten.
»Ich werde dich niemals fragen, wie du das geschafft hast, Profeti«, sagte
Casati nach der Urteilsverkündung.
»Und ich werde es niemals sagen«, erwiderte Attilio.
Es war eine gute Übereinkunft, an die sich beide auch in den Jahren
danach immer hielten.
Bei dieser speziellen Gelegenheit profitierte Attilio auch von seiner
zweiten Qualität, derenthalben Casati ihn eingestellt hatte. Er nutzte sie, um
Clara Carnaroli zu überzeugen – natürlich ohne das Wissen ihres Vaters –,
mit ihm eines der neuen Luxushotels aufzusuchen, in denen auch die
Kinostars logierten. Hier, in einem Zimmer mit Blick auf die Villa Borghese,
behandelte er sie wie die schönste aller Diven von Cinecittà. Während er sich
in ihren Duft versenkte, murmelte er unwillkürlich: »Abeba.« Am nächsten
Morgen fuhr er sie zurück nach Prati zu ihrer Wohnung und sah sie danach
niemals wieder.


An der Beisetzung Rodolfo Grazianis, Marschall von Italien und Markgraf
von Neghelli, verstorben im Januar 1955, nahm General Pietro Badoglio
nicht teil. Auf die Frage eines Journalisten, warum er einem Mann nicht die
letzte Ehre erwiesen habe, der letztlich sein Alter Ego und Rivale gewesen
sei, antwortete Badoglio ausweichend. Nach seiner Meinung über den
verstorbenen Marschall befragt, gab er sich hingegen weniger zugeknöpft.
Obwohl er in der Vergangenheit nicht mit Ausdrücken wie »Psychopath«
oder Schlimmerem gegeizt hatte, zeigte er sich scheinbar nachsichtig. »Ach,
Graziani ... Im Grunde ein guter Mann. Vor allen Dingen ein Mann mit
Haltung. Ein Heerführer der alten Schule.«
Hätte Attilio Profeti den höhnischen Unterton hören können, hätte er ihn

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