benötigten sie nun nicht mehr vor den Äthiopiern, sondern vor den
Engländern, die die Männer in Gefängnisse nach Indien und Kenia brachten
und die Frauen und Kinder in höllischen Sammellagern einschlossen.
Auch das Glück der Äthiopier währte nach Ankunft der Engländer nur
kurz. Kaum war die Fahne der Savoyer am Kaiserpalast eingeholt, wurde der
Union Jack gehisst und nicht der Löwe von Juda. Das stieß auf Widerwillen.
»Ihr talian habt uns geschlagen, habt eure Flagge auf dem gebi des
Kaisers gehisst«, erklärte Ras Mesfin bei einem Abendessen in dem großen
Salon den Familienobersten seiner Gäste – so nannte und behandelte er die
Evakuierten. »Dann haben wir fünf Jahre gegen euch gekämpft. Jetzt sind vor
ein paar Wochen die Engländer gekommen und behaupten, sie hätten euch
verjagt. Wir respektieren die Verlierer der Schlacht, nicht die, die uns den
Sieg geraubt haben.«
Doch die Abneigung gegen die Engländer war nicht nur eine Frage der
Landesfarben. Der Faschismus hatte alles getan, um die italienischen
Ansiedler zur Rassentrennung zu erziehen: wissenschaftliche Theorien,
Gesetze, Strafverfolgung. Alles sinnlos, wie die vielen Mischlingskinder
bezeugten, die sie hinterließen. Die Engländer hingegen hegten einen
instinktiven Abscheu gegenüber schwarzer Haut. Die Bewohner von Addis
Abeba verglichen die beiden Besatzer miteinander und zogen ihre Schlüsse.
Die sie wie immer in Liedform brachten.
Als es »Grazie« hieß,
wuschst du dich selbst
mit deiner Seife.
Nun heißt es »Thank you«,
und mit deiner Seife
wäscht sich der Engländer
und sagt dir dann: »Du stinkst.«Abeba kehrte in ihr kleines Heim zurück. Sie verkaufte weiterhin ihre
Fruchtsäfte, süße Teilchen aus dem Holzofen und köstlichen Kaffee. An
manchen Abenden, wenn sie kaum Kunden gesehen hatte, bot sie sich selbst
feil. Das kostete sie nicht viel. Genug Essen für Ietmgeta zu haben wog jedes
Ungemach durch einen Mann zwischen ihren Beinen auf. Sie wurde schon
alt – über zwanzig – und konnte für ihre Dienste nicht mehr viel verlangen.